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[GAA, Bd. I, S. 239]

 


Erstdruck  Zweite Szene
Rattengifts Zimmer
Rattengift sitzt an einem Tische und will dichten
Handschrift Ach, die Gedanken! Reime sind da, aber die Gedanken,
5 die Gedanken! Da sitze ich, trinke Kaffee, kaue Federn,
schreibe hin, streiche aus, und kann keinen Gedanken
finden, keinen Gedanken! — Ha, wie ergreife ichs nun? —
Halt, halt! was geht mir da für eine Idee auf? — Herr-
lich! göttlich! eben über den Gedanken, daß ich keinen
10 Gedanken finden kann, will ich ein Sonett machen, und
wahrhaftig dieser Gedanke über Handschrift die Gedankenlosigkeit,
ist der genialste Gedanke, der mir nur einfallen konnte!
Ich mache gleichsam Handschrift eben darüber, daß ich nicht zu dichten
vermag, ein Gedicht! Wie pikant! wie originell!
15Er läuft schnell vor den Spiegel
Auf Ehre, ich sehe doch recht genial aus!
Er setzt sich an einen Tisch
Nun will ich anfangen!
Er schreibt
20 Sonett.
Ich saß an meinem Tisch und kaute Handschrift Federn,
Handschrift So wie — —
Erstdruck Ja, was in aller Welt sitzt nun so, daß es aussieht wie
ich, wenn ich Federn kaue? Wo bekomme ich hier ein
25 schickliches Bild her? Ich will ans Fenster springen und
sehen, ob ich draußen nichts Ähnliches erblicke!
Er macht das Fenster auf und sieht ins Freie
Dort sitzt ein Junge und kackt — Ne, so sieht es nicht
aus! — Aber drüben Handschrift auf der Steinbank sitzt ein zahnloser
30Handschrift Bettler und beißt auf ein Stück hartes Brot — Nein, das
wäre zu trivial, zu gewöhnlich!
Er macht das Fenster wieder zu und geht in der Stube umher
Hm, hm! fällt mir denn nichts ein? Ich will doch ein-
mal alles aufzählen, was kauet. Eine Katze kauet, ein Iltis
35 kauet, ein Löwe — Halt! ein Löwe! — Was kauet ein
Löwe? Er kauet entweder ein Schaf, oder einen Ochsen,
Handschrift oder eine Ziege, oder ein Pferd — Halt! ein Pferd! —
Was Handschrift dem Pferde die Mähne ist, das ist einer Feder die
Fahne, also sehen sich beide ziemlich ähnlich —