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Nr. 499, siehe GAA, Bd. VI, S. 130thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Secondelieutenant Carl Wilhelm Runnenberg (Detmold)
Brief


  Handschrift Handschrift Ich hatte mich verschrieben, darum diese Correctur.

25 Milord!

Du besorgst wohl die Inlagen an die Adressirten baldschleunigst.
Mein Aschenbrödel ist jetzt erst, da ich
Ruhe habe, statt einer rothen Kohle, ein lieblich blinzelnder
Stern geworden. Im Hannibal haben hier am Rhein die
30Scipionen Waffenschmieden in's Gesicht bekommen, in denen
Karchedon unter muß. Außer beim Hann. bin ich auch bei
der Hermannsschlacht. Die gibt mir Gelegenheit alle besseren
Jugendgefühle, Jugendblicke auszuschütten; wenn ich daran
schreibe bin ich unter bekannten Eichen und Buchen, und

[GAA, Bd. VI, S. 131]

 


Ingomar (der seel. Wistinghausen) mir zur Linken. Dann
Karl XII, meine Portraitähnlichkeit, eine Tragicomödie, erschütternd
und doch lustig. — Das hiesige Theater ist hinsichtlich
des Zusammenspiels, Einstudirens im Schau- Lustund
5Trauerspiel normal, an Souffliren, Verwirrung ect nicht
zu denken. Immermann, der vom König deshalb Urlaub
erhalten, bildet es mit fester strenger Hand. Er sagt mir,
der Souffleurkasten gehe auch nächstens fort. — Grüße
Pichler und durch ihn die Böhmer. — In Frankfurt a. M.
10ist das Handschrift theatrum dagegen eine offenbare Actienspeculation, nur
Geld zu verdienen. Klug, die Einheimischen kennen's, besuchens
itaque wenig, aber die vielen Fremden kennen's nicht,
besuchen's, füllen's Tags wo sie kommen. Das Detmolder, das
Düsseldorfer Theater sind etwa 200½ mal besser; die s. g.
15jüngere Hoffmann gibt dort noch oft erste Rollen, ihr Mann
dirigirt dazu (letzterer glaub' ich, gut) und Grapow, der da
war, und mich besucht hat, soll gefallen haben (ich konnte
im Stück, Barb.[ier] v. Sev.[illa] nicht seyn.) Grapow, der
sich in Detmold abscheulich versündigt hat, ist wohl ein
20Tenorist, der wohl anzuhören ist, aber Frankf. am M. könnte
doch einen besseren haben.

  Nebenbei übersetz' ich noch die jetzt gefundene „first
edition of Hamlet“. Immermann wird so helfen, daß wir sie
mit Recht als eine gemeinschaftliche Arbeit seinen Werken
25einfügen.

Meine Adresse: Auditeur Grabbe,

Düsseldorf, Ritterstraße, nro 70, bei

Madame Andries, 1 Treppe hoch.

                                 suis
30                                 trés obéissant et
                                 serviteur
Grabbe.
/ Pro manu propr.:

Grüß Vater, Emil, u den Synd. Bald Antw. bitte!

35[Düsseldorf, Erste Hälfte des Januars 1835.]

[GAA, Bd. VI, S. 132]

 

 


499.

H: 1 Bl. in 40; 2 S.
F: GrA
D: In der bei Nr 489 angegebenen Publikation Alfred Bergmanns,
I.

S. 131, Z. 34: Synd.] Synd H
  Zur Datierung vergleiche man die erste Anmerkung.
S. 130, Z. 26: die Inlagen: Wahrscheinlich die Briefe Grabbes
an seine Frau vom 8. Januar, an Petri vom Dreikönigstag und an
seine Mutter vom 14. Januar 1835 (Nr Verweis zum Kommentar 498, Verweis zum Kommentar 500 und Verweis zum Kommentar 502). Vgl.
insbes. Verweis zum Kommentar S. 132, Z. 29—31.
S. 130, Z. 31: Karchedon: (griech.) soviel wie Karthago.
S. 131, Z. 1: der seel. Wistinghausen: Bei den Wistinghausens
handelt es sich um eine im Lippischen weitverzweigte Familie, deren
Mitglieder in Langenholzhausen, Oerlinghausen, Schötmar, Stapelage
und Varenholz nachweisbar sind. Ohne Anhaltspunkte ist es daher
unmöglich, die Persönlichkeit zu bestimmen, welche Grabbe meint.
S. 131, Z. 2: Karl XII: Der schwedische König (1682—1718),
den Voltaire in seiner „Histoire de Charles XII“ (1731) monographisch
behandelt hat.
S. 131, Z. 5 f.: an Souffliren, Verwirrung ect nicht zu denken:
Darüber äußert sich Grabbe ausführlich im dritten Kapitel seiner
Abhandlung über das „Theater zu Düsseldorf“, mit der Überschrift:
„Düsseldorfs Schauspielhaus und der Souffleurkasten“ (S. 9—11).
Siehe Bd 4, Verweis zum Kommentar S. 125—26.
S. 131, Z. 9: Pichler: Ob der Gruß für den Theaterdirektor
August P. oder für einen von dessen drei Söhnen Franz (1804 bis
1873), Anton (1812—1886) oder August (1817—1888) bestimmt
war, läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.
S. 131, Z. 9: die Böhmer: Wen Grabbe meint, ist nicht bekannt.
Der Name kommt weder in der auf Grund der in der Landesbibliothek
zu Detmold verwahrten Akten des ehemaligen Hoftheaters
von dem verstorbenen Studienrate i. R. Willi Schramm gefertigten
Schauspieler-Kartei für die Zeit von 1826 bis August 1847,
noch in Lortzings Briefen vor. Schon der gleichfalls verstorbene
Freiherr von Meysenbug, ein anderer Geschichtschreiber des Detmolder
Theaters, hatte über die Böhmer keine Auskunft geben
können.
S. 131, Z. 14 f.: die s. g. jüngere Hoffmann: Madame H. trat
am Frankfurter Stadttheater erstmals am 18. Mai 1830 in zwei
Rollen auf: als Franziska in Holbeins, nach Shakespeare und Schink
bearbeitetem Lustspiele „Die bezähmte Widerspenstige oder Liebe
kann alles“ und als Gambasnella in der „Benefiz-Vorstellung“,
einer Posse nach dem Französischen von Theodor Hell. Am 22sten

[Bd. b6, S. 482]

 


wiederholte sie aus Gefälligkeit diese zweite Rolle. Sie spielte ferner
am 25. Mai die Leopoldine von Strehlen in Töpfers Lustspiel „Der
beste Ton“ und am 3. Juni die stumme Rolle des Victorin von
Luceval in Castellis Melodram nach dem Französischen „Die Waise
und der Mörder“, und sie verabschiedete sich am 11ten zu ihrem
Benefiz als Henriette in Aubers komischer Oper „Maurer und
Schlosser“. Am 11. März 1832 erscheint sie sodann in Bings Chronik
zum ersten Male als Mitglied des Theaters, und zwar in der
Rolle des Lucius in Shakespeares „Julius Cäsar“. (A.a.O. S. 160,
170.) Genaueres ist über ihr Engagement in Frankfurt nicht zu
ermitteln, da die dortigen Städtischen Bühnen während des zweiten
Weltkrieges alle Bestände an Akten und sonstigen Unterlagen verloren
haben.
S. 131, Z. 16 f.: Grapow, der sich in Detmold abscheulich versündigt
hat: Siehe die Anm. zu Bd 4, S. 88, Z. 13. (Verweis zum Kommentar S. 432.)
Ob sich Grabbes Tadel auf das menschliche Verhalten des Tenoristen
bezieht oder auf dessen künstlerische Leistungen, muß dahingestellt
bleiben.
S. 131, Z. 34: den Synd.: Dr. jur. Christian Wilhelm Runnenberg,
der am 11. März 1796 zu Detmold geborene zweite Sohn
des alten Postmeisters. Er wurde Stadt-Sekretär, später Syndikus,
und unterm 19. Juni 1833 in die Zahl der Advokaten und Prokuratoren
bei den Fürstlichen Obergerichten in Detmold aufgenommen.
Unterm 11. Mai 1852 ist ihm der Charakter als Rat beigelegt
worden. Am 1. Juni 1877 ist er an einer Lungenentzündung in
seiner Vaterstadt gestorben.