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[GAA, Bd. IV, S. 200]

 


26.
Handschrift Stadt-Theater.

  Donnerstag, den 10. März: Maria Stuart. Trauerspiel
in 5 Aufzügen von Schiller.

5
  Im Ganzen thaten die Darsteller ihr Möglichstes, dem Stück
Effect zu verschaffen, aber der kam nur hier und da zu
Stande, als bei der Zankscene der beiden Königinnen und
bei der weinerlichen Abschiednahme zwischen Maria und ihrem
Gesinde. Erinnert letztere Scene auch an die zu Anfang unsres
10Jahrhunderts gewöhnlichen Rührspiele, und ist ihre Wirkung
mehr dem tragischen Stoff, als der poetischen Bearbeitung
zuzuschreiben, so hat Schiller bei dem Hadern der Königinnen
in der That Handschrift seine ihm gewöhnliche, oft zu begeisterte Auffassung
der Menschen und Verhältnisse, so wie nirgend anders
15mit Wahrheit und Natur versetzt, und uns ein echtes Lebensbild
gegeben. Zwei Königinnen vergessen vor Neid und Leidenschaft
Rang und Krone und werden einander scheltende
Weiber, jede Rücksicht aus den Augen setzend, außer den
bitteren persönlichen Anzüglichkeiten. Mad. Limbach (Elisabeth)
20und die Lauber-Versing (Maria) spielten hier
dergestalt, daß alles Uebermaaß in Ausdruck und Action vermieden
blieb, und der Zuschauer doch merkte, da sey die
Katastrophe des Stücks. Denn Handschrift dem Dichter hat's beliebt, nicht
die großen Nothwendigkeits- und Weltverhältnisse, welche
25Elisabeth leiteten, zum Hebel seiner Tragödie zu machen,
sondern er hat die Handlung in einen engen Kreis von kleinlicher
Intrigue und Eifersucht gebannt. Maria Stuart zählte
zur Zeit ihrer Hinrichtung über 48 Jahre, war auch durch
ihre früheren Extravaganzen und ihre lange Gefangenschaft
30an körperlicher Schönheit zu verfallen, als daß Elisabeth deshalb
sie irgend anders als bemitleiden konnte. Doch die (seit
Hume, der für die Torys schrieb) übermäßig bemitleidete
Handschrift Maria machte, seit der Papst die Elisabeth für ehebrecherisch
erzeugt erklärt hatte, als eintretende nächste blutsverwandte
35Erbin Anspruch auf die englische Krone, vermählte sich mit
dem Dauphin von Frankreich, reis'te, als dieser starb, nach
Schottland, trieb sich da erst mit einem Sänger Rizio, dann
mit Darnley und Bothwell herum, die alle ein abscheuliches,
ihr vermuthlich nur zu genau bekanntes Ende nahmen. Schottland