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Nr. 476, siehe GAA, Bd. VI, S. 93nothumbnail
Louise Christiane Grabbe (Detmold) an Christian Dietrich Grabbe (Frankfurt a. M.)
Brief

20Detmold, am 13. Nov. 1834.
        Lieber Grabbe!

  Dein Schreiben vom 2ten d. M. habe ich erhalten. Die
Rührung mit welcher ich dasselbe empfangen, läßt sich durch
Worte nicht bezeichnen. Es lag schon lange vor [mir,] ehe
25ich mich vor Wehmuth zum Oeffnen entschließen konnte. Ich
h[atte] nämlich erfahren, in der Meierschen Handlung sei
endlich die, von mir sehnsüchtig erwartete, Nachricht von Dir
eingetroffen. Ich schickte meine Bitte um Mittheilung dahin,
u. erhielt die Antwort „es sei zwar Nachricht von Dir eingelaufen,
30aber nicht für mich, sondern für Deine Mutter,
indem Du durch Hrn. Professor Herling auf's strengste
verboten, mir solche mitzutheilen.“ Da ich nun später
auch erfahren, daß Du hiernächst an Deine Mutter, so wie an
die Jungfer Wallbaum selbst geschrieben, so glaubte ich, Du
35wolltest von mir nichts mehr wissen. — Ich freue mich von
Herzen, daß Du gesund bist, u. Hoffnung hast, etwas zu
erwerben. Ich bin beständig krank gewesen. Meine Bekanntinnen,

[GAA, Bd. VI, S. 94]

 


die ich seit den Jahren meiner Ehe fast gar nicht
einmal gesehen, haben mich sämmtlich besucht
u. mich auf das dringendste zu wiederholtem freundschaftlichen
Verkehr aufgefordert; in meiner dürftigen Lage aber
5muß ich leider, darauf verzichten, da der Umgang mit Kosten
verknüpft ist, die zu bestreiten, ich nicht vermag. —

  Einen Trauerfall habe ich Dir, lieber Grabbe, zu melden, der
mich sehr ergriffen u. Dich nicht minder betrüben wird. Unser
guter Blume starb nämlich plötzlich, getroffen vom Schlage,
10nachdem er noch eine Viertelstunde zuvor mit aller Manneskraft
einen Zahn ausgehoben hatte, am 22sten Oct., u. ist am
26sten darauf vom Militairgericht beerdigt worden. Da der
gute Mann mir so unendlich viele Theilnahme bezeugt, so
ist sein Tod ein schmerzlicher Verlust für mich. Er hat mich
15bis zu seinem Ende stets besucht, u. mich zu trösten sich bemüht
u. mir bei meinen Uebeln guten Rath gegeben. Seine fast
maschinenmäßig, stets wiederholten, komischen Ausdrüke u.
Redensarten, habe ich in Verse zusammen gereimt; ich lege
Dir hier eine Abschrift davon bei u. schmeichle mir, daß
20Dir solche durch die lebendige Erinnerung an den Verewigten
Vergnügen machen werde. Von den Beifall, den diese Verse
hier bei Blumens Gönnern gefunden, k[anns]t Du Dir gar
keinen Begriff machen. Ich wollte sie durch[aus] nicht aus
den Händen geben; aber ich habe sie nicht darinn erhalten
25können. In- u. außerhalb Detmolds haben sich Abschriften
davon verbreitet. Man glaubt, ich habe den Seligen dadurch
ganz vergegenwärtigt.

  Nun befinde ich mich in großer Verlegenheit. Du ließest
mir nämlich vor Deiner Abreise durch Sophie sagen: „Deine
30Obligationen u. Quittungen befänden sich in Deinem
Schranke, ich möchte diese ja wohl verwahren.“ Nun habe
ich zwar Quittungen darinn gefunden, aber keine Obligationen.
Ich zog bei Hrn. Ziegler Erkundigung ein „ob
er Obligationen von Dir in Verwahrung habe?“ erhielt aber
35ein „Nein“ zur Antwort. Da ich nun auch in Deinem Zimmer
alle die Sachen, die sich um Dich befanden, vermißte und von
Müller u. Schulz erfahren, daß Du allein die Uhr von mir
mit dem Uhrschlüssel, der das Bild meiner theuren Großmutter
verbirgt, mitgenommen, lies ich auch Deine Mutter fragen,
40ob sie Papiere oder Sachen, namentlich 2. silberne Uhren,
einen silbernen Zuckerbecher mit Löffel (den Du mir noch

[GAA, Bd. VI, S. 95]

 


vor unserer Ehe geschenkt) eine Dose von Achat (die ich immer
so gern in meine Sammlung haben wollte) einen Regenschirm,
eine Kohlenpfanne, mehrere Wäsche pp pp. in Verwahrung
genommen, erhielt aber gleichfalls eine verneinende Antwort
5mit dem Zusatz: sie freue sich unendlich wenn Du Dein Geld
u. deine Sachen mitgenommen habest, u. wenn ich ihr nicht
spätestens bis morgen 24 Thlr. schicke, wolle sie mich verklagen.
(Jetzt schickt sie täglich Juden u. Christen ins Haus,
wenn ich ihr nicht das Geld, was Du auf Universitäten verbraucht,
10sogleich wieder gäbe, wolle sie mich verklagen.)

  Nun bitte ich Dich, lieber Grabbe, mir Auskunft zu geben,
ob Deine Obligationen mit den genannten Sachen entwendet,
oder wo sich solche befinden? Der Rath Führer lies mir
schon vor 3. Wochen sagen, Du habest einen großen Theil
15der Leihbank-Obligationen aufgenommen, indeß ständen noch
einige, wenn diese abhanden gekommen, so müßte ich sofort
gerichtlichen Arrest darauf legen lassen[.]
Nun habe ich aber bis jetzt Anstand damit genommen,
we[il ic]h erst Dich deshalb befragen wollte, was ich bei meiner
20Augenkrankheit nicht früher vermochte. Ich bitte Dich
also nochmals dringend um baldige Nachricht.
Die Leute aengstigen mich u. behaupten: Du habest
das Geld aufgenommen u. mit nach Frankfurt genommen, das
glaube ich aber keineswegs, denn Du wolltest ja daselbst
25erwerben, und hattest 54 Thlr. Reisegeld. Und ich hätte
ja nach dem §. 9 des Gesetzes erst einwilligen müssen.

  Der Rath Geibel hat sich mit einer Bremerinn, die über
40 Jahre zählt, verheirathet. Einer von den Herrn v. Donops,
namens Carl, ist verstorben. Des Fürsten Geburtstag ist denn
30diesmal mit dem früher verbetenen Fackelzug nebst Gesang-Musik,
wieder gefeiert worden.

  Wie stehst Du denn, lieber Grabbe, mit Herrn Kettembeil?
Wenn unsere Ehe ihm kein Geheimniß mehr seyn sollte, die
Du wunderlicher Patron, ihm verheimlichen zu müssen glaubtest,
35so bitte ich Dich, ihn freundlichst von mir zu grüßen.
Sage ihm aus Saulus wäre plötzlich ein Paulus geworden,
ebenso könne auch sehr bald ein Weiberfeind, sich in einen
Weiberfreund verwandeln. Erinnere ihn doch ja an meines
theuren Ferdinands Gedichte, die er ja in das Morgenblatt

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befördern wollte. Bitte ihn doch in meinen Namen ja recht
herzlich darum.

  Verwirf, nach gewohnter weise, doch ja meine Verse auf
unsern Blume nicht, u. schreibe mir wie sie Dir gefallen?
5Uder hat sich sehr gefreut, daß ich mir Blumes Ausdrücke so
sehr gut gemerkt habe und hat mir gestern einen ganzen
Bogen seiner gewöhnlichen Redensarten, die er „Blumigte
Ausquetschungen“ nennt, mitgetheilt, die mich höchst amüsirt
haben. zum Beispiel „ein schener Soff, an ochsiger Fraß bei
10Jott[„kleine Lücke] „Heben sie Kärte? u. einige Tantus!
wenn ich bitten darf, jeden 4 Stick, wenn sie so jut seyn
wollen!“ „Wer jebt's Zeigs?“ „Bei Jott! passen sie doch auf!
es jeht ja nich um Nasenpappels!“ „Es is an Deifelsweib, des
kann ich sie versichern, die verstehts Kohlriben u. Palsternacken!
15“ „ich Ochsenknecht!“ pp. pp.

  Ich bitte Dich, lieber Grabbe! mir zu schreiben, wo Du
wohnest, ißest, was Du trinkst, überhaupt wie Du dort lebst,
wie es um Deine Gesundheit steht und ob Du Dich auch in
die Heimath sehnest?

20  Die Reichmeier läßt Dich grüßen.

Ich sage Dir, lieber Grabbe! jetzt ein herzliches Lebewohl! u.
bitte Dich nochmals um baldige Nachricht!

  Von mir will ich Dir keine Jeremiade singen, ich bezeichne
mein Leben, wenn ich mich nenne

25                    Deine
                      unglückliche Lucie.

 


476.

H: 2 Bl. in 80; 4 S.
  Der Brief ist sehr zerknittert, die letzte Seite fleckig. Durch beide
Blätter ist ein Loch gebrannt, wodurch an den in eckige Klammern
gesetzten Stellen Textverlust entstanden ist.
F: NFG [GSA] (Nachlaß Immermann. Kasten XV. Nr. 67. „Grabbes
Briefe“ Bl. 179, 180.)


  Die Briefe der Louise Christiane an Grabbe haben sich früher
in einem Umschlag befunden, der sich gleichfalls in GrA befindet
und folgende Aufschrift von der Hand der Frau Auditeurin trägt:


Correspondenz


mit meinem Manne nach Düsseldorf.


  N. B. Nach dem Ableben meines Mannes sind mir meine an ihn
geschriebenen Briefe wieder zugekommen bis auf den ersten von
13. Nov. 1834 welchen ich ihm nach Frankfurt gesendet hatte.
Und das war gerade der beste von allen.

[Bd. b6, S. 441]

 



S. 93, Z. 22: Dein Schreiben vom 2ten d. M.: Brief Nr Verweis zum Kommentar 473.
S. 93, Z. 30 f.: sondern für Deine Mutter: Brief Nr Verweis zum Kommentar 475.
S. 94, Z. 9: Blume: Siehe die Anm. zu Bd 5, S. 330, Z. 18.
(Verweis zum Kommentar S. 636.)
S. 94, Z. 19: eine Abschrift: Vgl. dazu Verweis zum Kommentar S. 112, Z. 9 f. Das Gedicht
ist nicht bekannt.
S. 94, Z. 29: Sophie: Möller (1813—1888), die spätere Gattin
Karl Zieglers, des Biographen Grabbes.
S. 95, Z. 13: Rath Führer: Gottlieb Ferdinand F. war am
28. Aug. 1790 zu Detmold als das sechste Kind des Kammerrats
Georg Ferdinand F. geboren, der, 1778 zum Kammerassessor,
1783 zum Kammerrat ernannt, am 28. Aug. 1836 im Alter von
84 Jahren gestorben ist. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt
und wurde am 13. Mai 1810 an der Universität zu Göttingen
immatrikuliert (siehe Göttinger Matrikel S. 498, unter Nr
22640), um Jura und Kameralia zu studieren. Nach bestandenem
Examen trat er in den Staatsdienst, verwaltete mehrere
Jahre das Syndikat der Stadt Barntrup und fungierte zugleich als
Auditor beim Amte Sternberg. Im Jahre 1819 wurde er als Amtsschreiber
an das Amt Brake befördert; nebenher übte er die Praxis
eines Anwalts aus.
  Unterm 18. Dez. 1827 wurde er zum Rat und Kammerassessor,
unterm 3. Nov. 1829 zum Kurator der weltlichen Witwen- und
Waisenkasse ernannt und unterm 24. desselben Monats als Zuchthaus
-Commissarius angestellt. Damit wurde er, als Nachfolger Clostermeiers,
der Vorgesetzte des Zuchtmeisters Grabbe. Unterm 12.
Juni 1832 ist er zum Kammerrat, im Juli 1845, aus Anlaß des
Regierungs-Jubiläums, zum Geh .Kammerrat befördert worden.
Am 1. April 1869 ist er zu Detmold gestorben. Die Lemgoer „Sonntagspost“
widmete ihm in ihrer No 15 vom 11. April 1869, S. 59,
einen Nachruf.
S. 95, Z. 26: nach dem §. 9 des Gesetzes: Dieser Paragraph der
Lippischen Gütergemeinschaftsverordnung lautet, nachdem der vorhergehende
festgestellt hat: „Kein Ehegatte kann ohne Beystimmung
des andern über das Gemeingut nach Willkühr disponiren“, folgendermaßen:

  Dem Mann stehet jedoch die Administration des Gemeinguts zu.
  Das beyden Eheleuten an dem Gemeingut zustehende gleiche
Recht ist aber dadurch einigermaßen eingeschränkt, daß dem Mann,
als dem Haupt der Familie, und vermöge der ihm zukommenden
ehelichen Vormundschaft, vornemlich die Administration des
gemeinschaftlichen Vermögens gebühret; die er jedoch dergestalt,
daß dadurch das gemeine Beste der Ehe erhalten und befördert
wird, zu führen verbunden ist. Von dieser Verwaltung ist selbst
der minderjährige Mann, weil dieser durch die Ehe die Rechte der
Großjährigkeit erlangt, nicht ausgeschlossen; es wäre dann, daß ihm
wegen seiner Verschwendung Schranken gesetzt werden müßten.
  Vermöge solcher Administration kann also der Mann für sich
allein Contracte, die seine Frau und das Gemeingut verbinden,
schließen, allein wegen des gemeinschaftlichen Vermögens vor Gericht
Klage erheben, und auch allein deswegen gerichtlich belangt
werden, ja sogar allein auf das Gemeingut Schulden contrahiren,

[Bd. b6, S. 442]

 


und selbst ohne Einwilligung seiner Frau bewegliches und unbewegliches
Vermögen veräußern, wenn es das Bedürfniß oder der
Nutzen der Familie erfordert. Es wird auch in allen diesen Fällen
die stillschweigende Einwilligung der Frau so lange vermuthet, bis
sie aus gegründeten Ursachen den Handlungen und Verträgen ihres
Mannes gerichtlich widerspricht und bey der Obrigkeit Inhibition
auswürkt. Hiermit stimmt auch die bisherige Observanz in hiesiger
Grafschaft, so wie die der benachbarten Länder, worin eheliche
Gütergemeinschaft gilt, mehrentheils überein: wobey es daher noch
zur Zeit in der Erwartung verbleibet, daß kein Ehemann dieses
Vorrecht zum Unglück seiner Familie mißbrauchen werde.
  (Landes-Verordnungen der Grafschaft Lippe, Bd. 3, Lemgo 1789,
S. 169—70.)
S. 95, Z. 27: Der Rath Geibel hat sich mit einer Bremerin
[usw.]: Der Fürstlich Lippische Rat Friedrich G. (1799—1849), Erzieher
der Söhne des Fürsten Leopold II., war der älteste Sohn
Johannes Geibels, Doktors und Pastors der evangelisch-reformierten
Gemeinde zu Lübeck, den die Fürstin Pauline einmal bei der Suche
nach einem geeigneten Nachfolger des Generalsuperintendenten von
Cölln in die engere Wahl gezogen hatte. Er war am 4. Nov. 1834
durch Pastor Krummacher mit der 37 Jahre alten Susanna Böving,
Tochter des Bremer Bürgers und Güterbestückers Johann Peter B.
und der Anna, geb. Harmes, kirchlich getraut worden. (Ehemaliges
Civilstandsamt Bremen Nr 370/1834.) Nach den Hofmarschallamts-Akten
im StAD, Tit. 14 Nr 29 war er „durch zwanzig Jahre in
seiner Stellung gewesen“. Die Witwe ist am 17. Nov. 1851 in
Varenholz gestorben.
S. 95, Z. 28 f.: Einer von den Herrn v. Donops, namens Carl:
Welches Mitglied der sehr ausgedehnten Familie gemeint ist, war
nicht festzustellen.
S. 95, Z. 38 — S. 96, Z. 1: meines theuren Ferdinands Gedichte,
die er ja in das Morgenblatt befördern wollte: Freiligrath
hatte Grabbe durch Louise bitten lassen, einige seiner Gedichte im
„Morgenblatte“ unterzubringen. Grabbe hatte zugesagt, die acht
Gedichte bei seiner Erholungsreise im August 1831 nach Frankfurt
a. M. mitzunehmen und seinem Verleger Kettembeil zur weiteren
Beförderung an Wolfgang Menzel zu übergeben. Dies ist geschehen;
die Gedichte sind wirklich in Menzels Hände gelangt, im „Morgenblatte“
aber nicht abgedruckt worden und zum Teil verloren gegangen.
(Vgl. „Ferdinand Freiligraths Briefwechsel mit der Familie
Clostermeier in Detmold“, hrsg. von Alfred Bergmann, Detmold
1953, S. 44, 49, 52—53.)
S. 96, Z. 5: Uder: Siehe die Anm. zu Bd 5, S. 357, Z. 22
(Verweis zum Kommentar S. 656.)
S. 96, Z. 9: ochsiger: Ochsig ist, nach Kindlebens „Studenten-Lexicon“
soviel, als grob oder stark; „Der Mensch hat ochsiges
Geld“, heiße: „er hat viel Geld“. (A.a.O. S. 137.) Nach Grimms
„Deutschem Wörterbuche“ (Bd 7, Leipzig 1889, Sp. 1139) dient es
oft nur zur Verstärkung des Begriffes.
S. 96, Z. 10: Tantus: Der Tantes ist ein Spiel- oder Rechenpfennig;
Tantus, plur. Tantusse, die schlesische Form. Vgl. Grimms
„Deutsches Wörterbuch“ Bd 11, Abt. 1, T. 1 (Leipzig 1935), Sp. 117.

[Bd. b6, S. 443]

 


S. 96, Z. 14 f.: Palsternacken: Palsternack, soviel als Pastinak,
eine Doldenpflanze, die früher in der Küche als Suppenwürze u.
dgl. Verwendung gefunden hat.
S. 96, Z. 20: Die Reichmeier: Vermutlich die am 17. Dez. 1862
verstorbene Amalia Wilhelmine R., die in ihrem Testament vom
21. Februar 1837 die „milde Stiftung für 3 Töchter gebildeter
Familien bürgerlichen Standes hiesiger Stadt [Detmold], welche 40
Jahr alt, unverheirathet und unbemittelt sind“, begründet hat.