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[GAA, Bd. V, S. 318]

 


ich nicht recht. — Oder, sollt' es seyn, verdauen wir endlich
6000 Jahre Weltgeschichte? — — Alle Staatsrevolutionen helfen
aber doch nichts, wenn nicht auch jede Person sich selbst
revolutionirt i. e. wahr gegen sich und andere wird. Darin
5steckt alle Tugend, alles Genie. Ist das toll von mir gedacht?

  Ich habe ein schweres Jahr gehabt. Die große Weltzeit hat
eine kleine Vorzeit nicht ganz für mich verdrängen können —
die Gicht ist fort, aber Nervenschläge treffen mich doch noch
circa alle 4 Wochen mit schauderhafter Kraft. Dabei, als hiesiger
10Auditeur, Militairgeschäfte mehr als je — Verzeihen Sie
daher wilde Briefe um so mehr als Briefe doch das hin und
herspringende Gespräch ersetzen müssen, und vielleicht so besser
sind, je mehr sie sich der Unbefangenheit der persönlichen
Unterredung nähern.

15  Mein Napoleon ist in vollem Druck. Ich habe beinah zuviel
in ihm vorausgesagt, soviel, daß, als die Begebenheiten rascher
waren wie Abschreiber und Setzer, ich, um kein zu arger
Prophet ex post zu seyn, Manches streichen mußte. Mein
Verleger wird Ihnen das erste Exemplar schicken.

20  Sie wünschen mich populärer. Mit Recht. — Aber theatralischer?
der Manier des jetzigen Theaters entgegenkommender?
— Ich glaube, unser Theater muß dem Poeten mehr entgegenkommen.
Das thut es aber weder durch Eröffnung pecuniären
Gewinnstes, noch durch Darbietung tüchtiger Künstler. Wäre
25an das Schauspiel das gewendet, was in der letzten Syrupszeit
an die Oper verschwendet ist, es ließe sich sogar ein Gothland
aufführbar machen. Übrigens ist auch (natürlich nach meiner
Einzelmeinung) das Drama nicht an die Bretter gebunden,
— der geniale Schauspieler wirkt durch etwas ganz Anderes
30(NB. das „ganz Andere“ ist ein ekelhafter vager Ausdruck, —
zu sagen, was ich damit meine, erfordert aber wohl scharf
gewählte Worte, und das Auswählen würde diesen Brief um
Wochen verzögern, oder 6 Seiten voll ungeordneter Gedanken,
und die liefre ich nicht gerne. Hoffentlich einmal die Worte)
35als der Dichter, und das rechte Theater des Dichters ist doch
— die Phantasie des Lesers. Die Eumeniden, die Sakontala,
der ganze Shakespeare und unsere Zeit, die der Bühne über
den Kopf wächst, beweisen es vielleicht. Vielleicht, — denn
Sie scheinen anders zu denken, und das hätte mich bei Jedem
40stutzig gemacht, bei Ihnen macht es mich nachdenklich und
zweifelhaft.