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Nr. 509, siehe GAA, Bd. VI, S. 141thumbnail
Louise Christiane Grabbe (Detmold) an Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf)
Brief


Handschrift nr. 2. Detmold, am 19. Januar 1835.

   Lieber Grabbe!

  Dein Schreiben vom 8. Jan. habe ich erst am Freitag
erhalten. Ich freue mich unendlich, daß Du gesund u. zufrieden
35bist; daß Du Dich aber dennoch zuweilen in die Heimath

[GAA, Bd. VI, S. 142]

 


sehnest, finde ich ganz natürlich. Schmerzlich ergreift mich
der Gedanke, daß Du dort allein stehst, u. getrennt bist
von allen Dir lieben u. bekannten Personen. — Dein Vorsatz
ein Drama über die Hermannsschlacht zu schreiben, ist mir
5sehr angenehm; gern will ich Dir Mittheilungen machen, wenn
Du ihrer bedarfst. Ich habe ja auch schon über diesen Gegenstand
mit einem Dichter correspondirt, dessen Dichtung aber
bis jetzt noch nicht erschienen ist. Wie viel Exemplare die
Meiersche Buchhandlung noch von Papa's Hermann besitzt,
10kann ich nur direct von derselben erfahren; gern will ich
dorthin schreiben, wenn Du solches wünschen wirst.

  Wo erscheinen denn jetzt Deine beiden vollendeten Drama's?
— Hast Du Dich etwa mit Deinem Freunde Kettembeil
verunreinigt, oder wie ist dem? Weshalb bist Du wohl
15nach Düsseldorf gezogen?

  Wenn Du, lieber Grabbe, noch eheliche Liebe für mich
im Herzen trägst, so bitte ich Dich mit heißen Thränen,
diese nicht länger mehr zu unterdrücken. Sende mir baldigst
entweder eine Urkunde in welcher Du mir die Verwaltung
20des gemeinsamen Vermögens überläßt, weil Du vom
Vaterlande entfernt lebst, oder eine solche über die Ausschließung
der ehelichen Handschrift Gütergemeinschaft, so, daß ich
das Eingebrachte zurüch erhalte. Die Rechtsgelehrten
kommen hierinn vollkommen überein, daß bei einer
25getrennten Ehe das Landesgesetz gar nicht anwendbar sei.
Und Du wirst doch, lieber Christian, nicht anders als rechtschaffen
an mir verlaßnen, unglücklichen Geschöpf handeln
wollen! Die Herren meinen Du habest vor Deiner Abreise
die Sache schon ordnen müssen. Ich rufe den Himmel zum
30Zeugen an, daß ich nichts anders, als unser beidersei-
tiges Bestes will. Und der Freund, den Du beauftragen
wirst, in dieser Sache für Dich zu handeln, wird mir vor
Gott u. der Welt das Zeugniß geben, daß ich mein Interesse,
dem Deinigen bei weitem nachsetze. Ich will nichts anders,
35als daß das geringe Vermögen, woran der saure Schweiß
meines edlen Vaters haftet, wobei er mit meiner engelguten
Mutter entbehrt, um es mir hinterlassen zu können, für uns
beide gesichert werde. Ich habe weder Vater, Mutter, noch
Bruder u. Schwester; das Grab hat aufgenommen, was meinem
40Herzen einst heilig u. theuer war; ich habe nur Dich, Grabbe!
— Für den Fall, daß Du Dich für die Ausschließung der

[GAA, Bd. VI, S. 143]

 


Gütergemeinschaft entschließen solltest, verspreche ich Dir, daß
ich so fort durch ein Testament, falls ich vor Dir versterben
sollte, die Einkunft meines Vermögens Dir lebenslang zu
sichern werde, u. daß erst meine Disposition über dasselbe,
5nach Deinem Ableben in Erfüllung gehen soll. Von Dir hoffe
ich dann ein ähnliches.

  Handschrift Ich habe Herrn Ziegler schon vor Weihnachten gebeten,
Dir meine Angelegenheit vorzustellen, aber bis heute noch
keine Antwort erhalten. Ich bitte Dich, lieber Grabbe, bei
10allem, was Deinem Herzen einst theuer geworden, erlöse
mich aus meiner Angst, sende mir baldigst die genannte
Erklärung und beauftrage einen Deiner Freunde für Dich
zu handeln. Der Gram der mich tief gebeugt zerstört meine
Gesundheit immermehr. Denke doch an meine dürftige Lage,
15ich habe mit meiner Ehe 100 Thlr. jährliche Einkunft eingebüßt
u. jetzt noch eine Magd zu ernähren, u. noch so viele
Ausgaben für Dich zu leisten gehabt. Ach, lieber Grabbe,
nimm doch die bangen Sorgen für die Zukunft von meinem
Herzen, sende mir baldigst Deine Erklärung — in welcher
20Art Du willst — ist dann die Sache geordnet, und ein besseres
Verhältniß zwischen uns eingetreten, so möchte ich Dich wohl
gern einmal besuchen, wenn Du mich anders bei Dir in
Deinem Zimmer aufnehmen willst u. kannst.

  Der Hofm.[arschall] v. Blomberg, der alte Fries, u. der
25Pastor Dreves in Hillentrup sind gestorben. Blume hat ein
Vermögen von 3000 Thlr. hinterlassen. Seine Erben sind
zwei Brüder, von welchen der eine ein Pastor ist, u. einer
verstorbenen Schwester Kinder. Mosel ist Garnisons-Chirurgus,
und der Israelite Dr. Oldendorf wieder an seiner Stelle Amts-Chirurgus
30geworden, Anton Pichler hat die Lindner heirathen
müssen.

  Nun, lieber Christian! bitte ich Dich noch einmal von ganzer
Seele, hadere doch nicht länger damit Handschrift meinem Herzen endlich
die Ruhe werde, deren es so sehr bedarf, sende mir Deine
35Erklärung u. überlasse mir in solcher entweder — in Folge
Deiner Entfernung von hier — die Verwaltung des gemeinsamen
Vermögens, oder bezeuge darinn, daß Du mit mir
über Ausschließung der ehelichen Gütergemeinschaft, so daß
ich das Eingebrachte zurück erhalte, überein
40gekommen seiest.

[GAA, Bd. VI, S. 144]

 


  Jede von beiden Erklärungen ist mir recht, ich bitte Dich
also zu überlegen, welche die liebere Dir ist.

  Zürne nicht über meine schlechte Schrift ich habe bei kranken
Augen u. in steten Thränen geschrieben.

5  Glaube mir, daß ich die Tage u. Stunden zähle in welchen
mir Deine endscheidende Antwort werden kann.

  Lieber Grabbe! laß endlich einmal Dein Herz für Deine
unglückliche Frau sprechen.

  In fester Hofnung, daß das Ziel meiner Sorgen gekommen,
10daß ich an unserm nahen Hochzeitstag, der bald zum drittenmal
wiederkehrt, auch das Fest unserer Aussöhnung feiren
darf, sage ich Dir ein herzliches Lebewohl und nenne mich
                                 ganz Dein
Ich leide seit Sonnabend an                        Lucie.
einem Schnupfenfieber mit Husten    
u. Erbrechen u. heftigen Brustschmerzen.    
Meine Krankheit scheint sich zu    
verschlechtern.    

 


509.

H: Doppelbl. in 80; 4 S.
F: GrA
D: WBl IV 646—48 (mit einer Auslassung).

S. 142, Z. 32—37: zu handeln [bis] hinterlassen zu können] aRl
mit Tinte angestrichen H
S. 142, Z. 40 f.: Grabbe! [bis] die Aus-(schließung)] aRl mit
Tinte doppelt angestrichen H
S. 143, Z. 15—17: Ehe 100 Thlr. [bis] Ach, lieber] aRl mit
Tinte angestrichen H
S. 143, Z. 36 f.: die Verwaltung [bis] daß Du mit] aRl mit
Tinte angestrichen H
S. 143, Z. 38—40: (Gü)tergemeinschaft [bis] überein gekommen
seiest.] aRl mit Tinte angestrichen H
S. 144, Z. 3 f.: ich habe [bis] geschrieben.] aRl mit Tinte angestrichen
H

S. 142, Z. 7: mit einem Dichter: Gustav Klemm; siehe: Ein
Briefwechsel zwischen Louise Christiane Clostermeier und Dr. Gustav
Klemm. Nach den Handschriften im Lippischen Landesarchiv
in Detmold hrsg. von Alfred Bergmann. Detmold: Schnelle in Komm.
1940. (Grabbe-Privatdrucke. H. 4.)

[Bd. b6, S. 493]

 


S. 143, Z. 24: Der Hofm.[arschall] v. Blomberg: Siehe die Anm.
zu Bd 5, S. 69, Z. 34 f. (Verweis zum Kommentar S. 453.)
S. 143, Z. 24: der alte Fries: Anton Fries, Dekorationsmaler und
Maschinist, war bei der Pichlerschen Theatergesellschaft in Münster
angestellt und kam 1825 nach Detmold. Am 21. März 1826 erhielt
er eine „fixe Anstellung“ beim Hoftheater als Dekorationsmaler
und Aufseher mit einem Jahresgehalt von 300 Tlrn. Er muß zwischen
dem 6. und 28. Nov. 1834 gestorben sein: Am letzteren Tage
bittet seine Witwe im Alter von 70 Jahren um ein Gnadengehalt,
welches ihr jedoch nicht bewilligt wurde, da sie zwei Söhne hatte.
S. 143, Z. 24 f.: der Pastor Dreves in Hillentrup: Johann Friedrich
Ludwig D., zuerst zweiter Prediger im Stadt- und Land-Kirchspiel
Detmold, bekam auf sein Nachsuchen unterm 13. März
1820 die Pfarrstelle in Hillentrup. Dort ist er, nach der Anzeige
in Nr 49 der „Fürstlich Lippischen Intelligenzblätter“ vom 6. Dez.
1834 (S. 422) am 29. Nov. morgens gegen fünf Uhr „im kaum
begonnenen drei und siebenzigsten Jahre seines Alters und im neun
und vierzigsten seiner treuen Amtsführung“ gestorben.
S. 143, Z. 25: Blume: Siehe die Anm. zu Bd 5, S. 330, Z. 18.
(Verweis zum Kommentar S. 636.)
S. 143, Z. 28—30: Mosel ist Garnisons-Chirurgus [...] geworden:
Siehe die Anm. zu Bd 5, S. 248, Z. 19. (Verweis zum Kommentar S. 572.)
S. 143, Z. 29: Dr. Oldendorf: Michael Oltendorf (diese Schreibung
begegnet häufiger) war unterm 22. Juli 1834 nach bestandenem
Examen als Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer im Fürstentum
Lippe konzessioniert worden. Die Übertragung des Amtschirurgats
in Detmold auf ihn erfolgte unterm 9. Dez. 1834; zugleich
wurde ihm die Erlaubnis zur ärztlichen und geburtshülflichen Praxis
erteilt.
S. 143, Z. 30 f.: Anton Pichler hat die Lindner heirathen müssen:
Eine solche Heirat ist nicht nachzuweisen. Nach den Registern des
StAD hat P. Auguste von dem Steenhof aus Altona geheiratet,
von der ihm am 20. Jan. 1835 sein erster Sohn Karl Ernst Ludwig
August geboren worden ist.