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Nr. 493, siehe GAA, Bd. VI, S. 118nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief

      Hochgeehrtester Freund!

  Hierbei Töpfer selbst mit H. u. D. retour, und meine
Abschrift, die erste, welche ich von fremder Hand gemacht.
30Die ruhige Behandlung gefällt mir, obgleich das Ganze flach
gehalten ist. Besonders hat Töpfer den Character des alten
Feldern mißhandelt, bei Goethe ein tüchtiger Spießbürger, bei
Töpfer ein halb verrückter Polterer mit einem Gran Iffland'scher
Comödienväterei. Ich war nicht gewohnt zu berechnen,
35wie lang die Abschreiberei währen könnte; das nächstemal
soll es sicherer geh'n, auch rascher. Ich bin nun schon geübt.
Schicken Sie mir nur was.

  Dito mit Dank Platens Neapel anbei. Hat mich nicht
befriedigt. Hier und da wird's interessant, aber nur bei zu

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hervorgehobener Skizzirung einzelner Scenen. Ob auch der
Anfang trocken ist, mir gefiel er besser als nun das Ende.

  Ihr Reisejournal habe ich nun mit Aufmerksamkeit durchlesen,
und Viel darin gefunden. Meinem Wesen sagt aber
5vor allem Ihre Ansicht über den Liberalismus und seine Söhne
zu. Dieses Gesindel, das (ja, nehmen wir das Schlimmste, es
ist bei ihm das gewisseste) da schreit, um Lob und Diäten
zu haben, das überall die Steine zu Kalk macht, damit ein
Napoleon oder Cäsar einst Casematten so fester darüber
10kleben kann, diese Versammlungen von 100 Narren für Einen
Thron, welcher denn doch überall zu hoch steht, als daß er
vom Inhaber oder vom Pöbel so ganz und gar beschmutzt
werden dürfte wie manche sogenannte Kammer, könnten mich
Despotie zurückwünschen lassen. Roms Republik war ganz
15was anderes, wie wir wohl einmal mündlich discuriren könnten,
und Frankreichs Juli hat mir nur bewiesen, daß da Alles
ohne Halt ist, daß England (wie ich lange vorher prophezeite)
Frankreich durch scheinbares Anschmiegen betrogen hat: in
Belgien ist der König Coburg, halb englisirt, in
20Antwerpen liegen 50 engl. Kauffahrer gegen 1 franz.,
und Wellington ist wieder Minister. — — — Da fällt
mir die badische Ständeversammlung ein. Herr von Rotteck
gibt ihre Annalen heraus mit Portraits der Mitglieder. Ich
habe in mancher Menagerie bessere Visagen (die des Welcker
25geht so so) gesehen, besonders sieht man den Messieurs par
peuple an, wie wohlgefällig, vorsichtig und
ernst sie dem Maler gesessen. Nach Herrn von Rottecks
Geschichte, in welcher er sich auf Gibbon als seinen Führer
zu beziehen wagt, auf ihn, den er nicht einmal werth ist,
30zu erwähnen, war zu vermuthen, daß auf die ekelhafteste
Art das Widerlichste qua Portrait vorangestellt wurde, und
richtig er steht voran, mit einer Nase, die nach Weisheitskörnern
zu picken scheint, und einer Stirn, gespannt wie
Trommelfell (leider hatte M. v. Weber gleiche Stirn, er trommelte
35aber doch Max, Aennchen und Agathe heraus.)

  — Wie? Ist die Madonna, die sixtinische, in Dresden, ist
die durch die Auffrischung schlechter geworden, etwas Characteristisches
in dem Gemälde zerstört? O, ich fürchtete es
lange, die hätten sie eher groß untergehen lassen sollen, statt
40daran zu arzneien. Sie, Immermann, deuten's nur halb
an — Ist es? Niemand hat noch dieß Weib mit dem Kinde

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und den beiden Engeln echt abconterfeien können, ich glaube
sie hatte Bewußtseyn, sie lebte, aus dem Rahmen hätte sie
springen sollen als Schmierer darüber kamen — Und wär' es?
Den Sixtus und die Barbara, die sicher nicht von Raphaels
5Hand sind, sondern höchstens nach seinen leichten Umrissen
von irgend einem seiner Schüler, vielleicht auch die Besteller
des Gemäldes nach alter Sitte darstellend, hätte der Verbesserer
wegschaffen mögen, aber Maria, den Sohn, die 2 Engel auffrischen?
— Daß Sixt. u. Barb. nicht raphaelisch sind, beweis'
10ich: 1) Raph. hätte in beiden den Glanz der Himmel cha-
racteristischer wiederspiegeln lassen, 2) Barbara thut
gar dabei wie eine leipziger Magd, die aus dem Fenster sieht.

  Ihr Urtheil über Correggio hat mir sehr gefallen. Die
Nacht selbst hat wohl nur ihre Berühmtheit ihrem Namen
15zu verdanken. Es ist ein qualmiges Ding mit gezierten Figuren.
Da ist schon die Glasmalerei im Cöllner Dom kühner und
größer.

  — Schicken Sie mir doch gefälligst den Brief meiner
Madonna gelegentlich retour. —

20  Da ich Ihre Werke jetzt so vor mir habe, sie in einem
Gusse lese, wundert's mich, daß unter so vielen Urtheilen
noch kein tüchtiges Urtheil darüber erschienen ist. Die
Zeit sitzt wie die gefangenen Juden am Bächlein zu Babylon,
und ahnt nicht die großen Dichtungen u. Ströme, worin die
25kleinen zerfließen. Ich will neben der Theaterkritik den Hofer,
den Peter und die Gedichte noch einmal durchgehn und gründlich
zu critisiren versuchen, — den Rest ein andermal, — es
soll mir die Lieblingsbeschäftigung bei meinem Hannibal seyn,
und Sie willigen wohl ein, daß ich die Kritik publicire.

30  Wär' ich mit dem Punier fertig, so hätt' ich

1)Aschenbrödel zu reformiren,

2)„Der Dichter“, Drama, zu vollenden, mit dem Beisatz:
historisch,
3)einen Eulenspiegel, worin dieser echt norddeutsche Character
35einmal dasteht, wie aus Felsen lustig gesprungen
und gehauen, zu produciren. Eulenspiegel und Aschenbrödel
auch für die Bühne, und den Eulenspiegel wo
möglich gemeinschaftlich mit Ihnen.

  Pto Hannibals flehe ich, mir zu helfen: ich muß und
40muß den Plutarch in einer Uebersetzung, das Griechische
könnt' ich nur zu flüchtig durchgeh'n, den Livius, und die

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beiden Scipionen (die haben Sie im Kannegieter) bald auf
einige Tage haben. Desgleichen Guthrie und Grays Weltgeschichte
und Dörings Anleitung vom Uebersetzen des Deutschen
in's Lat. — Ich bin zu begierig, das Werk mit den großen
5Heerstraßen, an deren Enden sich Carthago in Scipios Helm
und Harnisch brennend abspiegelt, und Hannibal in der Nacht
des Todes erlischt, zu vollenden. Ich bitte! bitte! und ich
quäle Sie sobald nicht wieder. Mich verzehrt die Sache sonst.
Ein Zettelchen von Ihnen an die betreffende Behörde hilft
10mir besser als meine Persönlichkeit.

  Düsseldorf den 22 Dec. 1834.

                                
Grabbe.

  — Schrieb Obiges vor dem Theater, komme eben heraus.
15Recht, daß im Menuet der Ochs nicht kam, in meiner Nähe
waren genug, die sich nur selbst hätte besehen sollen, als sie
ihn vermißten.

  Eod.Id.

Und doch noch Eins: Zelter und Goethe.

20                  N. S.

Der Brief blieb gestern liegen, weil die Madame fürchtete,
Abends das Mädchen so weit auszuschicken.

  Den 23 Dec. 1834.

[Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Oberlandesgerichtsrath
25K. Immermann.

Mit 2 Manuscrpp.

        und 1 Buch.