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Nr. 646, siehe GAA, Bd. VI, S. 274thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Carl Georg Schreiner (Düsseldorf)
Brief

Handschrift Theaterzeitung.

20Abo wird Åbo geschrieben, und heißt Obo. Die Kleinigkeit
fällt Einem p. 475 auf, weil vorher nur Dummheiten. —
Osterfeier in Griechenland! Unser Ostfest? Easter? Paßt dort
nicht. Die Religion ist vielleicht pp. — Hellas, hättest du
deine Götter behalten, und Sokrates ist mit Recht getödtet. —
25Devrient war als Shylock erbärmlich. Nur Flitterstaat. Mord!
— Elisabeth von England? Wird noch dem Schiller seine
Sünde: „gleißnerische Königin“ nachgeplappert. Recensentenbengel,
sie stand am Ufer und schlug die Armada und die
Hure, die Stuart dito. — Sapphir hat den Arsch im Maul.

30    Uiber!
      Minerva.

  Sorgt nicht um Tripolis. Englands Schiffe bei Gibraltar,
Malta und Corfu, kucken zu, mit Kanonenaugen. — Billaud-Varrennes
war ein dummer Junge. — p. 123. Herr Salvandy:
35„auch ist Beleidigung eine sehr einfache Handlung“! Das weiß
jeder Bengel. Leichter zu beleidigen als zu erfreuen.

  Handschrift Diese Minerva entspringt nicht aus Jupiters Haupt.

[GAA, Bd. VI, S. 275]

 


      Freimüthiger.

  Wieder der Devrient gerühmt. Er spielte den Shylok als
einen Affen. Wußte nicht, was er damit anfangen sollte.
Shylok muß einfach gekleidet gehen, er, Devr., war ein aufstaffirter
5Harlekin. Doch solche Lumpe, von Lumpen bewundert,
weil's all das selbe Gepack ist, sich ähnlich wie Strohwische!
Seydelm. scheint kein Genie zu seyn, aber daß er
besserer Arbeiter im Garten des Herrn wie Devr. (letzterer
nur in Momenten tüchtig), merk' ich selbst am Tadel.

10      Miscellen:

  Aufgewärmtes altes Weibergewäsch, und Sir Roß hat nicht
einmal die Nordwestdurchfahrt noch weniger den Pol entdeckt.
Alles schlecht. Zusammengebetteltes Zeug.

  Die vier Journale anbei und Möbius.

15[Düsseldorf, erste Augusthälfte 1835.]

[Adresse:] Handschrift Dem Herrn Buchhändler Schreiner, Wohlgeboren.
Mit 4 Journalen in 1 Mappe.

 


646.

H: Doppelbl. in 20; 2 S., Adresse auf S. 4.
F: GrA

S. 274, Z. 20: [Das zweite] Abo.] Mit einem kleinen o als Bezeichnung
der Aussprache über dem A H

S. 274, Z. 20 f.: Abo wird Åbo geschrieben [usw.]: „Theaterzeitung
Nr 119. 16. Juni. S. 475: Das „Weltpanorama“ beginnt mit
einer Notiz über „Abo in Finland.“ — Vorangehen: 1. Der
Anfang eines Berichts über die „Feier der Erbhuldigung im Erzherzogtum
Oesterreich unter der Enns. Geschildert von F. C. Weidmann.
“ 2. „Der Vertrag. Novelle von C. W. Koch.“ Schluß. 3. Besprechungen
Wiener Theateraufführungen. — Daß sich in der Tat
Grabbe für diese Feuilletons nicht begeistern konnte, mögen ein paar
Stichproben aus dem Schlusse der Novelle bezeugen: „[...] eben
wollte Procida wonneberauscht der jungen Gattin folgen [...]“;
„Verräther! Schwächling! wüthete Procida erzürnt und donnernd
ihm entgegen — “; „Mit dem Namen Eugenia auf den erbleichenden
Lippen sank er hin in die wallenden Gräser, und jetzt
leuchteten Fackeln durch den Garten, und die Diener Eugenia's
kamen heran. Sie selbst stürzte, als sie des Geliebten, in seinem
Blute schwimmend und mit dem Dolche in der Brust, den sie für
jenen ihres Vaters erkannte, ansichtig wurde, zum Tode erschreckt
über die Leiche hin, und die dürftigen Ringelblumen, die die Ewigkeit
bedeuten, neigten die Häupter leicht gedrückt von der Seide
des aufgelösten Haares des Erblaßten.“ (S. 474.)
S. 274, Z. 22—24: Osterfeier in Griechenland [usw.]: Ebenda.
Eine der nächsten Notizen des „Weltpanoramas“ beginnt mit einem
kurzen Bericht über die Osterfeier in Athen.
S. 274, Z. 25: Devrient war als Shylock erbärmlich [usw.]: Ebenda
Nr 120—21. 17. u. 19. Juni: „Etwas über Seydelmann. (Durch
sein Gastspiel in Berlin veranlaßt.) [Unterz.:] D.“ Es ist ein Auszug
aus einem in einem Berliner Journal erschienenen Aufsatze
„Seydelmann quasi Shylock.“ In den zur Einführung vorangehenden
Sätzen wird Devrients Name genannt. — Vgl. dazu Bd 4, Verweis zum Kommentar S. 72,
Z. 15—36.
S. 274, Z. 26—29: Elisabeth von England [usw.]: Ebenda Nr 121.
S. 483: An den Aufsatz über Seydelmann schließt sich die Besprechung
des dritten Auftretens vo Mad. Schröder als Königin Elisabeth
in Schillers „Maria Stuart“ an. Der Verfasser, H.[einrich]
Adami, schreibt darin u. a.: „Jedes Wort, jede Bewegung, jeder
Zug im Angesichte, jeder Blick, Alles, ja selbst das regungslose
Schweigen zeigt uns wahr und bedeutsam »die falsche
gleiß nerische Königin, wie Mortimer sie so treffend

[Bd. b6, S. 672]

 


nennt.“ — Wilhelmine Schröder (1804—1860) gehörte seit dem
1. April 1825 dem Dresdner Hoftheater an. In erster Ehe war sie
mit dem Schauspieler Karl August Devrient vermählt.
S. 274, Z. 29: Sapphir hat den Arsch im Maul: Ebenda Nr
122—25. 20. — 24. Juni: „Schnellgedanken einer Schnecke über
deutsche Sprichwörter. Vorlesung von M. G. Saphir. — Nr 126.
25. Juni. S. 501. „An Blancheflour.“ Von demselben.
  Der zuerst genannte Aufsatz gehört zu jener Gruppe von „humoristischen
Vorlesungen“, die Saphir zu seinem einst so hervorragenden
Namen verholfen haben und von denen A .Schlossar (ADB Bd.
30, S. 368—69) folgende Charakteristik gibt: „Wortwitze und
Verdrehungen sind hauptsächlich darin zur Anwendung gebracht
und mit allerdings überraschender Schlagfertigkeit die seichtesten
Kalauer zu Tage gefördert. S. handelt über Frauen, Liebe, Ehe,
Theater und ähnliche dem Residenzbewohner und insbesondere der
Bewohnerin nahe liegende Gegenstände, Umstellungen von Worten,
Veränderungen des Sinnes der Ausdrücke und Anwendungen nahe
liegender Bezeichnungen auf ferne Liegendes bilden die Hauptstücke
dieser Gsttung von Humor, der durchaus nicht mit demjenigen Jean
Paul's zu vergleichen ist, wie dies von verschiedenen Seiten geschah,
als S. auf dem Höhepunkte seiner Beliebtheit stand.“ Schlossar zeigt
darauf an einigen Beispielen, in welcher Art Saphir seine „Witze“
einrichtete. Sie seien hier durch einige andere vertreten, die der
in Frage stehenden Vorlesung entnommen sind: „Wer ein Haus
hat, braucht nichts zu denken. Die Hauseigenthümer haben jährlich
nur zwei Gedanken: einen zu Michäli und einen zu Georgi. Da denken
sie nämlich, ob ihnen der Zins eingehen wird. Um diese Zeit
steigen die Hauseigenthümer bis ins letzte Stockwerk empor, um
den Zins einzucassiren, dann erfüllen sie den Wunsch der Einwohner,
und gehen mit dem Zins herunter!“ — „Im Anfange
schuf der Himmel den Mann, und dann die Frau. Warum wurde
im Anfange nicht die Frau erschaffen? Weil der Himmel wußte,
daß mit den Frauen nichts anzufangen ist.“ — „Ein
Doctor der Rechte ist noch lange nicht der rechte Doctor.“ (S. 485.)
— „Der Unterschied zwischen dem Doctor der Medicin und dem
Doctor der Rechtswissenschaft besteht darin: Je mehr Advocaten,
desto länger der Proceß, je mehr Aerzte, desto kürzer der
Proceß. Die Advocaten schicken ihre Patienten von einem Gerichte
zum anderen. Die Aerzte schicken ihre Patienten blos an's jüngste
Gericht; die Aerzte können alle viel eher heiraten, als die Doctoren
der Rechte; jene können ihren Frau viel verschreiben, die
Advocaten finden aber selten die Rechte.“ (S. 485—86.) — „Die
Ehen werden im Himmel geschlossen, darum sind die Eheleute nach
der Hochzeit gleich wie aus dem Himmel gefallen. [...] Weil die
Ehen im Himmel geschlossen werden, heiraten jetzt unsre Männer
so selten, sie wissen zu wenig vom Himmel!“ (S. 491.) Nachdem
Schlossar seine Beispiele aufgeführt hat, fährt er fort: „Man ersieht
aus diesen Proben, in welcher Weise S. die Pointe seiner Witze
hervorzukehren wußte, von denen fast ununterbrochen einer dem
andern folgt, wenn auch das eigentliche Thema, falls man überhaupt
von einem solchen sprechen kann, dabei ganz außer Acht gelassen

[Bd. b6, S. 673]

 


wird. Die humoristischen Vorlesungen mögen als kurzer Vortrag
eine gute recht heitere Wirkung gehabt haben, in der Lectüre werden
sie jedoch eintönig und langweilig, zumal begreiflicherweise eigentliche
Geistesanregung darin nicht zu finden ist.“ —
  Das Gedicht „An Blancheflour“, dem ein Zitat aus Petrarca vorangestellt
ist, lautet folgendermaßen:
Divina donna, sott' ros' e verde lauro
Vidi piu bianca, e piu fredda, che neve
Non percossa del sol molti e molt'anni:
E'l suo parlar, e'l bel viso, e le chiome
Mi piacquer si, ch'i l'ho dinanzi agli occhi,
Ed avro sempre, ov'io sia in poggio, o'n riva.
                                Petrarca.
Frühlingsrosen, grünumblättert,
An dem offnen Fenster stehen,
Doch die schönste aller Rosen
Ist dazwischen nur zu sehen.
Durch der Zweiglein kleine Räume,
Durch die Zweiglein blattvergittert,
Süßer Strahl aus ihren Augen
Wie des Licht's Thau niederzittert.
Rosiger als alle Rosen,
Fülliger als Knospenfülle,
Leuchtet ihre Schönheitsblume
Durch der Blätter grüne Hülle.
Und die Rosen auf dem Strauche
Scheinen sehnend, mit Verlangen,
Sich den Rosen anzuschmiegen
Auf den süßen Blüthenwangen.
Wollen mit den schönen Schwestern,
Mit den Maienwangenrosen,
Engvertraulich Küsse tauschen,
Spielen, scherzen, lieblich kosen.
Und die kleinen zarten Blättlein
Spielen ihr um Hals und Locken,
Wie der Kinder kleine Finger
Mit dem Schnee und goldnen Flocken.
Und es neigen ihr zu huld'gen
Alle Rosen sich vom Stengel,
Nennen sie mit leisem Flüstern:
Schönheitsstern“ und „Rosenengel!
Sterne sind des Himmels Rosen,
Rosen sind der Erde Sterne,

[Bd. b6, S. 674]

 


Stern und Rose darum einen
Sich in Frauenschönheit gerne.
Himmelsrosen, Erdensterne,
Blühen ihr in Aug' und Wangen,
Erd' und Himmel halten wonnig
Sich in ihrem Reiz umfangen.
S. 274, Z. 30: Uiber: In der „Theaterzeitung“ wird die Majuskel
'ü' mit 'Ui' wiedergegeben. — 'ui' als graphischer Ausdruck des
Umlauts findet sich spurweise schon im Spätalthochdeutschen.
Schließlich einigte sich der Gebrauch auf 'ü'; doch findet sich daneben
'ui' noch bis ins neunzehnte Jahrhundert, in der Majuskel noch
länger; in Eigennamen, wie Uibrig, noch heute. Vgl. „Deutsches
Wörterbuch“ 11, II. Sp. 4; Jacobis Brief an Grabbe vom 21. November
1822 (Nr 49), S. 47, Z. 5.
S. 274, Z. 32 f.: Sorgt nicht um Tripolis [usw.]: „Minerva“ Bd 175.
S. 1—61. (Juli.): „Tripolis und Französische Intriguen bis zum Ende
des Jahres 1834. [Am Schlusse:] (Aus dem Englischen.)“ Eine von
englischem Standpunkte aus gegebene Darstellung der französischen
Intervention zu Gunsten des Paschas Sidi Ali, mit der Absicht,
die Wahrscheinlichkeit zu zeigen, „daß die Franzosen durch ihre
Bemühungen, den Pascha dem Volke aufzuzwingen, nichts weiter
bezwecken wollen, als dasselbe der hohen Pforte abtrünnig zu machen.
“ (S. 1—2.) S. 47—48 spricht der Verfasser mit Nachdruck
seine Besorgnis aus, daß Frankreich, welches England mit seiner
„Macchiavellistischen Politik mit Erfolg in Tunis, Marocco und
Ägypten überflügelt“ habe, von Algier und dessen Kolonisation
ganz zu schweigen, jetzt im Begriffe stehe, es aus den Barbareskenstaaten
gänzlich auszuschließen. — Bekanntlich ist Tripolis nach
dem türkisch-italienischen Kriege durch den Frieden von Ouchy am
15 .Oktober 1912 Italien zugefallen.
S. 274, Z. 33 f.: Billaud-Varrennes war ein dummer Junge: Ebenda
S. 61—77: „Billaud-Varennes letzte Lebensjahre.“ Jean Nicolas
Billaud-Varenne, geboren am 23. April 1756 in La Rochelle, hat
während der Französischen Revolution eine wichtige Rolle gespielt.
Er leitete den Jakobinerklub, war einer der Anstifter des Aufstandes
vom 10. August 1792 und ordnete mit Danton die Septembermetzeleien
an. Im Konvent stimmte er für den Tod Ludwigs XVI., und
trug wesentlich zur Errichtung des Revolutionstribunals, zum Sturze
der Girondisten (1793), zur Begründung der Schreckensherrschaft
bei. Während dieser Zeit war er Präsident des Konvents und Mitglied
des Wohlfahrtsausschusses und entwickelte nun eine einflußreiche
Tätigkeit zur Organisation der revolutionären Regierung.
Schließlich veranlaßte er den Sturz Dantons und Robespierres, wurde
aber dann, als dessen Mitschuldiger, selbst angeklagt und 1795 nach
Cayenne deportiert. Er verließ die Insel 1816 und fand nach einem
kurzen Aufenthalte in den Vereinigten Staaten ein Asyl auf Haiti,
wo er am 3. Juni 1819 (die „Minerva“ gibt auf S. 74 den 13. an)
gestorben ist. Der Aufsatz entwickelt ein Bild seines Charakters und
seiner politischen Anschauungen aus diesen Jahren der Verbannung.

[Bd. b6, S. 675]

 


S. 274, Z. 34—36: p. 123. Herr Salvandy [usw.]: Ebenda S.
119—42: „Sendschreiben des Deputirten vom Departement der Eure,
Herrn von Salvandy, an den Redacteur des Journal des Débats.“
(Darin publiziert am 10. Juni 1835.) Der Verfasser wendet sich
gegen die weiten Grenzen und Formen der Verteidigung vor den
gesetzgebenden Versammlungen, wenn diese das Recht ausüben, jeden
vorzuladen, der sie durch Schrift oder Rede beleidigt hat, weil
dadurch das Feld der Verteidigung vergrößert, der Beleidiger zur
Höhe der ersten Staatsgewalten erhoben, zu einem Rückfall in ihrer
Gegenwart selbst herausgefordert werde. Er verlangt vor allem die
Beseitigung des Rechtes des Angeklagten, sich einen Anwalt zu
nehmen, und beruft sich dabei auf England, dem diese Gesetze
entlehnt waren, wo der aufgerufene Beleidiger kein anderes Recht
habe, als das, „seinen Antheil an der Beleidigung zu läugnen oder
einzugestehen, Abbitte zu leisten oder in seinem Ausspruch zu beharren
“. „Auch ist“, so fährt er sodann fort, „die Beleidigung eine
sehr einfache Handlung. Es ist nicht Etwas, das untersucht, bestritten,
oder bewiesen, es ist Etwas, das gefühlt wird, das hervortritt,
das die betreffende Behörde nur kund zu thun braucht.“ (S. 123.)
Der Beleidigte sei soch hoch gestellt, daß der Angriff von dem
Augenblicke an bestehe, wo Jener sich verletzt fühle. Wenn die
Kammer dann vorfordere, so sei dadurch schon das Vergehen bestätigt.
Es seien dann nur noch die Erklärungen oder Entschuldigungen
des Beklagten zu hören, keine tatsächlichen Punkte zu untersuchen.
— Narcisse Achille Graf von Salvandy (1795—1856) nahm an den
Feldzügen von 1813 und 1814 teil, wurde 1819 von Ludwig XVIII.
zum Requetenmeister ernannt und betätigte sich nun auch als Politiker
in liberalem Sinne. Er unterstützte also schriftstellerisch aufs
eifrigste das Ministerium Dessolle-Decazes (1818—1820) und war
Staatsrat unter dem gemäßigten Royalisten Martignac (1828—1829).
Dagegen stand er der Regierung in entschiedener Opposition gegenüber,
so lange der Ultraroyalist Sillèle am Ruder war (1821—1828),
und wiederum verweigerte er, als einer der ersten, der neuen Verwaltung
seine Dienste, nachdem Polignac (am 8. August 1829) von
Karl X. als Haupt eines streng reaktionären Ministeriums berufen
worden war. Nach dem Siege der von ihm vorausgesehenen Julirevolution
nahm er, unter Louis-Philippe, am reorganisierten Staatsrate
teil und wurde als Deputierter in die Kammer gewählt, 1830
für La Flèche, 1833 für Évreux (die Hauptstadt des Departements
Eure). Er gehörte dort zu den unerschrockensten Stützen der neuen
Regierung, zu den entschiedensten Gegnern aller vorwärtsdrängenden,
demokratischen Elemente. Später ist er zweimal Minister des öffentlichen
Unterrichts gewesen.
S. 275, Z. 2—9: Wieder der Devrient gerühmt [usw.]: „Der Freimüthige
“ Nr 119. 16. Juni. S. 479—80: Im Schlusse des dritten und
letzten Artikels über „Seydelmann“ von W. Alexis heißt es:
  „Ich möchte eigentlich seinen Shylock bei Seite lassen; ich bin
mit mir selbst noch nicht ganz einig, weshalb er mir nicht zusagte,
ob ich doch nicht allein den Werth, sondern auch das Ursprüngliche
der Schöpfung erkannte und den rauschenden Beifall des Publikums
begriff. Ein geistvoller Mann hat drucken lassen: Devrient habe

[Bd. b6, S. 676]

 


einen Juden, Seydelmann den Juden gespielt. Ich möchte das
umkehren. In Devrient's Auffassung lag mir die ganze Leidensund
Lebensgeschichte des Volkes: die Last des Druckes auf einer
in ihrem Hochmuth tief verwundeten Seele, der verhaltene, innerlich
gährende Grimm, der lauernde Blick, die schlaue Berechnung
neben der aufflackernden Leidenschaft, bis dieser Grimm, durch
unverschuldetes Unglück genährt, zu der höhnischen, blutdürstigen
Wuth auflodert, die rasen kann unter dem höchsten Schilde, was der
Jude kennt, — das Gesetz. Devrient's Auffassung war durchaus
fest, gehalten. Er hatte diesen Juden Shylock für die deutsche Bühne
geschaffen. Dies Verdienst ist anerkannt, es ist legitim geworden;
Stereotypisches vor unsern Augen haltend, legen wir unwillkührlich
den Maßstab an neuere Bilder und sind deshalb vielleicht ungerecht.
Man hat von Seydelmann's Shylock lobend gesagt, er habe ihn 'wie
ein lauernder Tiger' gegeben, der von beständiger Unruhe getrieben
umher springt. So hat er das Princip der Bewegung, das allerdings
auch im jüdischen Volke ist, hervorgehoben. Hat aber Shakspeare
in seinem Shylock gerade dieses zur Hauptsache gemacht? Ich meine
nicht. Solch ein Shylock, wie ihn Seydelmann meisterhaft entwickelte,
der jugendlich springt und abspringt, in beständiger Unruhe, Leidenschaftlichkeit,
würde sich in's Moderne übersetzt trefflich ausnehmen,
jetzt mit einem Blick der Neugier in die Börse, jetzt auf
den Markt, in die Kunstläden, in die Literatur und Politik, aufbrausend,
keck, demüthig: aber dieser Shylock besteht nicht mit
eiserner Consequenz vor dem Blutgerichte auf seinem Rechte. Er
nähme wohl mit einem witzigen Impromptu die ansehnliche Entschädigung.
Von Devrient's Shylock, wo der verhaltene, im Innern
wuchernde Haß die Seele war, von diesem grimmigen Löwen konnte
man auch die Consequenz erwarten. — Doch das sind Ansichten.
Aufgefaßt, wie es geschehen, führte Seydelmann seinen Shylock nicht
allein geschickt durch, sondern es gebar sich in jeder Scene etwas
Neues, wir konnten einen fortdauernden Schöpfungsprozeß bewundern;
wie eine Luftblase unterm Wasser stieg jeden Augenblick
das innere Leben seines Juden in die Höhe und suchte Luft. Sein
Auftreten vor Gericht, reich und ergreifend durch die fein nüancirte
Wahrheit, durch die Naivetät seines Benehmens, war etwas Vollendetes.
—“ —
  Ludwig Devrient (1784—1832) war seit 1815 Mitglied des Theaters
in Berlin. Grabbe hat dort Gelegenheit gehabt, ihn als Shylock
zu sehen, und zwar bei der Aufführung des „Kaufmanns von Venedig
“ am 26. Dezember 1822 im Opernhause. — Das Märkische Museum
in Berlin besitzt zwei, vermutlich von Julius Schoppe stammende
und im Verlag von Gebr. Gropius erschienene kolorierte
Lithographien, welche Devrient als Shylock darstellen. Die eine
zeigt seine Haltung bei den Worten: „Die Buß' dem Banquerottirer
auszuschneiden.“, die andere bei der Frage: „ist das Gesetz?“ (Die
zweite ist reproduziert in Monty Jacobs' Werke „Deutsche Schauspielkunst
“, Leipzig, Insel-Verlag 1913, nach S. 348.) Seine Kleidung,
auf beiden Bildern die gleiche, besteht aus einer roten Kappe,
einem tiefgrauen Rocke mit schwarzem, sammetartigem Besatze,
einem breiten, gelben, mit dunklen Streifen verzierten Gürtel

[Bd. b6, S. 677]

 


dessen befranste Enden über die Oberschenkel herabhängen, braunen
Pluderhosen, roten Schuhen mit grünem, goldgerändertem Besatze,
einem langen, hellblauen, pelzverbrämten Mantel mit weiten, karminrot
gefütterten Ärmeln, einem Wehrgehänge und einer gelben
Geldtasche mit reicher, bunter Stickerei. Diese Tracht ist also prächtig,
von südländischer Farbenfreudigkeit. Jedoch wirkt sie weder
überladen noch unharmonisch. Wenn sie wirklich mit der identisch
ist, die Grabbe gesehen hat, so wird man dessen Charakteristik
als übertrieben bezeichnen müssen.
S. 275, Z. 11—13: Aufgewärmtes altes Weibergewäsch [usw.]:
„Miscellen“ Bd 84. S. 121—56, 203—56, 369—99. „Auszug aus der
zweiten Reise des Capitain Sir John Roß zur Aufsuchung eines
nordwestlichen Durchganges in den Jahren 1829—1833 etc.“ Vgl.
die Anmerkung zu Verweis zum Kommentar S. 267, Z. 34 f.
  — Der Inhalt des siebenten Heftes, der in der Tat, dem allgemeinen
Charakter dieser Zeitschrift entsprechend, überwiegend aus
anderen Quellen entlehnt ist, ist folgender: 1. Anecdoten von Dom
Pedro und der Brasilianischen Revolution vom Jahre 1831. Aus
United Service Journal. (Beschluß.) (S. 1—30.) 2. Valentia, jetziger
Paketbootshafen Großbritanniens. (S. 30—39.) 3. Scenen aus dem
Castilianischen und Andalusischen Leben. Von Lord Feeling. (Aus
dessen „Voyages et Aventures en Espagne“, Livr. 1. Paris, Charpentier
1835.) (S. 39—60.) 4. Die Maroniers. (aus The United Service
Journal, April 1835.) (S. 60—104.) 5. Die Bestimmung der Poesie.
(Zweites Fragment aus der Reise in den Orient von Alphons von
Lamartine.) (S. 105—121.) 6. Auszug aus der zweiten Reise des
Capitän Sir John Roß [usw.] (S. 121—56.) 7. Merkwürdige Rechtshändel
des Auslandes. II. (S. 156—81.)
S. 275, Z. 14: Möbius: Um welches Buch es sich handelt, ist nicht
bekannt.