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[GAA, Bd. IV, S. 216]

 


Schwierigkeiten waren Handschrift zu überwinden, wurden überwunden
und man merkte es nicht. Das eben ist Kunst, und davon hat
sie ihren Namen.

  Was sag' ich vom Einzelnen? Das Ganze war groß. Jeder
5Schmuck, jede Verzierung, welche dazu beitrugen, lassen sich
ohne Weitläuftigkeit so wenig beschreiben, als alle Bestandtheile
eines gothischen Bau's. Also nur dieß:

  die Decorationen besser und wo es nöthig war prächtiger,
als manches mit mehr Handschrift äußeren Mitteln ausgestattete Theater
10sie liefert, und was sich unter ihnen von Darstellern bewegte,
paßte in jeder Art, in Costume und Spiel, zu den phantastischen
Umgebungen.

  Der Mad. Versing macht keine jetzt lebende Schauspielerin
die Darstellung der Naivität, dann der Neugier, und der
15nacheinander folgenden Affecte des Schreckens, der Angst, der
Todesfurcht, der bangen Erwartung, und der endlich alles
überflügelnden Freude ihrer Erlösung mit der Kraft und
Wahrheit nach, wie sie das gab. Man muß bewundern, wie
sie und ihre Stimme Handschrift das aushielten. Was aber wirkt nicht auf
20den Körper der Geist, auf den die meisten Aerzte bei den
Recepten noch stets nicht genug achten? Er zwingt und stärkt
ihn mehr als man denkt. — Kein Licht ohne Schatten: die
Versing kam halbumgekleidet, so schien es, aus der Blutkammer,
— dazu hatte sie dort keine Zeit gehabt, sie mußte
25grad so gekleidet herauskommen wie sie hineingegangen war,
— ferner brauchte sie nicht so heftig wie einigemal der Fall
war zu gesticuliren und aufzurufen, — die Art, das Wie
ist mehr als das bloß stoffartige Was. Auch überlege sie Handschrift ein-
mal unbefangen, ob Agnes ihren Haarputz seit der, freilich
30grausenhaften Scene in jener Kammer, aufgelös't und die
Locken bis Ende des Stücks an der einen Seite des Halses
hätte herunterhängen lassen? Ich müßte keine Weiberlist kennen,
oder sie wäre so geputzt, frisirt und regulirt als möglich
vor Herrn Peter Berner erschienen, um ihn zu täuschen.
35— — Herr Berner (Henckel) war fest und brav. Er hat
im Grunde Recht gegen die Neugier seiner Frauen. Diese feine
und beste Ironie, welche Tieck (der sonst stets nur ½, weder
tragisch noch Handschrift komisch ist) ausgeklaubt hat, mußte er vor
allen zu verdeutlichen suchen. Es hält bei seiner Rolle, wie
40der Dichter sie ihm gegeben, schwer. Sollte ihr indeß nicht
hier und da mit einem bittren humoristischen Lächeln, trotz