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Nr. 497, siehe GAA, Bd. VI, S. 126nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief

      Hochgeehrtester Freund!

10  Mit den Apparaten zur Hamletsübersetzung ist mir ein
großer Gefallen gethan. Ich wiederhole, und werd's auch
mir zur Beachtung merken, Shaksp. hat in der Umarbeitung
seinen alten einfachen Haml. oft widerlich aufgebauscht. Z. B.
in den Monolog to be pp noch das eigne Bild einer „See
15von Waffen“ und so überall nutzlose Bilder, Erweiterungen
schon bestehender Größe (in der neuen Edition vergleiche man
Hamlets mißmuthige Weltbeschreibung mit der kurzen, ungesuchten
in der älteren), auch bringt er spätere Lebenserfahrungen
am Hof bei, die er nicht bei sich behalten konnte. —
20Schlegel sagt, Shaks. hätte nie ein Wort geändert —
der arme Kritiker vergleiche die beiden Johns und die beiden
Hamlets. — Schlegels geglättete Uebersetzung, die ich nun
wieder, aus Tiecks Hand wenig verändert hervorgegangen,
durchmustert habe, braucht uns nicht zu schrecken, — wir
25wollen eben so deutlich und doch treuer seyn. — Was der
Tieck (dieß darf ich sagen, es ist nichts Persönliches und
gehört zur Sache) sich an den Shaksp. kettet, von dem er
nichts hat als romantische Staffage, doch ohne Charactere, in
seinen früheren Novellen (die ich und Heine in Berlin noch
30immer für die besten hielten, und wenn in den späteren
Stellen kamen, wo so etwas sentimental-romantischer Duft
athmete, rief er: doch der alte Tieck), und in seinen späteren,
und besonders in den letzten nichts als eine Ihm abgeborgte,
jedoch nur bei wenigen Personen hervortretende, oft zu seltsame
35Characterisirung, und eine mehr gesuchte und sonderbare
Komik, als ein ächte. Man müßte kurzsichtig seyn, im
Maler Eulenboek nicht den Angesichts der Dresdener Gallerie
verwandelten Falstaff, nicht in der Dorothea in den Verlobten
die umgeänderte Cordelia zu erkennen. Shakspeare

[GAA, Bd. VI, S. 127]

 


selbst ist von ihm am furchtbarsten mißhandelt, in Erklärung
und Schilderung. Tieck weiß, so viel er auch spricht, von
Shaksp. und der alten englischen Bühne, wenig oder nichts
mehr als andere Commentatoren auch; er ist in Engl. gewesen,
5hat aber keine shaksp. Handschrift, außer seinem Namenszug
vielleicht, gesehen; wir wissen von Shaksp. nur das wenige,
was vor jeder seiner neueren Ausgaben steht, nebst einigen
Davenant'schen Sagen ect. Shakspear war Wilddieb, mußte
flüchten, zürnte in Sonetten gegen den Lucy, welchem er
10vielleicht zürnen, aber nicht wegen eines von ihm an Lucy
begangenen Verbrechens laut verspotten durfte, — Shakspeare
war gallig, man sieht ja wie er im Haml. auf die Privatbühnen
loszieht; auch war er gut, naiv war er, aber trocken
dabei, als müßte das so seyn: man sieht's in seinem Testament;
15er war lustig, man weiß, wie er Johnson aufzog; er hatte
im 19. Jahr eine fast noch einmal so alte Frau geheirathet,
er hat die Pferde am Theater gehalten, sein Vater war ein
Schlächter oder Wollweber (die noch gröber sind als Metzger)
gewesen, und schwerlich fein erzogen lernte er durch sich
20selbst Londons Welt und den Hof kennen, letzteren, wie
es scheint, jedoch nur dem Aeußeren nach durch einige herablassende
Freunde, denen die Wood-notes des Poeten und
Schauspielers auf- und dadurch ge-fielen, comme chez tous
les peuples; („Wood-notes!“ das sagt Milton von ihm nach
25seinem Tode und lobend — die Zeitgenossen werden nicht
viel höher gedacht haben), nur wo er das Herz mahlt, trifft
der Pfeil auch in seinen vornehmen Gesellschaften, sonst entfaltet
er da oft einen wahren Prunkbombast, so sicher als
der ein eigner König seyn muß, der einen Kauz wie Polonius
30zum Minister hat; alle Lebenserfahrungen hatten ihn berührt,
er hatte sie alle aufgenommen, Gluth inwendig, doch außen
Stein, wie er in seinem größten, vorletzten Stück, dem Macbeth,
dasteht. Und Tieck — was macht er aus ihm? Einen
unerträglichen, überspannten Schwätzer, einen halben Schranzen,
35einen gelegentlich sehr sentimental radotirenden, aber
verschlechterten, Wackernagel, einen geschniegelten, geputzten
Jüngling, grad' als kröch' er aus irgend einer von seiner oder
Posgarus Novell. aus dem Ei. An Humor ist nicht zu denken,
wo William bei ihm erscheint, bei William, der geschichtlich
40für die blechernen Löffel seines Pathkindes und zugleich für
seine Meisterwerke sorgte, dessen Werke sein Leben und seine

[GAA, Bd. VI, S. 128]

 


Laune genug zeigen, ohne Data. — Soviel mußt' ich heut
vom Leibe haben, Tieck bringt mich selbst darauf. Er will
nun einmal etwas Absondres im Shk. finden, da er nichts
Neues beischaffen kann: da im Hamlet, in der 1. Sc., die ich
5eben transferirt habe, läßt er seine Diener übersetzen: „so
dräut er einst als er im harten Zweisprach auf's Eis die
gleitende Streitaxt geschleudert“ statt wie Schlegel „so dreut
pp auf's Eis warf den geschlitteten Polacken“. Tieck! sleaded
heißt nun einmal „Schlitten fahren“, nicht „gleiten“, und
10das Bild, daß die Streitaxt im Schlitten gefahren, wäre doch
zu kühn, — dann, zum Teufel, der König würde die Streitaxt
doch wohl nicht weggeschmissen haben, wenn er dem Feinde
mit ihr in's Gesicht droht? Hieß es Pole-ax, wie Pope in
einigen Ausgaben gefunden haben will, so ließe sich die Streit-Axt
15durch den mittleren Trennungsstrich noch eher herausklügeln,
unsere alte Edit. zeigt aber deutlich den Plural:
pollax (das x wie oft für cks) und nicht ein l, sondern zwei,
i. e. die Polacken, welche überdem im Stück noch ein oder
zweimal vorkommen, und (außer noch vielem, das zu sagen
20wäre), ist's bei Shaksp. zu vermuthen, daß er ein vages Bild,
wozu Tieck diese Stelle macht, statt sicherer persönlicher
Bezeichnung eines Kampfes mit den Polacken hinstellt? —
Doch Haml. soll ja auch im „be or not to be“ überlegen,
obs besser sey seinen Stiefvater umzubringen oder nicht, und
25dabei bedenken, wie wünschenswerth der Tod für einen
gerechten Menschen sey (gerechten, denn er fürchtet nicht
den everlast.[ing] judge im Monolog) aber daß die Furcht
vor etwas nach dem Tode ihn (i. e. nach Tieck vermuthlich
den König) hindere, umgebracht zu werden. Tis strange. —
30Ich glaube das to be or not to be, wie wir Laien es im
alten Sinn versteh'n, müßte übrigens von den Schauspielern
nicht mehr mit einem drückenden Predigerton so wie eine
große Last, die man mit dem Strick zieht, hergezogen werden,
— Haml. ist bewegt, er kommt von der Hekubascene, die
35Perioden verrathen die Bewegung, er zürnt, und versteckt seine
Thatlosigkeit unter bitteren Reden und dem herbeigerufenen
Gewissen, kurz, er spreche diesen Monolog nicht nach der
alten Ackermann-Garrikschen Ueberlieferung, als wenn er
einen schweren Tornister abschnallte und hinsetzte, sondern
40zwar nicht rappelig, aber als Hamlet, geistreich, bitter, sarkastisch,
mißmuthig, fürchtend pp. Ich wollt wohl versuchen,

[GAA, Bd. VI, S. 129]

 


ob Sie damit zufrieden wären, wenn ich ihn nach meiner
Idee so, wie er mir vorkommt, Ihnen vorläse.

  Mein Aschenbr. ist nun wie's soll. Vieles gekürzt, aber
eins konnt' ich nicht lassen: wie der Kutscher, die Ratte,
5von den Platenschen Trimetern parlirt, lass' ich ihn à la
Platen auf so lange in eine Parabase (die der Graf sehr
liebt, weil er ihre Bedeutung und Entschuldigung (Fehler
sind's immer) gar nicht kannte beim Aristophanes (der konnte,
was ihn politisch quälte, nicht anders beibringen als in den
10freien und geheiligten Spielen) verwandeln und also 3 Zeilen
reden, und wieder Kutscher seyn.

Ich sehne mich, Sie zu sehen. Wie, wo, wann!
Düss. 8. Jan. 1835.    Gehorsamst
  (Mein Hannibal fluthet prächtig;    Grabbe.

15   Sie zerrissen warnend die verselnden
Ketten. 12mal wird er besser.)

 

 
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