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Nr. 702, siehe GAA, Bd. VI, S. 336nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Heinrich Brockhaus (Leipzig)
Brief

                    Hochgeehrtester Herr!

  Sie haben mich im Conversations-Lexikon nicht vergessen,
deswegen vergeß' ich Sie auch nicht. Beiliegende Novelle ist
mit Hülfe des Hr. Hartenfels von mir geschrieben. Sie ist
30lokal, doch für jeden Leser originell und bietet dem flachen
Geschwätz Trotz, welches sich seit längerer Zeit unter Tiecks
Aeglide, wie ich sub rosa sage, in die Romanenwelt schleicht.
Nehmen Sie dieses Kind der Laune in irgend eine Ihrer Zeitschriften,
oder in eines von Ihren Taschenbüchern auf, oder
35drucken Sie dieselbe apart. Wagen Sie ein Honorar dran,
(wieviel überlaß' ich Ihrem Gutachten) und melden mir gütigst
Ihren deshalbigen Entschluß. Ich könnte Ihnen nächstens Besseres
liefern (wenn Sie es wollen) auf billige Bedingung. Auch

[GAA, Bd. VI, S. 337]

 


mein fast vollendetes Drama: „Die Hermannsschlacht“, das
beste und kühnste, was ich in der Art geschrieben darunter.

  Von nun an schreib' ich selbst, was Sie mir verzeihen, indem
ich wegen Kränklichkeit schlechte Buchstaben mache, indeß
5Ihnen doch meine Hochachtung bezeugen wollte. Ihr Vater
rettete mich einmal mit einer Kleinigkeit aus Verlegenheit.
Freilich auf Tiecks Anweisung. Indeß er that's.

  Nehmen Sie die Novelle, so bitte ich dann auch für einen
tüchtigen Corrector zu sorgen. Sie ist abscheulich 1 calligraphirt,
10vielleicht doch wohl so gut, daß Blumenhagen ect. ect.
Neues daraus lernen.

  Wollen Sie die Novelle nicht nehmen, so bitt' ich, sie einstweilen
zu behalten, und, ohne das Manuscript zurückschicken,
eine Antwort an „Hrn. Hartenfels“ in Düsseldorf zu schicken.
             Ihr
               gehorsamster, lei-
             der jetzt auch bett-
             lägeriger, und zu
             kranker
                 Grabbe,
Düsseldorf den        welcher gern besser
11 Mai 1836.          und schöner seine Briefe schriebe und mehr
                                   


   1 [Am Rande links, von Hartenfels' Hand:] dieses ist wohl
nicht so sehr der Fall, da sie neu abgeschrieben.
                                

 


702.

H: Doppelbl. in 40; 4 S.
E: F. A. Brockhaus Verlag, Wiesbaden.
  Der Anfang bis zu dem Worte „darunter.“, mit Ausnahme einer
Korrektur, von Hartenfels' Hand, das Folgende, mit Ausnahme der
Randbemerkung auf der vorletzten Seite, von derjenigen Grabbes.
  Als Empfänger des Briefes ist Heinrich Brockhaus (1804 bis 1874)
anzunehmen, da dessen Bruder Friedrich die Druckerei des Verlagshauses
leitete. Vgl. Friedrich Laun, „Memoiren“, Th. 2, Bunzlau
1837, S. 191; Heinrich Eduard Brockhaus, „Die Firma F. A. Brockhaus
von der Begründung bis zum hundertjährigen Jubiläum. —
1805—1905 —“ Leipzig, Brockhaus 1905, S. 53.

S. 336, Z. 27: Sie haben mich im Conversations-Lexikon nicht
vergessen: Im zweiten Bande des „Conversations-Lexikons der neuesten

[Bd. b6, S. 793]

 


Zeit und Literatur“ (Leipzig, Brockhaus 1833) findet sich auf
den S. 206—07 ein Artikel über den Dichter, der einen Umfang von
vierzig Zeilen hat.
S. 336, Z. 28: Beiliegende Novelle: Wohl „Grupello“; siehe Bd 4,
Verweis zum Kommentar S. 251—338.
S. 336, Z. 29: Hartenfels: Siehe Bd 4, Verweis zum Kommentar S. 638—39.
S. 336, Z. 32: sub rosa: lat. 'unter der Rose', die bei den Gastmählern
der Römern, von der Decke herabhängend, als Mahnung
galt, das Gesprochene vertraulich zu behandeln; daher: im Vertrauen.
(Nach einer anderen Erklärung war eine Rose, als Symbol der Verschwiegenheit,
an der Decke von Konventssälen in Klöstern und am
Beichtstuhle angebracht.)
S. 336, Z. 33: dieses Kind der Laune: Ein sechsbändiges Sammelwerk
August von Kotzebues, das 1793—97 in Leipzig erschien, hatte
den Titel „Die jüngsten Kinder meiner Laune“; seitdem wird ein
Gedicht oder überhaupt ein dichterisches oder schriftstellerisches Produkt
gern als ein „Kind der Laune“ bezeichnet.
S. 337, Z. 5—7: Ihr Vater rettete mich einmal [usw.]: Der Vater
war Friedrich Arnold Brockhaus (1772 bis 1823); die fragliche Angelegenheit
ist weder in den Auszügen aus den Tagebüchern von Heinrich
Brockhaus (Th. 1—5, Leipzig, Brockhaus 1884—87) berührt,
noch im Briefwechsel zwischen Tieck und dem Verlage, der dort
1928 erschienen ist. („Aus Tiecks Novellenzeit.“ Hrsg. von Heinrich
Lüdeke von Möllendorff. = „Aus dem Archiv F. A. Brockhaus.
Zeugnisse zur Geschichte geistigen Schaffens.“ Hrsg. von Hermann
Michel. Bd 3.)
S. 337, Z. 10: Blumenhagen: Siehe die Anm. zu Bd 1, S. 258,
Z. 26 (Verweis zum Kommentar S. 613.)
  Was der Verlag auf den Brief Grabbes geantwortet hat, kann
nicht mehr festgestellt werden, da im Jahre 1943 alle Unterlagen
vernichtet worden sind.