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Nr. 526, siehe GAA, Bd. VI, S. 164nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief


25  Weil Sie Gewicht darauf legten, sah ich nach Durchlesung
Ihres Briefes gleich nach der Kopfabhackerscene Hasdrubals.
Ich kann nicht lassen, Ihnen gleich zu schreiben: „ich wollte
ich hätte so gut geschrieben, wie Sie da gestrichen haben.“
Und die wieder anbindenden Worte sind so, daß der Verf.
30selbst sie nicht gefunden hätte. Morgen mehr. Auf's heutige
Theater freu' ich mich. Diese stillen Wasser sind mir stets
ein Lieblingsstück gewesen. Mit der Lecture der Mittheilungen
qu. bin ich bald fertig, und dann Stoff genug, wie zum
historischen Stück. Den M.[ister] M.[endelssohn Bartholdy]
35werd' ich aber nie berühren, ohne Sie zu fragen. — Heute
muß ich auch an Schreiner schreiben. Das erste Correcturblatt
liegt von Aschenbr. da. Das Wetter hat mir auf dem rechten

[GAA, Bd. VI, S. 165]

 


Auge meine alte Februar- und Märzfreundin, die Mouche volante
geschafft. Indeß ich kann noch beiher sehen.

  D. 20 Febr. 1835.Gehorsamst

Grabbe.

5Morgen den ganzen Hannibal, nochmal durchlesen, retour. —
Im Hermann ist noch eine 2te Rec. des Struensee. Absichtlich,
oder ich kenne keinen Menschen; die erste lobt, und ist für
die Familie, die zweite tadelt, und ist für's Publicum. Die
erste wird an den gehörigen Ort gesandt seyn, die zweite bei
10der wenigen Verbreitung des Hermann, in Berlin nicht bekannt
oder nicht dahin spedirt worden seyn

                                

  Ihre Idee mit den Abtheilungen: „I Hannibal ante Portas“
pp. ist wunderschön, treffend. Ich weiß nicht, ob ich's schon
15im Brief gesagt, denn diesen Zettel schieb' ich in den schon
versiegelten Herrn nach.

  [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Oberlandesgerichtsrath
Immermann.

 


526.

H: Doppelbl. in 20. S. 1—2 beschrieben; auf S. 4 die Adresse.
1 Zettel in schmal-quer-80. S. 1 beschrieben.
F: JW Bl. 71—73. (65.)
T: TdrO S. LXXIII, als Nr 22.

S. 164, Z. 31: Diese stillen Wasser: Siehe die Anmerkung zu
Verweis zum Kommentar S. 161, Z. 7.
S. 165, Z. 1 f.: Mouche volante: Myiodesopsie, eine Gesichtstäuschung,
bei der es dem Kranken scheint, als ob Fliegen oder Mücken
vor seinen Augen herumflögen.
S. 165, Z. 6: Im Hermann ist noch eine 2te Rec. des Struensee:
Sie steht in Nro 100 vom 14. Dezember, S. 798—800, ist mit
„Noch einige Worte über Beer's Struensee“ überschreiben und
mit „2.“ unterzeichnet. Der Verfasser hat in der Tat von dem
Werke eine sehr ungünstige Meinung. Er vermißt darin den wahren
Beruf, „jene Schöpferkraft des Dichters, die es werth macht zu
dichten und eine großartige Handlung entstehen und vorübergehen
zu lassen“, er findet, daß dieser Struensee kein tragischer Held sei,
vielmehr ein „armer, vom Glück verlassener Mann, den gemeine
Ränke dem Henker unter das Beil liefern“, daß das hier waltende
Schicksal nicht das „große Menschenschicksal“ sei, „was von der
Menschheit ausgegangen“, vielmehr das „kleine der Verhältnisse
“, was nicht mitfortreiße, weil es allmächtig eingreife „in des
Menschen Thun, und ihn mit dieser Allmacht im Erklimmen seines
halb nur guten Erdenzwecks“ zermalme, sondern rücklings umwerfe
und des umgeworfenen Mannes Namen bespeie, noch wenn er zu
sein schon aufgehört, und er findet schließlich, daß eine solche Liebe
einer Königin keine „poetische Erscheinung“ sei, sondern nur ein
„Betrug an ihrem Gemahl“. (S. 798.) Der Referent bemerkt ferner,
daß der dritte Akt „viele schwache Stellen in Wort und Handlung“
habe und daß die Schlußszenen mehrerer Akte, „so wohl überdacht
und ausgesonnen“ sie auch seien, doch „auf nichts weiter als auf
leere Effectmacherei berechnet“ wären, und für wohlgelungen hält
er nur das „Bezeichnen der bürgerlichen Emporkunft zu jenen Höhen,
die für sie an solchen Höfen nur ein Meer von Klippen ist,
an denen sie früh oder spät mit Schimpf zerschellen muß“. Auch
an den Charakteren im Einzelnen hat er mancherlei auszusetzen:
den Obersten Köller nennt er „das wunderliche Kind der Laune
des Dichters“ (S. 799), und von der Rolle des Geheimrats Rathlow
meint er, sie sei „unter aller Würde in Beziehung auf die Moralität
der Höfe, und jenes Hofes, wenn seine Person eine geschichtliche
zugleich mit“ sei (S. 800).

[Bd. b6, S. 522]