Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
Nr. 228, siehe GAA, Bd. V, S. 269thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief


  Handschrift Anbei eine sofort in die Iris zum schnell[sten Abdruck zu
10gebende Theater]kritik. Schreibfehler verbessere. Kannst Du
die Name[n(?) ... sie drucken] wie Du willst.Dein

                    Handschrift Freund

  1) anbei ein Brief an Rousseau, der mir geschrieben.
Besorg an ihn anliegende oben schon erwähnte Recension
15in die Iris, aber abgeschrieben, nicht von meiner Hand,
mußt sagen, ein Dritter, Lieut. Runnenberg etwa, habe sie
gemacht,

  2) ist der D. J. u. F. auch ordentlich verschickt und überall
angekündigt? Er ist ein guter Vorläufer.

20  3) das Morgenblatt könnte Rousseau besorgen,

  4) aus dem Barb. ja Scenen in die Journale,

  5) ich konnte heute, wo ich aus Ursachen einen „Satz“ gebe,
nicht frankiren,

  6) ja Scenen aus B. gleich in die Journale,

25  7) anbei Dein Zettel zurück
   
ad I desselben: „wahn vor
   pp“, (wahn heißt ja „blind“,
   „toll“).
   
ad II „Todt schlägt man noch

Heinrich VI wird
   einmal so viel der Feinde“.

gewaltig.
   
ad III „Gern höre ich den Ton
   des Landes d'oc
   
(der Sprache d'oc — Languedoc)
   
   ad IV „Alle Erinnrungen der
   Vorzeit laßt erwachen,
   Alfs pp“.


  Schick D. J. ja an die Literaturzeitungen. Wir müssen setzen,
wir gewinnen. An's Conversati[onsbla]tt, Westph. Anzeiger!

[GAA, Bd. V, S. 270]

 


  Schnell den Barb. gedruckt. Und [ein Stück des Briefs abgerissen]


Grabbe.

  (Mir jede Recension, wenn auch unfrankirt, mitgetheilt.)

5  Handschrift Noch etwas: verzeih meine wilden Briefe, ich habe zuviel
zu thun. Mir ja den D. J. ausposaunt, Du hast ihn wirklich
mißschätzt und zu lange liegen lassen. Rousseau hatte mir
eine Subscriptionsliste für eins seiner Bücher geschickt, ich habe
unterzeichnet, ihm auch angezeigt, wie er mehrere Subscribenten
10erhalten kann, er verspricht mit möglichstem Eifer für uns
zu wirken; nutz' ihn. Sollte er nichts in seinen alten hier
sehr viel gelesenen Westph. Anzeiger jagen können? Aus
Heinr. VI liegt schon Neapels Golf vor mir mit seinen Inseln
und Vulkanen. Aschenbrödel wird tollkomisch, aber auch
15so:

                    Erste Fee.
                Was singt die Nachtigall?
                    Andere Fee.
                Verstehst du's nicht:
20                  „Durchs laub'ge Dunkel
                  Bricht Lichtgefunkel,
                  Entzündet mir die Brust,
                  Hoch flammt mir auf die Stimme,
                  Und preis't der Liebe Schmerz und Lust!“
25                      Erste Fee.
                Was will der Duft der Rose?
                    Andere Fee.
                Er ist der Rose Stimme
                Und ruft dem Sonnengotte zu:
30                  „Ich schlief im grünen Kleide,
                  Verloren ist die Ruh,
                  Denn mich erwecktest du!
                  O Sonn' und Liebesfreude,
                  Euch anbetend
35                  Schwillt mir der Busen schaamerröthend!“

Bin ich nicht ein bischen ein Sappermenter? Den Sir Shakespeare
wollen wir doch noch wohl unter kriegen. Für sein
bestes historisches Stück gebe ich nicht einmal den Barbarossa.
Erkundige Dich unter der Hand, auf welche Weise man den
40Handschrift Potentaten die Exemplare am besten zuschickt. Ich thät's
gern unmittelbar. Die Erinnerung, welche in Heinr. VI vorzugsweise

[GAA, Bd. V, S. 271]

 


durch Heinr. den Löwen an das vorige Stück erregt
wird, soll eben so künstlerisch als nützlich seyn:

                    H. d. L.
      Hier stand Mathildis mir zur Seite,
5      Zerriß den Schleier, um den Landolph zu
      Verbinden — Todt nun lange! — Sey geküßt,
      Du heil'ger Boden!

— Für das übersandte Geld danke ich sehr. Du thätest
mir aber einen großen Gefallen, und ich würde Dich bis zur
10nächsten Production, falls sie Dir gefällt, auf Ehre nicht
wieder quälen, wenn Du mir mit der nächsten Post noch
30 — 36 rthlr. schicken könntest. Kannst Du es nicht, so laß
es und erwähne es nicht wieder. Ich speculire hier äußerst
hoch, bin Sieger, aber noch vorsichtig, schieße erst, wenn ich
15ganz unzweifelhaft treffe, und bedarf äußerst viel, wozu denn
die Advocatur hilft und Du, Vetter. Thät's mir nicht Noth,
spräch' ich nicht davon.

Also Dein

    schiefer Grabbe.                Detm. 18t Apr. 1829.

20  [Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil
(Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main.

 


228.

H: 2 Bl. in 40; 2S., Adresse auf S. 2.
  Auf S. 2 Vermerk des Empfängers: 1829 Grabbe in Detmold
den 18 Apr. Abgangsstempel: DETTMOLD 19/4 Ankunftsstempel:
FRANKFURT 21. APR. 1829
F: GrA
T: WBl IV 435—36, als Nr 17.
D: WGr 263—66, als Nr 54.
  Der obere und der untere Rand des ersten Blattes sind mit starkem
Textverlust beschädigt.

S. 269, Z. 9 f.: Anbei eine [usw.]] Grabbe hat den Brief mit den
Worten Freund 1) anbei ein begonnen, und die Anrede mit dem
Folgenden durch einen Strich verbunden. Nachträglich hat er an den
Kopf des Briefes die Worte Anbei eine [bis] Dein hinzugefügt,
das Wort Dein mit dem Worte Freund gleichfals durch einen Strich
miteinander verbunden und nun die drei Worte oben schon erwähnte
hinter anliegende mit korrespondierenden Verweisungszeichen
eingeschoben.
  In WBl (IV 435) ist dieser Zusatz nicht mit abgedruckt; er findet
sich zuerst in WGr (IV 263). Als H deren Herausgeber vorgelegen
hat, ist der Defekt am oberen Rande offenbar etwas geringer gewesen,
so daß die (von dort entnommenen) Worte sie drucken noch
vorhanden waren.
S. 269, Z. 28: „toll“).] toll“) H
S. 269, Z. 10: Theater]kritik: Die aus „Detmold, im Mai 1829“
datierte und mit „I.“ unterzeichnete Korrespondenz in No 56 der
„Frankfurter Iris“ vom 10. Mai, S. 224; siehe Verweis zum Kommentar Bd 4, S. 87—89.
S. 269, Z. 16: Lieut. Runnenberg: Carl Wilhelm R. war als der
älteste Sohn des kaiserl. Reichspostmeisters Carl Lüder R. am 12.
Aug. 1794 in Detmold geboren. Seine Mutter Friederica Wilhelmine
Louise war eine Tochter des Kriminalrats Heistermann. Nach dem
Besuche der Küsterschule wurde R. für zwei Jahre seinem Oheim,
dem Pastor Barkhausen in Schlangen, zur Erziehung übergeben und
war danach bis Michaelis 1811 auf dem Detmolder Gymnasium. Im
August 1810 wurde er als Commis surnuméraire, vom 1. Jan. 1812
an als Sekretär bei dem damaligen kgl. westfälischen Postamte in
Detmold angestellt und blieb dort bis zum Januar 1814. Nun trat
er als Lieutenant in die Landwehr ein, machte die Belagerung von
Mainz mit, kehrte etwa in Mai 1814 nach Detmold zurück und
wurde aus dem Militärdienste entlassen. Auf Empfehlung der Fürstin
Paulina wurde er Postmeister an dem seit dem 1. April 1814

[Bd. b5, S. 585]

 


bestehenden kurhessischen Postamte, dann noch einmal Soldat, nahm
bis Ende Nov. 1815 an dem Feldzuge gegen Frankreich teil und
trat sodann wieder in sein früheres Verhältnis als kurhessischer
Postmeister zurück. Im Jahre 1816 wurden das kurhessische und das
Thurn- und Taxis'sche Postamt in Detmold vereinigt und dem
älteren R. die Verwaltung übertragen. 1819 trat der Vater die Verwaltung
sämtlicher Postanstalten seinem Sohne ab, und dieser wurde
als kurhessischer, fürstlich Thurn- und Taxis'scher Postmeister und
als kgl. preußischer Postexpediteur angestellt, einige Jahre darauf,
nachdem die preußische Post-Expedition in Detmold in eine Postverwaltung
umgewandelt worden war, zum Postverwalter und
1834 zum kgl. Postmeister und Chef sämtlicher Postanstalten im
Fürstentum Lippe ernannt. Unterm 17. Mai 1831 wurde ihm der
Charakter als Hauptmann beigelegt. 1845 verging er sich am Postgute,
wurde im Mai des folgenden Jahres in Leipzig verhaftet
und am 21. in das Detmolder Untersuchungsgefängnis im Werkhause
eingeliefert. In der Nacht vom 12. zum 13. Okt. glückte es
ihm, daraus zu entweichen und nach den Vereinigten Staaten zu
entkommen. Durch Urteil des Kriminalgerichts vom 5. Dez. 1846
wurde er in Abwesenheit wegen mit Amtsmißbrauch verübter Unterschlagungen
zur Strafe des Zuchthauses auf sieben Jahre und zur
Amtsentlassung verurteilt. (Unter Benutzung seines vom 23. Juni
1846 datierten Lebenslaufes, der ohne schriftliche Unterlagen während
der Haft niedergeschrieben ist, in den „Acta in Untersuchungs-Sachen
gegen den Postmeister und Hauptmann a. D. Karl Wilhelm
Runnenberg in Detmold, Unterschlagungen
betreffend. 1846“, S. 334 ff. StAD. Kriminalakten 1883.) Siehe
Alfred Bergmann, „Postmeister Runnenberg. Eine Kriminal-Geschichte
aus dem vormärzlichen Detmold“. In: Lippische Mitteilungen. Bd
29. 1960. S. 127—152. Dewall S. 75, unter Nr 137.
S. 269, Z. 22: „Satz“: Die Gesamtheit dessen, was, wenn man
etwas zum besten gibt, aufgesetzt (aufgetragen), den Gästen vorgesetzt
wird; das Traktament.
S. 269, Z. 26 f.:wahn vor pp“: Siehe Verweis zum Kommentar Bd 2, S. 26, Z. 28.
S. 269, Z. 29 f.: „Todt schlägt man noch einmal so viel der
Feinde“: Siehe Verweis zum Kommentar Bd 2, S. 52, Z. 21.
S. 269, Z. 31 f.: „Gern höre ich den Ton des Landes d'oc: Siehe
Verweis zum Kommentar Bd 2, S. 80, Z. 23.
S. 269, Z. 35—37: „Alle Erinnerungen der Vorzeit laßt erwachen,
Alfs pp“: Siehe Verweis zum Kommentar Bd 2, S. 85, Z. 9 f.
S. 270, Z. 8: eins seiner Bücher: Rousseaus nächstes Buch war:
„Bernsteine“, eine Sammlung von „Dichtungen und Novellen“,
die zwei Jahre später bei Wesché in Frankfurt am Main herausgekommen
ist. Jedoch kann es sich auch um eine andere, erst später
oder gar nicht zu Stande gekommene Veröffentlichung handeln.