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Nr. 352, siehe GAA, Bd. V, S. 368thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Louise Christiane Clostermeier (Detmold)
Brief

Handschrift G. P. M.

  Sehen Sie doch einmal diesen Brief an, den ich aber heute
Abend zurückhole. Sollte man glauben, daß mich, der ich
mich und die Menschen verachte, noch Leute lieb hätten?
  Detm. 4t Febr. 32.    Ihr
                                   

  [Adresse:] Handschrift An die Demoiselle Clostermeier Wohlgeboren
allhier.

 


352.

H: Doppelbl. in 20; ½ S., Adresse auf S. 4.
F: StLBD 1607.
T: Rheinland S. 590.
D: Hillekamps S. 199.
  Kommentar der Empfängerin, außer dem von ihr in der linken
oberen Ecke der ersten Seite wiederholten Datum und der Unterstreichung
der Worte: „der ich mich und die Menschen verachte“
mit Bleistift: 1) am Kopfe der ersten Seite: N. B. Dieser Zettel so
wie ein Brief vom Hr. Schreiner ist an den Unglück schuld, das
mich mit dem Belana betroffen. [Vgl. dazu Glaubw. S. 207.]
  2) zu den Worten: „diesen Brief“: N. B. Dies hier bezielte Schreiben
ist von Theodor v. Kobbe, u. besitze ich dasselbe noch.
  Auf den Ausdruck: „der ich mich und die Menschen
verachte“ wollte ich, in Folge des Gesprächs, den Belana aufmerksam
machen, als ich die Billete hergeholt u. beiseite gelegt.
Während ich nun in das Nebenzimmer gegangen hatte Hr. Belana
diese zu sich gesteckt u. mit in sein Logis genommen, ohne das ich
es geahndet.

[Bd. b5, S. 662]

 


  Kobbes Schreiben ist nicht erhalten. Grabbe beantwortete es unterm
10. Februar; vgl. Verweis zum Kommentar Nr 353.
  Eine eingehende Schilderung ihres aufregenden Erlebnisses mit
Belana gibt Louise Christiane ihrem Freunde Freiligrath, der sie
ob ihrer Vertrauensseligkeit getadelt, in dem Briefe aus Mannheim
vom 20. Okt. 1841, in dem sie sich mit folgenden Worten verteidigt:
  „Eine Stelle ist Ihnen bei der Eile in Ihrem Schreiben entwischt,
die nun aber von meiner Seite Entschuldigung erheischt. Sie sagen
wörtlich: 'Sie haben sich leider schon so oft vagabondirenden
Lumpen anvertraut'. Aber mein
liebster Ferdinand: hier sind Sie ganz im Irrthum.
  Sie hatten den Christoph Meyer, Belana, sich nennend, hier im
Auge. In Folge der Unterhaltung, wollte ich demselben Grabbe's
oft im Munde geführten Ausdruck 'wie er sich selbst u. jedermann
verachte' schriftlich zeigen, wie er solches gewünscht. In seiner
Gegenwart suchte ich das Billet auf, und lies den Pack sorglos auf
dem Sopha liegen. Als er sich fort begeben, hatte ich auch bald
schon den ganzen Pack Billete vermißt. In der Folge hat er nun
eidlich erhärtet, wie ich ihm diese Billete, Schreiner's Briefe, die in
ähnlicher Beziehung auf den Tisch gelegen, pp. pp. geliehen.
  Es leuchtet aber ein, daß dem nicht so gewesen seyn konnte. —
  Auf sein bittliches Ersuchen hatte ich ihm, ehe ich gewußt, daß
er ein Schriftsteller, Immermann's Briefe, und später meine
Notizen u. Abschriften von Recensionen in Betreff Grabbe's u. seiner
Hermannsschlacht, Duller's Biographie pp. u. nichts weiter, anvertraut.

  Alles übrige hat er ohne mein Vorwissen mitgenommen. — Ich
sank vor Schreck in Betäubung — fast in Verzweiflung. (Er hat
alle meine Papiere, selbst dasjenige, was ich von meinen Gegnern
allein für mich selbst niedergeschrieben, ihnen in Kowats [Wirts-]
Hause vorgelegt. Worüber er später noch gewitzelt, als er gerichtlich
belangt war.)
  Alles was ich über Belana mir bemerkt, will ich Ihnen herschicken.
Als er bereits Immermanns Billete von mir in Händen hatte, sprach
er: 'ich schreibe eine Broschüre gegen Immermann, die bei Hof zu
Mannheim erscheinen wird.' Es ist dies aber, wie Alles war er gesprochen,
eine Unwahrheit. Denn Hr. Hof versicherte mir gestern,
wie er noch nie von einem Herrn Emil Belana, oder Christoph
Meyer etwas erfahren.“ (Ferdinand Freiligraths Briefwechsel mit der
Familie Clostermeier in Detmold, a.a.O. S. 149.)
  Belana, recte Bernhard Meyer, hat im Mai 1842 auch Annette
von Droste-Hülshoff, während diese in Meersburg war, aufgesucht,
worüber sie unterm 25. Mai ihrem Freunde Levin Schücking berichtet.
Er hat sich dabei als Literat, Dichter, Rezensent und Mitarbeiter
an verschiedenen Blättern bezeichnet. Sie schätzt ihn auf zweiundzwanzig
Jahre, er ist ihr „unmäßig eitel“ und taktlos erschienen;
auch hatte sie ihn im Verdacht der Prahlerei. Außer dem, was sie
sonst noch über ihn schreibt, wissen wir nichts Genaueres von ihm.
(Siehe „Die Briefe der Annette von Droste-Hülshoff“, hrsg. von
Karl Schulte Kemminghausen, Bd 2, Jena, Diederichs 1944, S. 31
bis 32.)

[Bd. b5, S. 663]