Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Ludwig Christian Gustorf (Berlin)
Brief
Vorangehend:
Nachfolgend: keine
Gustorff, verzeih einem Esel seine Eselei und einem Grabbe seine Grabbage; außerdem war auch Dein besprochenes Schreiben so 30curios eingerichtet, sein Couvert so winzig, seine Adresse „an Herrn Christ. Grabbe“ so verdächtig (selbst der Postsecretair sah mich darauf an), Deine Namensunterschrift so nachlässig, und Dein Ausdruck so auffallend, daß ich das Schlimmste vermuthete.
[GAA, Bd. V, S. 98]
Ist es aber wahr (was ich in der That dunkel ahnte), daß Du alles geflissentlich so anordnetest, so muß ich Dich verehren, und gestehen, daß ich noch nie so groß von Dir gedacht habe. — Ich schäme mich, Dir für die Gefälligkeit, mit 5welcher Du mir das Zeugniß (jetzt mein einziges Gut) verschafft hast, eine elende Danksagung abzustatten, sonst würde ich hier den allgemeinen Briefsteller citiren. — Daß Üchtriz, der gewiß gar so übel nicht ist, nur Gutes von mir sagt, ist ganz dem pythagoräischen Lehrsatze gemäß, denn er muß ja 10wissen, daß ich ihm durchaus nicht mehr schaden und nützen kann. Zufolge Okens Naturhistorie wird er mich in 1 Jahre tadeln, und in 2 Jahren vergessen. — Wenn ich in meinem letzten Sendschreiben auf meine rechte Ehre versichert habe, so deute mir das nicht in's Schlimme, weil ich wohlweislich 15zum Behufe meines gesellschaftlichen Umgangs mir 32 andere Ehren angeschnallt habe; Du denkst Dir nicht, was mir das für einen Nutzen stiftet. — — Der Herzog von Angouleme hat nun das spanische Bitter heruntergesoffen und ich bin nur in Furcht, daß er davon leicht betrunken werden 20kann, obgleich man hoffentlich vermöge einer Dampfmaschine ihn mit einem legitimen türkischen Häringssalat u.s.w. (NB. Wenn ich etwas durcheinander schmiere, so nimm das nicht übel, weil ich, wie Du weißt, den Brief für den besten halte, welcher dem gewöhnlichen Umgangsgespräche, dessen Weitläuftigkeiten 25vermeidend, an mächsten kommt.) Weshalb bezeichnest Du mir nicht Dein jetziges Logis? Bei der Buzke wohnst Du nicht mehr. — Bilde Dir nicht ein, Du alter [unleserlich ausgestrichen], daß es bei Dir fuimus Troes heißt; Du bleibst gewiß, was Du einmal gewesen bist, und wenn 30Dir auch Hufeland noch so viel fremdartige Cadaver einzuoculiren sucht; paß nur auf, wie Deine Lebensgeister sich plötzlich aufrütteln werden, wenn Du durch ein günstiges Geschick irgendwo „nen Rinderbraten von Alt-England“ erschnappst; hic it, ein einziger Floh biß dem großen Newton 35sicherlich die ganze Astronomie weg und Kant hat, trotz seines Rennomirens, die Kritik der Vernunft in einer Tasse Kaffee geangelt oder besser gesagt, er hat die Vernunft darin rein gewaschen und manchen den Kaffee verdorben. Ich entsetze mich über das triviale Zeug, womit ich Dich ennuyire; 40glaub nur nicht, daß ich es aus Bosheit, Rachsucht oder Undankbarkeit thue, — es ist meine dießjährige Einfalt, denn
[GAA, Bd. V, S. 99]
trotz des gelinden Winters wird mein Geist künftigen Sommer eine geringe Witzernte halten; es muß fortan anderes Korn, echter Rocken darin wachsen, und zwischen dessen Halmen rottet man die Blumen aus. Wäre übrigens meine Situation 5nicht etwas triste, so würde ich ziemlich vergnügt seyn, weil mir die Wissenschaften wirklich wieder Spaß machen: mein Gemüth ist ein unruhiger Hund, dem man ein Stück Fleisch vorwerfen muß, damit es etwas zu kauen hat, und so ein Stück Fleisch mit einem Knochen darin ist das corpus 10juris Romanorum civilis. — Denkst Du auch noch wohl dann und wann an Dein Logis in der Mauerstraße? Ahne ich recht, sitzt Du am Ende wieder darin? — Die Kronprinzessinn, welche Ihr nun habt, sah ich in Dresden; sie schien mir recht hübsch zu seyn, und hatte Lippen wie Polster, auf denen die 15Küsse ausruhen sollten. Es ist aber auch möglich, daß ich Sie mit einer ihrer Schwestern verwechsle. — Wer weiß ob ich im Lippeschen nicht aller Vorurtheile ungeachtet in eine erträgliche Carriere gerathe, wer weiß ob wir uns in einigen Jahren nicht abermals psychisch und physisch näher stehen 20als je. Bis dahin werde ich mich freilich oft mit dem Ausspruche meines Sulla trösten müssen: Das Jahr ist kurz, die Stunde lang. — Wie ist's mit den Kosten des testimonii? — Sehr gefällt mir in Deinem Briefe die Stelle: laß Deinen miserablen Argwohn, Grabbe. Der Grabbe will versuchen ob 25er es kann. Aber Du mußt wenigstens auch nicht mehr sprechen, daß Du so wenig Zeit hättest, an mich zu schreiben; Zeit zum Briefe hat man immer, wenn man nur will. Mach die Dinger nur nicht allzubreitschultrig (ich meine im Couvert), sonst denkt die Post, daß sie den Wagen umschmeißen könnten 30und nimmt mehr Geld dafür. In den ersten 3 Monaten brauchst Du übrigens an mich nicht zu frankiren; wozu soll ich ja das Wenige, was ich habe, eher anwenden, als zum Behufe, einige Worte von meinen Freunden zu hören? — So wie ich in meinen Nöthen an Hundrich schrieb, um Dich zu 35treiben, habe ich neulich an Robert geschrieben (Du wirst's schon wissen), um euch beiden zu treiben, und an Köchy, um euch alle drei zu forciren. Du nimmst es mir doch nicht krumm? Ich dachte einige von euch wären mir böse, und ich glaube, man kann mir leicht allerlei verzeihen. — Meine 40Menschenkenntniß ist nicht viel werth, besonders in concreto; darin hast Du ganz Recht, so wie Du auch überhaupt mehr
[GAA, Bd. V, S. 100]
Recht hast, als ich bisweilen denken mag. Responde (amico tuo)
Fürstlich Lippische Regierung — Christian Gottlieb ClostermeierNr. 154, 23. Januar 1828 — Louise Clostermeier — Johann Karl August KestnerNr. 178, 28. März 1828 — Louise Christiane Clostermeier