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Nr. 401, siehe GAA, Bd. VI, S. 32nothumbnail
Henriette Kehde (Lemgo/Matorf) an Fürstlich Lippische Regierung (Detmold)
Brief


Nr. 3870

15praes. am 25sten Junii 1833.

eilig!An

          Hochfürstliche Regierung
            Unterthänige Bitte
                  der
20    Henriette Kehde aus Matorf, Supplican-
    tin;
                        in Betreff von Fürstli-
                        chem Militairgerichte aus-
                        zuzahlende Alimente p.

25Mit dem Soldaten Stille aus Welsdorf, derzeit im Dienste beim
Hrn. Major Roth, habe ich eine — rechtskräftig entschiedene
— Proceßsache bei Fürstlichem Militairgerichte geführt, bis
dato aber weder Alimente noch Satisfaction erhalten.

Der Herr Auditeur Grabbe hat für p. Stille 40 rt. Stellvertretungsgelder
30in Händen, die er mir aber nicht anders auszahlen
will, als wenn ich damit auf meinen ganzen Rechtsanspruch
verzichte.

  Das brauche und will ich aber nicht, wende mich vielmehr
an hohe Landes-Regierung mit der unterthänigen Bitte:

35          dem Herrn Auditeur die unverzügliche, auf Ab-
          schlag zu nehmende Zahlung jener 40 rt. auf-
          zugeben.

Althof.

[GAA, Bd. VI, S. 33]

 

 


401.

H: Doppelbl. in 20; 2 S.
F: Varia: Beschwerden über Justizverzögerungen, Forderungen
usw. (StAD L 77 C Fach 50. M. Nr 17.) Bl. 403,404.

S. 32, Z. 20: Matorf: Die Bauerschaft Madorf an der Talle,
in der zum Amte Varenholz gehörenden Vogtei Hohenhausen.
S. 32, Z. 25: Welsdorf: Bauerschaft im Amte Varenholz, Vogtei
Hohenhausen.
  Die Sache der „Henriette Kehde aus Matorf, Amts Varenholz,
Klägerin, gegen den Soldaten Stille, Beklagten, pcto alimentationis
et satisfactionis“ war beim Militärgerichte seit dem 28. April 1830
anhängig. In den Prozeßtabellen dieses Jahres wird über den Stand
der Sache folgendermaßen berichtet:
  1) April, Nr. 8: „Der Klägerin ist vom Beklagten am 28t v. M.
über die exceptio plurium constupratorum, welchen 1 er im Instructionsverfahren
vorbehalten, nach vorgängigen Interlocut 2, der Eyd
zugeschoben, und sie hat sich zur Ableistung desselben einen fernerweiten
Termin erbeten.“ (Bl. 454.)
  2) Mai, Nr. 5: „Klägerin ist in dem auf den 3t d. M. ihrem
Antrage gemäß, angesetzten Termine nicht erschienen, und wird
sub praejudicio ein anderer im Laufe dieses Monats anberaumt
werden.“ (Bl. 459.)
  3) Juni, Nr. 3: „Klägerin hat am 25t v. M. den deferirten Eyd
ausgeschworen, und ist das weitere Erkenntniß in der Expedition.“
(Bl. 465.)
  4) Juli, Nr. 2: „Klägerin hat sich mit Verklagten verglichen und
will ihn so lang er Soldat ist nicht weiter belangen.“ (Bl. 472.)


   1 Die Tabelle hat hier den (zum Unterschiede von zwei anderen)
von Grabbe nicht verbesserten Schreibfehler des Kopisten 'welcher'.


   2 Der gemeine Prozeß war damals noch in zwei Stadien zerspalten
(sog. Zäsur des Prozesses). Im ersten stellten die Parteien

[Bd. b6, S. 408]

 


ihre Behauptungen auf. Sodann erließ das Gericht ein Urteil (Zwischenurteil),
das sog. Beweisinterlocut. In diesem wurden das Beweisthema
und die Beweislast festgesetzt und zugleich eine Frist
bestimmt, innerhalb derer die Beweise angetreten werden mußten
(Beweisfrist). Nur ausnahmsweise durften die Beweise gleich bei
Aufstellung der Behauptungen angetreten werden; man nannte dies
Beweisantizipation. Die Beweisaufnahme erfolgte nach Ablauf der
Beweisfrist in einem besonderen Beweistermine.