Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
Nr. 122, siehe GAA, Bd. V, S. 146thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

30    Handschrift Bester Freund!

  Vergessen konnte ich Dich nie und bin sehr erfreut, daß
Du an mich selbst mitten in Deinem Glück (zu dem ich
gratulire) gedenkst. Was ich treibe? Wo ich bin? Was ect?
— Nun, ich muß Dich neugierig machen, also zuerst einige
35Worte über die Vergangenheit. Wir beide verlebten zusammen
recht heitere, schöne Stunden. Dem Benemann vergesse ich
es noch immer nicht, daß ich ihn durch das Rosenthal begleitete

[GAA, Bd. V, S. 147]

 


und er so undankbar war! — Roner: „in Algier ist es
recht hübsch.“ — Felix d'Heureuse, — er hatte Recht sich im
feminino zu benennen, seine Frau war eine närrische Person.
Spar-Käse nicht weit davon. Stehely: „Tasse“ (nicht Torquato
5Tasso.) Auch „der Aeremitt kapp mir tie Rossen“ (der
Eremit gab mir die Rosen) nicht zu übersehen, und Lippold
als ein eingesalzener Leipziger in Berlin! Wer eingesalzene
Leipziger haben mag, der genieße ihn. Doch über dieses und
so Vieles v. den General Pepe (nämlich p. p.) — Ich und
10Jetzt, ein Fisch im Morast, der doch nicht stirbt, sondern
sich durchdrängt. Die Welt ist mir bisweilen eine I, denn
alles ist eins und einerlei, und nicht einmal Null (obgleich
die Erde und der Himmmel und der Menschenschädel ohngefähr
so rund wie eine Null aussehen wollen.) Vor Nullen kann
15man doch Zähler setzen, aber setz' einmal vor die Welt eine
9, es werden doch keine 90 daraus. Fort mit Reflectionen:
erstlich, ich wohne dermalen in loco subscripto, in Detmold,
welches durch Anlegung neuer Straßen die Zahl seiner — —
zu vermehren sucht; zweitens, ich bin voriges Jahr beinah
20völlig blind gewesen, jetzt aber wieder auf der Handschrift Besserung,
und habe seit dem Verlust meiner Leipzig-Berliner Lorgnette
4 Brillen gekauft, — drittens, ich bin Hausherr und Familien-Vater,
eben jetzt sitzt meine junge Ehefrau neben mir —
mon dieu! wie der Kettenbeil erschrickt! vor einem Schreckschuß!
25— nein, Freund, ich bin der Alte, Junggeselle so viel
als möglich und unverheirathet pro every time, — viertens
— Ehe das Vierte kommt müssen wir exponiren, jedoch flüstere
dabei soviel Du willst, ich bin keine Dame in „Parteiwuth
“ (denk' an Berlin). Ich verließ Dich in Leipzig und
30gab vor, nach Dresden retourniren zu wollen. Aber Tieck und
ich, in denen zwei harte esprits sich begegneten, — das hatte
ich satt. Ich ging nach Braunschweig und lebte da lange Zeit,
indem ich von Klingemann, der Respect zu bekommen schien,
Geld für „Nannette“ erhielt. Ich schöpfte aber auch da Überdruß,
35mochte insbesondere, nach verzehrtem Gelde, nicht weiter
auf neues dringen, und zog mit der Eilpost nach Hannover.
Wieder Respect, Geld, Aufenthalt — aber endlich auch
von da fort, nach — Bremen, woselbst Geld, kurze Bataille,
das an Abentheurerei grenzende Leben eines Schriftstellers
40satt bekommen, die Intriguen der Theaterwelt eingesehen —
und nach Detmold, nach so langem Zwischenraume, heimwärts

[GAA, Bd. V, S. 148]

 


gekehrt. Hier wurde wild, vielleicht gemein von
mir gelebt, ich kam, wie ich glaube, in üblern Ruf als ich
gewesen, ich dachte nicht daran, mich in der Kleinstädterei
anzusiedlen. Das dauerte 4 Monate. die Handschrift wüste Wirthschaft
5langweilte; meine Gesellschaft bestand aus zu dummen Jungen.
Ich erhielt viel Briefe von ausländischen Freunden, hatte
auch Aussichten in das Ausland, aber es hatte mich zu oft
getäuscht. Meine Poesien, — auf sie war ich dergestalt stolz,
daß ich mich jetzt schäme, und da sie selbst von Anderen,
10von Tieck, Wendt (wo ich nicht irre) in Leipzig, Berlin, Braunschweig
pp (Du weißt es zum Theil ja selbst) anerkannt wurden,
und zwar in sehr hohem Grade, — so ließ ich und lasse
ich sie liegen; in 3 Jahren beinah, schreibe in drei Jahren,
hat wohl Niemand einen Vers von mir erblickt, kein Detmolder
15hat etwas von meinen Werken gesehen. Du siehst ich
bin kein aufdringlicher Dichter. — Aber nun — nach jenen
4 Monaten wüster Wirthschaft entschloß ich mich (sta viator),
das juristische Examen zu machen, und, was noch mehr war,
alle Vorurtheile, die wider mich im Schwange waren, entscheidend
20zu besiegen.

  Ewr Wohlgeboren wissen aus jahrelanger Beobachtung, daß
der gerupfte Hahn, die Lippische Krabbe, welche nur dann
ihre Krebsscheeren hat, wenn sie vom Schneider dergleichen
leiht, nicht zu jener Thier-Classe gehört, welche auch noch nach
25dem Verlauf des ersten Fuchssemesters die Collegia besucht,
sondern daß sie höchstens aus Neugier einmal vorspricht. Fürerst
war es daher schwer, die nöthigen testimonia zu erhalten.
Aber die Berliner Freunde verschafften sie mir umsonst. Sodann
wurde mir, der ich in Jahren nicht an das jus (bei dem
30sachkundigen Römer auch Brühe bedeutend) gedacht hatte,
terminus zum Examen binnen 4 Wochen angesetzt, und es ist
die hiesige Prüfung eines Juristen nicht leicht.

  Was geschah? Zu vieler Leute Erstaunen erhielt ich weder
den Handschrift Durchfall noch fiel ich selbst durch, — ich bestand.
35Fuimus Troes, ich ward Advocat. Meine Praxis vermehrte
sich bald, mein juristischer (denk Dir!) Ruf wuchs,
ich machte alle wilde Zeiten vergessen, selbst die ersten Personen
des Landes beehrten mich mit ihrem Zutrauen, ja, ohne
daß ich irgend angetragen hatte, übertrug mir, dem Menschen,
40der hier im Lande keine bedeutende Connexion besitzt, die
Regierung die Geschäfte des Militairauditeurs, also die Gerichtsbarkeit

[GAA, Bd. V, S. 149]

 


über 1200 Mann Soldaten (die aber natürlich
sich nicht alle stets in activem Dienst befinden.) Den
Titel „Auditeur“ habe ich aber noch nicht, da der alte
kränkliche Auditeur noch lebt: nenne mich daher nur simpel:
5Advocat. Lieber zu wenig als zu viel.

  Meine Geschäfte sowohl als Advocat wie auch als Auditeur
sind groß: Du weißt, wie ich in allen Sachen, die bloß wissenschaftlich
sind, schnell arbeite und jetzt muß ich von Morgens
7½ bis 11½ stets mit der Feder drauf losdreschen.
10Während ich den Brief hier schreibe sind gewiß 20 Bauern
und Soldaten bei mir gewesen.

  Ich stehe erträglich und verdiene auch erträglich — aber
ich bin nicht glücklich, werde es auch wohl nie wieder. Ich
glaube, hoffe, wünsche, liebe, achte, hasse nichts, sondern
15verachte nur noch immer das Gemeine; ich bin mir selbst
so gleichgültig, wie es mir ein Dritter ist; ich lese tausend
Bücher, aber keines zieht mich an; Ruhm und Ehre sind Sterne,
derenthalben ich nicht einmal aufblicke; ich bin überzeugt
alles zu können, was ich will, aber auch der Wille erscheint
20mir so erbärmlich, daß ich ihn nicht bemühe; ich glaube ich
habe so ziemlich die Tiefen des Lebens, der Wissenschaft, und
der Kunst genossen; ich bin satt von dem Hefen; nur Musik
wirkt noch magisch auf mich, weil — ich sie nicht genug verstehe.
Meine jahrelange Operation, den Verstand als Scheidewasser
25auf mein Gefühl zu gießen, scheint ihrem Ende zu
nahen: der Verstand Handschrift ist ausgegossen und das Gefühl zertrümmert.
— Dieß Dir mitzutheilen, Freund, ist mir eine
Art Erleichterung; Du siehst, daß Du noch immer meinen
Gedanken nahe stehst; ein Detmolder würde mich Geschäftsmann
30und mich Witzbold nun und nie für das halten, was
ich infolge des Dir Gesagten bin. Der Mensch ist in facto
nichts; er ist nur Erinnerung oder Hofnung, was man Gegenwart
nennt, ist ein häßliches Ding, und kaum kann man es
bemerken. Meine Seele ist todt, was jetzt noch unter meinem
35Namen auf der Erde sich hinschleift, ist ein Grabstein, an
welchem Tag für Tag weiter an der Grabschrift gehauen
wird; Dein Brief kommt auch darauf. — Und bei all dem,
Kettenbeil, sind Wir im Benehmen noch immer ganz der Alte;
ja Wir hoffen zwar nicht, aber erwarten doch ruhig, ob nicht
40die geistige Harmonie einmal bei uns möglich werden könne.
Wir ertragen gnädigst Uns (den Mr. Christian) selbst.

[GAA, Bd. V, S. 150]

 


  Das Ideal eines Briefes ist völliger Ersatz mündlichen Gesprächs.
Da ich nun Mund zu Mund sehr rappelig, incorrect
und nachlässig rede, auch dieß unter Leuten, die sich kennen,
für keinen Fehler halte, — so verzeihe mir auch den Wirrwarr
5dieser Send (Zent-)Schrift.

  Ewr Wohlgeboren sind so gütig, sich meiner früheren poetischen
Arbeiten zu erinnern, ja, machen mir Hoffnung, daß
Dasjenige, was wir früher gemeinschaftlich wünschten, eben
durch Sie realisirt werden könne, nämlich der Abdruck jener
10Poesien. Wer hätte diese Glückswende, die einen der vertrautesten
Theilnehmer an meinen litterarischen Productionen,
zu deren kräftigsten und unmittelbarsten Beförderer im Publico
scheint machen zu wollen, vor 4½ Jahren auf der Stube
der Wittib Pütschel gedacht? — Kettenbeil, viele Stunden
15sind seitdem verflossen, Vieles ist erlebt, Du bist mir lieb
und werth, also will ich Dir kalt auseinander Handschrift setzen, was
ich über diese Sache denke. Doch zuerst auch hier eine Episode.

  Denk Dir, Uechtriz mit den ausgetrockneten Haaren, er,
der mich in Briefen, die ich noch von ihm bei mir liegen habe,
20so hoch über sich selbst erhebt, er, dessen Autorität ich bloß
durch mein Erscheinen in seinen Berliner Zirkeln vernichtete,
er, der Poesieentblößte, soll ein Trauerspiel: „Alexander u.
Darius“ mit Beifall auf der Berliner Bühne aufgeführt haben,
und dieses Ding soll genial seyn. Die Sonne muß eine Brille
25aufsetzen, wenn sie im Üchtriz eine Spur von Genialität erblicken
will. Dieses Trauerspiel ist, wie ich schon am Titel
merke, sonder Zweifel ohne innere Lebenskraft, ohne Einheit,
ohne Endwirkung, ohne Poesie, sondern höchstens eine phrasenhafte
halb adlige Repräsentation. Ich will es nie lesen,
30aber doch richtig recensiren. — Wie kann ich in arte existiren,
wenn ein Üchtriz Beifall findet?

[GAA, Bd. V, S. 151]

 


  Als Tieck mich nach Dresden kommen ließ, Könneritz mir
ein Reisegeld bloß um mich zu sehen bewilligte, ich überall
Geld und Ehre bloß durch die Force meiner Manuscripte erwarb,
— da wurde mir (indem ich nach bloßem Renommee
5nicht viel frage) der Druck meiner Siebensachen ganz
gleichgültig; ich wirkte mit ihnen ohnedem. Nachher, in das
Geschäftsleben getaucht, und Arbeit mit Belohnung gefunden,
vergaß ich jene dramatischen Geschöpfe fast ganz.

  Du erinnerst mich daran, ich danke Dir, denn sollte der Abdruck
10jener Erzeugungen möglich seyn, so möchte mein Leben
einen angemesseneren Wendepunct bekommen.

  Also dieß: drei Stücke, von sehr verschiedenem Inhalt,
Deine alten Bekannten, liegen vollständig in Abschrift noch
stets bei mir fertig und kannst Du sie, sobald Du verlangst,
15gleich nach Frankfurt überschickt erhalten. Handschrift Diese 3 Stücke
sind: 1) das teufelhafte Lustspiel (Scherz und Ironie), 2) der
Gothland, 3) Nannette und Maria. Bei dem Abdruck des
Letzteren ist gar kein Bedenken, aber 1 und 2! Schwerlich
gibt es in der Litteratur etwas Tolleres und Verwegeneres.
20Doch eben dadurch würden diese Producte vielleicht die Aufmerksamkeit
um so mehr erregen; gibt es darin tiefen Schatten,
ja abscheuliche Fehler, so haben sie aber auch Lichtseiten, wie
keiner unserer dermaligen jungen Poeten sie schaffen möchte.
Diese 3 so verschiedenen Thierchen, unter denen die unschuldige
25Nannette, etwas reitzend (z. B. für Theodor Hell) abstechen
wird, in Einem Bande gedruckt, mit einer eindringlichen
Vorrede versehen, auch nöthigenfalls Briefe, z. B. den
von Tieck vorgedruckt, — wer weiß, der Effect könnte enorm
seyn. Göthe, Schiller konnten mit ihren ersten bizarr scheinenden
30Stücken lange keinen Verleger finden, ja Göthe verlegte
seinen Götz (oder Werther) selbst, und welch ein Erfolg.
Stehen meine Siebensachen auch gewiß unter dem Range der
früheren Hauptwerke jener Matadore, so steht auch die jetzige
litterarische Zeit unter der damaligen, und trotz der in nr. 1
35und 2 alles überbietenden Frechheit oder Verwegenheit, weht
ein Geist darin, der sicher hier und da imponirt, ja vielleicht
zerschmettert. — Aber ferner: mir selbst sind diese meine
Werke bereits zu fremd und zu sehr widerlich geworden,
als daß ich denken könnte, auch nur Ein Wort darin zu
40corrigiren, obgleich dieß wegen der Censur nöthig seyn
möchte. Dafür aber würde ich dem Verleger unbedingt jede

[GAA, Bd. V, S. 152]

 


Abänderung in denselben überlassen; er könnte dieß meinethalben
durch den ersten besten dienstfertigen Handschrift Studenten besorgen.
Noch lieber wäre es mir, daß man alles der Censur
(welche man aber nicht aufmerksam machen müßte) überließe,
5und da, wo sie striche, zur Andeutung für das gute Publicum
die Striche im Abdruck anzeigte. Es wird bei der harten
Speise, auch diese Strichelchen verdauen. — Endlich den sittlichen
Eindruck, welchen bei albernen, kurzsichtigen Personen
jene Producte machen könnten, trage ich unbedingt, und geht
10er den Verleger nichts an. — Dieß und Mehreres bitte ich zu
erwägen und glaubst Du mit meinen Dramen, von denen
nur die Nannette ohne Abänderung, und der Gothland nur
mit großer Abänderung jedoch dann mit Wirkung aufgeführt
werden kann, es versuchen zu dürfen, so kannst Du sie erhalten.
15Von Honorar wird unter guten Freunden nichts gesprochen
und könnte es vom Erfolg des Absatzes nöthigenfalls
abhängig gemacht werden: nichts oder ein Kleines wäre
dann das resp. Resultat. —

  Außer jenen 3 fertigen Pasteten, liegt noch die Hälfte des
20vollkommen umgearbeiteten Sulla vor mir, und ist nicht übel;
sodann habe ich neulich bloß um zu versuchen, ob ich noch
dichten könnte, 2 Scenen aus „Don Juan und Faust“ geschrieben
und sie sind gerathen; endlich spukt mir ein Roman
im Kopfe, der in der trüben Zeit von 1806 bis 1813 spielt,
25und Vieles aus unserem Staats- und Wissenschafts-Wesen
reflectiren soll. Aber offenherzig, zu all diesem wird das
rechte Feuer wohl nicht eher erwachen, als bis ich weiß wie
ich mit den älteren Producten daran bin. Gelänge es aber
irgend mit diesen, so würde ich mich wahrscheinlich als der
30Litteratur zurückgegeben betrachten, und der Verleger, dem
ich mich widmete, machte nicht die schlechteste Acquisition:
Du weißt Bizarrerie, zuweilen Witz, ein wenig Lauge, mancherlei
Wissenschaftlichkeit, erträgliche Kenntniß der Litteratur
und Kritik pp sind mir nicht fremd. Auch kann ich arbeiten.
35Wie fern mir aber bis auf Deinen Brief aller Buchhändler-Verkehr
gewesen, beweist, daß mehrere Redactoren westphälischer
Zeitschriften, die mich de auditu kannten, mich
um Mittheilungen Handschrift sehr baten, aber ich nicht einmal an Antwort
gedachte.

40  Nun müssen wir schließen; bitte mir jeden Anklang von
Selbstlob zu verzeihen, ich betrachte mich als eine 3te Person

[GAA, Bd. V, S. 153]

 


und weiß bei all dem recht gut: daß ich im Ganzen ein armseeliges
Menschenkind bin. Ich glaube, Du kennst meine Art.
Das Jahr ist kurz, die Stunde lang.

  Nochmals Dank für Deinen Brief. Und antworte
5mir bald. Ich habe das auch gethan. Die Adresse habe ich
doch recht gestellt? Du bist mir eine Stimme in der Wüste
gewesen; Du weißt ich habe mich stets sehr gern zu Dir hingewendet,
mich oft bei Dir erholt, mich oft, da ich Deine
Ansichten kannte, frei gegen Dich ausgeschüttet, so daß Du
10ex facto überzeugt seyn mußt, es sey keine Heuchelei, wenn
ich versichere, daß Du zu den Wenigen gehörst oder vielleicht
der einzige bist, dem ich

ein aufrichtiger liebender Freund bleibe.
                                

15Detmold den 4t Mai 1827

  (heute vor 7 Jahren reis'te ich

  nach Leipzig und kam am 8t

  Mai daselbst an.)

[Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Buchhändler G. S. Kettenbeil
20in Frankfurt am Main (An J. C. Hermannsche Buchhandlung
abzugeben) Frei.

 


122.

H: 2 Doppelbl., 1 Bl. in 40; 8¾ S., Adresse auf S. 10. Auf S. 10:
Vermerk des Empfängers: 1827 Grabbe in Detmold den 7 Mai.
Abgangsstempel: DETTMOLD 6/5 Ankunftsstempel: FRANKFURT
9. [das Übrige unlesbar.]
F: GrA
T: Salon S. 182—86, als Nr I.
D: WBl IV 373—81, als Nr 1.
Faks.: Alfred Bergmann: Christ. Dietr. Grabbe. 1801—1836. Sein
Leben in Bildern. Leipzig, Bibliographisches Institut (1936), Abb. 23.
(Die Stelle:Ich stehe erträglichbisUns (den Mr. Christian)
selbst.“, S. 149, Z. 12—41.)

S. 146, Z. 34, — S. 147, Z. 9: Die 10 Zeilen von (neu-)gierig
machen [bis] Ich] aRl mit Tinte angestr. H
S. 150, Z. 11: litterarischen] litteraischen H
S. 150, Z. 22: „Alexander] Alexander H
S. 146, Z. 36: Benemann: Über diesen sowie die übrigen in diesem
ersten Abschnitte des Briefes erwähnten und z. T. wohl nur mit

[Bd. b5, S. 510]

 


ihren Spitznamen bezeichneten Persönlichkeiten ist nichts bekannt.
Siehe auch Verweis zum Kommentar S. 222, Z. 32.
S. 146, Z. 37: das Rosenthal: Ein öffentlicher Garten in Leipzig.
S. 147, Z. 6 f.: Lippold als ein eingesalzener Leipziger in Berlin:
Lippold unter den Linden wird auch in Brief Nr 126 erwähnt (vgl.
Verweis zum Kommentar S. 162, Z. 8), und zwar in Verbindung mit Lord Byron, dessen
Bemerkung im „Don Juan“, Shakspeare sei zur „fashion“ geworden,
und seinem Verleger Brönner, der im selben Jahre 1827 die „Works
complete in one volume“ herausgebracht hatte. Ein Kommilitone des
Namens L. kommt nicht in Frage, da, nach Auskunft des Archivs
der Humboldt-Universität, für die Jahre 1821—1825 ein Student L.
dort nicht ermittelt worden ist. Wohl aber weist das „Allgemeine
Adreßbuch für Berlin auf das Jahr 1823“, nach Mitteilung des Landesarchivs
Berlin, einen Schneider W. L. Unter den Linden 58 nach.
Da nun das englische Adjektivum „fashionable“ zu Anfang des
neunzehnten Jahrhunderts ins Deutsche eingedrungen ist und insbesondere
zur Kennzeichnung der Bekleidung dient, so wäre es denkbar,
daß Grabbe eine Gedankenverbindung zwischen Lord Byron
und dessen Zitat und dem Kleidermacher L. hergestellt hat. Eine
wirkliche Deutung der beiden Stellen ist diese Hypothese freilich
nicht.
S. 147, Z. 9: General Pepe: Von den drei in der Geschichte
ihres Landes berühmt gewordenen Neapolitanern, die diesen Namen
tragen, kommen hier die beiden Generale in Betracht: Florestano
P. (1778—1851) und Guglielmo (1783—1855). Jener hatte im Jahre
1806 unter Joseph Bonaparte Dienste genommen, war mit diesem
nach Spanien gegangen und als Chef des Generalstabes der neapolitanischen
Division in den Feldzügen von 1810 und 1811 zum
Range eines Brigade-Generals aufgestiegen. Im russischen Feldzuge
von 1812 führte er eine neapolitanische Division nach Danzig und
fiel dort im Verlaufe des französischen Rückzuges, krank und verwundet,
in die Hände der Russen. Nachdem er seine Freiheit
wiedererlangt hatte, hat er auf Befehl Murats einen Aufstand in
den Abruzzen gedämpft, im Jahre 1815 im neapolitanischen Heere
in Oberitalien gegen die Österreicher gekämpft, und nach der Flucht
Murats, von dem er noch zum Generallieutenant befördert worden
war, das Gouvernement in Neapel bis zum Einrücken der Österreicher
übernommen. Auch nach der Restauration Ferdinands I. hat
er seine Stelle in der Armee behalten. Den Vorbereitungen und
ersten Ereignissen der neapolitanischen Revolution vom Jahre 1820,
an denen sich sein Bruder Guglielmo umso lebhafter beteiligte, blieb
er fremd. Nach der Rückkehr Ferdinands verlor er seinen Rang
und lebte fortan als Privatmann. — Guglielmo hatte sich im Jahre
1810 in Katalonien, wo er unter Suchet ein neapolitanisches Regiment
befehligte, den Grad eines Brigade-Generals erworben; den
eines Generallieutenants erhielt er 1815 von Murat, als er gegen
die Österreicher befehligte, und er behielt ihn auch nach der Restauration
Ferdinands. Als die Carbonaria Anfang Juli 1820 die Fahne
des Aufstandes erhob, gab die Regierung, der er durch seine Freisinnigkeit
verhaßt geworden war, den Befehl, ihn zu verhaften.
P. entzog sich jedoch der Verfolgung und führte am Abend des

[Bd. b5, S. 511]

 


6. Juli die beiden von ihm befehligten Regimenter der Hauptstadt
zu den Insurgenten nach Avellino, wo ihm der Befehl über die
aufständigen Truppen übertragen wurde. Damit war der Sieg der
Revolution entschieden. Am 9. Juli zog P. an der Spitze von 20_000
Mann regulärer Truppen in Neapel ein und wurde zum Oberbefehlshaber
und Generalkapitän des Reiches ernannt. Mit der
Eröffnung des Parlaments und der feierlichen Annahme der Verfassung
durch den König legte er am ersten Oktober, seinem Versprechen
gemäß, den Oberbefehl nieder. Bei Annäherung der Österreicher,
am 20. Februar 1821, erhielt er die Führung des zweiten
Armeekorps, das die Abruzzen verteidigen sollte. Sein am 7. März
bei Rieti vorgetragener Angriff mißlang. Von seinen Scharen verlassen
entfloh er auf einem spanischen Schiffe nach Barcelona und
ging später nach London und Madrid, wo er vergeblich ein ausländisches
Korps zu errichten versuchte. In Neapel wurde er in
Abwesenheit zum Tode verurteilt. Schließlich ließ er sich in London
nieder. Er veröffentlichte die „Relation des événements politiques
et militaires qui ont lieu à Naples en 1820 et 1821“ (Paris 1822)
sowie die „Mémoires historiques, politiques et militaires sur la
révolution du royaume de Naples“ (London 1823) (Vgl. „Allgemeine
deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände“. 9. Aufl.,
Bd 11. Leipzig, Brockhaus 1846. S. 49—50.).
S. 147, Z. 17: in loco subscripto: an dem am Ende des Briefs angegebenen
Orte.
S. 147, Z. 28 f.:Parteiwuth“: „Partei-Wuth, oder Die
Macht des Glaubens“, ein zuerst 1817 erschienenes, an theatralischen
Effekten reiches Schauspiel Friedrich Wilhelm Zieglers, das im
Jahre 1651, also zur Zeit der Republik, in der englischen Stadt
Weymouth spielt. Es stellt den Triumph des „schönen Menschenrechtes
“, des Mitleids und der Barmherzigkeit über „Partei-Wuth
und Sekten-Geist“ am Schicksale der jungen Lady Johanne Laud
dar, die im letzten Augenblicke vom Tode durch Henkershand
gerettet wird.
S. 147, Z. 32—40: Ich ging nach Braunschweig und lebte da lange
Zeit [usw.]: Bei dieser Schilderung überläßt sich Grabbe allzusehr
seiner Phantasie; diejenige in den Briefen an Tieck kommt fraglos
der Wahrheit näher.
S. 148, Z. 17: sta viator: mach Halt, Wanderer.
S. 149, Z. 31: in facto: in der Tat, wirklich.
S. 150, Z. 5: Zent: Wohl Anspielung auf Zend, die fälschliche
Bezeichnung der Awestasprache. Dies ist eine altiranische Sprache,
in der die Gesamtheit der religiösen Texte der Anhänger Zarathustras
abgefaßt war. Vgl. auch die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 153, Z. 28.
S. 150, Z. 18—23: Uechtriz [...] soll ein Trauerspiel: „Alexander
und Darius“ mit Beifall auf der Berliner Bühne aufgeführt haben:
In der Tat hatte die Berliner Aufführung unter günstigeren Bedingungen
stattgefunden als die Uraufführung am Dresdner Hoftheater,
an dem das Trauerspiel am 28. Februar gespielt worden war, aber
nicht gefallen hatte. In Berlin dagegen war der Verfasser in allen
literarisch interessierten Kreisen bekannt, und seine Freunde hatten
es an Propaganda nicht fehlen lassen. Karl von Holtei las das

[Bd. b5, S. 512]

 


Werk vor einem erlesenen Publikum im Englischen Hause vor, mit
dem Erfolge, daß es Graf Brühl für die Königliche Hofbühne annahm.
Im „Gesellschafter“ erschien ein begeistertes Sonett Karl
Streckfußens: „An Friedrich von Uechtritz nach Vorlesung seines
Alexander“; im selben Blatte ein Prolog zu dem Stücke, verfaßt
von A. von Maltitz. Schon nach der ersten Vorlesung wurde das
Trauerspiel in mehreren Blättern besprochen, so daß das Interesse
hochgespannt war, als die Aufführung am 10. März 1826 stattfand.
  Da sie von den Anhängern der Wolffschen Richtung begünstigt
worden war, so hatte man damit gerechnet, daß den Alexander
Pius Alexander Wolff geben werde: Der aber hatte Berlin zu jener
Zeit bereits verlassen, und so trat Georg Wilhelm Krüger für ihn
ein. Statira, die weibliche Hauptrolle, wurde von Auguste Stich
gegeben; alle Stimmen der Kritik waren sich einig im Lobe ihrer
imponierenden Leistung. Die Rolle des Darius war mit Ludwig
Rebenstein, die der Thaïs mit Friederike Unzelmann besetzt. Die
Dekorationen, wie Graf Brühl dies liebte, von besonderer Pracht,
waren nach den Entwürfen Schinkels von Gropius ausgeführt
worden.
  Kaum ein Beispiel kann deutlicher das hohe Maß an Begeisterung
für das Theater belegen, wie es für das damalige literarische Berlin
charakteristisch ist, als das des Uechtritz'schen Trauerspiels. Schon
vor der Aufführung mehrfach besprochen, entstand nachher ein
wahres „kritisches Treibjagen“. Alle bedeutenderen Blätter schrieben
wiederholt über das Stück; zumeist erweiterten sich diese Beurteilungen
zu Untersuchungen systematischer Art: über das Dekorationswesen,
das Verhältnis von Oper und Schauspiel, von Epos und
Drama, von Dichter und Stoff. Dabei war man sich einig in der
Anerkennung der Wahl eines so bedeutsamen Stoffes, in der günstigen
Bewertung des Ganzen, trotz aller Mängel im Einzelnen, in
der guten Meinung über die dichterische Begabung des Verfassers.
Besonders rege beteiligten sich an dieser literarischen Auseinandersetzung
die „Abendzeitung“ und der „Gesellschafter“; der eigentliche
Kampfplatz aber war Saphirs „Schnellpost“, in der bis zum
Juni des Jahres nicht weniger als elf ausführliche Besprechungen
erschienen sind, die in ihrer Beurteilung die größte Verschiedenartigkeit
zeigen. (Nach Wilhelm Steitz, „Friedrich von Uechtritz als
Dramatiker“. Görlitz, Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften
1909, S. 63—67.)
S. 150, Z. 30: in arte: in der Kunst.
S. 151, Z. 1: Könneritz: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 79, Z. 6 f.
S. 151, Z. 25: Theodor Hell: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar Bd. 1, S. 226,
Z. 10 f. (S. 593).
S. 151, Z. 30 f.: Göthe verlegte seinen Götz (oder Werther) selbst:
Sein Schauspiel „Götz von Berlichingen“ hatte Goethe im Juni 1773
im Selbstverlage herausgeben müssen; für die „Leiden des jungen
Werthers“ hat er einen Verleger (die Weygandsche Buchhandlung in
Leipzig) gefunden.
S. 152, Z. 37: de auditu: vom Hörensagen.
S. 153, Z. 10: ex facto: auf Grund des Geschehenen, aus Erfahrung.

[Bd. b5, S. 513]

 


S. 153, Z. 17 f.: und kam am 8t Mai daselbst an: Dies ist ein
Irrtum: Grabbe ist bereits am 5. Mai 1820 an der Leipziger Universität
inskribiert worden. Vgl. Glaubw. S. 89, unter Nr 230.