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Nr. 92, siehe GAA, Bd. V, S. 112nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Christian Gottlieb Clostermeier (Detmold)
Brief

      Verehrtester Herr Archivrath!

  Die einfachste Sprache bleibt gewiß die beste, und darum
versichere ich, daß mir kaum etwas so unerwartet und doch so
hocherwünscht erschienen ist, als die Theilnahme und das Zutrauen,
5womit Sie mich beehren.

  Ich gestehe frei, daß ich den Grund, aus dem Sie mir
eine solche Zuneigung schenken, nur darin vermuthen kann,
daß Ihr Blick aus einzelnen Zügen meinen Charakter und
meine Lebensverhältnisse scharfsinnig zusammengesetzt und zu
10meinem Vortheil erklärt hat. Denn ich weiß zu gut, daß ich
mich Ihnen nie eben im nächsten und besten Lichte zeigte.

  Die Erklärung ist leicht: als Kind, selbst noch als Student
fühlte ich gegen Sie, verehrtester Herr, die geziemendste
Hochachtung, aber nicht ohne Mischung einer zum Theil aus
15Blödigkeit herstammenden Scheu; sie hielt jede Annäherung
ab. Späterhin und noch jetzt täglich, erkannte ich recht wohl,
daß mir nichts mehr noth thun möchte, als die Bekämpfung
meines leidenschaftlichen und extremen Wesens; da mußte freilich
jene kindische Furcht verschwinden und einer wahren Verehrung
20allein den Platz lassen.

  Wo hatte ich aber in den letzteren Jahren die Gelegenheit,
diese gehörig zu äußern? Sich von selbst aufzudrängen
und einen Mann, der weder unseres Beifalls, unserer Achtungsbezeugung,
oder unserer Hülfe bedarf, mit Ersterem zu überschütten,
25beweis't in meinen Augen an dem Aufdringlichen
die offenbarste Absichtlichkeit und Falschheit. Ueberdem
voll Mißtrauens gegen mich selbst, ist es mir immer schwer
gewesen, zu glauben, meine Bekanntschaft könne einem Dritten
irgend angenehm seyn, fast, ich läugne es nicht, ist es mir dadurch
30zur andern Natur geworden, nur sehr langsam mit
Jedem, den ich nicht von Jugend auf kannte, vertrauter zu
werden, ich glaube nicht einmal, daß in Detmold jetzt ein
einziger Schulgenosse lebt, mit dem ich auch nur in etwas in
solchem Verhältnisse stände. Um wie viel minder konnte es mir
35in den Sinn kommen, an einem angesehenen Gelehrten und
Geschäftsmann einen stillen und so günstigen Beobachter zu
besitzen.

  Dabei bekenne ich offen, daß die Verhältnisse sich so
gewendet hatten, daß ich schon längst fürchtete, Sie hätten

[GAA, Bd. V, S. 113]

 


mich, wo nicht aufgegeben, doch bei Seite gelegt. Dies kam
mir schon damals so vor, als ich, bei einer Ferienanwesenheit
in Detmold, die Albernheit hatte, Ihnen selbst zu
verschweigen, daß ich nach Berlin reisen würde, und meinen
5Vater zu bitten, Sie gelegentlich damit bekannt zu machen.
Es wäre ein Zeichen fortdauernder Schwäche, wenn ich dies
Benehmen noch jetzt entschuldigte: es bleibt an und für sich
stets sehr mattherzig. Die Motive, von denen ich mich aber
nicht hätte leiten lassen dürfen, waren indeß wohl vornehmlich:
10die alte blöde Scheu, welche mir das Wort mehrmals
im Aussprechen zurückhielt, und die übereilte Ueberzeugung
jetzt: einen ganz selbstständigen Wirkungskreis suchen zu müssen,
indem ich bei der damaligen Errichtung der Bibliothek
sowohl den Bibliothekar durch Sie auserwählt fand, als auch
15hierüber unendlich weiter combinirte. Wie konnten Sie, verehrter
Herr, aber an mich nur denken, der ich noch nicht
ausstudirt hatte? Auch würde ich, wenn ich Ihrer Zuneigung
wirklich würdig gewesen wäre, nicht Ihnen, sondern den
Umständen haben Vorwürfe machen können.

20  Ich bin zu jedem Dienst, den Sie mir auflegen wollen,
erbötig, und bitte nur zu fordern und zu befehlen. Mir darf
nie die Wahl gelassen werden, sonst fürchte ich in allen Anerbietungen,
wenn auch noch so gut gemeint, zu beleidigen.
Selbst Besuche habe ich vorzugsweise deshalb immer gescheut,
25weil ich fest überzeugt war, bloß Langeweile zu verursachen.

  Auch will ich nicht verhehlen, wen Sie im Ganzen an mir
finden, obgleich eine Selbstschilderung stets nach Selbstlob
lautet und lauten muß, weil sie sonst affectirt klänge. Ich
besitze ein ziemlich gutes Gedächtniß, kann auch leicht etwas
30lernen, aber fast nur so, daß mir eine Masse zugewiesen wird
und ich diese selbstständig, ohne fremde Specialleitung bearbeite,
und nur da, wo ich unüberwindliche Schwierigkeiten
fühle, um Belehrung anfragen darf; meine ehedem sehr heftige
Phantasie hat mir bis jetzt viel geschadet, aber auch in so
35fern genützt, als ich all meinen Verstand schärfen und aufbieten
mußte, sie zu zügeln; dadurch bin ich der Selbstbeherrschung
näher gekommen, und ich habe mich kennen lernen,
das beste Mittel gegen Dünkel und Eitelkeit; mein Charakter
ist, wenn man ihn im Allgemeinen nimmt, wohl nicht zu den
40schwankenden zu zählen, und ich gestehe, daß ich das Böse
zwar hasse, aber Gemeinheit und Schwäche mir an Anderen

[GAA, Bd. V, S. 114]

 


das Widerlichste auf Erden ist; mein Wissen ist großes, meist
unnützes Stückwerk.

  Dieses Schreiben ist mir ohne Absichtlichkeit, wie es hier
steht, aus dem Herzen geflossen, und ich wünschte, daß es so
5aufgenommen würde. Das letzte Resultat ist: daß ich mich
jedem Ihrer Beschlüsse unterwerfe und auch jedem Winke zu
folgen bereit bin. Für meine Dankbarkeit, an welcher Sie
freilich nur den bewiesenen guten Willen schätzen könnten,
glaube ich bürgen zu dürfen.

10  Lieb wäre es mir nicht, wenn mein Vater diesen Brief zu
sehen bekäme, obgleich ich Sie durchaus nicht verhindern will,
ihn nach Gutfinden als ein Document zu gebrauchen, welches
künftig gegen mich zeugen kann. Er ist zu Ihrer vollsten
Disposition gegeben. Ich bin,
       Hochverehrtester Herr Archivrath
Detmold, den 3.    Ew. Wohlgeboren
  April 1826.    gehorsamster Ch. Grabbe.

 

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1812Adolph Henrich Grabbe Nr. 3, 1812 — Dorothea Grabbe Nr. 3, 1812
1815Meyersche Hofbuchhandlung 
1816Meyersche Hofbuchhandlung 
1817Georg Joachim Göschen Nr. 14, 28. Juli 1817
1818Adolph Henrich Grabbe  — Dorothea Grabbe Nr. 21, 11. Februar 1818 — Meyersche Hofbuchhandlung 
1819Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 27, 07. May 1819
1821Adolph Henrich Grabbe  — Dorothea Grabbe 
1822Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen Nr. a1, 28. Januar 1822 — Adolph Henrich Grabbe  — Ludwig Tieck  — Dorothea Grabbe 
1823Ludwig Tieck  — Ludwig Christian Gustorf  — Dorothea Grabbe  — Adolph Henrich Grabbe 
1824Ludwig Christian Gustorf Nr. 80, 12. Februar 1824 — Fürstlich Lippische Regierung Nr. 81, 14. Februar 1824 — Examinationskommission Nr. 85, 27. März 1824
1825Moritz Leopold Petri  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 90, 29. Dezember 1825
1826Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 91, 19. Januar 1826 — Christian Gottlieb Clostermeier  — Friedrich Wilhelm Helwing Nr. 94, 06. May 1826 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Friedrich Wasserfall  — Christian von Meien Nr. 102, 15. Oktober 1826 — Fürstlich Lippische Regierung  — Moritz Leopold Petri 
1827Fürstlich Lippische Regierung Nr. 116, 07. Januar 1827 — Christian von Meien Nr. 119, 07. April 1827 — Christian Gottlieb Clostermeier Nr. 121, 01. May 1827 — Moritz Leopold Petri Nr. 123, 04. May 1827 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Unbekannt  — Nikolaus Meyer Nr. 132, 21. August 1827 — Johann Wolfgang von Goethe Nr. 135, 26. Oktober 1827 — Ludwig Tieck Nr. 136, 30. Oktober 1827 — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 140, 22. Dezember 1827
1828Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 144, 04. Januar 1828 — Christian von Meien Nr. 147, 10. Januar 1828 — Fürstlich Lippische Rentkammer Nr. 155, 24. Januar 1828 — Wilhelmine Koch Nr. 156, 26. Januar 1828 — Nikolaus Meyer Nr. 165, 03. März 1828 — Fürstlich Lippische Regierung  — Friedrich Wilhelm Gubitz Nr. 167, 07. März 1828 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Christian Gottlieb Clostermeier  — Johann Karl August Kestner  — Karl Gottfried Theodor Winkler Nr. 183, 02. April 1828 — Louise Clostermeier  — Louise Christiane Clostermeier  — Unbekannt Nr. 213, 26. November 1828
1829Christian von Meien  — Friedrich August Rosen Nr. 223, 10. Februar 1829 — Friedrich Althof Nr. 224, 20. Februar 1829 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 235, 01. August 1829 — Nikolaus Meyer Nr. 237, 03. August 1829 — Hermannsche Buchhandlung Nr. a2, 20. August 1829 — Louise Christiane Clostermeier  — Louise Clostermeier Nr. 242, 05. September 1829 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Friedrich Steinmann  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 250, 19. Dezember 1829
1830Nikolaus Meyer  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Friedrich Steinmann Nr. 259, 30. Januar 1830 — Karl Gottfried Theodor Winkler  — Johann Heinrich Wist Nr. 268, 28. May 1830 — Unbekannt Nr. 270, 15. Juni 1830 — Louise Christiane Clostermeier  — Ernst Barkhausen Nr. 273, 03. August 1830 — Wolfgang Menzel Nr. 274, 03. August 1830 — Meyersche Hofbuchhandlung Nr. 278, 16. September 1830
1831Nikolaus Meyer  — Wolfgang Menzel Nr. 286, 15. Januar 1831 — Georg Ferdinand Kettembeil  — Dr. Gustav Friedrich Klemm Nr. 293, 24. März 1831 — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien  — Louise Christiane Clostermeier  — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 324, 28. Juli 1831 — Valentin Husemann  — Moritz Leopold Petri 
1832Moritz Leopold Petri  — Georg Ferdinand Kettembeil  — Theodor von Kobbe Nr. 353, 10. Februar 1832 — Fürstlich Lippische Regierung  — Louise Christiane Clostermeier  — Christian von Meien Nr. 361, 28. May 1832 — Fürst Leopold zur Lippe II. Nr. 362, 29. May 1832 — Johann Karl August Kestner Nr. a3, 18. Juni 1832 — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Herrschaftliches Richteramt Nr. 368, 02. November 1832
1833Moritz Leopold Petri Nr. 369, 05. Januar 1833 — Fürst Leopold zur Lippe II.  — Friedrich Ballhorn-Rosen Nr. 377, 06. März 1833 — Meyersche Hofbuchhandlung  — Louise Christiane Grabbe  — Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg  — Christian von Meien  — Fürstlich Lippische Regierung 
1834Fürst Leopold zur Lippe II.  — Fürstlich Lippische Regierung  — Christian von Meien  — Karl Ziegler  — Dorothea Grabbe  — Wolfgang Menzel Nr. 477, 15. November 1834 — Eduard Duller Nr. 478a, 18. November 1834 — Louise Christiane Grabbe  — Moritz Leopold Petri  — Karl Leberecht Immermann 
1835Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg Nr. 499, 01. Januar 1835 — Dorothea Grabbe  — Moritz Leopold Petri  — Karl Leberecht Immermann  — Louise Christiane Grabbe  — Carl Georg Schreiner  — Friedrich Althof Nr. 610, 10. Juni 1835 — Karl Ziegler  — Dr. Martin Runkel  — Karl Jenke Nr. 620, 18. Juni 1835 — Friedrich Schenk Nr. 620, 18. Juni 1835 — Dr. Karl Heinrich Ebermaier Nr. 623a, 20. Juni 1835 — Gräfin Elisa von Ahlefeldt  — Ludwig Saeng Nr. a5, 27. Juli 1835 — Unbekannt  — Wolfgang Menzel  — A. L. Hons 
1836Karl Ziegler  — A. L. Hons  — Karl Leberecht Immermann  — Hermann Kunibert Neumann  — Eduard Duller Nr. 694, 21. April 1836 — Dorothea Grabbe  — Moritz Leopold Petri  — Heinrich Brockhaus Nr. 702, 11. May 1836 — Louise Christiane Grabbe  — Carl Georg Schreiner  — Christian von Meien Nr. 725, 24. Juli 1836 — Unbekannt Nr. 729, 08. September 1836
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