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Nr. 183, siehe GAA, Bd. V, S. 239thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Karl Gottfried Theodor Winkler (Dresden)
Brief

    Handschrift Hochgeehrtester Herr Hofrath!

  Sie haben sich gegen mich benommen, wie ich es nicht
10verdiene. Denn die schaalen Namen- und Wort-Witze, die ich
in meinem Lustspiele begangen, müßten Jeden mehr beleidigen
oder doch mit Recht erzürnen, als bei Ihnen der Fall
ist. Freilich wer meine Persönlichkeit kennt, wird mir derlei
nicht übel deuten. Aber Persönlichkeit braucht und soll das
15große Publicum nicht kennen. Ich bin zwar wild und heftig
wider jeden Handschrift Angriff, sofern er mir bedeutend scheint, nur da,
wo mir Mäßigung entgegen tritt, ist es mir (verb.[i] grat.[ia])
als fühle ich einen Maulkorb. Ihre Rec. meiner Siebensachen
(nb. im 17—19 Jahre geschrieben) in der Abendzeitung war
20dergestalt gemäßigt. Ich danke.

  Anbei eine Recension über unser Detmolder Theater. Es
kann bei seinen nicht unbedeutenden Mitteln besser werden
als es ist; schon darum wurde mein Urtheil oft hart.
Übrigens ist die Pichlerische Schauspielgesellschaft die berühmteste
25in Westphalen und verdient auch einige Worte in der
Handschrift Vespertina. Darum bitte ich die Recension baldgefälligst
darin aufnehmen, auch mir (wenn auch gegen die
Gebühr) ein Exemplar gleich nach dem Druck zukommen
lassen zu wollen. Auf Verlangen können Sie unbedingt
30meinen Namen nennen. Ist Ihnen indeß, wie ich nicht
hoffe, die Sache nicht paßlich, so werfen Sie dieselbe nur
tacite zurück. — Die Aeußerlichkeit der Rec. bitte ich mi[r,]
da ich sie gleich in's Reine schrieb, in Erwägung vieler Geschäfte
zu verzeihen.

[GAA, Bd. V, S. 240]

 


  Ich selbst schreibe jetzt am „Don Juan und Faust“ und an
den „Hohenstaufen“ (deren Geschichte ich wohl noch besser
als die römische Handschrift kenne).

Hochachtungsvoll und mit Aufrichtigkeit bin ich
                                    Wohlgeboren
   / gehorsamster Grabbe
  Detmold den 2t April 1828.    (Auditeur)

  [Adresse:] An den Herrn Hofrath Th. Winkler (Redaction
der Abendzeitung) Wohlgeboren in Dresden. Frei.

 


183.

H: Doppelbl. in 40; 3 S. 5 Zeilen, Adresse auf S. 4.
  Auf S. 4 Abgangsstempel: DETTMOLD ¾
F: GrA
D:Findlinge“. Zur Geschichte deutscher Sprache u. Dichtung von
Hoffmann von Fallersleben. Bd 1. Leipzig, Engelmann 1860. S. 339,
als Nr 130. (Aus Robert Weigelt's Sammlung.)

S. 239, Z. 21: eine] ein H
S. 239, Z. 32: mi[r,]] an dieser Stelle ist beim Öffnen des Briefes
ein Dreieck mit Textverlust herausgeschnitten
S. 240, Z. 3: kenne).] kenne. H Mit diesem Worte beginnt die
vierte Seite

S. 239, Z. 17: verb.[i] grat.[ia]: zum Beispiele.
S. 239, Z. 19: Ihre Rec. meiner Siebensachen: Sie findet sich im
„Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften“, einer
Beilage zur „Abendzeitung“, und zwar in Nr 17 vom 27. Februar
1828, S. 66—67 und schließt mit den Worten: „So viel mit Liebe
und Ernst von einer Erscheinung, die ihrer Natur nach nur eine
vorbereitende seyn soll und deren Folge wir daher mit den beßten
Hoffnungen erwarten.“ (S. 67.) Im „Gothland“ war dem Referenten
„manche tief ergreifende, sanft rührende und hoch erhebende Stelle“
entgegengetreten; „Nannette und Maria“, dieses „halbverwischte
Gemälde“, hatte ihn nicht angesprochen; dagegen ermunterte er den
Verfasser zur Vollendung des „Marius und Sulla“, da diese Tragödie
„in der That sehr gut angelegt und in dem, was bereits davon als
ausgearbeitet vorliegt, in Charakteren und Situationen wacker gehalten
“ sei. „Scherz und Ironie“ nennt er „eine von jenen ungeregelten
satyrischen Lustbarkeiten, wo mancher wackere Name ohne
Grund und Ursache mit Koth beworfen, Geachtetes gemein behandelt,
zügellos gescherzt und jede Schranke der Wahrscheinlichkeit,
oder auch nur der Möglichkeit im kecken Uebermuthe überschritten“
werde, macht aber nach dieser Verurteilung sogleich als mildernden
Umstand geltend, daß leider „Männer, deren Name in andern Beziehungen
mit Achtung genannt werden muß, den Ton dazu angegeben
“, und in der Welt nichts leichter sei, als „auf deren Autorität
sich stützend, solche Unziemlichkeiten und Träume Branntweinberauschter
Stunden in die Welt hinein drucken zu lassen“. (S. 66.)
Wiederabgedr. in: „Grabbes Werke in der zeitgenössischen Kritik“,
hrsg. von Alfred Bergmann, Bd 1, Detmold 1958, S. 73—76.
S. 239, Z. 21: eine Recension über unser Detmolder Theater:

[Bd. b5, S. 565]

 


Sie ist in den Nrn 99—102 der „Abendzeitung“ vom 24.—28. April
erschienen. Siehe Verweis zum Kommentar Bd 4, S. 77—83.
S. 239, Z. 26: Vespertina: Die von Winkler unter dem Pseudonym
Theodor Hell herausgegebene „Abendzeitung“.