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[GAA, Bd. IV, S. 205]

 


  Von dieser Seite hat Heinrich von Kleist so keck und kühn
als wahr und lebensfrisch die Sache ergriffen. Käthchen liebt
den Graf Wetter von Strahl, er liebt Käthchen, und beide
reden und thun als Verliebte, und ahnen dabei nicht, daß
5sie dergleichen sind, bis ein Traum des Mädchens und die
entdeckte Bosheit eines schlechten Weibes sie über ihre Neigungen
aufklärt. Selbst die scheinbare Handschrift Härte, mit welcher der
Graf anfangs das Mädchen anfährt, zeigt nur, daß er sich
vor seiner Leidenschaft fürchtet, und sich selbst verblenden
10will. Kleist läßt bei der Katastrophe das Käthchen zur Kaisertochter
(noch dazu zu einer illegitimen!) werden, um den
Adelsstolz des v. Strahl auf irgend eine Art zu befriedigen.
Ob das nicht überflüssig und durch des Dichters persönliche
Ansicht herbeigeführt ist, mag ich nicht entscheiden. In seinem
15Schauspiel, wo bloß Bewegungen des Herzens im Spiel sind,
konnt' er diesen Hülfsgrund zur endlichen Verheirathung wohl
weglassen. Zwar Handschrift spricht die Sage für ihn. Er hat sie indeß
so oft nicht geschont, und zu einem besseren Stoff gekräftigt,
daß man ihm auch dießmal lieber folgen würde, wenn er
20consequent geblieben, und nicht zu modern conventionell geworden
wäre.

  Der Graf von Strahl (Hr. Schenk) vermied alle
Uebertreibung, zu welcher seine Rolle leicht Veranlassung
geben kann, und wirkte desto stärker. Mad. Schenk
25(Käthchen) war durchaus brav, spielte die Hollunderbuschscene
ohne die bei derselben gebräuchlichen zu Steriotypen
gewordenen Faxen, hätte jedoch am Ende als Kaisertochter
ein bischen vornehmer thun müssen. — Fräulein Turneks erbärmlicher
Character wurde von der Mad. Limbach erträglich
30gemacht und gemäßigt, wo es nur ging. — Handschrift Der Herr
Seeliger, welcher als Rheingraf auftreten sollte, erschien
nicht. Er wurde von dem Herrn Witte (wie ich vernahm,
war's der) gut vertreten. — Besser, berechneter und richtiger
als Hr. Henckel den Friedeborn gab, hab' ich weder
35diese Rolle ausführen, noch den Herrn Henckel spielen sehen.
Was könnte dieser Mann leisten, unterdrückte er alles gesuchte
Wesen! — Herr Jenke, modo Jakob Pech, bewies,
daß er in der Kunst sein Gesicht zu verstellen trefflich und
unerschöpflich ist.

40Grabbe.Handschrift