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Nr. 131, siehe GAA, Bd. V, S. 177thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

Handschrift Mein bester Freund,

  Deine Freude über meine Shakspearo-Manie ist mir lieber
als der Aufsatz selbst. Seine Folgen? Ich hoffe er stößt Manches
20um, denn so deutlich ist nicht oft gegen Shakspeare gesprochen;
auch denke ich, er zieht mir eine Partei Anhänger
und eine Partei Kläffer zu. Ich gestehe, er ist vorzüglich
mitberechnet, dem Tieck i. e. seiner albernen Kritik den
Todesstoß zu geben. Ich mußte, (wie ich höchstens einmal
25mündlich näher entwickeln könnte) ihn in Worten schonen,
aber indem ich den Götzen angreife, zu dessen
Pabst er sich aus Mangel eigener Kraft machen will (auch
diese Worte kann Tieck, wenn er lärmt, einmal gedruckt zu
lesen bekommen), so zertrümmere ich auch ihn. Da Tiecks
30unvorsichtiges Benehmen ihm schon unter dem Dichterpöbel
Feinde zugezogen hat, die öffentlich, selbst in der Modezeitung,
gegen ihn auftreten, so hoffe ich den Matadors-Ruhm
zu erlangen. Geht er oder einer seiner Anhänger los, ich
stehe mit mehr Materie und gröberer Form zu Diensten, ohne
35Reserve thue ich keinen Schritt. Tiecks Kritik ist Manchem
schon so verdächtig, daß ihm der jetzige Verfall der Litteratur
zugeschrieben wird, Müllner hat ihn schon tüchtig gebissen,
Dr. Gans desgleichen, und eben deshalb weiß ich nicht, ob,
wie ich in meiner Ankündigung der Dramen geschrieben, wir

[GAA, Bd. V, S. 178]

 


bloß von einen „großen Dichter“, der einen Brief über den
Gothland geschrieben, reden, oder dahinter in Klammern
setzen („L. Tieck“). Thue wie Du willst und richte Dich
nach den Städten, wo Tieck noch Anhänger hat. — Den
5Brief Tiecks können wir nicht missen; auf Manchen wirkt er
noch immer, und, wie Du so gut geahnt hast, meine Shakspearo
-Manie zeigt, indem sie ihn kritisiert, jedem Vernünftigen
meinen eigentlichen Zweck. Den lieben Brief, der den
Gothland doch immer als ganz besondere von allem Übrigen
10verschiedene furchtbare Erscheinung anzeigt, benutze ich wie
ein Instrument, ja, wie eine eben eroberte, nun gegen den Feind
gerichtete Kanone. Vielleicht hast Du ihn schon gedruckt,
sonst laß uns am Schlusse desselben, statt der bisherigen
Höflichkeitsform setzen:

15  „Diese Anmerkungen zu dem geehrten Schreiben L. Tiecks
sollen keine Widerlegungen, sondern nur Andeutungen einiger
Ideen seyn, welche den Verf. bei Ausführung seines
Werkes leiteten. Der freimüthige und herzliche Tadel, den
L. Tieck ausspricht, müßte dem Dichter des Gothland schon
20insofern höchst angenehm seyn, als er die Unparteilichkeit
des vielleicht übergroßen Lobes am besten verbürgt. Freilich
sind die Ansichten und die poetische Natur des Verfassers
viel zu sehr von der Eigenthümlichkeit L. Tiecks
verschieden, als daß er glauben könnte, derselbe habe in
25Lob und Tadel hier Handschrift und da sein Werk nicht mißkannt.
Aber trotz dessen von einem solchen verschiedenartigen
Dichter eine so an sich geistreiche und wohlwollende
Beurtheilung erhalten zu haben, erfüllt den Beurtheilten
jedenfalls mit Freude und Dank. Übrigens pp“

30  (die Phrase über die Aufführbarkeit des Gothland) —
Und nun, Freund, noch dieses: den Druck der Probestellen
überlasse ich lediglich Deinem Ermessen, nur
beim Gothland wünschte ich, Du nähmst nur die Stellen, die
ich Dir proponirt, zu welchen Du auch noch das Auftreten
35Berdoas im 3t Acte „Was? bin ich noch der Neger?“ bis zu
der Stelle: „wenn sie nun aus dem Halse stänke (welcher
Vers in der Abendzeitung halb oder leiser angedeutet werden
könnte) fügen möchtest. Ich habe bei diesen Stellen meine
Gründe; Scenen wirken weniger, und Du könntest in
40den Blättern bemerken, es wären keine aus dem Gothl. zu
nehmen gewesen, weil sie zuviel Exposition gefodert hätten.

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— Hör' mal, laß doch (wenn möglich) den Teufel ja Ritter
des päpstlichen Civilverdienstordens bleiben; die Katholiken
anpacken, heißt Manchen gewinnen. Daß Deine Verleger-Annonce
über das Streichen und Abändern mehr Gestrichenes
5und Abgeändertes andeutet, als vorhanden ist, schadet nicht;
immer Sand! Sand! — Den zweiten Band sähe ich am liebsten
von der Nannette eröffnet; sie bildet zum Gothland
einen größeren Contrast als das Lustspiel, und dann fällt dieses
wieder der Nannette auf den Kopf, und dann der Sulla, und
10dann die Shakspearo-Manie als Salz auf die Schnecke. Vor
die Nannette, um sie auch nicht ohne Prolog zu lassen, wäre
zu setzen: „Vielleicht versöhnt dieses Stück manchen Leser
mit dem woran er im Gothland glaubte Anstoß nehmen zu
müssen.“. — Du deutest an, alles was ich über die resp. Vorworte
15auf dem Herzen hätte, Dir zu schreiben, aber da kann
ich nicht helfen: ich habe nunmehr schon alles darüber geschrieben,
es liegt in meinen Briefen zerstreut, und leider (ich
erkenne die Qual und Gefälligkeit, welche Du mit der wiederholten
Lecture übernimmst) wirst Du wohl es daraus aufsuchen,
20bezeichnen, und an den gehörigen Stellen einschalten
müssen.

  Geht unsere Sache gut, wie ich gar nicht zweifle, so wache
ich auf. Wo ich Endzweck sehe, bin ich unermüdlich. Zwei
Trauerspiele, zwei Comödien, sechs Abhandlungen über Literatur
25und ihre Heroen, eine Masse Kritiken, auch Wissenschaftlichkeiten,
Trotz und Überbietung von allem was mir in
den Weg kommt, — das schaffe ich Jahr für Jahr. Und hielte
ich das nicht alles im vollsten Ernste für Kleinlichkeiten,
welche nur durch die Albernheit der meisten übrigen Scribenten
30eine scheinbare quantitative Größe erlangen, so spräche
ich nicht davon, weil es Prahlerei schiene.

  Handschrift Du bietest mir Exemplare an. Ich selbst wünsche nur eins
auf gewöhnlichem Papier; den Köchy (der Devrients Tochter
jetzt geheirathet hat) wünsche ich als anonymen und publiken
35Ankündiger zu besitzen; für den bitte ich auch um eins;
dann eins für unseren Fürsten; und (wenn Du sie missen
kannst) noch einige (3 ist schon genug) auf verschiedenem
Papier zur eventuellen Nutzanlegung. In Detmold verschenke
ich nichts. Die Briefe an die Herren literarischen Hammel
40und Ochsen werde ich nach Frankfurt schicken, jedoch kann
ich das erst dann thun, wenn ich mein gedrucktes Exemplar

[GAA, Bd. V, S. 180]

 


in der Hand habe, und sehe wie es den Messires in Geist oder
Auge fällt. Dann erhältst Du die Briefe in 3 Tagen, und
damit sie nicht die Buchhändlerspeculation wittern, schreibe ich
hinein, ich wäre grade in Frankfurt zum Besuch.

5  Nicht umsonst spreche ich in der Shakspearo-Manie vom
Eulenspiegel; mein nächstes Lustspiel soll ihn vorführen. Zwei
Romane, ein kleiner und ein großer, werden auch in dem
nämlichen Augenblicke vom Baume fallen, wo meine Stücke
effectuiren. In der Manie spreche ich von Tiecks „Verlobten“;
10ich glaube aber die Novelle heißt „die Verlobte.“ Corrigire
es, si placet. Ich habe die Manie geschrieben, ohne ein
einziges Buch nachzuschlagen. Auch in Tiecks
Briefe fehlt hier und da ein Komma oder ein Und. Das
kannst Du auch ersetzen. Bei Gott, Du bist Doctor und
15Hebamme. Mein Eulenspiegel soll theatralisch werden, auch
äußerlich etwas von einer Eule an sich haben. Berlin gebe
ich noch nicht auf. Daß die Publication meiner
Stücke in den Herbst fällt, ist gut, denn Gothland z. B. trägt
Herbstspuren. Den Sulla, wenn das Fragment, wie ich hoffe,
20Effect macht, vollende ich diesen Winter, vor Weihnachten.
Er steht schon in meinem Kopf Scene vor Scene. Marius
sagt schon: „durch meiner Augen Fenster sieh't nicht mehr der
Löwe, wie wohl ehedem. Er ist zu einem gelben welken
Herzchen eingeschrumpft.“ Vielleicht benutze ich in Westphalen
25auch unsren lieben Pustkuchen zum Trommeln.

Erfreue bald mit Antwort
                                 Deinen
  Detmold den 12t Aug.    alten, treuen Grabbe.
  1827.    

30 [Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil
(Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main.
Frei.