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Nr. 642, siehe GAA, Bd. VI, S. 272thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Carl Georg Schreiner (Düsseldorf)
Brief


5  Handschrift Der Preuß muß gleich wieder zu mir kommen. Einen Tag
noch. Zufall. Ich habe aber Unrecht. Mündlich.

A. Malten.

  Die Frauen der ersten Zäsaren (Hund! Kaisaren heißt's)
fangen dumm an. Großer Gott, oder was es ist, die Römerinnen
10waren Sclavinnen. Lucrezia war 'ne Hure. Wer brächte
sich nicht um, eh' andere Schandluder entstehen? — Sylla!
Sulla heißt Er! Der!

  Malten: Jammervogelei.

B. Morgenblatt.

15Irving ist ein Kerl mit genug Verstand und Gefühl, um ein
erträglicher Narr zu seyn.

  Hr. Zell ist ein Esel. Das Herz frißt sich auf vor Unmuth.

C. Phönix.

Irving? Ein Narr. Kann etwas schildern, drückt Handschrift aber die
20Schilderung Einem in's Maul, wie die Mutter geschmorte
Aepfel dem Jungen.

D. Blttr für litt. Unth.

  Heine ist ein magrer, kleiner, häßlicher Jude, der nie
Weiber genossen hat, sich deshalb alles einbildet. Sein Schmerz,
25so unnatürlich er ist, mag wirklich seyn. Poesien sind seine
Gedichte aber nicht. Abwichserei. Eine tüchtige Hure schmisse
ihn aus dem Fenster.

  Ich kann das Zeugs nicht weiter lesen. Betrug, Lug u.
Dummheit. Man muß nachdenken, wie man trotzt und dazwischen

[GAA, Bd. VI, S. 273]

 


wirkt. Der Phönix hat mich wo erwähnt. Taugt doch
nichts.

  Düsseldorf, [Zweite] Juli[-Hälfte 1835].
                                    Wohlge-
    5                                
Hierbei 1 Mappe mit    
4 Eseln, blauen.                            ganz gehorsamster
                                   Handschrift 

[Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Schreiner.

 


642.

H: Doppelbl. in 40; 2 S., Adresse auf S. 4.
T: Eduard Grisebach, Die deutsche Literatur seit MDCCLXX,
Gesammelte Studien, Stuttgart, Kröner 1877, S. 271.
D: WGr IV 281—82, als Nr 244.
Faks. 1: Hellmut Meyer et Ernst, Berlin,Katalog 31. Autographen
-Sammlung Hans Mayer Leipig I. Teil sowie ausgewählte Stücke
aus anderen Privatsammlungen.Versteigerung 10. April 1933, S.
45, unter Nr 201. Die Stelle: „Heine ist ein magrer [bis] aus dem
Fenster.“
Faks. 2: Autographensammlung Albert Vanselow. Auktion am
11. November 1965 in Marburg, Kurhotel Ortenberg. Katalog 573.
J. A. Stargardt, Marburg. Auf Tafel 3. Die letzte Seite von den
Worten: „aber die Schilderung“ an.
  Zur Datierung des Briefes vgl. noch die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 273, Z. 1 f.

S. 272, Z. 6 f.: Der Preuß: Dessen Lebensgeschichte Friedrichs
des Großen, mit deren Lektüre Grabbe zu jener Zeit beschäftigt
war. Die Verlegenheit, von der diese Briefstellle zeugt, findet ihre
Erklärung durch Brief Verweis zum Kommentar Nr 643.
S. 272, Z. 9—13: Die Frauen der ersten Zäsaren [usw.]: „Maltens
Weltkunde“ Bd 2, 5. Teil. S. 3—20: „Die Frauen der ersten
Zäsaren, und Rom's gesellschaftliche Verhältnisse bei der christlichen
Aera Beginn. Erster Artikel.“ In diesem wird zunächst festgestellt,
daß es ein Irrtum sei, die Frauen Athens mit denen Roms unbedingt
gleichstellen zu wollen. Denn Athen sei Demokratie gewesen,
was man gewöhnlich die römische Republik nenne, aber Aristokratie.
In der reinen Demokratie bewahre das weibliche Geschlecht immer
einen untergeordneten Rang; deshalb habe Athen den Frauen durchaus
keinen tätigen Anteil an den Aufregungen des Marktplatzes,
an den Verhandlungen des Portikus, an den Kämpfen der Habgier,

[Bd. b6, S. 669]

 


der Beredsamkeit und Intrigue bewilligt, von denen es in ihren Jahrbüchern
wimmle. Die römische Matrone dagegen, so heißt es S. 4,
„war keine Gefangene in ihrem Hause. Sie wurde nicht herabgewürdigt,
nicht aus der Männer Gesellschaft verbannt, wie die Frau
in Athen. Seit Entstehung Rom's, befand sich in ihm das weibliche
Geschlecht unter der Gesetze besonderem Schutz. Es war gewissermaßen
unter Vormundschaft; aber es war geehrt.“ Nachdem hierfür
Beispiele erbracht worden sind, heißt es (S. 4—5) weiter: „Die
römische Sittlichkeit wies also dem weiblichen Geschlechte einen
viel höhern und würdigern Rang an, als die der Griechen. Die vom
Gesetz erlaubte Ehescheidung gerieth beinahe in Vergessenheit, und
die Frau führte in ihrem Hauswesen ein unumschränktes Regiment.
Durch die Achtung, welche sie für sich selbst und ihre Pflichten
hatte, sicherte sie sich einen Zustand, der von vollkommener Freiheit
wenig verschieden war.“ Wieder werden Beispiele gebracht für
die angesehene Stellung, welche die Frau im alten Rom genoß; dabei
wird Lukrezia unter den Frauen genannt, die römische Gottheiten
geworden waren. Dann wird gesagt: „So lange die Welt-Eroberer
ihre alte Tugend bewahrten, erhielten sich auch die Frauen auf
ihrer Höhe. Doch nur zu bald befolgten sie die von ihren Männern
und Brüdern ihnen gegebenen verderblichen Beispiele,“ Und wieder
erscheint der Name von des Tarquinius Collatinus Gemahlin: „Lukrezia,
geboren unter der alten Republik, versinnlicht die damalige
Stimmung des weiblichen Geschlechts. Messalina, unter den Zäsaren
geboren, ist der Typus des neuen verdorbenen Rom's.“ —
S. 7 wird mehrfach Sylla (so die französische Schreibung des Namens)
als Gegner Cinnas, Zäsars Schwiegervater, genannt.
S. 272, Z. 16 f.: Irving ist ein Kerl mit genug Verstand [usw.]:
„Morgenblatt“ Nr 144—48. 17.—22. Juni: „Abbotsford. Aus
Washington Irving's neuestem Werk: [Miscellanies. By the author
of 'The Sketch-Book.' No II. Containing] Abbotsford[,] and Newstead
Abbey. [London, John Murray 1835.] Der erste Morgen.“
Irving schildert darin seinen Besuch bei Sir Walter Scott. (In der
Original-Ausgabe findet sich der hier gekürzte Beitrag auf den
S. 3—37.)
S. 272, Z. 18: Hr. Zell ist ein Esel [usw.]: Ebenda Nr 146—50.
19.—24. Juni: „Ueber die Zeitungen der alten Römer. Von Dr.
[Karl] Zell, Professsor in Freiburg.“
S. 272, Z. 20—22: Irving? Ein Narr [usw.]: „Phönix“ Nr 141
bis 142. 17. u. 18. Juni: „W.[ashington] Irving's Mittags-Conversation
mit Walter Scott.“ Der Beitrag ist dem folgenden Werke
entnommen: „Washington Irvings Wanderbuch. Aus dem Englischen.
2. Theil. Abbortsford und Newstead oder Walter Scott und Byron.“
(Berlin, Veit u. Comp. 1835.) S. 39—56. (In der Original-Ausgabe
findet er sich auf den S. 37—51.)
S. 272, Z. 24—28: Heine ist ein magrer, kleiner, häßlicher Jude
[usw.]: „Blätter für literarische Unterhaltung“ Nr 182—85. 1.—4.
Juli: „Heinrich Heine als Lyriker. [Unterz.:] Dr. Mises [d. i. Gutav
Theodor Fechner].“ In den beiden Spalten der ersten Seite ist
wohl ein Dutzendmal von Poesie die Rede, die als das Wesen der
Heineschen Lyrik erkannt wird.

[Bd. b6, S. 670]

 


S. 273, Z. 1 f.: Der Phönix hat mich wo erwähnt [usw.]: „Phönix“
Nr 162. „Literatur-Blatt“ Nr 27. 11. Juli. S. 645—46: „Danton's
Tod, von Georg Büchner. [Verfasser: Karl Gutzkow.]“ Der
vorletzte Satz dieser Rezension lautet: „Was ist Immermanns monotone
Jambenclassicität, was ist Grabbe's wahnwitzige Mischung des
Trivialen mit dem Regellosen gegen diesen jugendlichen Genius!“
(S. 646. — Verändert findet sich diese Besprechung in Gutzkows
„Beiträgen“ Bd 1, S. 181—89.) — Es kann sich nur um diese Erwähnung
Grabbes handeln, da die beiden früheren in den Nummern
vom 15. April und vom 14. Mai stehen, die nächste aber erst in der
vom 18. August enthalten ist. Vgl. Houbens „Zeitschriften des Jungen
Deutschlands“ T. 2, Sp. 133, Z. 43—44; Sp. 160, Z. 62; Sp. 261,
Z. 18 ff. Da die Nummern des „Phönix“ aus der Zeit vom 1. bis
15. Juli Grabben erst für den Brief Verweis zum Kommentar Nr 649 vorgelegen haben, in
dem er sich auch über diesen Beitrag Gutzkows äußert, so muß
angenommen werden, daß ihm die in Frage stehende Erwähnung
zuerst nur vom Hörsagen bekannt geworden ist. Übrigens ergibt
sich aus ihrem Datum für diesen Brief der terminus a quo.