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Nr. 82, siehe GAA, Bd. V, S. 103thumbnail
Karl Köchy (Braunschweig) an Christian Dietrich Grabbe (Detmold)
Brief

Handschrift Braunschg, d. 16ten Feb. 24.

  Vielen Dank, lieber Freund! für die Mühe, die Sie sich
geben, mir nützlich zu werden, ich muss wünschen, dass Sie
in Ihren Bemerkungen fortfahren, u ich werde es Ihnen durch
35Anfragen zu erleichtern suchen. Sie rathen mir ein ernstliches
Studium der Naturwissenschaften, doch wird der Unterricht
der Compendien genug thun? u wird mich nicht das Lesen
ermüden, da ich bei meiner Leidenschaft überall einen schnellen
Gewinn sehen muss, um nicht zu erschlaffen. Zur mathematischen

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u physischen Geographie habe ich die meiste Lust, weil
ich sie an die Geschichte anzuknüpfen, u Beides in Einem zu
treiben gedenke, wie fange ich es an, dass ich mir den Geschmack
nicht verderbe, schlagen Sie mir doch Bücher vor,
5gehen Sie dabei von den kindischsten Bedürfnissen aus, u
bezeichnen mir die Folge. Ich habe seither unaufhörlich alte
Geschichte gelesen. Rottecks Weltgeschichte, ein neues gründliches
Werk voll Detail wählte ich zum Leitfaden, u benutzte
zur Seite den J. v. Müller u Herders Ideen. Jetzt drängt es mich
10aber auf die deutsche Geschichte zu, da ich in diesem Frühling
meinen Heinrich von Braunschweig schreiben möchte, wir
entwarfen oftmals den Plan, Fassung u Eintheilung, der Zettel
ist mir leider verloren gegangen, u vielleicht wären grade,
nachdem ich Allgemeines u Besonderes gelesen gehabt hätte, Zusammenstellungen
15u Vergleichungen von guter Wirkung gewesen.
Ich bedarf aber nun wenigstens Ihrer Anleitung bei
den historischen Vorstudien, geben Sie mir eine ziemlich kurze
Reichsgeschichte an, daneben vielleicht ein Buch, woraus ich die
neuere Entwicklung mancher Institute, Ideen u.s.w. die namentlich
20die Reformation u die neue Zeit vorbereitet haben,
kennen lerne, u endlich das, was mir den Charakter des Kaisers,
Luthers u des damaligen deutschen Reichs ins Licht setzt.
So muss das Gedicht gelingen, wenn ich nur einiges Talent
habe. Das Anerbieten Ihrer Stücke könnte ich nur alsdann
25billigen, wenn Sie sich über den Antheil mit mir verständigten,
den jeder von uns daran nehmen soll. Am liebsten wäre es
mir, Sie schickten mir eines, das noch nicht beendigt wäre,
u überliessen es mir, wie ich es nach meinem Sinne veränderte
u fertig machte, Sie könnten mir dabei die Idee des
30Werkes mittheilen, u dann meine Phantasie die sich auf einem
fremden Gebiete wirklich leicht einheimisch macht, schalten
lassen. Wenn Sie diese Meinung genehmigten, so würde ich
Sie um eine schleunige Zusendung bitten, denn ich bin jetzt
productiv. Eine Correspondenz aus Braunschweig in der ich
35unsere Gerichtsverfassung, Landrecht, Gymnasien, Anstalten,
Theater, Volksgeist, Wirthhaus- u Gesellschaftston beurtheilt
habe, sechs Bogen stark, ist Handschrift binnen drei Tagen aufgeschrieben
worden, u geht die nächste Woche an Gubitz ab. Früher werde
ich aber schon an unsere Freunde in Berlin schreiben, u ihnen
40die schnellste Ausführung Ihrer Angelegenheit zur Pflicht
machen. Gestern stand es in unsern Anzeigen, dass mir die

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Advocatur ertheilt sei, ich kann also nun meine Operationen
beginnen. Am besten ist es, ich stelle mich dem Herzog selbst
vor, nachdem mein Vater eine Unterredung mit ihm gehabt
hat, u einige meiner Arbeiten in den Händen des Adjudanten
5sind, der des Herzogs Günstling, Lektor, Rathgeber
u.s.w. ist. Was soll ich aber nun fordern? wenn ich mich auf
Etwas beschränke, so kann ich die Antwort erhalten: „jetzt
nicht zu deferiren“ ich darf weder in der Eigenschaft eines
Dichters, noch in der eines Juristen auftreten, ohne mir Eines
10durch das Andre zu versperren. Rathen Sie mir! Die Canzlei,
glaube ich, steht mir offen, meine Correspondenz wird den
Minister günstig stimmen, u vom Herzog selbst ist nur Gutes
zu hoffen, denn er liebt meinen Vater, u zieht junge Leute
an sich. Soll ich zugleich auf die Direction des Theaters
15speculiren? Klingemann gefällt nicht, u kann wegen seiner
Frau nicht lange ausdauern. Oder scheint es Ihnen nicht
das Beste, dass ich mich vielleicht durch des Herzogs Gnade
für die nächsten Jahre unabhängig mache, mir ein Reisegeld
für Italien auswirke, u in des Prinzen Bekanntschaft zu
20kommen suche, der in einigen Monaten reisen wird? Eine
Anstellung am Collegio, die durch den Abgang eines Professors
vacant werden könnte, ist mir gleichgültig geworden, ja selbst
die Directorstelle beim Theater erregt meine Wünsche nicht
sonderlich, zumal da sie nicht gleich zu haben ist. Mein Kopf
25geht wahrhaftig wie ein Rad um, u ohne Sie komme ich zu
keinem rechten Entschlusse. Vor dem Ausgang der künftigen
Woche muss ich Ihre Antwort haben, u sollten Sie mir schon
Fragmente eines Stücks schicken, so bitte ich Sie um so dringender,
Ihren Brief zu frankiren. Noch Eines darf ich nicht
30vergessen: Haake hat geschrieben, u meine Rosamunde verlangt.
Im April geht er nach Wisbaden, wohin er mich einlädt,
im September übernimmt er vielleicht selbst das Theater
in Mainz, wenn Nassau einen Zuschuss bewilligt, da der alte
Contrakt zu Ende läuft. Sie würden dann ein gutes Engagement
35u einen neuen Handschrift Freund zugleich finden. Ich weiß aber
nicht, wie sich Ihr Lebensplan verändert hat.

Unveränderlich der Ihrige
                                 Köchy.

  Abgeschickt am 23sten Februar

40  [Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Ch. Grabbe in
Dettmold. Frei.

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1818Adolph Henrich Grabbe Nr. 16, 01. Februar 1818 — Fürstlich Lippisches Konsistorium Nr. 18, 07. Februar 1818 — Fürstin Paulina zur Lippe Nr. 17, 07. Februar 1818
1819Adolph Henrich Grabbe Nr. 26, 04. May 1819
1820Fürstlich Lippisches Konsistorium Nr. 28, 01. April 1820
1824Fürstlich Lippische Regierung Nr. 83, 17. Februar 1824
1826Christian Gottlieb Clostermeier  — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien 
1827Georg Ferdinand Kettembeil Nr. 120, 28. April 1827
1828Christian von Meien Nr. 145, 09. Januar 1828 — Fürstlich Lippisches Militärgericht 
1829Christian von Meien Nr. 251, 22. Dezember 1829
1831Wilhelm Christian Ludwig Stedtfeld Nr. 303, 10. May 1831 — Fürstlich Lippische Regierung Nr. 307, 17. May 1831 — Freimeister F. Brauns Nr. 308, 24. May 1831
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