Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief
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Hochgeehrtester Freund! 10 Mit den Apparaten zur Hamletsübersetzung ist mir ein großer Gefallen gethan. Ich wiederhole, und werd's auch mir zur Beachtung merken, Shaksp. hat in der Umarbeitung seinen alten einfachen Haml. oft widerlich aufgebauscht. Z. B. in den Monolog to be pp noch das eigne Bild einer „See 15von Waffen“ und so überall nutzlose Bilder, Erweiterungen schon bestehender Größe (in der neuen Edition vergleiche man Hamlets mißmuthige Weltbeschreibung mit der kurzen, ungesuchten in der älteren), auch bringt er spätere Lebenserfahrungen am Hof bei, die er nicht bei sich behalten konnte. — 20Schlegel sagt, Shaks. hätte nie ein Wort geändert — der arme Kritiker vergleiche die beiden Johns und die beiden Hamlets. — Schlegels geglättete Uebersetzung, die ich nun wieder, aus Tiecks Hand wenig verändert hervorgegangen, durchmustert habe, braucht uns nicht zu schrecken, — wir 25wollen eben so deutlich und doch treuer seyn. — Was der Tieck (dieß darf ich sagen, es ist nichts Persönliches und gehört zur Sache) sich an den Shaksp. kettet, von dem er nichts hat als romantische Staffage, doch ohne Charactere, in seinen früheren Novellen (die ich und Heine in Berlin noch 30immer für die besten hielten, und wenn in den späteren Stellen kamen, wo so etwas sentimental-romantischer Duft athmete, rief er: doch der alte Tieck), und in seinen späteren, und besonders in den letzten nichts als eine Ihm abgeborgte, jedoch nur bei wenigen Personen hervortretende, oft zu seltsame 35Characterisirung, und eine mehr gesuchte und sonderbare Komik, als ein ächte. Man müßte kurzsichtig seyn, im Maler Eulenboek nicht den Angesichts der Dresdener Gallerie verwandelten Falstaff, nicht in der Dorothea in den Verlobten die umgeänderte Cordelia zu erkennen. Shakspeare
[GAA, Bd. VI, S. 127]
selbst ist von ihm am furchtbarsten mißhandelt, in Erklärung und Schilderung. Tieck weiß, so viel er auch spricht, von Shaksp. und der alten englischen Bühne, wenig oder nichts mehr als andere Commentatoren auch; er ist in Engl. gewesen, 5hat aber keine shaksp. Handschrift, außer seinem Namenszug vielleicht, gesehen; wir wissen von Shaksp. nur das wenige, was vor jeder seiner neueren Ausgaben steht, nebst einigen Davenant'schen Sagen ect. Shakspear war Wilddieb, mußte flüchten, zürnte in Sonetten gegen den Lucy, welchem er 10vielleicht zürnen, aber nicht wegen eines von ihm an Lucy begangenen Verbrechens laut verspotten durfte, — Shakspeare war gallig, man sieht ja wie er im Haml. auf die Privatbühnen loszieht; auch war er gut, naiv war er, aber trocken dabei, als müßte das so seyn: man sieht's in seinem Testament; 15er war lustig, man weiß, wie er Johnson aufzog; er hatte im 19. Jahr eine fast noch einmal so alte Frau geheirathet, er hat die Pferde am Theater gehalten, sein Vater war ein Schlächter oder Wollweber (die noch gröber sind als Metzger) gewesen, und schwerlich fein erzogen lernte er durch sich 20selbst Londons Welt und den Hof kennen, letzteren, wie es scheint, jedoch nur dem Aeußeren nach durch einige herablassende Freunde, denen die Wood-notes des Poeten und Schauspielers auf- und dadurch ge-fielen, comme chez tous les peuples; („Wood-notes!“ das sagt Milton von ihm nach 25seinem Tode und lobend — die Zeitgenossen werden nicht viel höher gedacht haben), nur wo er das Herz mahlt, trifft der Pfeil auch in seinen vornehmen Gesellschaften, sonst entfaltet er da oft einen wahren Prunkbombast, so sicher als der ein eigner König seyn muß, der einen Kauz wie Polonius 30zum Minister hat; alle Lebenserfahrungen hatten ihn berührt, er hatte sie alle aufgenommen, Gluth inwendig, doch außen Stein, wie er in seinem größten, vorletzten Stück, dem Macbeth, dasteht. Und Tieck — was macht er aus ihm? Einen unerträglichen, überspannten Schwätzer, einen halben Schranzen, 35einen gelegentlich sehr sentimental radotirenden, aber verschlechterten, Wackernagel, einen geschniegelten, geputzten Jüngling, grad' als kröch' er aus irgend einer von seiner oder Posgarus Novell. aus dem Ei. An Humor ist nicht zu denken, wo William bei ihm erscheint, bei William, der geschichtlich 40für die blechernen Löffel seines Pathkindes und zugleich für seine Meisterwerke sorgte, dessen Werke sein Leben und seine
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Laune genug zeigen, ohne Data. — Soviel mußt' ich heut vom Leibe haben, Tieck bringt mich selbst darauf. Er will nun einmal etwas Absondres im Shk. finden, da er nichts Neues beischaffen kann: da im Hamlet, in der 1. Sc., die ich 5eben transferirt habe, läßt er seine Diener übersetzen: „so dräut er einst als er im harten Zweisprach auf's Eis die gleitende Streitaxt geschleudert“ statt wie Schlegel „so dreut pp auf's Eis warf den geschlitteten Polacken“. Tieck! sleaded heißt nun einmal „Schlitten fahren“, nicht „gleiten“, und 10das Bild, daß die Streitaxt im Schlitten gefahren, wäre doch zu kühn, — dann, zum Teufel, der König würde die Streitaxt doch wohl nicht weggeschmissen haben, wenn er dem Feinde mit ihr in's Gesicht droht? Hieß es Pole-ax, wie Pope in einigen Ausgaben gefunden haben will, so ließe sich die Streit-Axt 15durch den mittleren Trennungsstrich noch eher herausklügeln, unsere alte Edit. zeigt aber deutlich den Plural: pollax (das x wie oft für cks) und nicht ein l, sondern zwei, i. e. die Polacken, welche überdem im Stück noch ein oder zweimal vorkommen, und (außer noch vielem, das zu sagen 20wäre), ist's bei Shaksp. zu vermuthen, daß er ein vages Bild, wozu Tieck diese Stelle macht, statt sicherer persönlicher Bezeichnung eines Kampfes mit den Polacken hinstellt? — Doch Haml. soll ja auch im „be or not to be“ überlegen, obs besser sey seinen Stiefvater umzubringen oder nicht, und 25dabei bedenken, wie wünschenswerth der Tod für einen gerechten Menschen sey (gerechten, denn er fürchtet nicht den everlast.[ing] judge im Monolog) aber daß die Furcht vor etwas nach dem Tode ihn (i. e. nach Tieck vermuthlich den König) hindere, umgebracht zu werden. Tis strange. — 30Ich glaube das to be or not to be, wie wir Laien es im alten Sinn versteh'n, müßte übrigens von den Schauspielern nicht mehr mit einem drückenden Predigerton so wie eine große Last, die man mit dem Strick zieht, hergezogen werden, — Haml. ist bewegt, er kommt von der Hekubascene, die 35Perioden verrathen die Bewegung, er zürnt, und versteckt seine Thatlosigkeit unter bitteren Reden und dem herbeigerufenen Gewissen, kurz, er spreche diesen Monolog nicht nach der alten Ackermann-Garrikschen Ueberlieferung, als wenn er einen schweren Tornister abschnallte und hinsetzte, sondern 40zwar nicht rappelig, aber als Hamlet, geistreich, bitter, sarkastisch, mißmuthig, fürchtend pp. Ich wollt wohl versuchen,
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ob Sie damit zufrieden wären, wenn ich ihn nach meiner Idee so, wie er mir vorkommt, Ihnen vorläse. Mein Aschenbr. ist nun wie's soll. Vieles gekürzt, aber eins konnt' ich nicht lassen: wie der Kutscher, die Ratte, 5von den Platenschen Trimetern parlirt, lass' ich ihn à la Platen auf so lange in eine Parabase (die der Graf sehr liebt, weil er ihre Bedeutung und Entschuldigung (Fehler sind's immer) gar nicht kannte beim Aristophanes (der konnte, was ihn politisch quälte, nicht anders beibringen als in den 10freien und geheiligten Spielen) verwandeln und also 3 Zeilen reden, und wieder Kutscher seyn. Ich sehne mich, Sie zu sehen. Wie, wo, wann!
Düss. 8. Jan. 1835.
Gehorsamst
(Mein Hannibal fluthet prächtig;
Grabbe.
15Sie zerrissen warnend die verselnden Ketten. 12mal wird er besser.)