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Nr. 694, siehe GAA, Bd. VI, S. 329nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Eduard Duller (Frankfurt a. M.)
Brief

            Hochgeehrtester Freund!

  Anbei liegt eine Kritik über Bettina. Sie war schon zur
Zeit des Erscheinens der Briefwechselei fertig, blieb aber, da
ich durch genug andere Sachen zerstreut wurde, unbenutzt.
10Herr Hartenfels, welcher zufällig das Conzept bei mir
sah, freute sich darüber und meinte, auch jetzt noch könne
das Ding Wirkung machen, besonders da Goethe auch noch
nach seinem Tode überall, und Bettina bei ihrem Leben wenigstens
in Frankfurt lebe. Urtheilen Sie und nehmen Sie's
15im Phönix auf, doch ohne meinen oder einen andern Namen.
So wie die Sache jetzt ausgearbeitet ist, hat der
Hartenfels mehr Theil daran, als ich. Weder er, noch ich,
wünschen, mit Goethe's Jüngern eher anzubinden, als bis ihre
Visire von ihren Dummheiten gehörig eingerostet und mürbe
20gemacht sind. Ein kleines Honorar wäre dem Hrn. Hartenfels,
er thue, wie er wolle, auch lieb. Sprechen Sie mit Herrn Sauerländer
darüber, welchem ich gern einige Gefälligkeiten mit
Correspondenzen, ja mit Novellen wieder erzeige ect.

  Nun mein liebes Ich. Es fragt zuerst, wie geht's Ihnen?
25Dann sagt's: Meine Hermannsschlacht ist fertig und
der Eulenspiegel folgt als komisches Nachspiel.

  Düsseldorf, 21. April 1836.

 


694.

H: Nicht bekannt.
D: Duller S. 74—75. 66.

S. 329, Z. 12: Goethe] Göthe D
S. 329, Z. 14: lebe] Die früheren Herausgeber haben hier die Konjektur
lebte (vgl. WGr IV 493, 11; WW VI 170,19). Diese kann jedoch
nicht für unbedingt notwendig gehalten werden; denn der von
Goethe sprechende Satzteil zum mindesten verlangt das lebe.

[Bd. b6, S. 786]

 


S. 329, Z. 18: Goethe's] Göthe's D
S. 329, Z. 20: Hrn.] H. D
  Die beiden, von Duller an verschiedenen Stellen seiner Biographie
Grabbes mitgeteilten Abschnitte des Briefes sind von den früheren
Herausgebern als die beiden Teile eines Briefes aufgefaßt und demgemäß
unter eine Nummer (WGr Nr. 256; WW Nr. 288) gestellt
worden. Wenn hier dasselbe Verfahren geübt wird, so geschieht es
doch in der Überzeugung, daß die ihm zugrunde liegende Annahme
nicht unbedingt richtig zu sein braucht, es sich vielmehr auch um
Teile zweier verschiedener Briefe handeln kann.
  Der Empfänger: Eduard Duller war am 8. Nov. 1809 zu Wien
geboren, hatte sich an der Universität seiner Vaterstadt dem Studium
der Philosophie und der Rechte gewidmet und mit siebzehn Jahren
ein Drama „Meister Pilgram“ geschrieben, dessen Erfolg ihn bestimmte,
den Beruf des Schriftstellers zu wählen. Die Zensurverhältnisse
seiner Heimat zwangen ihn, diese im Jahre 1830 für immer zu
verlassen. Über München, wo er Mitarbeiter an Spindlers „Damenzeitung“
und „Zeitspiegel“ war, und Trier, wo er sich mit seinem
Lieblingsfache, der Geschichte, beschäftigte, kam er im Herbst 1834
nach Frankfurt am Main. Dort begründete er den „Phönix“, eine
„Frühlingszeitung für Deutschland“, deren erster Jahrgang mit dem
von Gutzkow redigierten „Literaturblatte“ das Journal zu einem der
markantesten des „Jungen Deutschlands“ machte. Grabbe hat sich
während der in Frankfurt verbrachten Wochen enger an D. angeschlossen.
1836 ist D. nach Darmstadt, im Sommer 1849 nach Mainz
übergesiedelt, am 24. Juli 1853 zu Wiesbaden einem Brustleiden erlegen.
Die Arbeit seiner letzten Lebensjahre haben der Förderung der
Deutsch-katholischen Bewegung gegolten. Vgl. über ihn Wurzbach,
„Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich“, Th. 3 (1858),
S. 390—93; ADB 5 (1877), S. 457—58 (Walther); Goed.2 Bd 12
(1929), S. 221—25; Ferdinand Kampe, „Geschichte der religisösen Bewegung
der neuern Zeit“, Bd 2 (Leipzig, Wigand 1853), S. 68, Anm.
2. Dort findet sich eine, bei Goed. nicht verzeichnete biographische
Skizze, die auf Dullers eigener Mitteilung beruht. Monographisch ist
D. von Richard Newald behandelt worden. („Eduard Duller. Ein
deutsches Journalistenleben aus dem Vormärz.“ (Ohlau i. Schlesien,
Eschenhagen 1935 = Freiburger Forschungen zur Kunst- u. Literaturgeschichte.
[Bd] 2.)
Aus der Darmstädter Zeit stammt folgende Charakteristik Johann
Baptist Rousseaus: „Ein Dreißiger mit den Zügen eines Fünfzigers.
Ein verschossener Schnurbart hängt ihm wie eine feuchte Schabracke
über die Lippen. Die Gereiztheit, Unnatürlichkeit und Ueberspanntheit
seiner Schriften kündigen sich dem Menschenkenner auch schon
in seiner äußeren Erscheinung an. Ist häuslicher als verträglich.“
(„Lebende Bilder. Nach eigener Anschauung gezeichnet.“ [Nr] 6. In:
„Omnibus zwischen Rhein und Niemen. Blätter zur Unterhaltung für
alle Stände.“ Jg. 5, Nr 20, 4. Februar 1840, S. 78.)
S. 329, Z. 7: eine Kritik über Bettina: Siehe Bd 4, Verweis zum Kommentar S. 244—48.
S. 329, Z. 10: Herr Hartenfels: Siehe Bd 4, Verweis zum Kommentar S. 638—39.
S. 329, Z. 21 f.: Herrn Sauerländer: Johann David S. (1789 bis

[Bd. b6, S. 787]

 


1866), Buchdrucker und -händler in Frankfurt am Main, Verleger
des „Phönix“.
  Duller bemerkt zu diesem Briefe: „Leider war die fragliche Recension,
aus welcher Grabbe's Aerger über alles, was Götzendienst hieß,
in jeder Zeile hervorblitzte, aus Schicklichkeitsgründen nicht zu veröffentlichen,
der treffliche Kanzleirath Fiedler, welcher damals
das fatale Amt eines Censors mit eben so viel Takt, als Humanität
verwaltete, würde sich genöthigt gefunden haben, an dem Aufsatz
gerade das Charakteristische zu unterdrücken.“ (Duller S. 75.)
  Bei dem von Duller erwähnten F. handelt es sich um den am 24.
September 1836 in einem Alter von 41 Jahren zu Frankfurt a. M.
gestorbenen Dr. F., der, sechzehn Jahre zuvor zur Polizei gekommen,
am 10. November 1829 Kanzleirat und erst kurz vor seinem Tode
Zolldirektor geworden war und dem neben seinen ausgedehnten
Amtsgeschäften noch die Zensur der in Frankfurt a. M. erscheinenden
Blätter obgelegen hatte. Ein kurzer rühmender Nekrolog und
eine Beschreibung seiner Beisetzung findet sich in Jg. 14 des „Neuen
Nekrologs der Deutschen“ für 1836, Th. 2 (Weimar 1838), S. 1257
bis 1258, unter Nr 1246.
  Vgl. ferner: „Grabbes Werke in der zeitgenössischen Kritik“ Bd 4
(Detmold 1963), S. 109—111.