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Nr. 453, siehe GAA, Bd. VI, S. 77thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief


  Handschrift Hochgeehrtester Herr!

15  Ueberbringer dieses ist der Schauspieler Gerstel. Er wünscht
nichts, als Ihre Bekanntschaft zu machen, und ich wünsche bei
dieser Gelegenheit mich bei Ihnen in Erinnerung zu bringen.

  Der Gerstel hat Feuer und Geist. Er sehe, wie es sich entwickelt.
— Mir geht's Handschrift sonderbar: — doch ich sag's nicht.

20  Mein Stück „Aschenbrödel“ hab ich verloren beim Umräumen.
Nun wollt' ich einen Roman schreiben, verlor mich aber
dabei in Reflexionen, brauche ihn daher zu Fidibus. Jetzt bin
ich beim Hannibal, einer Tragödie, und ich hoffe, es Handschrift sind
darin Nebensteige, die nicht an meinen Napoleon erinnern.

25Nichts schändlicher als Manier.

  Eine Antwort wäre mir lieb. So leicht schließ' ich mich
nicht an, aber Sie haben sich gegen mich benommen, wie
Wenige, und die Wenigen sind die stärksten.

                                
30                                 Auditeur.

Detmold, am Tage

der Schlacht von Montenotte

[12. April], nun nur Erinne-

rung anno 1834.

[GAA, Bd. VI, S. 78]

 

 


453.

H: Doppelbl. in 40; 3 S.
F: F: GrA, Original; StLBD 3520, Facsimile.


  Facs.: TdrO nach S. CXII.
D:Immermann's Werke.Th. 18. Memorabilien. Erster Theil.
Mit Einl. von Robert Boxberger. Berlin, Hempel [1883]. S. 100—
101.
Als Tag der Schlacht bei Montenotte, in der Napoleon die Österreicher
schlug, gilt der 12. April. Dieses Datum hat denn auch
Grisebach dem Briefe gegeben; vgl. WGr IV 339,17. Da aber Grabbe
in seinem Briefe an Petri vom 21. April 1835 als Datum der Schlacht
den 13. April annimmt (vgl. Verweis zum Kommentar S. 205, Z. 5), so hat sich Wukadinovic
bewogen gefühlt, den Brief von diesem Tage zu datieren. (Vgl. WW
VI 276 in der Anmerkung zu S. 49, Z. 9.) Völlig überzeugend ist
dieser Schluß nicht: wenn Grabbe sich am 21. April 1835 um einen
Tag geirrt hat, so beweist dies nicht, daß ein Jahr zuvor derselbe
Irrtum obgewaltet hat. Demnach wird es am besten sein, dem Brief
das Datum 12. oder 13. April hinzuzufügen.
  Grisebach schreibt (WGr IV 517, zu S. 338, Nr. 120): der Umstand,
daß der Brief dem Aufsatze Immermanns im TdrO beigegeben
sei, beweise nicht, daß Immermann etwa der Adressat gewesen.
Um diese Annahme zu stützen, weist er noch darauf hin, daß
Immermann des Facsimiles in seinem Aufsatze nirgends erwähne.
Dabei hat er, was Wukadinovic (WW VI 276, zu S. 48, Z. 23 ff.)
anmerkt, übersehen, daß der Brief beim Wiederabdruck des Bruchstückes
der „Dramaturgischen Erinnerungen“ im Rahmen der Werke
in die Reihe der an Immermann gerichteten Briefe aufgenommen
worden ist; (weil nämlich hier das Facsimile fehlt, dessen Vorhandensein
im TdrO den Verfasser der Notwendigkeit enthob, den
Text des Briefes auch noch zu drucken.) Auch Albert Leitzmann hat
Immermann nicht für den Empfänger gehalten; vgl. „Literaturblatt
für german. u. roman. Philologie“ Jg. 21, 1900, Sp. 407, Anm.
Seine Begründung lautet: „einerseits ist es inhaltlich nicht möglich;
andererseits befinden sich Grabbes Briefe an Immermann in dessen
Nachlass im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, während das
erwähnte Schreiben vom 12. April 1834 in einer Autographenauktion
bei Liepmannssohn am 7. Mai 1896 zur Versteigerung gelangte
(Katalog S. 28).“ Es liegt aber der zweiten Behauptung ein Irrtum
zu Grunde: Aus dem, die Briefe Grabbes an Immermann enthaltenden
Bande sind mehrere Originale entfernt worden; vgl. WGr IV

[Bd. b6, S. 433]

 


518, zu Nr 130; 521, zu Nr 162,171. Auch die in dieser Ausgabe
als Nr 688 u. Nr 689 erscheinenden Briefe an Immermann werden
sich vor Zeiten im GSA befunden haben.
  Nun glaubt Wukadinovic (a. a. O.), dem Original des Briefes im
Besitze des Herrn Wilhelm Blos in Kannstadt auf die Spur gekommen
zu sein, zu dem es nach den merkwürdigsten Schicksalen und
Wanderungen („übers Weltmeer und wieder zurück“) gelangt sei.
Nachdem nun aber endlich das wirkliche Original vorliegt, wird
es, aus des Wukadinović weiterer Anmerkung (zu Z. 24), wonach
der Name des Schauspielers im Original bis auf den Anfangsbuchstaben
ausradiert und auspunktiert sei, klar, daß auch Herr Blos
nur eines der zahlreichen Exemplare des Facsimiles besessen hat.

S. 77, Z. 15: Gerstel: Es hat damals zwei Schauspieler dieses
Namens gegeben: August Christian (1807—1874) und Wilhelm
(1809—1877), beides Söhne des Schauspielers Wilhelm G. und
Neffen der Schauspieler Ludwig und Ferdinand Löwe. Daß es sich
hier um den jüngeren der beiden Brüder handelt, ergibt sich aus
dem Bd. 4 Verweis zum Kommentar S. 354 mitgeteilten Albumblatte. Er hatte seine Bühnenlaufbahn
am Deutschen Theater in St. Petersburg begonnen, jedoch
Rußland 1832 verlassen und ein neues Engagement unter der Birch-Pfeiffer'schen
Direktion in Zürich gefunden. Später ist er in Wiesbaden,
Köln, Hamburg, Berlin, Danzig und an mehreren anderen
Orten tätig gewesen, um schließlich nach Petersburg zurückzukehren.
G. ist der erste Darsteller des Tischlermeisters Anton in Hebbels
„Maria Magdalena“ gewesen. (Vgl. Eisenbergs „Großes Biographisches
Lexikon der Deutschen Bühne“, Leipzig 1903, S. 321.)