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Nr. 651, siehe GAA, Bd. VI, S. 281thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Carl Georg Schreiner (Düsseldorf)
Brief


  Handschrift Ich kann Ihnen über die Journale, die ich bei meiner
Kränklichkeit las, nur Allgemeines mittheilen.

  Das Morgenblatt ist diesesmal nur Schund. Lenau ist ein
erbärmlicher Poet, hat's aber bei Cotta verlegt.

30  Die Miscellen sind erbärmlich wie der Lügner Roß mit
seinem Pow-weet-yah. Y Ah! Esel. Daß dieses langweilige,
weder wissenschaftliche, noch künstlerische Zeug von Miscellen,
noch gelesen wird, thut die Macht der Gewohnheit.

  Minerva: Goethe wird mitgenommen. Aber nicht an der
35rechten Ecke gepackt. Dieser adlig gewordene Kaufmannsbengel
hat so ziemlich die Sprache, nie das Leben gekannt.
Er krämert aber gut aus, fremde Sachen mitunter. — Nu, der
Referent nimmt diese berühmte goethische Erbärmlichkeit
endlich auch mit. Die anderen Jungen treten in Dreck, und

[GAA, Bd. VI, S. 282]

 


der klebt fester als Sonnenlicht, drum ist ihnen Goethe alles,
Schiller nichts.

  Goethes Faust ist nichts als ein frankfurter liederlicher
Junge, der sich einbildet, was zu Handschrift seyn, aber nichts ist, und
5nur durch den Blick auf den Taunus seiner Phantasie Farbe,
durch hübsche Verse und Reime seinen Trivialitäten Pfeffer
und Salz gibt. Hätten Sr Excellenz Viel gerußt, und nicht
Vielerlei, so wär's besser um Sie.

  Die Ochsen — glauben noch immer, die Briefwechsel würden
10so herausgegeben, wie sie geschrieben sind.

  Lord Brougham ist ein eitler geschäftiger Narr. Stürz' du
den Staatsbau um, ist er schlecht. Sonst schwatze nicht darüber.
— p. 313—28 ein Wurstbrei, zum 1000mal aufgetischt,
kommt aber ekelhafter als je aus dummfranzösischen
15Maul. Ist deshalb zu bewundern.

  Bl. für litt. Unterhaltung.

Ekelhaft p. 887 stehe auch ich. „Grabbe und schmucke Reinheit!
“ Ich bin reiner wie ihr, ihr Onanisten. Habe stets die
Wahrheit gesagt, und nie gequengelt.

20  Lord Byrons Tochter, Ada, heirathet. Das ist mir ein
Messer in der Seele. Die mußte unverheirathet bleiben. Nun
seh' ich um sie die alten Mütter und Tanten.

  Wer Niebuhrs römische Geschichte lobt, die nur in der
Unbegründerei besteht, kennt die Welt nicht. Niebuhr war
25ein Narr. Soll auch an den Julitagen gestorben seyn. Leicht
angegriffen p. 910.: „Die That vom 15 März ist zu würdigen.“
Werden die Handschrift Kerle toll? Wer braucht's zu sagen, daß [der]
Tod des divus Julius zu würdigen sey? Sind die Journale für
Schulj[ungen] geschrieben, oder — von Schuljungen?

30  Herrn Spindler wird endlich die kahle — aufgedeckt. Er
taugte nie was, das Zierpüppchen.

  Der Phönix fängt bedeutungsvoll mit dem goldnen Kalb
an. Ich fürchte, Stang schlachtet ihn zu Cottelettes eh er zum
Ochsen wird.

35Alles dummes Journalzeug.

Heute.Ihr

                              Grabbe.

[Düsseldorf, erste Septemberhälfte 1835.]

[Adresse:] Handschrift Dem Herrn Buchhändler Schreiner Wohlgeboren
40Mit 1 Mappe u. 5 Journalen darin, und dem zufällig verspäteten
Desmarest.

[GAA, Bd. VI, S. 283]

 

 


651.

H: Doppelbl. in 20; 2½ S., Adresse auf S. 4.
F: GrA

S. 282, Z. 17 f.: Reinheit] Reinheint H
S. 282, Z. 27. [der]] Die obere rechte Ecke des zweiten Blattes
ist mit Textverlust abgerissen.
S. 282, Z. 29. Schulj[ungen]] An dieser Stelle ist ein Loch im
Papier, jedoch ist der obere Teil des n noch sichtbar.

S. 281, Z. 28 f.: Das Morgenblatt ist diesmal nur Schund [usw.]:
„Literatur-Blatt“ Nr 73. 17. Juli: Am Kopfe des Blattes der
Name „Lenau“, von einem Kranze umgeben. S. 289—90 Rezension
der „Gedichte von Nikolaus Lenau. Zweite vermehrte Auflage.
Stuttgart und Tübingen, I. G. Cotta'sche Buchhandlung. 1834.“
Als Proben der gelungensten Gedichte dieser Sammlung werden
abgedruckt: 1) Asyl („Hohe Klippen, ringsgeschlossen“); 2) Sommerfäden
(„Mädchen, sieh, am Wiesenhange“); 3) Herbst („Nun ist
es Herbst, die Blätter fallen“); 4) Die schöne Sennin („Du Alpenkind,
wie mild und klar“). — (In Nikolaus Lenaus „Sämtlichen
Werken und Briefen in 6 Bänden“, hrsg .von Eduard Castle, Bd 1,
Leipzig, Insel-Verlag 1910, S. 43, 53, 53—54, 101.)
S. 281, Z. 30 f.: Die Miscellen sind erbärmlich [usw.]: Vgl. die
Anmerkung zu Verweis zum Kommentar S. 275, Z. 11—13. Auf S. 224—25 wird von dem
tätlichen Angriffe eines Eskimogreises namens Pow-weet-yah berichtet,
der den Tod eines seiner Adoptivkinder an den Weißen
rächen will.
S. 281, Z. 34 — S. 282, Z. 8: Minerva: Goethe wird mitgenommen
[usw.]: „Minerva“ Bd 175. S. 169—281. (August.): „Goethe

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und sein Jahrhundert.“ (Auch als Sonderdruck im selben Jahre im
Verlage der Bran'schen Buchhandlung in Jena erschienen. Eine
zweite Auflage ist 1870 herausgkeommen.) — Was zunächst den
Verfasser der Schrift anlangt, so hat man lange Zeit mit völliger
Gewißheit angenommen, daß der geheime Kabinetsrat Rehberg es
sei, über den in der Anmerkung zu Verweis zum Kommentar S. 253, Z. 31 Näheres zu
finden ist. Vgl. Goedekes Grundriß, 1. Aufl. Bd 2, 2. Ausg., 1862,
S. 868; Wilhelm Scherer im „Goethe-Jahrbuch“ Bd 7, 1886. S.
299—301; Frensdorff, ADB Bd 27, S. 580; Houben, „Zeitschriften
des Jungen Deutschlands“ T. 2, 1909, Sp. 327, Z. 57. Neuerdings
aber scheinen Zweifel aufgetaucht zu sein, ob diese Annahme berechtigt
sei. Wenigstens läßt Karl Kipka in der dritten Auflage des
Goedeke (Bd 4, 2. Abt., 1910, S. 281) die Möglichkeit zu, daß
der Aufsatz nicht von Rehberg, sondern von Philipp Joseph v. Rehfues
stamme. — Die dort stehende Angabe, der Aufsatz behandle
Goethes Verhältnis zur Romantik, ist irrig; vielmehr ist sein Inhalt
folgender: Der Verfasser erwägt den Platz auf der Höhe, den
Goethe als Dichter errungen habe, den großen Einfluß, der von
ihm ausgegangen sei, nicht von einzelnen Werken, sondern von dem
ganzen Schriftsteller, und der fortdauern werde, so lange die Deutschen
ihre Literatur liebten. Er sieht, wie die fünfundfünfzig Bände
seiner Werke so vieles enthalten, was in geradem Widerspruch miteinander
stehe, so daß die von einzelnen Teilen entzückten Leser
an anderen unmöglich gleiches Gefallen finden können, und wie
dennoch viele Deutsche bei Goethe schwören, nicht bloß in der
Poesie und Kunst, sondern auch in der Lebensweisheit und in
der Wissenschaft. So versucht er, zu einer Gesamtauffassung Goethes
vorzudringen oder, wie Scherer sich (a.a.O. S. 301) ausdrückt, mit
ihm aufs Reine zu kommen, das Wertvolle und das Wertlose in
ihm zu scheiden. Zu diesem Zwecke, meint er, sei es notwendig,
alle seine Werke sorgfältig im Einzelnen und in Verbindung miteinander
zu betrachten, so wie auch ihre Veranlassungen.
  Bei solcher Prüfung gelangt der Verfasser keineswegs zu einer
völligen Ablehnung. Vieles erscheint ihm wertvoll, unübertrefflich;
er gesteht zu, daß Goethe „den Sinn für die Schönheit mit Werken
von der reinsten Vollkommenheit befriedigt“ habe (S. 176 [10] 1
Im ganzen aber spürt man doch, wie hier „alte tiefe Abneigung“
bemüht ist, Goethen auf seinen Schwächen zu ertappen. (Scherer,
a.a.O., S. 300, 301.) Solcher findet er vornehmlich zwei:
  Einmal ist der Verfasser der Ansicht, daß Goethe, trotzdem er
sich der Welt zuerst als dramatischer Schriftstellelr angekündigt
habe, durch Geistesart und Talent doch nicht für die dramatische
Dichtkunst bestimmt gewesen sei; am wenigsten für die Tragödie.
Aus zwei Gründen: Erstens habe sein Gemüt von Natur allen tief
erschütternden Eindrücken zu sehr widerstrebt, um sich lange mit
einer Vorstellung zu beschäftigen, die ihn aus dem Gleichgewicht
der Empfindungen brachte; zweitens sei er von dem Gedanken
beherrscht gewesen, daß es auf der Bühne darauf ankomme, die
Gesinnungen und Empfindungen der Menschen zu zeigen, während

[Bd. b6, S. 692]

 


doch Handlung das Wesen des Dramatischen ausmache. (S. 178
bis 180 [12—14].)
  Darum sagt er vom „Götz“, er sei keine Tragödie, aber auch als
historisches Schauspiel könne er nicht mit denen Shakespeares verglichen
werden (S. 182 [16]); vom „Egmont“, an dem ihm insbesondere
mißfällt, daß die Gestalt der Geschichte zu einem weichlichen
vornehmen Herrn gemacht sei, der zum Liebchen schleiche
und von diesem sein schönes Kleid begaffen lasse, daß das Schicksal
solcher Personen durch den phantastischen Schluß in den Wolken
nicht zur Tragödie werde (S. 186 [20]); von der „Iphigenie“, es
sei in der Tat ein bewunderungswürdiges Gedicht, aber kein Drama,
keine Tragödie (S. 219 [53]).
  Zweitens hat der Verfasser sittliche Bedenken, was zum Teil damit
zusammenhängt, daß er sich streng zur Poetik des Aristoteles
bekennt, vor allem zu dessen Lehre vom Tragischen. Wenn also
Grabbe meint, Goethe werde in diesen Darlegungen „nicht an der
rechten Ecke gepackt“, so ist das allerdings berechtigt, und überdies
verständlich bei einem Manne, der hier ganz andere, große und
freie Anschauungen hegte und beispielsweise in dem Theaterbriefe
für den „Gesellschafter“ jenes schöne Bekenntnis zu der echt göttlichen
Kraft ausgesprochen hatte, die in der Idee des Schönen selbst
liege. (Vgl. Verweis zum Kommentar Bd 4, S. 74, Z. 24 f.) Noch „Werthers Leiden“ nennt
der Verfasser „ein bewundernswerthes Werk“; so wie es sei, vollkommen
(S. 183 [17]). Dagegen findet er, daß bei allen nachher
entstandenen dramatischen Werken das eigentliche, tiefliegende Motiv
jene Gesinnung ausmache, die sich zu den Mißverhältnissen
zwischen dem menschlichen Gemüte und den Verwicklungen der
Zivilisation nur gleichgültig verhalte und jeglichen Zwang ablehne,
den die Gesetze der Geselligkeit den natürlichen Gefühlen anlegen
wollten. „Der Hang, sich einfachen, natürlichen Neigungen hinzugeben,
sich von der Gesellschaft nicht zwingen, oder auch nur beschränken
zu lassen; die Heftigkeit der Leidenschaft, und noch mehr,
als diese, die Schlaffheit der Menschen, die sich selbst gar zu gern
nachgeben; Leidenschaft, die unüberwindlich ist, nicht durch ihre
Stärke, sondern weil ihr nichts entgegengesetzt wird; lieben, nicht
weil der Gegenstand es verdient, sondern weil es gar zu süß ist,
zu lieben; sich lieben lassen, und nichts dafür thun; —“ dieses
werde beständig vorgeführt, und alles Interesse darauf gehäuft
(S. 185—86 [19—20]). Was also seinen Anstoß erregt, ist die Laxheit
einer schrankenlos individualistischen oder ästhetischen Weltanschauung,
der Mangel einer Staatsmoral, eines ernsten, sittlichen
Verantwortungsgefühls vor der Allgemeinheit. Wenn, wie schon
erwähnt, der „Egmont“ abgelehnt wird, so geschieht es vorzüglich
aus diesem Grunde. Weit schlimmer noch sei es mit der „Stella“.
„Die Geschichte hätte dem Criminalgerichte überlassen bleiben sollen,
statt auf das Theater gebracht zu werden.“ (S. 188 [22].) Das
„allzusehr verletzte sittliche Gefühl“ habe zwar nachträglich einen
tragischen Ausgang erzwungen; jedoch sei damit nichts gebessert,
denn ein Selbstmord nach solchen Handlungen sei nur eine Nichtswürdigkeit,
und ein Gegenstand eher für eine Predigt, als für ein
Trauerspiel. (S. 189 [23].) Nicht anders urteilt der Verfasser über

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„Clavigo“ und die „Mitschuldigen“. In jenem Stücke erscheine
„wieder die schlaffe Leidenschaftlichkeit eines elenden Menschen“;
und wer „mag wohl ein liebekrankes Mädchen auf dem Theater
an der Auszehrung sterben sehen? Wer mag das Gewinsel eines
Menschen anhören, der sich von seiner Neigung und von der Eitelkeit
wie eine Wetterfahne drehen läßt?“ (Ebenda.) In diesem aber
beleidige die Katastrophe das sittliche Gefühl in einem ganz unleidlichen
Grade. (S. 190 [24].)
  Sehr verschieden von diesen früheren, meint der Verfasser, seien
die späteren dramatischen Werke. Goethes Leben am Weimarer Hofe
habe sich hier geltend gemacht. Von ganz anderer Art aber sei
dieser Einfluß auf die später geschriebenen Romane. Den „Ton der
matten Gleichgültigkeit gegen das Unsittliche, wenn es nur nicht
roh auftritt, und die Unterdrückung lebhafter Gefühle“, ein unvermeidliches
Erzeugnis des geselligen Lebens unter Personen, von
denen eine jede sich scheue, eine andere zu verletzen oder auch nur
zu reizen, die findet er, nebst zahlreichen anderen Schwächen, auch
in diesen Werken, Erzeugnissen einer „übersättigten und schlaffen
Zeit“ (S. 198—203 [32—37]). Gleich als wenn Goethe der Welt
alle diese Sünden habe abbitten wollen, habe er in „Hermann und
Dorothea“ ein „vollkommen reines Gemälde guter Gesinnungen und
wohlwollender Neigungen“ geschaffen, eine „wahrhaft homerische
Bürger-Epopöe“. Die Welt aber habe diese Sühne nicht angenommen,
und fühle sich behaglicher in der Gesellschaft des ehrwürdigen Pfarrers
von Grünau mit Kaffeeschälchen und Tabakspfeife. (S. 203—05
[37—39].)
  Am Ende der Werke wird der „Faust“ besprochen, mit dem Goethe
seine literarische Laufbahn beschlossen habe. Der Verfasser hat auch
mit ihm kein Erbarmen. Gelten läßt er nur die „Zueignung“; Goethe
habe nichts Vollkommeneres geleistet als sie, die „im edelsten Tone
und in der schönsten Sprache“ geschrieben sei (S. 258 [92]). Im
übrigen aber findet er die Anlage schwach, die einzelnen Teile mit
den mannigfachsten Absichten, in den verschiedensten Stimmungen
entstanden, nur zuletzt sehr ungeschickt und lose zu einem Ganzen
verbunden, dem deshalb alle Harmonie fehle, die Auflösung nicht
philosophisch. Er tadelt ferner, daß der Dichter in sein Werk hinein
„geheimnisset“ habe, so daß kein Leser sich jemals werde rühmen
dürfen, in diesem „Gemische von volksthümlichen Darstellungen und
Allegorien“ Alles verstanden zu haben; wie ein „drückender Alp“
kommt es ihm vor, mit dem Mephistopheles die Leser habe anführen
sollen, eigentlich aber den Dichter selbst angeführt habe
(S. 241—58 [75—92]). Ganz besonderes Ärgernis nimmt er an der
Geschichte von dem armen Gretchen, von der er glaubt, daß sie
überhaupt den ersten Anlaß zu dem Schauspiel gegeben habe. Hier
macht sich seine moralische Befangenheit wieder ganz besonders
geltend. Die „Schamhaftigkeit“ erscheint ihm nicht genügend geschont.
Was auch immer zu dem Gedanken eines solchen Trauerspiels
habe Anlaß geben mögen, meint er, „es war kein glücklicher Fund.
Es taugt nicht zur Tragödie. Ein Mädchen, das, von der Furcht
vor der Schande gedrängt, ihr Kind ermordet, ist kein schicklicher
Gegenstand des Schauspiels. Mit Einem Worte des Aristoteles kann

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die Sache ohne Widerrede entschieden werden. Dieser Stoff taugt
nicht, denn es ist ein μιαρὁν, etwas Erbarmenswürdiges. Die
Vorstellung drückt den Geist allzusehr nieder, und läßt neben dem
bloßen Mitleiden keine andere Empfindung aufkommen. Das Wesen
der Tragödie besteht aber in der Beimischung des Erhabenen, und
diese ist hier unmöglich.“ (S. 255—56 [89—90].) So sei zwar die
Tragödie von der Kindermörderin von Goethe mit dem ihm eigentümlichen
Talente geschrieben. „Wer mag aber das verführte Gretchen
im Gefängnisse, den Henker erwartend, von Scham und Reue
innerlich zerrisen, den Tod wünschend, sehen und hören! Und diese
Scene, die gar nicht hätte geschrieben werden sollen, ist auf die
Bühne gebracht! Und man schämt sich nicht, durch öffentlichen Anschlag
deutsche Frauen und Fräulein zu solchem Schauspiele einzuladen!
“ (S. 258 [92].)
  Der Verfasser setzt sich aber nicht nur mit dem Dichter auseinander,
vielmehr versucht sein kritischer Blick alle Seiten von Goethes
Tätigkeit zu umfassen. Er betrachtet also weiterhin dessen Wirksamkeit
1) auf politischem, 2) auf künstlerischem, 3) auf wissenschaftlichem
Gebiete. Das Ergebnis ist wiederum sehr ungünstig.
  Von dem weiten Kreise, so urteilt der Verfasser, den Goethes
mächtiger und reicher Sinn beherrschte, war die Politik ausgeschlossen.
Daß er eine politische Rolle habe spielen können, wenn
er nur gewollt hätte, wie seine Verehrer der Welt aufdringen wollten,
davon finde sich keine Spur, weder in dem von ihm, noch über
ihn Geschriebenen. Nie habe er daran gedacht, sich ernstlich mit
Staatsangelegenheiten zu beschäftigen. Zur Rolle des Staatsmannes
sei er nicht berufen gewesen; ja nicht einmal dazu, dem Fürsten in
einzelnen schwierigen Lagen als Ratgeber zu Hilfe zu kommen.
Selbst zum Geschäftsmanne habe er nicht getaugt; nichts habe er
hier anrühren können, ohne es zu verderben. „Er hatte keinen Sinn
für bürgerliche Verhältnisse, und hielt sich so viel möglich neben
ihnen, und unabhängig. Seine Schilderungen des reichsstädtischen
Bürgerlebens in seiner Vaterstadt sind, sowie alle seine Darstellungen
von Menschen, auch in den kleinsten Zügen anziehend. Aber nichts
in ihnen läßt errathen, daß er als Republicaner geboren war. Wenn
er von Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft redet, so ist Alles
unbedeutend, und es versagt ihm sogar sein sonst so großes Talent,
die Gedanken und Gesinnungen der Menschen redend einzuführen.
Im Egmont sind die Volksscenen gut ausgedacht: aber man fühlt,
daß sie gemacht sind. Wäre er einmal Zeuge solcher Auftritte gewesen,
so hätte er etwas Anderes darin gesehen, und dieses auf
eigenthümliche Art dargestellt. Der vierte Aufzug, worin politische
Gesinnungen und Anschläge erst recht hervortreten sollen, ist sogar
schlecht geschrieben.“ (S. 206—07 [40—41].) Auch nach der französischen
Revolution habe Goethe ein paar Mal versucht, dichtend
in die Politik einzugreifen. Alles dahin Gehörende aber, wie „Bürgergeneral“
und „Groß-Cophta“, sei so farblos und langweilig, daß
es kaum bemerkt worden sei; und die „Natürliche Tochter“ werde
wohl niemand wagen, für ein politisches, oder, der schönen Verse
wegen, für ein gutes Drama auszugeben (S. 207—08 [41—42]).

[Bd. b6, S. 695]

 


  Darauf dem Gebiete der Kunst sich zuwendend, sagt der Verfasser,
daß er Goethen auch nicht, wie so viele täten, für ein allgemeines
künstlerisches Genie halten könne. Sein Genie sei auf den
Ausdruck der menschlichen Gesinnungen und Empfindungen aller
Art in der Sprache beschränkt gewesen. „Dieses Werkzeug, die
Sprache, beherrschte er in einem, vor ihm nie erreichten Grade. Er
vermochte die Deutsche Sprache, die er selbst für das schlechteste
aller Werkzeuge des dichterischen Geistes erklärte, so zu behandeln,
daß sie Alles ausdrückte, was er wollte, und dieses war nicht
ausstudirte Kunst. [...] Niemand hat jemals die Freiheit der Deutschen
Grammatik und ihre Unbestimmtheit so zu benutzen gewußt,
daß Worte und Stellung der Worte alle Schattirungen der Gedanken
und Empfindungen andeuten; und dieses war eigenthümliches
Genie.“ (S. 214—15 [48—49].) In der bildenden Kunst dagegen
habe er durchaus kein produktives Genie besessen. Daß er als Zeichner
nichts leisten könne, habe er selbst in seinen Briefen aus Rom
zugegeben. Aber auch in seinem Urteil beschränke er sich fast ganz
auf die Grundsätze des Effekts, worauf gewisse Regeln gegründet
werden könnten, auf das Erlernbare. In ihrer Auffassung leite ihn
nicht ein natürliches Gefühl für Wahrheit und Vollkommenheit,
sondern die Mengssche Tradition. Insbesondere sei alles, was er in
Italien über die Künste geschrieben habe, nur dessen fleißig aufgezeichnete
Lehre. „Diese Schulweisheit beruhte auf einer schief aufgefaßten
Ansicht Winkelmanns von der Griechischen Kunst, welche
Mengs auf die Malerei übertrug, in der er Alles leistete, was man
lernen kann. In Goethes ganzem Buche, 'Winkelmann und sein
Jahrhundert', ist nur ein einziger eigenthümlicher Gedanke: die
vortreffliche Erklärung des oft verkannten Grundes der Unmöglichkeit,
die Sculptur für die christliche Religion so zu benutzen,
wie sie der Griechischen Mythologie diente. Die lichtvolle Ausführung
dieses Gedanken ist aber nicht von Goethe, sondern in einem
Briefe an ihn enthalten, den er eingerückt hat“. (S. 211 [45].)
  In Goethes wissenschaftlicher Betätigung endlich findet der Verfasser
gleichfalls wenig Positives. Die Metaphysik sei ihm eigentlich
fremd gewesen. Was ihn an den Spinoza gefesst haben möge,
sei so unbegreiflich, daß man vermuten müsse, dieser Schriftsteller
habe zu denen gehört, die er nur zur Schau ausstellte. Die Naturerkenntnis
habe Goethe gefördert, indem er das Interesse dafür
belebt, und immer auf das aufmerksam gemacht habe, was in der
Anschauung hervortrete. Zu wissenschaftlicher Einsicht aber sei sein
Kopf durchaus nicht organisiert gewesen. In ihm habe alles einen
dichterischen Charakter angenommen; und eben dadurch sei alles,
was er vortrage, so anziehend, auch wo es nicht befriedige. So sei
seine vermeinte Entdeckung einer neuen Theorie der Farbenlehre
eine Verirrung, die Urpflanze, die er darzustellen dachte, ein Hirngespinst;
nur die Behauptung von der Existenz eines Zwischenknochens
beim Menschen habe sich bewährt und sei nach wenigen Jahren
bestätigt und allgemein anerkannt worden. Auch in Schriften, in
denen er andere Gegenstände berühre, sei die Darstellung immer
eigentümlich und von unwiderstehlichem Reiz, das Raisonnement

[Bd. b6, S. 696]

 


aber schwach, oft inkonsequent oder eine falsche Richtung nehmend.
Abstrakte Theorie gelinge ihm nie. (S. 205—36 [39—70].)
  Die Schlußbetrachtung gilt den Werken persönlichen Charakters:
„Dichtung und Wahrheit“ sowie den Briefwechseln mit Schiller und
mit Zelter, wobei der Verfasser Gelegenheit findet, auch der menschlichen
Schwächen Goethes zu gedenken. Bei den Briefen an Zelter
wird hervorgehoben, daß sie „nicht bloß für den Freund, sondern
mit Rücksicht auf eine künftige Bekanntmachung geschrieben“ seien
(S. 280 [114]), daß man in ihnen selbst „eine ungemeine Vorliebe
und Sorgfalt in der Zurichtung für künftige Leser“ bemerke (S, 281
[115]), daß sie gerade darum aber auch unverstümmelt hätten bleiben
sollen. Offenbar aber fänden sich Zensurlücken des Herausgebers,
die so bald als möglich beseitigt werden möchten.
S. 282, Z. 11—13: Lord Brougham ist ein eitler geschäftiger Narr
[usw.]: Ebenda S. 282—312: „Betrachtungen über Englands Aristocratie. 1
([Dazu die Anmerkung:]
  We have, from internal evidence, no sort of doubt that the public
report is in this instance correct.“
  Vgl. außerdem „The Quarterly Review“ Bd 53, 1835, S. 540—45,
und Halkett und Laing's „Dictionary of the anonymous and pseudonymous
literature of Great Britain“, Bd 3 (Edingburgh 1885), Sp.
2583, wo gleichfalls der Lord als Verfasser der Kampfschrift angegeben
wird.
S. 282, Z. 13—15: p. 313—28 ein Wurstbrei [usw.]: Ebenda
S. 313—28: „Ueber geschichtliche Forschungen in Deutschland. Von
E.[ugène] Lerminier.1) ([Dazu die Anmerkung:]1)
  Aus: Au de là du Rhin [, ou Tableau politique et philosophique
de l'Allemagne depuis Mme de Staël jusqu'à nos jours], par Lerminier,
professeur au Collège de France. [2 Bde.] Paris [, Bonnaire]
1835. Schon die Revue des deux Mondes enthielt in ihrer Nummer
vom 1. Juni dieses Jahres einen Auszug aus dem ersten Theile dieses
Werkes, der auf das Ganze begierig machte. Der erste Theil ist rein
politischen, der zweite, dem obenstehender Abschnitt entnommen,
rein literarischen Inhalts, und behandelt hauptsächlich folgende Abtheilungen:
Die Universitäten, die Philologie, Geschichte,
Rechtsgelehrsamkeit, Deutsche Philophie,
Literatur im Allgemeinen. — Ob aber das leichtbegründete
Urtheil des Französischen Verfassers über unsere größten Forscher
im Gebiete der Geschichte, großes Vertrauen zu der Tiefe seiner
Betrachtungen zu erwecken im Stande ist, wollen wir der ernsteren
Entscheidung unserer Deutschen Leser überlassen. Mit Geist weiß
der Verfasser vorliegenden Werks zu reden; ob dieß allein aber
hinreichend ist, so mannichfaltige Zweige des Wissens und der
Gelehrsamkeit zu beurtheilen, wie es im zweiten Theile seines Werkes
geschehen ist, bleibt eine andere Frage. D. Red.)“
  Lerminier beginnt seine Ausführungen mit der Feststellung, daß
die Deutschen bereits seit zwanzig Jahren an den notwendigen Materialien
zu ihrer Geschichte sammelten, Geschichte selbst aber noch
nicht geschrieben hätten. Als die möglichsten Motive für diese historischen
Studien erkennt er erstens die während der Befreiungskriege
erwachte nationale Begeisterung, zweitens die Metaphysik. Er analysiert
die damit sich ergebenden beiden Reihen von Gelehrten, um
zu dem Ergebnis zu kommen, daß Deutschland noch keine großen
klassischen Geschichtsforscher besitze, wie Frankreich und England.
Auch Johannes von Müller und Schiller läßt er nicht als solche
gelten, und so schließt er mit der Frage, warum Goethe nicht Geschichte
geschrieben habe, der in Deutschland der einzige Mann gewesen
sei, in welchem die Fähigkeit gelebt habe, Kolossales zu
leisten.
S. 282, Z. 16—19: Bl. für litt. Unterhaltung. Ekelhaft.
p. 887 stehe auch ich [usw.]: „Blätter für literarische Unterhaltung
“ Nr 215. 3 .August. S. 886—87: Rezension von: „Seydelmann
und das deutsche Schauspiel. Für Kenner und Freunde der

[Bd. b6, S. 698]

 


Bühne von August Lewald. Stuttgart, Liesching. 1835.“ Von ll.
Der Referent befaßt sich auf S. 887 mit den Hoffnungen auf eine
Wiedergeburt der dramatischen Literatur in Deutschland, die Lewald
an die Erscheinung Seydelmanns knüpft. Er zitiert zunächst die
ganze in betracht kommende Stelle [S. 171—73], in der es u. a.
heißt: „Grabbe wird der schnöden Vergessenheit, die man ihm zu
Theil werden ließ, wiederentrissen werden; Grabbe, jenes gewaltige
Talent, das still und verborgen seine Werke schafft; das in seiner
überraschenden Erscheinung nicht im Stande war, die Bühnenlenker
aus ihrer Lethargie aufzustören.“ „Dies sind die zerbrechlichen
Stützen von Lewald's sanguinischen Hoffnungen“, bemerkt dazu
der Referent, und fährt fort: „'Neue Ideen', heißt es an anderer
Stelle [S. 173], 'eine kräftige Charakteristik, eine reiche Erfindung
und vor Allem eine jungfräuliche Sprache in ihrer schmucken Reinheit
werden diese neue Schule auszeichnen.' Lieber Himmel! Gutzkow
und jungfräuliche Sprache! Grabbe und schmucke Reinheit!“ — Siehe
auch Verweis zum Kommentar S. 241, Z. 5—7.
S. 282, Z. 20—22: Lord Byrons Tochter, Ada, heirathet [usw.]:
Ebenda Nr 219. 7. August. S. 904: Eine Correspondenznachricht aus
London vom 7. Juli 1835 von 125 beginnt mit den Worten: „Lord
Byron's Tochter, Ada, eine blühende Schönheit, wird nächstens ihre
Hand dem Lord King geben, [...]“ — Augusta Ada, die einzige,
am 10. Dezember 1815 geborene Tochter Byrons, verheiratete sich
am 8. Juli 1835 mit dem Baron King, der 1838 zum ersten Earl of
Lovelace ernannt wurde.
S. 282, Z. 23—25: Wer Niebuhrs römische Geschichte lobt [usw.]:
Ebenda Nr 221—22. 9. u. 10. August: Rezension der „Geschichte
Roms in seinem Uebergange von der republikanischen zur monarchischen
Verfassung, oder Pompejus, Cäsar, Cicero und ihre Zeitgenossen.
Nach Geschlechtern und mit genealogischen Tabellen. Von
W.[ilhelm] Drumann. Erster Theil. Königsberg, Gebr. Bornträger.
1834.“ Von 14. Sie beginnt mit den Sätzen: „Man kann nicht
leicht die Ueberschrift: 'Geschichte Roms', betrachten, ohne wiederum
von dem lebhaftesten Schmerze darüber ergriffen zu werden, daß
Niebuhr so früh seiner großartigen Wirksamkeit entrückt und dadurch
ein Werk zu vollenden gehindert worden ist, das zu den
bedeutendsten Erscheinungen auf dem Felde der historischen Literatur
gerechnet werden muß. Eine von ihm aus der Fülle seiner
Belesenheit, aus der Kraft seines durchschauenden Geistes, aus seiner
durch örtliche Anschauungen gewonnenen Kenntniß verfaßtes Werk
über römische Geschichte wäre das köstlichste Vermächtniß gewesen,
welches nur immer ein Schriftsteller der Nachwelt hätte hinterlassen
können.“ — Niebuhr war, erst 55 Jahre alt, am 2. Januar
1831 an einer Lungenentzündung gestorben.
  Es findet (S. 910) den Beifall des Referenten, daß Drumanns
Buch „wie er selbst sagt, nicht wider, aber ohne seinen Willen
eine Lobschrift auf die Monarchie geworden“ sei, und die Ansicht
hindurchziehe, „daß republikanische Formen sich nicht dauernd
für die Menschen eignen, wie sie sind, und daß eine Nation zu beklagen
sei, deren Staatsschiff erst dann den Hafen der Monarchie
erreicht, wenn sie entartet ist, oder die durch die Kämpfe der Bürgerkriege

[Bd. b6, S. 699]

 


erst einen Herrn und Gebieter erhält“. Mit allem Rechte
betrachte daher der Verfasser Cäsars Ermordung als ein Unglück
für Rom. Als Beleg gibt er folgendes, mit kleiner Type gedrucktes
Zitat von S. 155: „Die That vom 15. März [...] ist in Cäsar's
Leben zu würdigen. Die Verschworenen hatten nicht über den Augenblick
des Dolchstoßes hinausgedacht, einem wankenden Gebäude die
Stütze genommen, ohne sie durch eine andere ersetzen zu können.“
S. 282, Z. 28: des divus Julius: des göttlichen Julius.
S. 282, Z. 30 f.: Herrn Spindler wird endlich die kahle [usw.]:
Ebenda Nr 225—27. 13.—15. August: Rezension von „Lenzblüten“
und „Herbstviolen“, zwei Sammlungen von Erzählungen und Novellen
von Carl Spindler. (Sämtliche Werke. Stuttgart, Hallberger.
Bd. 23/4 u. 30/31. 1834.) Der Referent (131) geht mit den beiden
Sammlungen erbarmungslos zu Gericht. Der Verfasser erscheint ihm
als ein Vielschreiber, „für welchen Sinn und gehöriger Zusammenhang
bedeutungslose Worte sind“ (S. 925), als ein prosaischer Schriftsteller
ohne Ernst, ohne sittliche Energie, ohne Tiefe und Reichtum
des Geistes, als ein Repräsentant jener „schalen, erheuchelten, charakter
- und gedankenlosen Phrasensentimentalität, mit welcher die
meisten der kleinen Schriftsteller unserer Tage nicht nur ihre eignen
kleinlichen und sinnlosen Erfindungen, sondern auch historische Erscheinungen
zu schmücken wähnen“. Diese sei einer der Haupt- und
Grundfehler jener Zeit, in der die geistvolleren und kräftigeren Arten
der übertreibenden Leidenschaft ziemlich stark in Verruf gekommen
seien; dagegen speise „man jetzt zu dem Commißbrote der Alltäglichkeit
diesen ungesalzenen Gänseschmalz der Redensarten-Begeisterung,
nüchternen Versgeklingels, gemächlicher Liebesverzweiflung
und überschwenglicher Großmuth.“ (S. 930.)
  Schonungslos werden die einzelnen Erzählungen zerpflückt, bis
ihre Nichtigkeit sichtbar wird. In folgenden Sätzen faßt (S. 930)
der Referent selbst sein Urteil über die Beiträge des ersten Bandes
zusammen: „In der ersten Erzählung [„Furchtlos und treu“] fanden
wir vollständige Planlosigkeit und eine vernunftlose Behandlung
historischer Ereignisse; in der zweiten [„Glück über Alles“] eine
matte phantasielose Ausführung eines, wenn auch an sich nicht
schlechten, doch schon ziemlich verbrauchten Gedankens, welcher
überdies poetischen Werth nur durch eine geistvolle Ausführung
erhalten hätte; in der dritten [„Engel-Lieschen“] eine gewaltsame
Verwässerung und Trivialisirung eines Vorwurfs, dessen Ausführung
nothwendig hätte poetisch werden müssen, wenn es dem
Verf. nicht durchaus an Empfänglichkeit und gebildetem Sinne fehlte;
in der vierten [„Die Schlange in Reggio“] einen widrigen Gegenstand
und charakterlose Seichtigkeit der Sittenschilderung; in der
fünften [„Nenuphar“] hohlen Wortprunk bei vollständiger Unbestimmtheit
und Bedeutungslosigkeit der dargestellten Gegenstände;
in der sechsten endlich [„Die Mohrin von Toledo“] Verzerrung einer
großartigen historischen Erscheinung zu einem modern eleganten
Großmuths- und Empfindsamkeitsgemälde. Diese beiden Bände können
daher vielleicht als eine Musterkarte der Eigenthümlichkeiten
des Verf. gelten. —“

[Bd. b6, S. 700]

 


  Die beiden anderen Bände werden ein wenig glimpflicher behandelt.

S. 282, Z. 32—34: Der Phönix fängt bedeutungsvoll [usw.]: „Phönix“
Nr 164—72. 14.—23. Juli: „Das goldene Kalb. Von L.[udolf]
Wienbarg.“ (Verändert in dessen „Wanderungen durch den Thierkreis.
“ Hamburg, Hoffmann u. Campe 1835, S. 29—72.)
S. 282, Z. 41: Desmarest: Es handelt sich höchstwahrscheinlich um
die „Témoignages historiques, ou quinze ans de haute police sous
Napoléon“ (Paris, Levavasseur, Bousquet 1833) von Pierre-Marie
Desmarest (1764—1832). Der Verfasser, Priester von Haus aus,
hatte die Bewegung von 1789 mit Enthusiasmus begrüßt. Er wurde
im Januar 1791 Pfarrer von Longueil-Sainte-Marie, verließ aber
zu Beginn des folgenden Jahres sein Amt und trat in die Militärverwaltung
ein. Mitte Novembers 1799, bald nach dem 18. Brumaire,
berief ihn Fouché, der neue Polizeiminister, zu sich und machte ihn
zum Chef der geheimen Polizei in seinem Ministerium, eine Abteilung,
die im Laufe der Jahre zu einem völlig selbständigen Organismus
wurde. Diese Stellung hatte Desmarest inne bis zum Sturze
Napoleons. Vgl. „Quinze ans de haute police sous le consulat et
l'empire par P.—M. Desmarest, chef de cette division au ministère
de la police générale suivi du siège de Valenciennes (1793). Edition
annotée par Léonce Grasilier et précédée d'une étude sur Desmarest
et la haute police par Albert Savine.“ (Paris, Garnier frères 1900.)


   1) Die in eckigen Klammern stehenden Zahlen bedeuten hier die
Seitenzahlen der ersten Auflage des Sonderdruckes.


   1) Das Original der Broschüre, von welcher wir hier eine wörtliche
Uebersetzung geben, ist betitelt: Thoughts upon the Aristocracy of
England [, with a postscript and a letter to I. Richards, Esq., from
P. Jenkins]. By Isaac Tomkins, Gent. [London, Hooper 1834.] und
erregte in England so großes Aufsehen, daß es in kurzer Zeit zehn
Auflagen erlebt hat.) Von Lord Brougham.“ Es ist eine liberale
Kampfschrift, in der die Aristokratie einer schonungslosen Kritik
unterzogen, und darüber Klage geführt wird, „daß die, welche
schon von wegen ihres Reichthums und der dadurch erzeugten Gewohnheiten
sattsamen Uebermuth zur Schau tragen, außerdem auch
noch durch Gesetz und Brauch mit besondern Vorrechten von politischer
Natur ausgestattet worden; daß diese ihren natürlichen
Uebermuth noch unendlich steigern, und die Schlechtigkeit ihrer
Gewohnheiten aufs Höchste treiben; und daß solche Vorrechte den
gesellschaftlichen Zustand, über welchen sie sich trotzig erheben,
unerträglich machen, sowie die Regierung, da wo sie die Oberhand
gewinnen, auf schwankenden Füßen steht.“ (S. 307.) Gefordert wird
zum Schlusse eine Beschränkung der Privilegien des Adels, oder
eine Abänderung der Verfassung des Oberhauses. — Henry Lord
Brougham (1779—1868) war im Jahre 1830, als die Whigs unter
Lord Grey zur Regierung gelangten, zum Peer mit dem Titel Baron
Brougham and Vaux und zum Lord-Kanzler ernannt worden und
blieb dies auch nach Greys Rücktritt unter Lord Melbourne. Im
November 1834 wurde er mit diesem entlassen, war aber auch
fernerhin, wenn auch ohne Amt, ein einflußreiches Mitglied des
Oberhauses. Über die in frage stehende Kampfschrift und ihren
Verfasser finden sich in dem „Handbook of fictitious names“ von
Olphar Hamst [d. i. Ralph Thomas] (London, John Russell Smith
1868), S. 157 folgende Angaben: „The pamphlet upon 'The Aristocracy
of England' is announced as the first of a serious. [...] The
publisher is one of the regular agents for that system of societies,
of which the eldest assumed the title of 'The Society for the Diffusion
of Useful Knowledge,' and the latest has not feared to proclaim
itself 'The Society for the Diffusion of Political Knowledge.'
The founder and president of all these ultra-philantropic societies

[Bd. b6, S. 697]

 


is Henry Lord Brougham and Vaux; and common report has
ascribed to his lordship's versatile pen the pages which his lordship's
agent, Mr. Hooper, has just published as the production of
'Isaac Tomkins, Gentleman.'