Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
Nr. 491, siehe GAA, Bd. VI, S. 114nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief

                    G. P. M.

15Anbei die ersten Scenen des Hannibal. Ich bitte, sie binnen
2 Tagen, wo der Herr Töpfer abgeschrieben seyn wird, rückholen
zu dürfen. Ueber den Vers haben wir gestern gesprochen
und sind wir wohl eins. Ich habe mit Bewußtseyn, mit Vorsatz
ihn so geschrieben wie er da ist, aber durchaus ohne Affectation.
20Soll man ewig die alten Hosen tragen? Schiller hat's
auch geahnt: cfr. seinen Jambus im Tell mit dem in Don
Carlos und in Maria Stuart. Der Gedanke macht den Vers,
nicht der Vers den Gedanken.

  Carthagos Mädchen waren berühmt wegen ihrer Schönheit,
25sie waren die ersten, welche die ungeheure Stadt anzündeten,
deshalb durft' ich mit der Alitta anfangen — Sie wird, wie
fast alle Charactere im Laufe des Stückes wachsen. Der Melkir
z. B. verschließt nach der Schlacht bei Zama dem Hannibal
das Thor, meint er wäre Herr, als der Gisgon ihn fassen läßt
30und dem Moloch opfert, ihn beim Wort haltend, indem Melkir
sagt: dem Moloch muß das Beste geopfert werden zur Rettung
der Stadt (er meint Hanno) und Gisgon ihm darthut, der Beste
sey grade Er, Melkir.

  Schön sieht die Handschrift des Manuscripts nicht aus. Es
35fallen Einem beim Copiren zu viel Correcturen ein. Indeß,
es geht wohl doch. Als ich Archivar werden wollte, machten
unleserliche Handschriften mir gar Spaß. War auch nichts
daran, ich entzifferte und freute mich mehr die tollen Zahlen

[GAA, Bd. VI, S. 115]

 


und Buchstaben erkannt zu haben (mancher Mönch hatte wohl
sauer genug daran geschmiert) als den Inhalt.

  Der Consul und ex post Dictator Fabius Maximus, mit dem
sauberen Beinamen cunctator, erhält in den bald folgenden
5Scenen auch sein Theil. Besonders freu' ich mich auf's Mundiren
der bekannten Ochsengeschichte im Thal von Casilinum.

  Den jüngeren Scipio mußte und muß ich ferner besonders
wachsen lassen. Nichts mir fataler als Schauspiele, wo alles
sich um Einen Götzen dreht. Ich meine, Scipios d. J. Erz
10leuchtet schon dem Hannibal etwas in die Augen. Bei Zama
muß er vor dem Stahl-Schild des Römers gar etwas blinzeln.

  Der alte Cato ist sicher so gewesen, wie ich ihn schon jetzt
geschildert. Ich hoffe einige Nebenpersonen sind auch zu erkennen.
Allen scharfe Züge zu geben, ist leicht, aber es
15verwirrt, ist unnatürlich und unkünstlerisch. Es müssen auch
Unterlagen da seyn, worauf die Hauptpersonen stehen.

  Daß Carthago America kannte, Africa umschifft hatte
(letzteres weiß nicht allein Herodot, sondern auch Plutarch,
irr' ich nicht im Leben des Dion, welches der Cameeltreiber
20Heeren übersehen hat,) ist ohne Zweifel. Der Gottesdienst in
Mexico war carthagisch, und die jetzt entdeckten Ruinen von
Huatlipatnam sind's auch. Die Guanchos auf Madera scheinen
gleichfalls Carthager gewesen zu seyn. Der neuentdeckte gebildete
Volksstamm in Südafrica vielleicht auch. Hätte Carthago
25gesiegt, ständen wir vielleicht unter africanischer Herrschaft,
aber Europa's Seeländer sind zu zackig, und Nordafricas
Küste zu breit, zu lang, zu schmal, dicht die Wüste
dahinter — ich glaube beide Erdtheile können sich nichts thun.
Carl V scheiterte an Algier (die Franzosen wahrscheinlich bald
30darin), die Saracenen mußten Spanien räumen. Carthago suchte,
anfangs klüger als beide, die Inseln — Nachher — — Wo
komm' ich hin? Unendlicher Stoff.

  Ich will an Hemilchis denken. Nach Graf Wackerbarth, der
meinem Schwiegervater sein großes Werk über die Teutonen
35geschenkt hat, in welchem er auf Ehre und noch dazu auf
seine Kosten (denn er hat's auf seine Kosten in roy. fol.
drucken lassen) versichert, die Deutschen wären vor 30_000
Jahren 36 Fuß hoch gewesen, müßte Hemilchis ein Deutscher,
in specie ein Meklenburger seyn. Denn „he“ ist der Artikel
40„der“ und milchis ist das „michel“ (groß) aus den Nibelungen.
Allein Rosamunde hat mich belehrt — dieser echt deutsche

[GAA, Bd. VI, S. 116]

 


Name Hemilchis gehört doch den Slaven an, denn die Gepiden
waren Slaven, sind aber in dem Stück zu verschwistert mit
den ehemaligen germanischen Küstenbewohnern der Ostsee
(Longobard, long board, weit am Bord, an der Küste, die
5wahrscheinlichste, historischste Ableitung), daß ich bisweilen
nicht wußte, wer Gepide, wer Longobard? Und doch — die
Mecklenburger Bauern sind ja Slaven, dito ist das meklenburgische
Haus ein Zweig der Obotriten, auch slavisch, so gut
wie die bairischen Schyren — Uechtriz, den ich in vieler Art
10doch als tüchtigen Mann kenne, hätte mich nicht in all diese
Scrupel und Widersprüche bringen sollen. Ich will sie ihm
selbst sagen, sobald ich weiß, wo er wohnt. — Verzeihen Sie.
Ich habe wenig Gesellschaft, und schreibe dann gern. Rechnen
Sie es nur dem Hannibal nicht an.

15                                
                                

[Dü]sseldorf, 17. Dec. 1834

[Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Oberlandesgerichtsrath
K. Immermann allhier. Hierbei e. Manuscript.

 

Ebene schließenBriefauswahl
 Ebene schließenBriefe von Christian Dietrich Grabbe
  Ebene öffnenNach Adressaten
  Ebene schließenChronologisch
   
1812Adolph Henrich Grabbe Nr. 3, 1812 — Dorothea Grabbe Nr. 3, 1812
1815Meyersche Hofbuchhandlung 
1816Meyersche Hofbuchhandlung 
1817Georg Joachim Göschen Nr. 14, 28. Juli 1817
1818Dorothea Grabbe Nr. 21, 11. Februar 1818 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Adolph Henrich Grabbe 
1819Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 27, 07. May 1819
1821Adolph Henrich Grabbe  — Dorothea Grabbe 
1822Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen Nr. a1, 28. Januar 1822 — Dorothea Grabbe  — Ludwig Tieck  — Adolph Henrich Grabbe 
1823Ludwig Tieck  — Dorothea Grabbe  — Adolph Henrich Grabbe  — Ludwig Christian Gustorf 
1824Ludwig Christian Gustorf Nr. 80, 12. Februar 1824 — Fürstlich Lippische Regierung Nr. 81, 14. Februar 1824 — Examinationskommission Nr. 85, 27. März 1824
1825Moritz Leopold Petri  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 90, 29. Dezember 1825
1826Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 91, 19. Januar 1826 — Christian Gottlieb Clostermeier  — Friedrich Wilhelm Helwing Nr. 94, 06. May 1826 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Friedrich Wasserfall  — Christian von Meien Nr. 102, 15. Oktober 1826 — Fürstlich Lippische Regierung  — Moritz Leopold Petri 
1827Fürstlich Lippische Regierung Nr. 116, 07. Januar 1827 — Christian von Meien Nr. 119, 07. April 1827 — Christian Gottlieb Clostermeier Nr. 121, 01. May 1827 — Moritz Leopold Petri Nr. 123, 04. May 1827 — Unbekannt  — Nikolaus Meyer Nr. 132, 21. August 1827 — Johann Wolfgang von Goethe Nr. 135, 26. Oktober 1827 — Ludwig Tieck Nr. 136, 30. Oktober 1827 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 140, 22. Dezember 1827
1828Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 144, 04. Januar 1828 — Christian von Meien Nr. 147, 10. Januar 1828 — Christian Gottlieb Clostermeier  — Fürstlich Lippische Rentkammer Nr. 155, 24. Januar 1828 — Wilhelmine Koch Nr. 156, 26. Januar 1828 — Nikolaus Meyer Nr. 165, 03. März 1828 — Fürstlich Lippische Regierung  — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 167, 07. März 1828 — Johann Karl August Kestner  — Louise Clostermeier  — Karl Gottfried Theodor Winkler Nr. 183, 02. April 1828 — Louise Christiane Clostermeier  — Unbekannt Nr. 213, 26. November 1828 — Georg Ferdinand Kettembeil 
1829Christian von Meien  — Louise Christiane Clostermeier  — Friedrich August Rosen Nr. 223, 10. Februar 1829 — Friedrich Althof Nr. 224, 20. Februar 1829 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 235, 01. August 1829 — Nikolaus Meyer Nr. 237, 03. August 1829 — Hermannsche Buchhandlung Nr. a2, 20. August 1829 — Louise Clostermeier Nr. 242, 05. September 1829 — Friedrich Steinmann  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 250, 19. Dezember 1829
1830Nikolaus Meyer  — Friedrich Steinmann Nr. 259, 30. Januar 1830 — Karl Gottfried Theodor Winkler  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Johann Heinrich Wist Nr. 268, 28. May 1830 — Unbekannt Nr. 270, 15. Juni 1830 — Ernst Barkhausen Nr. 273, 03. August 1830 — Wolfgang Menzel Nr. 274, 03. August 1830 — Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 278, 16. September 1830 — Louise Christiane Clostermeier 
1831Wolfgang Menzel Nr. 286, 15. Januar 1831 — Nikolaus Meyer  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Dr. Gustav Friedrich Klemm Nr. 293, 24. März 1831 — Christian von Meien  — Fürstlich Lippische Regierung  — Louise Christiane Clostermeier  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 324, 28. Juli 1831 — Valentin Husemann  — Moritz Leopold Petri 
1832Moritz Leopold Petri  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Theodor von Kobbe Nr. 353, 10. Februar 1832 — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien Nr. 361, 28. May 1832 — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 362, 29. May 1832 — Johann Karl August Kestner Nr. a3, 18. Juni 1832 — Louise Christiane Clostermeier  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Herrschaftliches Richteramt Nr. 368, 02. November 1832
1833Moritz Leopold Petri Nr. 369, 05. Januar 1833 — Fürst Leopold zur Lippe II.  — Friedrich Ballhorn-Rosen Nr. 377, 06. März 1833 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Louise Christiane Grabbe  — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien 
1834Christian von Meien  — Fürstlich Lippische Regierung  — Fürst Leopold zur Lippe II.  — Moritz Leopold Petri  — Dorothea Grabbe  — Karl Ziegler  — Louise Christiane Grabbe  — Wolfgang Menzel Nr. 477, 15. November 1834 — Eduard Duller Nr. 478a, 18. November 1834 — Karl Leberecht Immermann 
1835Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 499, 01. Januar 1835 — Dorothea Grabbe  — Moritz Leopold Petri  — Karl Leberecht Immermann  — Louise Christiane Grabbe  — Friedrich Althof Nr. 610, 10. Juni 1835 — Karl Ziegler  — Dr. Martin Runkel  — Karl Jenke Nr. 620, 18. Juni 1835 — Friedrich Schenk Nr. 620, 18. Juni 1835 — Dr. Karl Heinrich Ebermaier Nr. 623a, 20. Juni 1835 — Carl Georg Schreiner  — Gräfin Elisa von Ahlefeldt  — Ludwig Saeng Nr. a5, 27. Juli 1835 — Unbekannt  — Wolfgang Menzel  — A. L. Hons 
1836Karl Ziegler  — Karl Leberecht Immermann  — Louise Christiane Grabbe  — Hermann Kunibert Neumann  — Eduard Duller Nr. 694, 21. April 1836 — Dorothea Grabbe  — Heinrich Brockhaus Nr. 702, 11. May 1836 — A. L. Hons  — Carl Georg Schreiner  — Christian von Meien Nr. 725, 24. Juli 1836 — Moritz Leopold Petri  — Unbekannt Nr. 729, 08. September 1836
 Ebene öffnenBriefe an Christian Dietrich Grabbe
 Ebene öffnenBriefe über Christian Dietrich Grabbe
 Ebene öffnenBriefe nach der Göttinger Akademie Ausgabe
 Ebene öffnenNeue Briefe