Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
Nr. 133, siehe GAA, Bd. V, S. 181thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

25Handschrift Bester Freund,

  anbei das Manuscript, welches nach meiner Berechnung 2½
Druckbogen füllt. Sollte noch etwas fehlen, so mußt Du hier
und da etwas splendid drucken lassen, oder mir Nachricht zu
weiterer Arbeit geben, oder laß meinetwegen das in einem
30Briefe Dir übersandte Don-Juans-Stück sub titulo: Fragment
aus Don Juan mitdrucken.

  Wüßtest Du die enorme Arbeit (sic), welche bei Ende der
Ernteferien auf mich eindrängt, die Berge von durchzulesenden
und zu fabricirenden Acten, die Masse Termine, die Berichte,
35die Briefe, meine Pomade, meine weitverbreitete Lecture, die
ich selbst beim Schreiben oft nicht aufgebe, — so würdest Du
die schlechte Pfote meiner anliegenden Handschrift entschuldigen.
Das Ding enthält die Skizzirung vom Sulla usque ad
finem. Weitere Ausführung als hier geschehen konnte ich nicht

[GAA, Bd. V, S. 182]

 


liefern. Ich hatte nur an 2 Tagen Zeit. Solche Skizzirung ist
schon durch Schillers Demetrius dem Deutschen bekannt. Auch
Goethe hat Ähnliches. Casu dient sie in Etwas, den Eseln zu
zeigen, wo Sulla hinaus will. Ein Character wie Sulla ist
5noch auf keiner tragischen Bühne in der Art gewesen. Etwas
hat der Mann auch, mit Ehren zu melden, von mir. Hier
und da habe ich poetische Verse zur Erbauung eingeflickt.
Stehen irgendwo noch Schreibfehler, so bitte ich um Deine
Correctur.

10  Die Shakspearo-Manie auszudehnen, ging nicht. Ich habe
keine Handschrift von ihr. Auch schadet ihr die Breite. Sie
ist ein Kern, aus dem ich, wenn er in den Shakspearo-Manen
aufgeht, Apfelbäume ziehe. Sie macht ganz ohne Zweifel
großen Effect. Die Zeit ist zu solchem Angriff so reif, daß,
15wenn ich nicht damit erschiene, gewiß irgend ein Anderer
käme.

  Unsere Dramen übrigens müssen wirken. Ich habe mich
sehr bedacht, ehe ich jetzt deren Publication beförderte. Das
klare Resultat ist: tüchtige Wirkung erfolgt. — In so etwas
20täusche ich mich selten. Mehrere Stücke, vorzüglich Gothland,
geht in Extreme aller Art, bis in den Vers; (den Vers hätte
ich leicht verbessern können, aber theils ist er berechnet, theils
gehört er zum Gothland wie das Fell zur Hyäne) aber ganz
unläugbar ist ein Haufen Poesie darin, wie man sie jetzt
25nirgends findet. — Ich wollte Üchtritz wäre ein bischen berühmter;
ich ließe den Brief an Puteani drucken, worin er mich
schon wegen meines Lustspiels für eine der außerordentlichsten
Erscheinungen erklärt. Wirkt das Lustspiel so auf einen Uechtritz,
so Handschrift ist Hoffnung bei Anderen noch viel mehr da. Die
30Volksmasse erkennt das Echte, auch im Curiosen. Wenn ich
wollte, habe ich noch stets gegen das Publicum, welches mir
gegenüberstand, gesiegt.

  Daß Du schon bei Absenden Deines letzten Briefes am 18t
Bogen des Gothlands gewesen ist mir lieb. Ich bitte Dich
35befördere diesen Monat die Pastete ganz zu Ende: ich habe
einen Schlag vor. Du kannst ihn ahnen; bringt er mir
Nutzen, so auch Dir. Etwas vor Ende dieses Monats sähe
ich gern Deine Ankündigung im Intelligenzblatt. Unser Fürst
kommt früher zurück als ich vermuthete, er ist schon in Kurzem
40allhier. Die Westphälischen Zeitschrifts-Redactoren mache
ich hier und da, mittelst einiger halbpiquanter Correspondenzbrocken,

[GAA, Bd. V, S. 183]

 


zu meinen Freunden. Auch nicht sonder Grund.
Dr. Gans in Berlin wird mir durch einen Orientalisten bekannt,
nämlich dem Dr. Rose (den Unschuldigen), jetzt expectivirter
Gesandschaftssecretair nach Constantinopel. Herr Gans
5schreibt in Berliner Journalen.

  Daß Du an Berlin und dabei an mich denkst, sitzt mir
wohlthätig in der Brust. Du characterisirst unsere Berliner
Periode sehr gut, indem Du sie als die Periode der Pomade
andeutest. Nichts störte uns. Aber das vergebe ich Dir nicht,
10daß Du nicht einmal den Namen des Hrn. Restaurateurs Fiedler,
des Platzes auf dem er wohnte (Petriplatzes), nennen
willst. Und der Mr. Du Plant in der Taubenstraße: „steck'
er das Lamm an!“!! Recte, daß Du die Pütschel geärgert hast.
Mit meinen Medicingläsern habe ich die Leipziger Madame
15Georgi auf ähnliche Art erfreut. Auch der Stiefelwichser, der
in einer wahren Bürst-Manie versirte, und meine ohnehin
abgetragenen Röcke in Stücken zu bürsten drohte! Weißt Du
wie wir ihm eins von den Gulden-Rosinanten auf dem Opernplatze
kaufen wollten, damit er die Stiefeln zu Pferde bringe?
20Wie manches Buch, wie mancher Pfeifenkopf ist 50mal von
uns besehen. Unsere Wißbegier war dämonisch, unersättlich.

  Ja, uns in Berlin zu begegnen, wäre hübsch; ich würde nicht
fehlen. „Erst das vergangne ist das wahre Glück“ sagt
Cäcilia, und sie hat recht. Dort könnten wir, wie Du so wahr
25sagst, Vergangenheit und Gegenwart vereinen.

  Ich muß (es erscheinen Clienten) jetzt schließen, und harre
auf Antwort als Dein

                        treuer Grabbe.

  Detmold den 1 September 1827.

30[Adresse:] Handschrift An den Herrn Buchhändler Kettembeil Wohlgeboren.

 


133.

H: Doppelbl. in 40; 2 S., Adresse auf S. 4.
  Auf S. 4 Vermerk des Empfängers: 1827 Grabbe in Detmold
den 1 Septbr.
F: StLBD 1597.
T: Nachträge zur Kenntniss Grabbes. Aus ungedruckten Quellen.
Von Oscar Blumenthal. Berlin, Grote 1875. S. 24—27.
D: Robert Hallgarten: Neues von Grabbe. (In: Das litterarische
Echo. Jg. 4. H. 5. Dez. 1901. Sp. 293—301.) Sp. 299—300.

S. 183, Z. 3: den] dem H

S. 181, Z. 26: das Manuscript: Die Skizze des Schlusses von
„Marius und Sulla“ auf Foliobogen.
S. 181, Z. 38 f.: usque ad finem: bis zum Schlusse.
S. 182, Z. 2 f.: Auch Goethe hat Ähnliches: In dem politischen
Drama „Die Aufgeregten“, in dem eine unausgeführte Partie in
III,1 sowie der fünfte Aufzug durch Erzählung wiedergegeben sind.
Das Werk findet sich im zehnten Bande der Ausgabe B (Stuttgart
& Tübingen, Cotta 1817), S. 317—95.
S. 182, Z. 3: Casu: Im vorliegenden, in unserem Falle.
S. 182, Z. 26: Puteani: Emanuel Joseph Freiherr v. P. (1778
bis 1849), kgl. sächs. Kammerherr, Geheimer Rat und Oberst-Hofmeister
der Königin. Er war mit der Freiin Augusta von Uechtritz
vermählt. Uechtritzens Brief an ihn ist nicht bekannt.
S. 182, Z. 35 f.: ich habe einen Schlag vor: Grabbe scheint sich
damals mit der Hoffnung getragen zu haben, auf Grund seiner
Leistungen als Dramatiker und Kritiker eine Art von Dramaturg
oder Berater am Detmolder Hoftheater werden zu können.
S. 182, Z. 38: Deine Ankündigung im Intelligenzblatt: Sie ist
in der Nr 43 vom 37. Okt. 1827 (S. 340) abgedruckt.
S. 183, Z. 3 f.: Dr. Rose (den Unschuldigen), jetzt expectivirter
Gesandschaftssecretair nach Constantinopel: In der Tat hatten die
Gönner des jungen Gelehrten in Berlin, insbesondere Wilhelm von
Humboldt, den Versuch gemacht, ihm einen Aufenthalt im Orient
zu ermöglichen, und zu diesem Zwecke seine Berufung an die
Preußische Gesandtschaft in Konstantinopel bewirkt. Jedoch zogen
sich die Verhandlungen hierüber infolge kriegerischer Ereignisse im
Orient hin; mittlerweile erhielt Rosen einen Ruf an die neugegründete
Universität von London, und diesen konnte er nicht ausschlagen.

[Bd. b5, S. 532]

 


(Vgl. „Menschen vom lippischen Boden“, Detmold 1936,
S. 215.)
S. 183, Z. 4 f.: Herr Gans schreibt in Berliner Journalen: Ein
Beitrag zum „Berliner Conversationsblatte“ wird in der Anm. zu
Verweis zum Kommentar S. 177, Z. 38, charakterisiert. Gans hat aber in der Tat auch noch
an anderen Berliner Blättern mitgearbeitet. Für die Saphir'schen
bezeugt es Willibald Alexis in seinen „Theater-Erinnerungen“ vom
Jahre 1841 („Erinnerungen“, hrsg. von Max Ewert = „Aus dem
Neunzehnten Jahrhundert“ Bd 4, Berlin 1900, S. 383), für die
„Berliner Schnellpost“ Karl von Holtei („Vierzig Jahre“ Bd 4,
Berlin 1844, S. 282.) Ein bestimmter Beitrag zur „Schnellpost“ hat
allerdings nicht nachgewiesen werden können. Im „Beiwagen für
Kritik und Antikritik“, und zwar in den Nrn 27 vom 15. und 28
vom 22. Juli 1826 findet sich zwar ein größerer Aufsatz „Ueber
Schiller's Braut von Messina“, der mit 'Eduard' unterzeichnet ist,
und im Exemplare der ehemaligen Königlichen Bibliothek zu Berlin
ist zu diesem Vornamen mit Tinte 'Gans' hinzugefügt. Da jedoch
die gleiche Unterschrift unter einer Korrespondenz steht, die „Poststation
Leipzig, am 15. März 1826“ datiert und in den Nrn 40—46
vom 3. bis 17. April abgedruckt ist, also einer Zeit angehört, da
G. als außerordentlicher Professor der Rechte an der Universität zu
Berlin lehrte und daselbst mit einigen Freunden die Gründung der
„Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“ betrieb, überdies G in
seinem Bericht über die Stiftung der „Jahrbücher“ (Dioskuren, Bd 1,
Berlin 1836, S. 310—40, vgl. S. 323) keiner Fahrt nach Leipzig gedenkt,
so ist jene Zuschreibung für zu unsicher gehalten worden, um
übernommen zu werden. Unter den Schriften zur Ästhetik im
zweiten Bande der „Vermischten Schriften“ von G. (Berlin 1834,
S. 253—393) findet sich der Aufsatz über die „Braut von Messina“
nicht.
S. 183, Z. 10 f.: den Namen des Hrn. Restaurateurs Fiedler: Das
Restaurant Fiedler, Gertraudten-Straße 20, Ecke Grün-Straße, ist
in Valentin Heinrich Schmidts „Wegweiser für Fremde und Einheimische
durch Berlin und Potsdam und die umliegende Gegend“
(5., gänzlich umgearb. u. verb. Aufl., Berlin, Nicolai 1821, S. 227)
unter den Speisehäusern genannt, wo ein öffentlicher Tisch gehalten
wurde. Im zweiten Bändchen von Johann Daniel Friedrich Rumpfs
Werke „Berlin und Potsdam. Eine Beschreibung aller Merkwürdigkeiten
dieser Städte und ihrer Umgebungen“ (4., umgearb. Ausg.,
Berlin, Flittner 1823, S. 152) findet man es unter den Kaffeehäusern,
worunter man, wie der Verfasser (a.a.O. S. 151—52) erläutert, in
Berlin alle diejenigen Häuser verstand, wo zwar mitunter auch
Kaffee getrunken werde, „das Biertrinken, Tabackrauchen, Billard-,
Karten-, Schach-, Brettspielen von Nachmittag bis zum Abend aber
Hauptsache“ sei, und wo man Mittags und Abends nach der Karte
speise. Es seien daher diese Häuser eigentlich Restaurationen zweiter
Klasse. In mehreren könne man sich für den Mittagstisch mit sieben
Talern monatlich abonnieren; einzeln zahle man sechs gute Groschen,
„wofür Suppe, Zugemüse nebst Fleisch, Braten mit Sallat, oder
Pflaumen und dergleichen, gut zubereitet, auch noch Butter und Käse
gereicht“ würden. Die Gäste seien Bürger, Studenten, Beamte und

[Bd. b5, S. 533]

 


Offiziere. Das Lokal lag im Stadtteile Alt-Kölln, in dem sich auch
das Schloß befand. Der Petri-Platz oder Petrikirchplatz, benannt
nach der Kirche, die dort gestanden hatte, stieß im Süden an die
Gertraudten-Straße, die von der Gertraudten-Brücke bis an den
Köllnischen Fischmarkt ging; aus ihr führte die Grün-Straße bis an
die Grünstraßen-Brücke.
S. 183, Z. 12: Mr. Du Plant in der Taubenstraße: Über diese
Persönlichkeit hat sich weder durch die Berliner Adreß-Bücher und
topographischen Werke für jene Jahre, noch auch mit Hilfe des
Landesarchivs Berlin in Berlin-Dahlem etwas feststellen lassen.
S. 183, Z. 23 f.: sagt Cäcilia: Im „Herzog Theodor von Gothland
“ IV, 3; siehe Verweis zum Kommentar Bd 1, S. 157, Z. 10—11.