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Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Valentin Husemann (Detmold)
Brief

      Handschrift Herr Husemann,

  ich vertraue Ihrer Ehre, daß Sie diesen Brief Niemanden
mittheilen. Sie können mich damit sofort ruiniren, — wollen
Sie das — gut.

5  Bloße Schuldigkeit gegen meine Eltern und einige Befreundete
ist es, daß ich, ehe das Aeußerste geschieht, Ihnen dieses
Aeußerste an das Herz lege.

  Ich könnte wüthen, rächen, toben, aber von dem Allen sollen
Sie und Ihr Haus nicht die Spur haben, — ein paar Thränen
10von Ihnen nach meinemHandschrift  etwaigen Tode, und die Einsicht, daß
ich in jeder Art besser war, als Sie glaubten, wünsche ich.

  Meine Sachen sind nun soweit geordnet, daß ich sagen kann,
den vierten Sonntag von heute an erlebe ich nicht mehr. Sie
halten das für Faxe, — ich verpfände aber hiermit meine Ehre,
15daß es so ist, und gebe Ihnen die Erlaubniß, mich anzuspeien,
falls es nicht ist. Ein Teudt, ein Stöcker werde ich nicht, und
gäbe man mir 1_000_000 Jahre Leben und jedes Jahr
1_000_000 Louisd'ors dazu.

  Es kann seyn, daß ich gefehlt Handschrift habe, — ich hätte müssen
20caressirender seyn, — die Henriette unter den Arm fassen,
Sie als meine Braut publiciren, in der Stadt umherführen,
Posten anschlagen lassen, schöne Brautröcke anziehen, immer
lügen, immer schmunzeln sollen — aber seit Sie meine Braut
war, wurde Sie mir zu bedeutend, und bei Ihr, für die ich
25sterbe, hätte ich gern jeden Wunsch erfüllt, den Sie gesagt
hätte, aber so lange Sie das nicht that, war ich zu scheu,
schien trotzig und kühn, und wagte doch selten, sie
anzurühren — Ich hätte sollen gleich sagen: morgen Heirath,
Frau. Da wurde alles anders, doch meine Handschrift Gutmüthigkeit,
30welche fürchtete, ich wäre für Sie zu schlecht, wollte Ihr
Bedenkzeit gönnen.

  Ich habe nie gegen Sie und Ihre Verwandten gelogen, habe
mich vielmehr geringer und schlechter gemacht als ich bin,
Lüge und Falschheit ist jede Einflüsterung, die gegen mich
35geschehen seyn mag, ich will es beweisen.

  Ich falle. Das ad exemplum.

  Fragen Sie die beiden bedeutendsten Männer in Detmold,
den Hofrath Piderit, den Assessor Petri, ob ich je schlecht
gewesen?

40  Durch die Täuschung, die mir die Handschrift Henriette so un-

[GAA, Bd. V, S. 355]

 


vorsichtig gemacht hat, verliere ich schon jetzt an reiner
Einnahme 1000 rthlr. jährlich, — denn ich kann weder advociren,
poetisiren, noch schriftstellern, und danke Gott, daß
ich die laufenden Auditeurgeschäfte noch besorge. Mein Geist
5fliegt hin, ich ihm nach.

  Henriette soll, wie ich höre, gegen mich einen Widerwillen
jetzt haben. Weshalb hatte Sie ihn nicht früher? Sie kannte
mich und meine Bizarrerien lange, weshalb mir nicht alles
gesagt, daß ich mich bessere, sondern stillen Groll gehegt? Sie
10sagte einmal zu mir, ich machte ihr Kummer, — Handschrift weshalb,
ahnte ich nur, nämlich durch Trinken. Ich ging aber seitdem
sehr selten, und seit der 2ten Versöhnung gar nicht mehr zu
Meier. Meine Rum-Thees tranken seitdem Andere.

  Sie hat mit mir gespielt, — das mag man mit Plessing,
15Klingenberg oder Werkmeister Löwen thun, aber wahrlich
nicht mit mir. Und doch will ich mich nicht anders rächen,
als daß alles Unheil auf mich fällt.

  Glauben Sie aber, ist es geschehen, so kommt der Schmerz
doch über Sie. Handschrift Ganz anders werden die Augen, die Gespräche
20— Ach, Gott. Mehrmals habe ich Nachts vor Ihrem Hause
gestanden, und gedacht, da zu enden — aber seyen Sie unbesorgt:
mir fiel ein, es könnte Ihnen unangenehm seyn.

  Ich lüge seit Jahren aus Grundsätzen, die mich gelehrt
haben, daß alles Lügen nichts taugt, niemals, — das Mädchen
25mußte mir glauben.

  Aber so sind die Weiber: seit der Zeit, daß ich bitten
muß, haßt Sie mich, — hätte ich despotisirt fort und fort,
ich wäre ihr lieb und lieber. Wie könnte ich aber je Sie despotisiren,
Sie, die mir auf ausdrückliche Fragen, ob Sie Handschrift mein
30Engel seyn wolle, ja sagte, meine Hand auf ihr Herz legte, —
Sie, die mir, als ich Ereignisse wie jetzt befürchtend, fragte,
ob Ihr mein Tod schmerzlich seyn würde, antwortete: „Glauben
Sie ich hätte kein Gefühl?“, — Sie, die mir nach dem
ersten Bruch des Verhältnisses (auf welchen unseeligen Tag
35ich zum Tode lag), als wir uns wieder versöhnten,
versicherte, Sie wolle mich nicht wieder ruiniren?


  Henriette, sieh in Dein Herz, — du hast mich lange gekirrt,
— ich war und bin Dein, — du nicktest mir mit den
40Augenwimpern, als ich um dich anhalten wollte — es geschah
— du sagtest „ja“, — ich erlaubte Dir zu widerrufen, —

[GAA, Bd. V, S. 356]

 


du versöhntest dich, als du wegen meiner Tollheit aufriefst,
Handschrift zum zweitenmal mit mir, — bist ohne Grund gewichen —
Mein Blut über Dich!

  Die gute Schramm, Herr Husemann, welche mir nicht werth
5zu seyn scheint, ihren Geschwistern die Füße zu lecken, hat
sich erlaubt, zu sagen, ich hätte der Henritte keine Ruhe
gelassen. Das mag seyn, — aber wußte die Person auch, daß
ich der Henriette deshalb keine Ruhe ließ und lasse, weil
ich vorher so ruhig und sicher mit ihr stand? Sie, die Schramm,
10thut klug, künftig die Sache zu ignoriren.

  Diese Bemerkung mach' ich Ihnen so freier, als Sie selbst,
ehe die Jette mit Handschrift mir oder ich mit ihr anband, mir Haß gegen
das Schramm'sche Wesen einflößten, weil er (ohne Zweifel
mit Mitwissen von ihr) wegen seiner krüppelhaften Existenz
151000 rthlr. von Ihnen zu erobern suchte, — weil die gute
Caroline 6 Wochen dort die Krankenwärterin gemacht hatte,
und doch statt Dankes Undank erhielt.

  Ja, eine förmliche Verlobung, wie ich leicht thun konnte,
schloß ich mit der Henriette nie. Eine Frau einklagen,
20mochte ich nicht. Ich verließ mich auf ihr „Ja“, wie auf
einen Gott. Das zweitemal wenigstens hätte sie es halten
sollen. Moralisch hat sie die Treue gebrochen. Auf
Ehre.

  Sie selbst haben, wie Sie selbst mir Handschrift wiederholt gesagt und
25wie ich auch spürte, die Sache der Heirath befördert, — darum
helfen Sie.

  Ich habe ja darauf verzichtet, das Mädchen zu bekommen,
falls es nur zwei Jahre etwa mit mir eine Glocke
(die Detmolder) hören und dergestalt mich
30durch ihre Nähe, ohne daß ich es sehe, beglücken,
monatlich entre nous 30 rthlr. von mir annehmen,
und die Sache einschlafen lassen will. — Ihre, Henriettens
Abwesenheit, macht mich unsinnig.

  Weiber haben tolle Flirren, — ein Westenknopf, ein alter
35Ueberrock macht sie abtrünnig, aber bei der Jette dachte ich
an solche Kleinigkeiten nicht mehr. Ich Handschrift meinte, ich hätte mich
so fest auf Sie verlassen können, als Sie auf mich. Es wäre
brillant geworden.

  Ein Mädchen, was mich nicht mehr liebt, doch heirathen
40zu wollen, ist sonderbar, — aber Sie muß mich wieder lieben,
weil Sie mich einmal lieb hatte, — ich verspreche, Sie soll

[GAA, Bd. V, S. 357]

 


mich lieb haben und glücklicher seyn als die Schramm, welche
ihr Geschwätz lassen konnte.

  Die Jette mag jeden Esel von Kaufmann oder von Sonst
heirathen, — so unbedeutend ich bin, bin ich ohngefähr so
5bekannt, daß mein Verhältniß zwischen mir und ihr im Munde
der Nachwelt bleibt, Sie als meine Mörderin gilt, da sie
zweimal Handschrift meine Beglückerin seyn wollte.

  Sie wird dadurch nicht glücklich. Sind denn die Weiber
Thiere und alle Menschen erbärmlich? Hat denn die Jette,
10nachdem Sie mir so oft unter Küssen und Drücken, ihr Ja
gegeben, nicht gefühlt, daß ich bloß im blinden Vertrauen,
Sie würde meine Gutmüthigkeit nicht mißbrauchen, Ihr erlaubte
das „Ja“ zurckzunehmen? Hätte Sie nicht das zweitemal,
statt wegzulaufen, mich erst zum Besuch einladen sollen?

15  Aber Abends als ich mit ihr ausging, deutete ich dem
Corporal Böger mit einem Blicke an, nicht anschlagenHandschrift  zu
lassen, — andren Tags, wo ich spät Abends zu Ihnen kam,
hatte Sie Sich geärgert, und war nicht mehr da, — Morgens
darauf hatte ich mit Willen eine schlechte Weste angezogen,
20um zu sehen, ob Sie Sich mit mir oder meinem Aeußeren,
das Sie längst kannte, versöhnen wollte — Abends, das weiß
Althof und Uder.

  Ich kann's mir nicht denken: ich verlange, ich will nicht
1 pf. Geld von Ihr, — ich will mich aufopfern, Ihr alles
25zu geben, zu thun, was Sie wünscht, — Handschrift und Sie, die mir so
lieb that, ruinirt mich auf das Entsetzlichste?

  Sie hat Sich gefreut, in meinen Eltern neue zu finden. Ich
wagte Sie aber nicht auf den Zuchthof zu führen. Ich wollte
Sie höher stellen. Wie gern thäte ich es jetzt. Und warum mir
30nichts von alle dem gesagt?

  Ich habe Sie alle lieb, beharre bei all meinen früheren
Versprechungen, in jeder Art, nur muß die Schramm das Gespräch
lassen. Ich thue ihr ja auch nichts.

  Detm. [7. Oktober 1831.] Grabbe.

 


339.

H: 4 Doppelbl. in 20; 15 S.
F: GrA
D: WW VI 29—33, als Nr 121.

S. 354, Z. 38: Hofrath] Hofrrath H
S. 356, Z. 3: Dich!] das Ausrufzeichen besonders fett H

S. 354, Z. 16: Teudt: Wahrscheinlich August Ferdinand T., ein
Angehöriger des lippischen Offiziers-Korps. Er war am 11. April
1793 als Sohn des aus Lübeck stammenden Landbaumeisters Johann
Christian T. zu Detmold geboren, der am 27. Febr. 1814 in einem
Alter von 72 Jahren zehn Monaten an der Wassersucht gestorben
ist. Nach dem Besuche des Detmolder Gymnasiums trat Ferdinand T.
im Juni 1811 als Kadett in das Bataillon Lippe ein, wurde unterm
6. Febr. 1812 zum Souslieutenant bei der 3. Kompagnie ernannt,
avancierte unterm 8. Jan. 1814 zum Premier-Lieutenant und erhielt
unterm 23. Nov. 1830 sein Patent als Stabskapitän. Er hatte die
Feldzüge gegen Rußland im Jahre 1812, gegen Frankreich in den
Jahren 1814/15 mitgemacht und sich in diesem beim Sturme auf die
Festung Montmédy am 14. und 15. Aug. 1815 ausgezeichnet. Im
folgenden Jahre war er zum Besuche der Universität Berlin für ein
halbes Jahr beurlaubt worden. Am 26. Aug. 1829 verheiratete er
sich mit Caroline Antonie Helper aus Lauenhagen im Lübeckischen.
1831 wurde ihm, da er dienstunbrauchbar geworden war, der
erbetene Abschied bewilligt. Als Hauptmann bei der Reserve ist er
am 25. Febr. 1837 zu Detmold an der Auszehrung gestorben. — Aus
welchem Grunde Grabbe hier den Namen Teudt nennt, ist nicht
bekannt. — Siehe auch Dewall S. 78, unter Nr 151.
S. 354, Z. 16: Stöcker: Träger dieses Namens sind in damaliger
Zeit im Lippischen verschiedene nachweisbar, in Detmold selbst aber
nur einer, und zwar der Kanzleirat Florus Joseph St. Dieser war
am 28. April 1776 als Sohn des Landkommissars Johann Bernhard
St. in Stemmen (Kirchgemeinde Varenholz) geboren und nach beendeter
Ausbildung an die Regierungs-Kanzlei in Detmold gekommen.
Dort war er zunächst als Kanzlei-Auditor tätig, bis er unterm
29. Nov. 1804 zum Assessor und sechs Jahre später zum Kanzleirat
befördert wurde. Im August 1830 hatte er „das ihm zugehörige, im
Fürstenthum Lippe-Detmold, Amts Varenholz, [...] in dem schönen
und fruchtbaren Weser-Thale sehr angenehm belegene, Canzleysässige
freie Allodialgut Stemmen“ sum Verkaufe angeboten (vgl. die Anzeige
in Nr 36 der „Fürstlich Lippischen Intelligenzblätter“ vom
4. Sept., S. 284—85). Am 10. Juli 1833 verheiratete er sich mit
Louise Schöttler aus Fissenknick, starb aber bereits im folgenden

[Bd. b5, S. 656]

 


Monate, nämlich am 16. August. — Ob Grabbe wirklich diese
Persönlichkeit meint, und in welchem Sinne er auf sie anspielt, kann
nicht gesagt werden.
S. 355, Z. 13: Meier: Das Gasthaus „Zur Stadt Frankfurt“.
S. 355, Z. 14: Plessing: Wen Grabbe damit meint, ist nicht bekannt,
zumal ein Bürger dieses Namens zu jener Zeit in Detmold
nicht nachweisbar ist.
S. 355, Z. 15: Klingenberg: Persönlichkeiten dieses Namens haben
zu jener Zeit mehrere in Detmold gelebt; zur Beantwortung der
Frage, welchen Grabbe meint, stehen keinerlei Quellen zur Verfügung.

S. 355, Z. 15: Werkmeister Löwen: Friedrich Christian Löwe aus
Stemmen, Sohn des Joh. Friedrich Löwe, Amtspedells Nr 48 daselbst,
Strafwerkmeister in Detmold, geb. am 24. Febr. 1795, gest. an der
Auszehrung am 30. April 1844.
S. 357, Z. 22: Althof: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 60, Z. 10.
S. 357, Z. 22: Uder: Johann Friedrich Karl U. aus Stolzenau an
der Weser, geb. den 8. Juli 1797, gest. am Schlagflusse in Detmold
am 29. Mai 1848. Uder war, nachdem Anton Valentin Husemann
Ostern 1827 die Verwaltung der Hofapotheke niedergelegt hatte,
um Kaufmann zu werden, als deren neuer Verwalter verpflichtet
worden und hat das Geschäft für Rechnung der Witwe Ludwig
Bernhard Keisers (gest. 16. Nov. 1823) elf Jahre lang geführt.