Nr. 3, siehe GAA, Bd. V, S. 3 | 1812 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Dorothea Grabbe, Adolph Henrich Grabbe (Detmold) | Brief | | | | Vorangehend: keine | Nachfolgend: |
| Liebe Eltern! Schnell ergreife ich die Feder da ich höre, daß mein Vater mit mir nach Meinberg will! 20Ich habe einen heftigsten Wunsch, Wunsch sage ich die heftigste Begierde, die größte Leidenschaft, nach einem Buche. Aber ach alle meine Wünsche scheitern, meine Ruhe ist dahin auf lange, lange Zeit, es ist — es ist — — — — ich bin verwirrt, ich vermag es nicht zu schreiben es ist — — — o Gott — — — 25zu theuer. Zitternd schreibe ich es. Wie gern gäbe ich vieles von meiner Kleidung dahin um es zu erhalten, allein dies würdet ihr nicht erlauben, doch geht es so erlaub es Vater, liebe Mutter! bedenk bedenkt, daß wahrscheinl. die Ruhe Eures Sohnes auf lange Zeit davon abhängt. Abschreiben möcht 30ich es aber es sind 14 Bände. Schon seit langer Zeit habe [GAA, Bd. V, S. 4] ich mich mit dem Wunsch es zu erhalten umhergetrieben, schon lange Wochen nagte innere Unruhe an meinen Herzen. Dies Herz war zu voll, zu besorgt, als daß es hätte hoffen können es über die Lippen zu bringen, oder es zu schreiben. Daher 5war jener finstere Trübsinn den ich ganz nachhing wo ich überall stand und in mich selbst versunken war, ihr wolltet ihn vertreiben, allein ich hange ihn noch jetzt in einsamen Stunden nach, dann hoffe ich ihn in Eurer Gesellschaft zu zerstreuen, durch Frohsein darinn auseinander zu treiben, 10aber vergebens, habe ich mich entfernt so umhüllen wieder finstere Wolken meine sonst jugendliche freie Stirn. Darum murrte ich wenn ich ein neu Kleid bekam: ach dachte ich du hast der Kleider so viele, hättest du doch das Geld dafür, daß du es zum Buche brauchen könntest. Ach Gott wie gern, 15wie freudig wollte ich auf manches Verzicht thun wenn ich nur das Buch bekäme. Giebst Du es mir dann will ich wahrhaftig lange kein ander Buch als ein Schulbuch, lange kein neu Kleid haben, und Dir, durch kindlichen Gehorsam, so viel wie ich kann, und was doch meine Schuldigkeit ist Dein Alter versüßen. 20Da ich so ungeheuere Liebe zur Geographie habe, so habe ich eine solche Begierde danach, es ist von den so berühmten Zimmermann. Da es wissentschaftlich ist, so kannst Du denken, daß ich es zur Unterhaltung nicht verlange. Es heißt: Zimmermann Taschenbuch der Reisen bei Gerhard Fleischer 25zu Leipz. m. K. und Charten. Verschreibst Du es mir so will ich alles Unnöthige verkaufen. O Gott welch einen Tag habe ich heute wieder gehabt ich habe das Buch immer vor Augen gehabt. Ganz genau weiß ich den Preis selbst nicht, frag daher erst die Buchhandlung ja darum, daß sie es 30Dir nicht schicken, und es wäre Dir zu theuer. Jetzt wollte ich Dich warnen mich mit nach Meinberg zu nehmen, weil denn das Geld was ich da verzehren würde besser zum Buche angewandt wäre. Ich will keine Butter mehr essen, Kaffee wenig trinken. Frag doch den Dienstag um den Preis 35des Buchs, und verschreib es darnach wenn du kannst, bedenk meine Ruhe hängt lange, lange davon ab, jetzt beschließ diesen unter manchen Zähren und Schluchzen geschriebenen Brief. Die Schrift konnt ich wegen meiner Unruhe nicht besser 40machen. [Detmold, 1812/13.] [GAA, Bd. V, S. 5] Zum Zeichen, daß ich alles Mögliche gethan habe, lege ich meine Aufsätze zum Durchsehen bei, und bitte sie wieder auf die Kammer unten in mein Bücherbrett zu legen. Euer 5geliebter Christian. [Adresse:] An Hrn. Zuchtmeister Grabbe zu Detmold. frei. |
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3.
H: Doppelbl. in 20; 2 ⅙ S., Adresse auf S. 4.
F: GrA
T: Gegenw. S. 9.
D: WBl IV 328—30, als Nr 1.
S. 3, Z. 27: würdet] würdert H
S. 3, Z. 30: ich] ist H
Von Eberhard August Wilhelm von Zimmermanns „Taschenbuch
der Reisen, oder unterhaltende Darstellung der Entdeckungen des
18ten Jahrhunderts, in Rücksicht der Länder- Menschen- und Productenkunde.
Für jede Klasse von Lesern“ war der erste Jahrgang
für das Jahr 1802 (bei Gerhard Fleischer d. Jüng. in Leipzig)
erschienen. Da die Jahrgänge 8 (für 1809), 9 (für 1810) und 11
(für 1812) aus je zwei Abteilungen bestehen, so lagen die vierzehn
Bände, von denen Grabbe spricht, mit der zweiten Abteilung des
elften Jahrgangs vor. Dieser wird noch nicht angekündigt im
„Systematischen Verzeichniß neuer Bücher und Musikalien, welche
[Bd. b5, S. 387]
von der Leipziger Ostermesse 1812 in der Meyerschen Buchhandlung
zu Lemgo angeschaffet und für beygesetzte Preise zu haben
sind“ (1812), sondern erst in dem nach der Leipziger Michaelmesse
1812 herausgegebenen Verzeichnis (S. 16). Das nächste Bändchen
(12,1 für 1813) erscheint im Verzeichnis der Meyerschen Buchhandlung
für die Zeit von der Leipziger Michaels-Messe 1812 bis zum
Ende des Augusts 1813 (auf S. 29). Demnach muß für diesen Brief
angenommen werden als der terminus a quo die Zeit zwischen den
beiden Leipziger Büchermessen des Jahres 1812, als terminus ad
quem der Spätsommer oder Herbst des Jahres 1813. — Erhalten
haben sich von dem für Grabbe erworbenen Exemplar zwölf Bändchen,
die sich jetzt im GrA befinden, und zwar die Jahrgänge
1, 4, 6, 81—122. Der Umstand, daß sich die beiden Abteilungen
des zwölften Jahrgangs bei dieser Reihe befinden, wird kaum für
einen späteren Termin der Niederschrift des Briefes sprechen. Vielmehr
ergibt sich aus Brief Nr 9, daß das Taschenbuch erst kurze
Zeit vor dem 30. September 1815 bestellt worden ist, und es lag
nahe, nunmehr die mittlerweile erschienenen zwei weiteren Bändchen
gleichfalls zu liefern. (Jg. 13 oder Bändchen 17 ist, nach Zimmermanns
Tode, unter neuer Redaktion erst 1817 herausgekommen.)
Wo der junge Grabbe sich damals befunden hat, ist nicht bekannt.