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Nr. 50, siehe GAA, Bd. V, S. 47thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Berlin) an Adolph Henrich Grabbe, Dorothea Grabbe (Detmold)
Brief

                                Handschrift Berl. den
25                                 Nov. [1822].
                    Theure Eltern!

  Euern Brief vom 5ten Nov. habe ich zu meiner Freude erhalten;
ich bin gesund, möchtet Ihr es doch ebenfalls seyn.

  Jetzt ist mir wirklich von einem Buchhändler für mein
30Lustspiel Geld angeboten worden; weil es aber nur ein
Louisd'or für den Bogen war, so habe ich es ausgeschlagen;
daß dieß volle Wahrheit ist, kann ich Euch schriftlich zeigen.
Ich befinde mich hier in einer Gesellschaft, welche mich ordentlich
liebt; es sind fast sämmtlich junge angestellte Adlige
35und Jeder ist bemüht mir einen Gefallen zu thun; sie unterhandeln
für mich bei Buchhändlern, schaffen mir Freibillets
in's Theater, nöthigen mich Abends zum Essen, machen mich
mit immer mehr Leuten bekannt, geben Ankündigungen von
meinen Werken in den Druck u. s. w. — Wenn ich nicht Handschrift so

[GAA, Bd. V, S. 48]

 


eigensinnig wäre, so könnten von meinen Stücken schon Proben
in allen Journalen stehen; erst in diesem Augenblicke
habe ich mit dem Professor Gubiz gesprochen, welcher den
Gesellschafter, der auch in Detmold gelesen wird, herausgibt;
5er wollte eine Scene einrücken lassen, da er aber etwas darinn
streichen wollte, so wurde mir widerrathen, es zu thun. Noch
nie bin ich so anerkannt worden als wie jetzt; in einer
beschränckten, kleinen Stadt wie Detmold können mich die
Leute nicht begreifen, und ich muß darin verkümmern wie
10welkes Laub; hier haben meine Bekannte Nachsicht mit meinen
Fehlern, weil sie einsehen, daß dieselben aus meinen Vorzügen
entspringen. Ein hiesiger Schriftsteller hat von mir gesagt: ich
wäre ein Mensch, den man erst nach Jahrhunderten Handschrift verstehen
würde. Darum werde ich aber nicht hochmüthig, denn ich
15kenne meine Schwächen nur zu gut. — Vorgestern ist hier
der Kronprinz von Schweden angekommen; Tags darauf war
Parade. — Es ist hier sehr warm; bis jetzt habe ich noch
kein Holz gekauft. — In diesem Augenblicke kommt Einer,
der mir sagt, daß er mein Lustspiel einem hiesigen Buchhändler
20vorgelegt habe. — Mutter trink Caffee! Ich lasse mir jedesmal
nur zwei Tassen machen, erhalte ihn aber recht gut. Der Thee
taugt hier nicht viel. Abends hänge ich den Mantel um. Ich
fühle mich hier weit glücklicher als in Leipzig. Ist der Rath
Clostermeier noch immer böse? Stellt Handschrift ihm doch vor, was ich
25für eine Lage in Berlin habe und wie ich durchaus mich hieherwenden
mußte. Der Sohn von dem alten Hohenhausen, den
Clostermeier in seiner Schrift todt geärgert hat, ist hier Regierungsrath,
und ist ein Erznarr. Mordgeschichten, Unglücksfälle
u. s. w. passiren in Berlin fast täglich. An des Königs Jubiläum
30war Illumination, ich habe auch ein paar Lichter vor's Fenster
gestellt. An meinem Geburtstage will ich nur an Euch denken,
theure Mutter und theurer Vater! O schreibt mir bald, bald
wieder! Mit Sehnsucht erwartet Euren Brief Euer treuer Sohn

                    ChDGrabbe.

 


50.

H: Doppelbl. in 40; 4 S.
F: GrA
T: Gegenw. S. 26.
T1: WBl IV 346—47, als Nr 12.
D: WGr IV 166—68, als Nr 16.

S. 47, Z. 30: Lustspiel] Mit Rotstift unterstr. H
S. 48, Z. 6 f.: Noch nie [bis] jetzt] Mit Rotstift unterstr. H

S. 48, Z. 3: Professor Gubiz: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar Bd. 2, S. 530,
Z. 21 (S. 792—93.)
  Von der Art, wie Gubitz mit dem Manuskript des „Herzogs
Theodor von Gothland“ verfahren sei, erzählt Heine in seinen,
1854 niedergeschriebenen „Memoiren“ Folgendes: D15S0067Z12„In seinen [Grabbes]
gedruckten Dramen sind jene Monstruositäten sehr gemildert,
sie befanden sich aber grauenhaft grell in dem Manuskript seines
'Gothland', einer Tragödie, die er einst, als er mir noch ganz
unbekannt war, überreichte oder vielmehr vor die Füße schmiß mit
den Worten: 'Ich wollte wissen, was an mir sei, und da habe ich
dieses Manuskript dem Professor Gubitz gebracht, der darüber den
Kopf geschüttelt und, um meiner los zu werden, mich an Sie verwies,
der eben so tolle Grillen im Kopfe trüge wie ich und mich
daher weit besser verstünde, — hier ist nun der Bulk!'“ (Insel-Ausgabe
Bd 10, 1915, S. 310.) Etwas abweichend sind die Mitteilungen,
welche Karl Köchy in seinem siebzigsten Lebensjahre Eduard
Grisebach gemacht hat: „Gubitz hätte nämlich Heinen, als dieser
ihn eines Tages besuchte, die Handschrift des 'Gothland' gezeigt und
ihn aufgefordert, sich das 'verrückte Geschreibsel' anzusehen. Heine
blätterte in dem dicken Manuskript und sagte dann: 'Sie irren sich,
lieber Gubitz, der Mensch ist nicht verrückt, sondern ein Genie.'“
(WGr IV IX—X.)
S. 48, Z. 15 f.: Vorgestern ist hier der Kronprinz von Schweden
angekommen [usw.]: Bernadottes Sohn Oskar (1799—1859), seit
1818 Kronprinz von Schweden, als König (seit 1844) Oskar I.
kehrte damals aus Italien nach Stockholm zurück, nachdem er sich

[Bd. b5, S. 437]

 


mit der Prinzessin Josephine Maximiliane Eugenie (1807—1876),
Tochter des napoleonischen Stiefsohns Eugen Beauharnais (späteren
Herzogs von Leuchtenberg) und dessen Gemahlin Auguste Amalie
von Bayern, verlobt hatte. Er traf am Abend des 29. Novembers
unter dem Namen eines Grafen von Schonen nebst Gefolge in
Berlin ein. Man hatte, so berichtet Varnhagen, viel von seiner
nahen Ankunft gesprochen; viele hatten dabei bedenklich getan,
manche die Nase gerümpft. Alles aber, so fügt der Tagebuch-Schreiber
hinzu, werde nicht schaden! („Blätter aus der preußischen
Geschichte“, a.a.O. S. 253.) Friedrich Wilhelm III. hatte jedoch von
Verona den Befehl nach Berlin gesandt, den Gast sehr gut aufzunehmen,
und so tat man ihm alle Ehre an. Sogleich nach seinem
Eintreffen besuchte ihn der Kronprinz, auf dessen Befehl am 30sten
eine große Parade sämtlicher berliner Garde-Regimenter und Linientruppen,
sowie der Kavallerie und Artillerie veranstaltet wurde.
Abends war Oper, zu der Prinz Oskar öffentlich erschien. Dieser
besichtigte ferner die Schlachtfelder von Dennewitz und Großbeeren,
auch Potsdams Merkwürdigkeiten, und setzte am Morgen des
3. Dezembers seine Rückreise nach Stockholm fort. (Vgl. „Blätter
aus der preußischen Geschichte“, a.a.O. S. 254—57, wo Varnhagen
über die „wunderlichen Reden“, welche während der Anwesenheit
des Kronprinzen vorgekommen seien, und den Eindruck, den er
hinterlassen habe, bemerkenswerte Mitteilungen macht; Frankfurter
Ober-Postamts-Zeitung“ Nr 341, 8. Dezember 1822, S. [1], und
Nr 343, 10. Dezember, S. [2].)
S. 48, Z. 23—26: Ist der Rath Clostermeier [usw.]: Siehe die
Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 41, Z. 5.
S. 48, Z. 26: Der Sohn von dem alten Hohenhausen [usw.]: Das
dritte Kapitel von Clostermeiers Werke „Wo Hermann den Varus
schlug“ (Lemgo, Meyer 1822, S. 214 ff.) ist überschrieben: „Ueber
die Untersuchung des Herrn von Hohenhausen zu Herford, Geheimen
Raths und Priors des freiweltlichen Rittervereins der Kreuzherren
vom h. Grabe zu Jerusalem, die Heerzüge der Römer in
Deutschland, besonders die Gegend der Hermannsschlacht betreffend
“. Es ist gerichtet gegen die folgende Schrift: „Ueber die wahre
Ortsbestimmung der Hermannsschlacht. Zwey neue Untersuchungen
vom General Freyherrn von Hammerstein und Geheimen Rath von
Hohenhausen. Mit einem Sendschreiben an Hn. Geh. Justiz- und
Oberappell. Rath Freyherrn von Strombeck. Herausgegeben vom
Geheimen Hofrath Eichstädt.“ (Altenburg, Hahn 1821.) Der „durch
seine Kontroverse mit Friedrich dem Großen bekannte“ Kriegsund
Domänenrat Sylvius Freiherr von H. hatte sich bei Abfassung
seines Aufsatzes im siebenundsiebzigsten Lebensjahre befunden und
war 1822 gestorben. Sein Sohn Leopold, Freiherr von H., geb. am
16. Mai 1779 zu Herford, Gatte der Schriftstellerin Elise von H.,
geborenen von Ochs (über diese siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar Bd. 1, S. 261,
Z. 38 f., auf S. 615) war 1817 als preußischer Regierungsrat nach
Minden gekommen, hatte sich aber 1820 mit seiner Gattin nach
Berlin begeben. Nachdem er beim dortigen Ministerium vergeblich
um eine Anstellung petitioniert hatte, kehrte er 1824 auf seinen
Posten nach Minden zurück. Nach einer Dienstzeit von zweiundvierzig

[Bd. b5, S. 438]

 


Jahren ließ er sich in den Ruhestand versetzen und zog
nach Kassel, dem Geburtsorte seine Gattin. Dort ist er am 22. Dez.
1848 an den Folgen eines Schlagflusses gestorben. Vgl. über ihn den
aus der „Neuen Kasseler Zeitung“ nachgedruckten Nekrolog im
„Mindener Sonntagsblatte zur Unterhaltung und Belehrung“, Jg.
33, Stück 4, 28. Januar 1849, S. 29—30; Ernst Raßmann, „Nachrichten
von dem Leben und den Schriften Münsterländischer Schriftsteller
des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts“, Münster
1866, S. 153; Fritz Hackenberg, „Elise von Hohenhausen. Eine
westfälische Dichterin und Übersetzerin.“ T. 1 („Zeitschrift für
vaterländische Geschichte und Altertumskunde“, Bd 73, Münster
1915, S. 115—72), S. 122—40.
S. 48, Z. 29—31: An des Königs Jubiläum [usw.]: Dem auf
den 16. November fallenden fünfundzwanzigjährigen Regierungs-Jubiläum
Friedrich Wilhelms III. Es wurde in Berlin festlich begangen,
u. a. durch eine freiwillige Erleuchtung der ganzen Stadt
sowie Musik und Tanz an mehreren öffentlichen Plätzen. Varnhagen
bemerkt dazu unterm 17. November in seinem Tagebuche:
„Die Beleuchtung war hin und wieder dürftig, ja ganz und gar
unterlassen; auch im Einzelnen nichts besonders Glänzendes. Der
Jubel gering, das Volk mehr neugierig als theilnehmend. Unendliche
Polizeibeamte und Gensdarmen, auch Kürassiere, Dragoner u.s.w. in
Bewegung, und daher gute Ordnung und Zucht. Die Studenten,
seit einiger Zeit vielfach gequält und eingeschüchtert, thaten nichts
zur Verherrlichung des Festes; kein Fackelzug, kein Umgang, kein
Gesang.“ („Blätter aus der preußischen Geschichte“, a.a.O. S. 245;
vgl. auch den Eintrag vom 20. November, a.a.O. S. 249.)