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Nr. 64, siehe GAA, Bd. V, S. 72thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Dresden) an Ludwig Christian Gustorf (Berlin)
Brief

                        Handschrift O Gustorf!

  Dein Schlafrock? Ist er todt? — Wohne: große Schießgasse,
nro 719. — Grüße Hundrich, Gründler, Köchy, Üchtriz —
alle, alle. — Teufel, hier fällt mir ein, daß ich meinen Brief an
15Köchy auf verdammt lapperige Papierstreifen geschrieben und
ihn nicht um Entschuldigung gebeten habe, — thu Du es für
mich! — In Dresden sind: erträgliche Bäcker, schlechte Conditoren,
gute Speisewirthe, hohe Häuser, dumpfe Stuben, und
der zehnte Mensch hat krumme Beine. — Trete noch lange
20nicht auf, halte mich von den Schauspielern fern und habe
Freibillets im Theater und vollkommene Unterstützung. —
Habe in nro 41 oder 42 des Merkurs, unten auf der Seite,
dem L. Pustkuchen einen Wischer gegeben, — wenn Du das
Blatt bei Steheli herausreißen, Handschrift und mir zuschicken könntest,
25so thätest Du mir einen Gefallen, — hier geht es nicht. —
Bitte, sag Hundrich, daß ich ihm in nächster Woche schreiben
würde. — O Charlottenburg! — In diesem Momente tritt ein
langer Landsmann von mir in die Stube, und
(Habe kein Papier!)    ich bin
   / Du weißt es schon.
   (Nächsten Dienstag schreibe ich an Borch.)
                 (Schreibe in Adressen)

  (NB. Eben erhalte ich einen Brief von Köchy, den ich sofort
beantworten würde, wenn ich nicht fürchtete, daß Köchy
35schon fort wäre. Schreib mir doch darüber. Heil der lieblichen
Rosamunde, — sie wird Brühl schon wegen ihrer Weiblichkeit
gefallen — Antworte mir doch sogleich! hörst Du! — Sollte

[GAA, Bd. V, S. 73]

 


Köchy noch da seyn, so sag ihm, er müßte über Dresden
kommen und bei mir logiren. — Gut.
[Dresden, etwa Mitte April 1823.]
[Adresse:] An den glücklichen Dr. Gustorf in Berlin. D.
5Güte.

 


64.

H: 1 Bl. in 40; 2 S. Nebst Umschlag in 40 mit der Adresse.
  Zu diesem Umschlage ist ein verworfener Bogen einer Reinschrift
vonNannette und Mariaverwendet worden. So finden sich auf
der Rückseite die folgenden Worte oder Wortreste:
      Zweiter A
        Erste Scene.
  (Platz vor Pietros Hause. An der einen Seite eine Steinbank.)
          P
F: GrA
D: Arnulf Perger: Beiträge zur Grabbe-Forschung. I. Aus Grabbes
Wanderzeit. (In: Zeitschrift für Bücherfreunde. Jg. 11. 1907/08.
Bd 1. S. 131—37.) S. 132.
  Die Briefe an Gustorf sind hin und wieder flüchtig geschrieben,
so daß hier und da ein oder mehrere Buchstaben ausgefallen sind.
Diese sind stillschweigend ergänzt worden, was in allen Fällen
zweifelsfrei hat geschehen können.
Der Empfänger: Ludwig Christian Nikolaus (von) Gustorf. Er
stammte aus einer Familie vom Niederrhein und war am 3. April
1798 in Cassel geboren. Des früh verwaisten Knaben nahm sich ein
Verwandter an und ließ ihn in Münster die Lateinschule besuchen.
1814 diente er in den Befreiungskriegen in der deutschen Legion
unter Graf Wallmoden. 1815 begann er in Göttingen, wo er Heine
und Köchy kennen lernte, das Studium der Medizin, und vollendete
es in Berlin. Nachdem er bereits 1818 in Göttingen das Doktordiplom
erworben hatte, unterzog er sich 1825 dem preußischen
Doktorexamen und ließ sich nun dauernd in Berlin als Arzt nieder.
Unterm 13. Febr. 1883 wurde er in den preußischen Adelsstand
erhoben. Gestorben ist er als Kgl. preuß. Geh. Medizinalrat am
16. April 1888 zu Berlin. (Vgl. „Zeitschrift für Bücherfreunde“, Jg.
11, 1907/1908, Bd 1, S. 131—32; „Gothaisches Genealogisches
Taschenbuch der Briefadeligen Häuser“, Jg. 11, 1917, S. 314.)

S. 72, Z. 13: Hundrich: Der von Heine in seinem aus Berlin vom
19. [Jan. 1823] datierten W20B0043S0067Z05Briefe an Wilhelm Lebrecht von Borch
(„Briefe“, erste Gesamtausg., hrsg., eingel. u. erl. von Friedrich
Hirth, Bd 1, Mainz 1950, S. 56) 'Hunderich' genannte Ludwig
Hundrich. Dieser war, als Sohn eines Kaufmanns im Magdeburgischen
geboren, am 22. Okt. 1817 bei der juristischen Fakultät
der Berliner Universität eingeschrieben worden und am 4. Sept. 1819
rite von dort abgegangen. Es ist anzunehmen, daß der im Berliner
„Adreß-Kalender“ auf 1823, S. 194, unter den Referendarien des
Kammergerichts aufgeführte Hundrich (Wohnung: Französische
Straße 19) mit ihm identisch ist. Dies ist alles, was man über ihn
hat ermitteln können.

[Bd. b5, S. 459]

 


S. 72, Z. 13: Gründler: Karl Ludwig G. war am 17. Nov. 1798 als
neuntes Kind des Predigers Friedrich Nathanael G. und der Henriette
Louise Schulzin in Oderberg in der Mark geboren und vom 25. Nov.
1818 bis zum 11. Okt. 1821 bei der juristischen Fakultät der Berliner
Universität zum Studium der Kameralia immatrikuliert. Dann lebte
er zunächst als Auskultator am Stadtgerichte in Berlin. Nach dem
Berliner „Adreß-Kalender“ auf 1823, S. 204, war seine damalige
Wohnung Friedrichs-Straße 65. Noch 1882 ist er als Oberregierungsrat
in Berlin nachweisbar, nachher verliert seine Spur. Nach Perger
(„Beiträge zur Grabbe-Forschung. I. Aus Grabbes Wanderzeit“, in:
„Zeitschrift für Bücherfreunde“, Jg. 11, 1907/1908, Bd 1, S. 132,
Anm. 3) ist er als Geheimer Regierungsrat gestorben.
S. 72, Z. 13: Köchy: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 70, Z. 32.
S. 72, Z. 13: Üchtriz: Peter Friedrich v. Uechtritz (1800—
1875), hatte Ostern 1818 die Universität Leipzig bezogen, um die
Rechte, daneben aber auch Philosophie, Geschichte und Poesie zu studieren,
war gegen Ende des Jahres 1821 in die Justizverwaltung zu
Berlin eingetreten und als Auskultator beim dortigen Stadtgerichte
tätig. Seine Wohnung war nach dem Berliner „Adreß-Kalender“ auf
1823, S. 204, Neue Kommandanten-Straße 34. Nachdem er während
seiner Studienzeit nur eine Novelle und mehrere kleine Gedichte
veröffentlicht hatte, trat er im Jahre 1823 mit drei größeren geschichtlichen
Tragödien hervor: „Chrysostomus“, „Rom und Spartacus
“ und „Rom und Otto III.“ Im Juni 1828 wurde er als
Assessor an das Trierer, im Februar 1829 in gleicher Eigenschaft
an das Düsseldorfer Landgericht versetzt.
S. 72, Z. 14 f.: meinen Brief an Köchy: Nach einer Mitteilung
Oscar Blumenthals an Freiligrath vom 23. Jan. 1874 (Handschrift
im GSA, Nachlaß Freiligrath, Kasten F., 65, 1872—74.) hat Köchy
die „vielen“ an ihn gerichteten Briefe Grabbes „auf seinen bunten
Wanderzügen“ verloren.
S. 72, Z. 22—25: Habe in nro 41 oder 42 des Merkurs [usw.]:
Siehe Verweis zum Kommentar Bd 4, S. 7, Z. 20—26, so wie die Anm. dazu Verweis zum Kommentar S. 375.
S. 72, Z. 24: Steheli: Das Etablissement der Herren Stehely &
Comp., damals die bedeutendste aller berliner Konditoreien, am
Gendarmenmarkte, neben der Salomo-Apotheke, dem Schauspielhause
schräg gegenüber. Sie ist wiederholt charakterisiert worden, so z. B.
im zweiten Bändchen von Joel Jacobys „Bildern und Zuständen
aus Berlin“ (Altenburg 1833), wo es u. a. heißt: „Du findest hier
eine ausgewählte Zeitungs- und Journal-Sammlung und eine nach
den Tageszeiten variirende, zahlreiche Gesellschaft, die des Morgens
aus Geschäftsmännern und Beamten, Nachmittags meistens aus Gelehrten
und Literaten und des Abends aus Kannegießern und pensenionirten
Militärs besteht. Die angeführten Kategorien geben Dir
schon skizzenweise den politischen Ton an, der je nach den Besuchern
vorherrscht; und so kommt es, daß man hier Vormittags
Juste-milieu, Nachmittags ultra-liberale und bei Licht absolut-royalistische
Discussionen vernimmt. — Das untere Zimmer ist mehr
für die Unterhaltung; die obern Gemächer sind mehr für das
Lesen eingerichtet. Eine wahrhaft prächtige Umgebung macht dieses
Local zu den besuchtesten in Berlin und zum Absteige-Quartier

[Bd. b5, S. 460]

 


für fast jeden gebildeten Fremden. —“ (S. 178—79.) Eine Schilderung
der Stehely'schen Konditorei auf Grund einiger späterer Quellen
(Eduard Beurmann, 1837; Friedrich Saß, 1846 u. a.) findet sich in
Adolf Heilborns kleinem Werke „Alt-Berliner Konditorei-Allerlei“
(Berlin-Grunewald, Klemm 1930), S. 21—29.
  Offenbar war es nichts ganz ungewöhnliches, daß man aus den
bei Stehely ausliegenden Journalen das eine oder andere Blatt herausnahm,
um es als Beleg zu besitzen. Wenigstens berichtet Hermann
Marggraff unterm 25. November 1830 seinem Bruder Rudolf, er
habe aus der betreffenden, allerdings bereits zur Makulatur gelegten
Nummer des „Morgenblattes“ das Blatt mit der Besprechung der
gemeinsamen Gedichtsammlung (Zerbst 1830) herausgerissen und mit
nach Hause genommen: Es sei ihm unmöglich gewesen, die Besprechung
bei Stehely zu lesen, er habe den Genuß mit Freunden
teilen müssen. Demselben Briefe ist ferner zu entnehmen, daß das
Blatt mit der Besprechung der Gedichte in der „Jenaischen Literatur-Zeitung
“ für ihn von A. Müller herausgerissen worden sei. Vgl.
Prim Berland, „Hermann Marggraff“, Paris 1942, S. 29.
S. 72, Z. 31: Borch: Wilhelm Leberecht von B., am 17. Mai 1801
als Sohn des Hauptmanns a. D. und Herrn auf Graeben Otto
Christoph Heinrich Leberecht von B. und dessen Gattin Helene
Charlotte, geb. von Wedel, in Dom Brandenburg geboren, am
12. April 1820 an der Berliner Universität immatrikuliert und
daselbst wegen Unfleißes laut Senatsbeschluß vom 11. Juni 1823
excludiert, gestorben am 5. Dez. 1876 zu Coethen im Hause des
homöopathischen Arztes Dr. Arthur Lutze.
S. 72, Z. 33: einen Brief von Köchy: Dieser ist nicht bekannt.
S. 72, Z. 35 f.: Heil der lieblichen Rosamunde: Dieses Trauerspiel
ist ungedruckt geblieben.
S. 72, Z. 36: Brühl: Karl Graf von B. (1772—1837), nach Ifflands
Tode im Jahre 1815 bis 1828 Generalintendant der Königl. Schauspiele
in Berlin.