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Nr. 266, siehe GAA, Bd. V, S. 301thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

Handschrift Lieber Freund, ([das wilde (?) A.]ussehen meiner

Briefe verzeihst Du scho[n ...] wie meine Haare.)

  Dein letzter Brief ist mir deinethalb, nicht meinetwegen,
unangenehm gewesen. Ich glaube Dir, daß Du vollkommene

[GAA, Bd. V, S. 302]

 


Wahrheit sprichst. Nutzen hast Du am Ende gewiß bei
unseren Sachen, aber die Deutschen sind literarisch übersättigt,
und sehr flau und es währt lange. Wie sind wir nicht angegriffen
und gelobt — und doch! — Na, Ich bin Ich, und
5ist mir Alles Eins. Nichtsdestominder arbeite ich sehr ernst-
lich am Napoleon. Der Name schon hilft, und alle Ideen,
die ich je über die Revolution gehabt, lassen sich darin ausschütten.
Heinrich VI verkennst Du, das sage
ich ruhiger als Du (der Du der Ruhigere seyn willst), und laß
10Du ihn schnell drucken! Wann kommt er? — Uns wird
es gehen, wie jetzt wohl fast allen Autoren und Buchhändlern.
Viel Geschwätz und wenig Wolle. — Wegen Einstellung der
Zahlung der monatlichen 24 Thaler bin ich nicht böse, danke
Dir vielmehr für Deine Erklärung und Deine übrige Gefälligkeit,
15bleibe Dein amicus, jedoch mußt Du erlauben, daß ich
für diesen letzten Monat die monatliche Quote noch einmal
aus Gründen ausnehme, will sie jedoch Dir franco auf
Erfodern, wohin Du willst, nur, wo möglich, nicht nach
Frankfurt oder außer Deutschland rücksenden. Auf Ehre. —
20Schaffe doch die Probescenen aus Aschen-
brödel in den Gesellschafter. Im Rh. Anzeiger
steht mein Armbruch, auch der Comet spricht einigemal von
mir. — Wir dringen doch wohl brillant durch. Wir sind zu
gut. — Der Freimüthige u. das Conversationsbl. sind ja jetzt
25Eins! — [Da] die Tücke des Conversationsblattes gegen den
Barbarossa gerichtet ist, begreife ich den Freimüthigen contra
D. J. u. umgekehrt. — Die Hunde — die Conversation tödtet
den Freimüthigen. — Sage dem Herloßsohn, ich würde gern
am Cometen mitarbeiten, grüßte ihn, litte aber am Armbruch.

30                        Dein alter
                                

  Welch ein Zettel! [Detmold,] 5 Mai 30. (Napoleons Todestag,
nicht meiner.)

Handschrift   Daß Raupach einen Heinrich VI geschrieben, schadet uns
35nicht. Habent sua fata. Mein VI ist mehr als Gothland, viel
künstlerischer, kühner, und doch Feuer, echte, sehr richtige
Historia. Handschrift Schick mir ja den gedruckten Heinrich vor dem Wegsenden
wegen der Druckfehler.

  [Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil
40in Leipzig (bei Hrn. Dr. Bauer am Nikolaikirchhof.)
Frei.

[GAA, Bd. V, S. 303]

 

 


266.

H: 1 Bl. in 40; 1 S., Adresse auf S. 2.
  Auf S. 2 Vermerk des Empfängers: 1830 Grabbe in Detmold den
5 Mai. Abgangsstempel: DETTMOLD 6/5
F: GrA
D: WBl IV 448—49, als Nr 23.
  Der letzte Abschnitt, auf einen Zettel mit zwei paginierten Seiten
niedergeschrieben, fehlt WBl. Er ist zuerst WGr IV 287 als Schluß
des vom 5. Mai 1830 datierten Briefes (Nr 69) abgedruckt, und
Wukadinović ist diesem Beispiele gefolgt. (Siehe WWV 344, 35—42.)
Begründet hat Grisebach diese Einordnung nicht. Da er aber die
Handschrift im Besitze Blumenthals vorgefunden hat und zwar möglicherweise
noch in echtem Zusammenhange mit dem Briefe, so ist
diese Zusammenstellung um so eher beibehalten worden, als irgend
eine andere sich auch nur auf Vermutungen stützen könnte.

S. 301, Z. 36 f.: ([Das wilde (?) A]ussehn meiner Briefe verzeihst
Du scho[n ...] wie meine Haare.)] der Brief ist beim Entsiegeln
am oberen Rande mit Textverlust beschädigt
S. 302, Z. 25: [Da]] der Brief ist an dieser Stelle mit Textverlust
beschädigt
S. 302, Z. 28 f.: Sage dem Herloßsohn [bis] Armbruch.] aRl senkrecht
von oben nach unten H

S. 302, Z. 20 f.: Schaffe doch die Probescenen aus
Aschenbrödel in den Gesellschafter: Siehe die
Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 298, Z. 22 f.
S. 302, Z. 21 f.: Im Rh. Anzeiger steht mein Armbruch: Im 8.
Stücke des „Rheinisch-Westphälischen Korrespondenzblattes“ vom
20. Februar 1830 findet sich auf Sp. 128 eine vom 3. Februar 1830
datierte und mit „A. u. S.“ unterzeichnete Korrespondenz „Aus Detmold
“. Diese berichtet zuerst von dem Schadenfeuer, welches am
Morgen des 2. Februars den bewohntesten Teil der Stadt bedroht
hat, und endet mit dem folgenden Abschnitte:
  „Die literarische Thätigkeit unsres Grabbe ist einige Zeit hindurch
unangenehm gehemmt gewesen, indem der Dichter bei einer

[Bd. b5, S. 615]

 


Schlitten-Partie den Arm gebrochen hat, welcher aber, Gottlob! jetzt
so weit wieder hergestellt ist, daß er wieder ausgehen kann.“
S. 302, Z. 22 f.: auch der Comet spricht einigemal von mir: „Der
Komet, ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt“ mit einem
„Literaturblatte“ und der „Zeitung für Reisen und Reisende“ als
Beilagen begann damals in Altenburg zu erscheinen: er hat achtzehn
Jahre bestanden. Begründet hatte ihn, angeregt durch die politischen
Ereignisse und Umwälzungen des Jahres 1830, der aus Prag gebürtige
Georg Karl Reginald Herloßsohn (eigentlich Herloß; 1804 bis
1849), der seit dem November 1825 als Schriftsteller in Leipzig
lebte und seine Zeitschrift bis 1840 und wieder von 1844 bis zu
ihrem Erlöschen selbst redigiert hat. Vom ersten Jahrgang haben die
in der Zeit vom 4. Januar bis 29. April erschienenen Nrn 1—68 nebst
den Nrn 1—16 der „Zeitung für Reisen und Reisende“ und den
Nrn 1—17 des „Literaturblattes“, nicht aber das „Intelligenzblatt“
Nr 1 und 2 vorgelegen. In diesem Bestande hat nur eine Erwähnung
Grabbes gefunden werden können: in Nr 5 des „Literaturblattes“
vom 5. Februar ist auf den Sp. 33—36 ein Beitrag abgedruckt, der
„Musenalmanach. Ein Gespräch in Courtin's Conditorei zu Berlin“
betitelt und mit Obscurus Barbarus unterzeichnet ist. Die Diskussion
findet zwischen vier jungen Leuten statt, die mit A., B., C. und D.
bezeichnet sind, und hat den „Berliner Musen-Almanach für das Jahr
1830“, herausgegeben von Heinrich Stieglitz, Moritz Veit und Karl
Werder, zum Gegenstande. „Dieser neue Musenalmanach“, so erklärt
A., „ein junger Mann mit ungeheurer Nase und sehr kurzgeschorenem
Haar, den gewaltig weite Manchester-Beinkleider auszeichneten
“, „gehört zu dem Großartigsten, was die neueste Zeit hervorgebracht
hat!“
  „'Nun!' meinte D., ein Mann von etwa 30 Jahren, 'die neueste
Zeit ist nicht sehr reich an großartigen literarischen Productionen!'
  'O Himmel!' sprach A. 'Sie bleiben ewig der Alte. Werden Namen,
wie Immermann, Heine, Raupach und Grabbe nie
bei Ihnen die verdiente Ehre finden?'
  'Die verdiente?' wiederholte D., scharf betonend. 'Wozu den Streit
erneuern? Sie wissen, was ich von jenen Dichtern halte. An Talent
fehlt es denselben nicht, aber Classisches haben sie bis jetzt wahrlich
nicht geleistet. Einzelne Witze von H. Heine —'
  'Nicht weiter!' fiel C. ihm in die Rede“, der als ein „junger, aber
starker Mann mit einem dicken Gesicht, Stutzbart und Brille“ beschrieben
ist. „'Jedes Ihrer Worte ist eine Entweihung.'“ (Sp. 33.)
S. 302, Z. 24 f.: Der Freimüthige u. das Conversationsbl. sind ja
jetzt Eins: Vom Jahre 1830 an erschien in der Tat der nun von
Wilh. Häring herausgegebene „Freimüthige“ mit dem Zusatze: „oder
Berliner Conversationsblatt“. Die Vereinigung der beiden Journale
wurde am Ende des Jahres 1835 wieder gelöst.
S. 302, Z. 25 f.: die Tücke des Conversationsblattes gegen den
Barbarossa: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 293, Z. 20—22.
S. 302, Z. 26 f.: den Freimüthigen contra D. J.: Dr. Schiffs Gespräch
über „Don Juan und Faust“, enthalten in den Nrn 232—36
des „Freimüthigen“ vom 20.—26. November 1829, ist in der Tat
dem Werke sehr wenig günstig.

[Bd. b5, S. 616]

 


S. 302, Z. 28 f.: Sage dem Herloßsohn, ich würde gern am Cometen
mitarbeiten: Eine solche Mitarbeit ist nicht zu Stande gekommen;
siehe dazu Verweis zum Kommentar Bd 4, S. 450—51.