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Nr. 62, siehe GAA, Bd. V, S. 70thumbnail
Otto Carl August Ludwig Höpffner (Leipzig) an Christian Dietrich Grabbe (Dresden)
Brief

Handschrift Leipzig d. 4t Apr. 1823.
25                    Lieber Herr Grabbe!

  Ich habe wohl Ursache auf Dich zu zürnen; Du versprachst
zu schreiben, sobald Du nach Dresden gekommen sein würdest,
hast es aber bis jetzt noch nicht gethan; da ist die verdammte
Pommade daran schuld. Diese Pommade kann Dir aber diesmal
30wohl etwas schaden, denn ich bekomme immer Briefe von
Berlin, und weiß nicht wohin ich sie addressiren soll; jetzo sind
drei Briefe da: 2 wahrscheinl. von Dr. Köchy und einer von
Kettembeil. Ich wollte sie immer an Stadt Gotha addressiren,
wußte aber nicht gewiß, ob Du dort kneipen würdest, ließ
35sie daher wieder liegen und wartete auf Deinen Brief, allein
bis jetzo vergebens. So eben erhalte ich wieder einen Brief an
Dich von Detmold, beschwert mit 6 Pistolen. Diß entschließt

[GAA, Bd. V, S. 71]

 


mich nun, Dir wenigstens einen eignen Brief zu schreiben und
ihn auf gerade zu an Stadt Gotha zu addressiren. Schreib mir
bald, damit ich nur wenigstens Deine Addresse weiß. Deine
verfluchte Pommade Handschrift wünsche ich alle Minuten zum Teufel.
5— Im Uebrigen habe ich, da ich vorzüglich in ungeheuren
Geldnöthen bin, von Deiner Güte Gebrauch gemacht und mir
(jedoch ohne ein Wort des Briefs zu lesen,) 1 Pistole zurück
behalten. Du wirst nicht ungehalten darüber sein, vorzüglich
da Du mir es fast sogar befahlst. Ich würde ihn auch nicht
10genommen haben, wenn ich nicht ganz ungeheuer in Nöthen
wäre, werde Dir ihn aber gewiß wiedererstatten. Meinen herzlichsten
Dank.

  Odeleben ist Mittwoch 6 Tage nach Hamburg abgereist.

  Kettembeil scheint noch nicht da zu sein, denn ich habe ihn
15noch nicht gesehn.

                                
                                

  Bitte schreib mir bald und wenn Du willst, vernichte diesen
Brief wegen der 1 Pist. damit es niemand erfährt.

20                                

 


62.

H: 1 Bl. in 40; 2 S.
F: GrA
D: WBl IV 637—38.

S. 70, Z. 29: Pommade: bedeutete in der Sprache der Studenten
zunächst 'Kleinigkeit': 'Das ist mir Pomade', 'Das ist mir eine
Kleinigkeit', 'Das ist mir, wie nichts.' (Christian Wilhelm Kindleben,
„Studenten-Lexicon“, Neudruck der Original-Ausg. Halle 1781,

[Bd. b5, S. 454]

 


Leipzig, Weigel 1899, S. 149). Sodann: 'Gemächlichkeit'; dazu das
Adjektiv 'pomadig', 'bequem', 'pflegmatisch'. (Friedrich Kluge,
„Deutsche Studentensprache“, Straßburg, Trübner 1895, S. 115.)
Vgl. ferner Bd 2 dieser Ausgabe, Verweis zum Kommentar S. 279, Z. 39; Bd 5, Verweis zum Kommentar S. 181, Z. 35;
S. 183, Z. 7—9; „Burschicoses Wörterbuch oder: Erklärung aller im
Studentenleben vorkommenden Sitten, Ausdrüke, Wörter, Redensarten
und des Comments, nebst Angabe der auf allen Universitäten
bestehenden Corps, ihrer Farben und der Kneipen. Ein unentbehrliches
Hand- und Hilfsbuch für Lyceisten, Gymnasiasten, Penäler,
Polytechniker, Forstpolaken, Cantons- und Realschüler, Maulthiere,
Füchse und Studenten, die forsche Häuser werden wollen, diesen
zur Erlernung, und alten, ausgesoffenen Burschen und einphilistrirten
Häuptern zur Erinnerung an's sel. Burschenleben. Von J. Vollmann,
Dr. rei cneip., Senior der Gnüllia, Commandeur des königl. preuss.
Stangenordens I. Classe, Ritter des bayerschen Stiefelordens vom
hl. Bok, des Frankfurter Seidel-, des grossherz. hessischen Humpen-,
des sächsischen Lanzen- und des schweizerischen Mass-Ordens; curhessicher
Commerzienrath, Assessor am deutschen Reichsbiergerichte
zu Wetzlar, Ehrenmitglied des Heidelberger Saufcollegiums, Secretär
der Giesser Renommistica, Präses der Helvetia, ordentliches Mitglied
des Münchener Biervereins, und mehrerer ausländischen, versoffenen
und verkehrten Gesellschaften Mitglied und Ehrenmitglied“. (Ragaz.
Druk u. Verlag von Rudolf Unteregger. 1846), S. 372.
(Pomade (franz.), 1. Haaarsalbe; 2. Ruhe; 3. Bequemlichkeit;
4. Behaglichkeit; 5. das Phlegma.
Pomadig (franz.), 1. gesalbt; 2. ruhig; 3. bequem; 4. mit
Musse; 5. phlegmatisch.
Pomadisiren (franz.), 1. salben; 2. ruhen; 3. im Korbe
liegen; 4. dämmern; 5. Musse haben.);
Agathe Lasch, „'Berlinisch.' Ein berlinische Sprachgeschichte“. Berlin,
Hobbing [1928] = Berlinische Forschungen. Bd. 2, S. 162;
Alfred Bergmann, Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik.
Bd 18. H. 8. 31. März 1932. S. 514—15.
S. 70, Z. 32: Dr. Köchy: Karl Georg Heinrich Eduard K., in
Berlin eines der Mitglieder des literarischen Kreises, dem auch Grabbe
angehört hat, war am 26. Okt. 1800 (nach Jg. 45 des „Deutschen
Bühnen-Almanachs“, Berlin, den 1. Jan. 1881, in dem sich 1, 158—61
ein Nekrolog findet, 1799; vgl. Goed.2 Bd 9, S. 336, unter Nr 35)
in Braunschweig geboren. Er besuchte daselbst das Katharineum und
nachher das Collegium Carolinum, ließ sich im Okt. 1817 in Göttingen
immatrikulieren, um die Rechte zu studieren, und ging 1820
in derselben Absicht nach Berlin. Dort aber wandte er sich mehr
dem Studium der Kunst und Philosophie zu (bei der Philosophischen
Fakultät wurde er am 6. März 1822 immatrikuliert), schrieb Beiträge
für Zeitschriften und veröffentlichte 1821 seine erste selbständige
Arbeit „Ueber die deutsche Bühne“ (Berlin, bei Duncker & Humblot).
Seine Bewerbung um eine Professur am Collegium Carolinum
wurde vereitelt. So kehrte er 1823 in die Heimat zurück, wurde
am 24. Juni dieses Jahres in Marburg zum Doktor der Philosophie
promoviert, bestand im folgenden in Wolfenbüttel die Advokaten-Prüfung
und begann in Braunschweig zu praktizieren. 1828 gab er

[Bd. b5, S. 455]

 


die Advokatur wieder auf, war längere Zeit auf Reisen, wirkte
während des Jahres 1830 in Gemeinschaft mit seinem Freunde Haake
in Mainz für die dortige Bühne und wurde 1831 am herzoglichen
Theater seiner Vaterstadt als Sekretär und Theaterdichter angestellt.
Als Intendanturrat ist er 1856 in den Ruhestand getreten und hat
fortan als Privatmann gelebt; zuletzt in Leipzig, wo er am 11. Mai
1880 gestorben ist.
  Im dritten seiner „Briefe aus Berlin“, datiert vom 7. Juni 1822,
gedenkt Heine seines Bekannten mit den folgenden Worten: D06S0050Z40„Köchy
, der uns vor kurzem eine sehr gehaltreiche Schrift
über die Bühne geliefert hat, wird nächstens einen Band Gedichte
herausgeben, und aus den Proben, die mir davon zu Gesicht gekommen,
bin ich zu den größten Erwartungen berechtigt. Es lebt in
denselben ein reines Gefühl, eine ungewöhnliche Zartheit, eine tiefe
Innigkeit, die durch keine Bitterkeit getrübt wird, mit einem Worte,
echte Poese.“ („Sämtliche Werke“, hrsg. von Oskar Walzel, Bd 5,
Leipzig 1914, S. 277.)
  Köchys Wirksamkeit am Mainzer Theater wird von einem Ungenannten
in den Nrn 49 und 50 der „Unterhaltungsblätter“, einer
„Beigabe zur Mainzer Zeitung“, vom 23. und 25. April 1837 in
einem durch zahlreiche Nummern fortgesetzten Artikel über „Mainzer
Theater“ aus Anlaß des Auftretens eines Fräuleins Mohrus als
Johanna d'Arc folgendermaßen charakterisiert:
  „Fräul. Mohrus, die in der Jungfrau von Orleans zum Erstenmale
die Bühne betrat, wurde uns von vielen Seiten als eine Schülerin
Köchy's angekündigt, dies allein vermochte uns, das auf den
Brettern so oft gemishandelte Stück noch einmal abmartern zu
sehen.
  Fräulein Mohrus erweckte alte schöne Erinnerungen in uns, und
wir befanden uns während des ganzen Abends in einer andern
Zeit, an einem andern Orte und traf dann und wann der vaterstädtische
Laut unser Ohr, so gab er unsern Träumereien nur neue
Nahrung. Wir befanden uns im Geiste vor der Braunschweiger
Bühne, die Klingemann, durch sein Wirken, der Idee von einem
Nationaltheater sehr nahe gebracht hat. Dort bildete sich Haacke
aus, dort wurden die Geistesverwandten Haacke und Köchy Freunde,
und da jene treffliche Anstalt zu einer Hofbelustigung herabsank,
erwachte in den Freunden die Idee in Klingemanns Geiste fortzuwirken:
— Haacke wurde Direktor des hiesigen Theaters und Köchy
sollte durch tüchtige Kritiken Schauspieler und Publikum in ein
höheres Einverständnis bringen.
  Wie viel hätte Köchy hier nützen können, und wie wenig hat er
genützt! —
  Die Rheinischen Blätter [die „Rheinische Theaterzeitung“, deren
erster Jahrgang, 52 Nummern umfassend, 1830 zu Mainz erschienen
ist] begannen damals auf eine Weise, die das Beste versprach, sie
führten Schauspieler und Publikum in das Heiligthum der höheren
Dichtkunst und suchten sie dort heimisch zu machen, doch auf Köchy
ruht eine Art Fluch, gegen dessen Gewalt er vergebens anringt: es
ist die äußere Trägheit. Wer Köchy näher kennt, weiß, wie es in
ihm grünt und blüht, mit welchem schönen Eifer er eine neue Idee

[Bd. b5, S. 456]

 


erfaßt, um sie ins Leben zu führen, doch kaum beginnt er, so fühlt
er sich schon ermüdet, eine neue Idee läßt ihn die ältere bei Seite
werfen, und so hat er an ein ewiges Beginnen all' seine Kräfte
vergeudet, und mit all' seinem redlichen Wollen nie Etwas vollendet.
Ein redendes Beispiel sind eben auch die genannten Blätter,
sein Amanuensis [Ferdinand] Markworth füllte sie mit nichtsbedeutenden
Salbadereien, und er gewann dadurch die Muse, Plan auf
Plan zu bauen, wo einer den andern erdrückte.“ (S. 196.)
  „Es ist gewiß in keiner Stadt die Buchdruckerkunst lächerlicher
verhöhnt, als in jener Stadt, da wo sie erfunden worden, das hätte
Köchy durch sein Talent verhindern sollen, doch nein! Es erschien
ein dicker Band schamloser Lobhudeleien über Haacke, und Haacke
war schwach genug, Druck und Papier zu bezahlen, um den Spaß
zu haben, es an Schneider- und Schusterlehrlinge als Trinkgeld zu
geben, doch diese waren selbst klug genug, lieber einen Batzen zu
nehmen, als den dicken Band voll Unsinn. Köchy hat keine von
Haacke's Hoffnungen erfüllt, er hat ihn selbst in die Nothwendigkeit
versetzt, diese schamlosen Lobschmierer drohend zu ersuchen, ihn mit
allem künftigen Lob wie Tadel zu verschonen, der dickleibige Unsinn
verblieb der neuen Direktion, die es, seiner würdig, zum Einzeigen
verbrauchte.“ (S. 200.)
  Im ersten Jahrgang des Kasseler „Salons“, einer „Wochenschrift
für Heimat und Fremde“, findet sich eine „Literärische Bilder-Galerie
“. Deren zweiter Teil, der „Saal der neuen Schule“, wird in
der Nr 17 vom 24. Juli 1841, S. 156, mit dem folgenden Bilde
Karl Köchys beschlossen: „Einer der glücklichst-gestellten Literaten
Deutschlands, weil Theater-Dichter zu Braunschweig. 'Das
wäre so ein Pöstchen', seufzen Viele. Köchy ist ein hübscher, feiner
Mann mit einer weichen, Braunschweiger Mundart und weichen,
Braunschweiger Sitten. Seine Freunde werfen ihm vor, er arbeite
zu wenig: ich meine nur, er verspricht zu viel. Köchy besitzt ein
Paar kluge, nette Augen und eine zu Herzen dringende Stimme.“
  Holtei hat K. wiederholt getroffen, u. a. in den Weihnachtstagen
des Jahres 1846. In dem Bericht darüber nennt er ihn einen „vielseitiggebildeten,
talentbegabten, mittheilungsfähigen“ Mann, und er
fährt fort: „All' jene Eigenschaften und Eigenheiten, die dem reichausgestatteten
Freunde hinderlich wurden, seine vollen Mittel nach
Außen hin zu entfalten und durch sie den Platz in unserer Literatur
zu erreichen, den er mit leichter Mühe einnehmen und behaupten
könnte; — sie sind es doch auch, die ihn mehr als irgend einen
mir bekannten Gelehrten, zu dem machen, was in diesem Grade
nur er ist: der harmloseste Genosse, der empfänglichste Freund,
der jedem Andern sein Gelingen gönnt, sich an jedem lobenswerthen
Streben erfreut. — Ach, und das ist selten!“ („Vierzig Jahre“, Bd 7,
Berlin 1850, S. 168.)
  Eine Charakteristik Köchys findet sich an einer entlegenen Stelle,
die auch Goedekes „Grundriß“ entgangen ist (vgl. 2. Aufl., Bd 9,
S. 336—37), nämlich im ersten Bande von K .L. Henckes (d. i.
Hermann Klenckes) „Daguerreotypen und Chaussee-Gestalten“
(Leipzig, Weber 1841), S. 136—41, in der Skizze „Zwei Bekanntschaften.
([Karl Heinrich] Hermes und Köchy.)“ Ungedrucktes Material

[Bd. b5, S. 457]

 


hat Constantin Bauer für seine Skizze „Karl Köchy“ verwerten
können, die sich auf den S. 72—78 der Festschrift „Wilhelm
Raabe und sein Lebenskreis“, hrsg. von Heinrich Spiero (Berlin—
Grunewald, Klemm 1931), findet.
S. 70, Z. 33: Kettembeil: Georg Ferdinand K. wurde am 5. Dez.
1802 zu Leipzig als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach dem
Besuche der Schule in seiner Vaterstadt wurde er an der dortigen
Universität am 22. Aug. 1820 als Student der Jurisprudenz immatrikuliert.
Er wohnte damals Nikolaikirchhof No. 754. Einen akademischen
Grad erwarb er in Leipzig nicht. Ostern 1822 wechselte
er die Universität. Zu diesem Zwecke wurde ihm unterm 23. März
dieses Jahres ein Sittenzeugnis (testimonium morum) ausgestellt.
(Vorhanden im Archiv der Karl-Marx-Universität Leipzig, Rep. I,
Kap. XVI, Sect. VII, Litt. C, Nr 1c Bd 1.) Vom 10. April 1822
bis zum 17. April 1823 ist er sodann in der Juristischen Fakultät
der Humboldt-Universität zu Berlin eingeschrieben gewesen. Abgangszeugnisse
der betreffenden Jahre sind in der Juristischen Fakultät
nicht mehr vorhanden. (Auskünfte der Archive der beiden Universitäten.)
Am 5. Sept. 1836 verheiratete sich K. mit Emilie Sibylle
Bernhardine Reinherz, geb. 1813 zu Frankfurt am Main, gest. 1855
ebenda. K. ist, gleichfalls in Frankfurt am Main, zwei Jahre später,
am 23. März 1857, gestorben.
S. 71, Z. 13: Odeleben: Ernst Eugen von O. aus Dresden, der
am 6. Mai 1820, einen Tag nach Grabbe, bei der juristischen Fakultät
der Leipziger Universität immatrikuliert worden war und am
24. März 1824 das Testimonius morum erhalten hat. Nähere Angaben
über seine Persönlichkeit haben sich auch mit Hilfe des
Archivs der Karl-Marx-Universität zu Leipzig und des Sächsischen
Landeshauptarchivs zu Dresden nicht ermitteln lassen. Deshalb ist
es auch nicht auszumachen, ob etwa der Kommilitone Grabbes mit
jenem Ernst Freiherrn von O. identisch ist, der nach dem „Neuen
Nekrolog der Deutschen“ Jg. 21, 1843, Th. 2 (Weimar 1845),
S. 1237, unter Nr 1193 als königl. sächs. Lieutenant a. D. am
11. Juli 1843 zu Leipzig verstorben und der Verfasser des im
Jahre 1830 von Brockhaus verlegten Werkes über die „französische
Revolution“ ist, auch 1840 (bei Schreck in Leipzig) „Kyau's lustige
Streiche und tolle Schwänke“ herausgegeben hat. Ein „Prinz Lieschen
“ betitelter und mit „E.v. Odeleben“ unterzeichneter Beitrag
findet sich in Jg. 12 des „Gesellschafters“ vom Jahre 1828, Bl. 164
vom 13. Oktober, S. 817—18, und Bl. 165 vom 15. Oktober, S.
826—27. Es ist das Histörchen, welches der Oper gleichen Namens
von Eduard Gehe, Musik von Wolfram, den Stoff geliefert hat.