Nr. 129, siehe GAA, Bd. V, S. 171 | 03. August 1827 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| 35 Bester Freund, so Mancher hat es mir gesagt, ich wäre eigentlich ein Poet, aber auf Ehre (nr. 200) ich spreche lieber mit Dir von unseren übrigen Erinnerungen und Verhältnissen als von der Poesie. [GAA, Bd. V, S. 172] Sie ist eine Art von Handwerk, wenigstens bei mir. Deinen Brief vom 28st Juli erhielt ich zu meiner Freude; Freude ist hier selten, wird auch bei uns nicht so theuer bezahlt als eine gestohlene Forelle. Fressen und sich freuen ist bei 5uns einerlei. Trinken? wozu? Die Leute haben keinen Verstand, sie brauchen ihn nicht zu versaufen. Wenn sie trinken, so werden sie klug, id est grob (gegen sich, nicht wider mich). Ich glaube, es war eine nette Zeit als wir nach Charlottenburg fuhren. Herr Lasky (der Jenenser Student in Leipzig, 10der beim Thomasbecker saß und so schnell bei den Kaufleuten borgen wollte) ist aus der Burschen welt in die Griechen welt, von da in die Köpf welt gegangen, nämlich vor dem Serail auf einer Lanze aufgepflanzt. Mein Gott, welche Lebenserfahrung müßte es geben, wenn man sich hinter 15dem Köpfen besinnen könnte. Ist man es gewohnt, so hat man es überstanden. Ich will ein Politiker werden, will ein Buch über die Gefahr, welche uns von Rußland droht und über die Mittel sie zu hemmen, schreiben. Auch will ich „eine Giftpflanze, gewachsen im Boden der Pandekten“ ediren, 20nämlich das Erbschaftsrecht. Eintrocknen brauche ich sie nicht, weil sie schon trocken genug ist. Hieße es nicht bei uns Juristen „ewiger (sc. trockener) Sommer, ewige Ernte“ (sc Geldernte) wo wäre L.[ex] 7 de V.[erborum] S.[ignificatione]? Und — (das „und“ ist eine schwebende Brücke über Abgründe, 25die der Stylist nicht ausfüllen kann) — ich will doch lieber Jurist in Detmold als Poet in Dresden seyn. Zu unsren Geschäften. 1) Die cartonnirten Exemplare auf Velinpapier betreffend. Damit mach Dir nicht zu viel Mühe. Ich wünschte höchstens ein einziges, nämlich, um es dem 30hiesigen Fürsten zu präsentiren. Ein Exemplar auf gewöhnlichem Papier reichte vielleicht auch aus. 2) Die Proben in den Journalen. Die Idee darüber entstand wohl vorzüglich dadurch, daß, da meine Werke in 2 Theilen gedruckt werden sollten, wir wo möglich auf andere Weise den durch diese 35Zerstückelung gefährdeten Gesammteffect retten mußten. Du willst aber beide Theile zugleich verschicken lassen (keinen ja früher als den anderen!!), also ist der Gesammteffect gerettet. Der Journale bedürfen wir nicht, und ex.[empli] gr.[atia] der Gothland ist viel zu verwickelt, um nicht, indem 40wir eine Scene vorlegen, den Mißgriff jenes Griechen zu thun, der einen Ziegel als Probe seines Hauses darzeigte. Deine [GAA, Bd. V, S. 173] ausgewählten Scenen des Gothland passen sonst zum Zweck, sie sind zwar nicht die besten und sollen es nicht seyn, aber sie gehen doch drauf los. Fast möchte ich (wenn ich überhaupt dafür wäre) rathen einige Stellen des Gothland 5nur einrücken zu lassen: z. B. das Gespräch mit Berdoa im 4t Act von den Worten: „eine sternhelle Luft“ bis „o des Wahnwitzes“ oder gar bis „jetzt o jetzt“., und dann im selben Act die ganze Stelle, wo Gothland unter Sternschnuppen und Nordlicht durch das Schneefeld stürzt. — Abendzeitung 10oder Morgenblatt wäre einerlei, aber ich bitte, si possible, laß in meinem Lustspiel die Anspielungen auf Abendzeitung ect und die literarischen Witze nicht aus; ich versichere, daß ich grade die am meisten beleidigten Leute an der Nase ziehen werde, mittelst einiger Sendschreiben. — 15Rattengifts Dicht- und des Teufels Hufeisen-Scene sind gut gewählt. — Aus Nannette ist die leichteste Wahl: die vorletzte und letzte Scene des 2t Actes z. B. oder gleich die erste Scene des 1st Actes. Glaub', Nannette macht leicht Glück. Aus Sulla die 1ste oder die 2te Scene des 2t Actes. 20Die Schlachtscene ist wohl zu skizzenhaft und wirkt nur im Ganzen. — Alles dieß ist nur in eventum gesagt, denn offenherzig, ich bin gegen diese stückweise Ankündigung. 3) Ankündigung? Sobald Du das Buch versendest mußt Du eine an die Meiersche Buchhandlung in Lemgo schicken, wo 25möglich gleich gedruckt, damit sie sie dem „Intelligenz-Blatte “ (so heißt unser Lippisches Journal!) beilegen. Sie würde heißen: „In der Hermannschen Buchh. in Frkf. a. M. sind erschienen und bei uns zu haben: Dramatische pp pp. Diese Dichtungen bedürfen keiner gewöhnlichen Buchhändleranzeige; 30sie werden sich den Beifall selbst erringen. Nur das darf man behaupten, ohne zu fürchten, der Leser werde uns einer Täuschung beschuldigen: es regt sich in diesen verschiedenen tragischen, komischen, sentimentalen, und historischen Dramen, ein äußerst gewaltiger, vielseitiger Genius, 35und dabei von einer Selbstständigkeit und Eigenthümlichkeit, wie sie schwerlich in neueren Zeiten gefunden werden. Das beigedruckte Urtheil eines großen Dichters wird dieses schon allein bei der voranstehenden Tragödie rechtfertigen. Auch der Aufsatz über die zur Mode gewordene Bewunderung des 40Shakspeare verräth gewiß eben so viel kritisches tiefblickendes Talent als Kenntniß der älteren und neueren Bühne.“. — [GAA, Bd. V, S. 174] Diese Ankündigung (in der ich mir die Selbstschmeichelei pto necessitatis zu verzeihen bitte) wäre bei uns und anderwärts zu gebrauchen. 4) Kodon. Die Idee mit Althing ist gut, jedoch, da Althing in der Masse des Publici 5immer etwas obscur, auch schon veraltet ist, so rathe ich, den Molfells dem Schulmeister die Memoiren von Jacob Seingalt de Casanova geben zu lassen: „Da, für die gute Nachricht pp ein Exemplar der Memoiren von Jacob Seingalt de Casanova, in Maroquin gebunden, und dennoch ungebunden. 10 Ich kaufte es von einem Juden pp. Schulmei- ster: Memoiren von Jacob Seingalt de Casanova? Dieses Napoleons der Unzucht? Dieses Generals der sieghaftesten Niederlagen? Was soll pp pp pp gehörig zu „„studiren““ wissen. “ — Die Scene mit Gretchen: „Guten pp den Jacob Seingalt 15de Casanova an den Kopf pp Schulmeister (indem er die einzelnen Bände des Werkes aufhebt) Hm, Hm, kann Madam diese Bücher also nicht zur Belehrung oder zum Studio in der Küche gebrauchen? Gretchen. Ach pp Daß solche Waare nicht zum Studio in der Küche gemacht ist pp. 20Man fiele in's Feuer! Madam ist pp pp Schulm. Hm, Hm, hier sind aber nur drei Bände und ich hatte der Madam doch vier überschickt pp“ — Die Scene mit dem Schmidt macht sich von selbst, nur bemerke ich, daß überall, wo Du Casanova hinsetzen willst, Du dieß des Effectes wegen mit seinem vollen 25Namen „Jacob Seingalt de pp. thun müßtest. — Scene wo der Teufel gefangen wird: „Schulm. Die Sonne pp pp und ich müßte mich sehr irren, wenn ihn nicht die magische Einwirkung von 3 Theilen des Jacob Seingalt de Casanova, herausgegeben von Wilhelm von Schütz, hieher locken sollte. Zur 30Sicherheit aber verstärke ich den Effect mit weil. Althings hinterlassenen Schriften und lege sie auf den Casanova wie schlechten Pfeffer auf Schweineschinken (Er setzt pp legt den Casanova und Althings hinterlassene Schriften pp)“ Nachher der Teufel: „Ich rieche hier zweierlei: links etwas Abscheuliches, 35Zuchtloses, rechts etwas Versoffenes, die Kinder Züchtigendes pp.“ Und zuletzt Schulm.: „mit Speck fängt man Mäuse, mit Casanova und Althing den Teufel“ p. Somit hättest Du Deinen Althing, ich meinen Casanova in uno. Das übrige änderst Du selbst. Bist Du aber nicht mit meiner Idee 40zufrieden, so genire Dich nicht, sondern führe die Deinige aus. 5) Die Notiz wegen der Abänderungen. Ich glaube, daß [GAA, Bd. V, S. 175] Du hinter die Vorrede setzen mußt, etwa so: „Anzeige des Verlegers. Des großen Publici wegen mußte bei dem Druck nachstehender Werke sehr Vieles verändert, ja gestrichen werden. Da der Verfasser erklärte, er selbst würde 5wegen dieser Veränderungen keine Hand anlegen, wolle mir aber, da er in seine Producte nicht verliebt sey, unbedingte Gewalt geben, in dieser Hinsicht das Nöthige zu besorgen, so mußte ich mich dem Geschäfte unterziehen. Manche bedeutungsvolle Stelle mußte leiser ausgedrückt werden, manche 10mußte ganz wegfallen, hier und da waren im gedruckten Buche Schwächen und Dunkelheiten grade an Orten nicht zu vermeiden, wo das Manuscript kräftig und höchst klar ist. Beides gilt vorzüglich von dem Gothland und von dem Lustspiel.“ — Ich weiß, Du fühlst Dich nicht beleidigt, 15wenn ich Dir den Ausspruch, Du hättest manche Dunkelheit oder Schwächung nicht vermeiden können (ich hätte und habe es ja auch nicht gekonnt!) in den Mund lege; die Sache thut vielleicht ihre Wirkung. 6) Der Aufsatz „über die modische Bewunderung des Shakspeare“ oder über die Shakspearo 20-Manie, wird schon in Frankfurt seyn. Was meinst Du von ihm? Er ist schnell geschrieben, konnte auch nicht über den ganzen Shakspeare erschöpfend seyn (wer weiß, was wir mal thun), aber da ich den Hrn. Shakspeare und die Hrn. Poeten recht gut kenne, so glaube ich doch, es steckt 25etwas darin, und was mehr ist, er paßt in die Zeit, also laß ihn hinterdrucken. Mancher kauft die Stücke, um über den lieben Shakspeare etwas zu hören. Und jetzt athme ich wieder, und rede von allerlei, queer durcheinander. Meine Speculation pto des hiesigen Theaters 30ist nicht ohne, und da mit oder vor Michael bei der Rückkunft des Fürsten der Lärm recht losgeht, so freut es mich äußerst, daß Du schon in 2 Monaten den Druck geendigt zu haben und zu versenden gedenkst. Ich stehe hier so, daß ich nützliche Sprünge machen kann. Dem „Creuzer“ in Heidelberg 35habe ich mit Willen eins in der Shakspearomanie abgegeben. Heute ist ein schöner Tag, und wie die Karpfen im Sonnenschein mit blauen Rücken aus dem Wasser ragen, liegen die blauen Berge in der Ferne. Selbstrecensionen sind auch ersprießlich. Preußen hat 7 Jahre gesiegt (1756—63) 40und 7 Jahre gelitten (1806—13). In dem 7jährigen Leiden hat es mehr gewonnen als im 7jährigen Siege. Künstlern und [GAA, Bd. V, S. 176] Helden (beides ist eins, denn der Krieg im Großen ist eine Kunst) geht's wie der Perlmuschel; aus Qual werden Perlen. Der König von Sachsen ist ja auch todt, er mit der hohen Stirn, auf welcher die Läuse (wenn er welche gehabt hätte) 5schwindlich geworden wären, wie Edgar im Lear an den Kreidefelsen von Dover. Ich müßte lachen, wenn die Hrn. Politiker in den Türken den schlafenden Löwen geweckt hätten. Ist Europa eine Jungfrau, so ist es Schade um sie, denn statt eines weißen Flusses hat sie ein weißes Meer, 10und wo ohngefähr die Hintertheile ruhen, fluthet das schwarze Meer. Deutschland ist das Herz, ach Gott ja, es ist zerrissen, wie nur ein Herz seyn kann! Italien sieht aus, wie ein bestiefelter Fuß, deshalb traten die Römer mit ihm der Welt auf den Kopf. Die Griechen sind Narren, wenn 15sie sich helfen lassen. Wer sich selbst nicht befreien kann, verdient keine Freiheit und bewahrt sie nicht. Die Menge ist ein Hund, je mehr Prügel, je folgsamer. Wer sich selber nicht imponirt, der imponirt anderen. Ich lerne Musik. Theaterrecensionen sollte man so schreiben, daß man die Urtheile 20den Geistern der dargestellten Personen in den Mund legte. Was würde der Wallenstein über Herrn Anschütz sagen? Die Nordamerikaner sind um Rivinus reicher geworden. Die Franzosen sitzen in Spanien, wie die Maus in der Falle. Ich lese seit Jahren die Frankfurter Zeitung, früher redigirte 25sie Krapp (Grabb —), jetzt ein Hr. Oehlers, was ist das für ein Mann? Höpfner in Leipzig, — Du schriebst mir, Du hättest ihn gesprochen, — was ist er? Gewiß Magister? — Und nun, schreib' bald, ich bitte, — und glaube, daß ich bin Dein alter unedelmüthiger Freund Grabbe. 30Detmold den 3t Aug. 1827. [Adresse:] Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil (Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main. Frei. |
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129.
H: 1 Doppelbl., 1 Bl. in 40; 4⅔ S., Adresse auf S. 6.
Auf S. 6 Vermerk des Empfängers: 1827 Grabbe in Detmold
den 3 Aug. Abgangsstempel: DETTMOLD 4/8 Ankunftsstempel:
FRANKFURT 8 AUG. 1827
[Bd. b5, S. 520]
F: GrA
D: WBl IV 402—407, als Nr 7.
S. 172, Z. 12: die] fehlt H
S. 172, Z. 39 f.: indem wir eine Scene vorlegen] ohne die Kommata
am Anfang und Ende aRl eingefügt H
S. 173, Z. 23: mußt] muß H
S. 173, Z. 29: gewöhnlichen] gewöhnlich üdZ eingefügt H
S. 174, Z. 15: pp] pp“ H
S. 174, Z. 34: „Ich] Ich H
S. 176, Z. 13: ein] fehlt H
S. 176, Z. 20: dargestellten] dargestelten H
S. 172, Z. 7: id est: das ist, das heißt.
S. 172, Z. 23: L.[ex] 7 de V.[erborum] S.[ignificatione]: Bezieht
sich auf eine Stelle des Corpus Juris Justiniani, und zwar Digesten
L, 16,7 (in moderner Schreibung D 50, 16,7 De verborum significatione).
Der Abschnitt lautet: „PAULUS libro secundo ad edictum
'Sponsio' appellatur non solum quae per sponsus interrogationem
fit, sed omnis stipulatio promissioque.“ („Corpus Iuris Civilis.“
Editio stereotypa duodecima. Vol. I. Berolini, Weidmann 1911,
S. 909.) In Übersetzung: „Gelobung (sponsio) wird nicht blos
das genannt, was durch Befragung mit Geloben geschieht, sondern
eine jede Stipulation und Versprechung.“ (Das Corpus Juris Civilis
in's Deutsche übersetzt von einem Vereine Rechtsgelehrter u. hrsg.
von Carl Ed. Otto [u. a.] Bd 4, Leipzig, Focke 1832, S. 1214.)
Eugen Wohlhaupter, der mit Recht die von Wukadinović (WW VI
271 zu V 291,21 f.) gegebene Erklärung als irrig ablehnt, fügt seiner,
den allgemeinen Grundsätzen folgenden Auflösung, die mit derjenigen
des Bearbeiters übereinstimmt, die Bemerkung an, es sei
ihm nicht ersichtlich, „in welcher Gedankenverbindung das von
Grabbe erwähnte Juristensprichwort mit der Legaldefinition der
Sponsio in 1. 7 D. 50,16 stehen“ solle. (A.a.O. S. 302, Anm. 27.)
S. 172, Z. 38 f.: ex.[empli] gr.[atia]: Beispiels halber, zum
Beispiel.
S. 173, Z. 10: Morgenblatt: An dieses hat Kettembeil Proben
gesandt, jedoch Wilhelm Hauff als Redakteur des Blattes der Hermann'schen
Buchhandlung unterm 13. Juli 1827 mitgeteilt, daß es
ihm wegen einer Menge dringender Artikel unmöglich sei, sie zu
geben. (Nach dem Kataloge für Leo Leipmannssohns 41. Autographen
-Versteigerung vom 27. bis 29. März 1913, S. 10, unter
Nr 1295.)
S. 173, Z. 10 f.: si possible: wenn möglich.
S. 173, Z. 25 f.: damit sie sie dem „Intelligenz-Blatte“
[...] beilegen: Die Anzeige ist in Nr 43 der „Fürstlich Lippischen
Intelligenzblätter“ vom 27. Okt. 1827, S. 340, erschienen.
S. 174, Z. 2: pto necessitatis: der Notwendigkeit wegen.
S. 174, Z. 3 f.: Althing: Decknahme für den aus Leipzig gebürtigen
Christian August Fischer (1771—1829), der zeitweise Professor
der Kulturgeschichte und schönen Literatur in Würzburg gewesen
war, während der Jahre 1821—24 einen Festungsarrest wegen Beleidigung
des bayerischen Staatsministers Freiherrn von Lerchenfeld
verbüßt hatte und nachher als Privatmann in Frankfurt am Main,
[Bd. b5, S. 521]
Bonn und Mainz lebte, wo er auch gestorben ist. Er verfaßte Reisebeschreibungen,
war an der deutschen Übersetzung der Werke
Coopers und Irvings beteiligt und gab unter dem Pseudonym Althing
eine Reihe von Romanen und Erzählungen heraus, vielfach Nachbildungen
der Werke eines Crébillon, Retif de la Bretonne, Louvet
de Couvret und anderer. Sie riefen ihrerseits eine Menge von
Nachahmungen hervor, die sich als „in Althings Manier“ gehalten
anpriesen.
S. 174, Z. 6 f.: die Memoiren von Jacob Seingalt de Casanova:
„Aus den Memoiren des Venetianers Jacob Casanova de
Seingalt, oder sein Leben, wie er es zu Dux in Böhmen niederschrieb.
Nach dem Original-Manuscript bearbeitet von Wilhelm von Schütz.“
Die Übersetzung umfaßt zwölf Bände, deren erster 1822 bei Brockhaus
in Leipzig erschienen war. Bis 1827 sind zehn Bände herausgekommen;
die beiden letzten tragen die Jahreszahl 1828. Schütz hat
die „Dreistigkeit der Darstellung“ nur in den drei ersten Teilen
beibehalten und weicht in den folgenden stark vom Original ab.
S. 174, Z. 30 f.: mit weil. Althings hinterlassenen Schriften: Diese
Sammlung von Erzählungen mit dem fingierten Titel „Hinterlassene
Schriften“ (2 Teile, mit Kupfern, in 120) ist in den Jahren 1820
bis 22 bei Klein in Leipzig erschienen. Auf den deutschen öffentlichen
Bibliotheken ist kein Exemplar nachweisbar. Grabbes Bezeichnung
„weiland“ ist entweder irrig oder eine bewußte Fiktion;
Fischer lebte damals noch und ist erst am 14. April 1829 in Mainz
gestorben.
S. 175, Z. 34—36: Dem „Creuzer“ in Heidelberg habe ich mit
Willen eins in der Shakspearomanie abgegeben: Dort heißt es: „weil
der Deutsche genug kleinstädtisch denkt, um nur das hochzuschätzen,
was in Zeit oder Raum weit her ist, wie denn schon im Sprichwort
'er ist nicht weit her' dieser Grundsatz zur Stereotype versteinerte,
obwohl, wenn auch die Ankunft aus weit entfernten
Zeiten und Ländern eine ziemlich zähe Constitution beweisen mag,
schon die 'Kreuzer', welche auf den Urgewässern der indischen
Litteratur umherstreifen und von dort Glaubensartikel einschwärzen
wollen, darthun sollten, daß zwischen dem 'weitherseyn' und
dem 'erbarmenswerth seyn' oft keine Grenze zu finden
ist.“ Diese Anspielung geht auf Friedrich Creuzers „Symbolik und
Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen“ (4 Bde. Leipzig
u. Darmstadt 1810—12; 2. Aufl. 1819—21.)
S. 176, Z. 3: Der König von Sachsen ist ja auch todt: Friedrich
August I., genannt der Gerechte (als Kurfürst Friedrich August III.),
war am 5. Mai 1827 in Dresden gestorben.
S. 176, Z. 5: wie Edgar im Lear:
„Kommt, Herr, hier ist der Ort: steht still! wie grau'nvoll
Und schwindelnd ists, so tief hinab zu schaun! —“
(„König Lear“ IV,6 in der Übersetzung des Grafen Baudissin.)
S. 176, Z. 14—16: Die Griechen sind Narren [usw.]: Vgl. die
ähnlichen Ausführungen Bd 4, S. 67, Z. 14—26.
S. 176, Z. 21: Herrn Anschütz: Heinrich A. (1785—1865) war
seit 1821 Mitglied des Hof- und Nationaltheaters in Wien, dem er
bis zu seinem Tode angehört hat.
[Bd. b5, S. 522]
S. 176, Z. 21 f.: Die Nordamerikaner sind um Rivinus reicher
geworden: Von dem, möglicherweise der sächsischen Gelehrtenfamilie
der R. (eigentlich Bachmann) angehörenden, 1798 in Düben geborenen
Ernst Florens R. war 1824 bei Hinrichs in Leipzig erschienen:
„Historisch-statistische Darstellung des nördlichen Englands, nebst
vergleichenden Bemerkungen auf einer Reise durch die südwestlichen
Grafschaften. In Briefen.“ Darauf wurde er Privatlehrer in den
Vereinigten Staaten, und es erschien von ihm beim selben Verleger:
„Atlantis. Journal des Neuesten und Wissenswerthen aus dem
Gebiete der Politik, Geschichte, Geographie und Statistik etc. der
nordsüdamerikanischen Reiche, mit Einschluß des westindischen
Archipelagus. Herausgegeben von Eduard Florens Rivinus in Philadelphia.
“ Jg. 1 u. 2. 1826 u. 1827.
S. 176, Z. 22 f.: Die Franzosen sitzen in Spanien, wie die Maus
in der Falle: Siehe die Anm. zu S. 98, Z. 17—21. Im Jahre 1827
standen die französischen Invasionstruppen immer noch im Lande;
denn von ihrem Beistande hing die Existenz der spanischen Regierung
ab. Die Partei der Apostolischen aber, ergrimmt darüber, daß
König Ferdinand VII. unter dem Druck der Mächte gegen Portugal
neutral geblieben war und dadurch die apostolische Sache daselbst
preisgegeben hatte, drangen auf sofortige Rücksendung der französischen
Regimenter. Diese Maßregel wurde denn auch von der spanischen
Regierung beim Pariser Kabinett zur Sprache gebracht, und
es wurde der Abzug der Franzosen auf das Ende des Jahres 1827
festgesetzt. „Verhöhnt und sogar thätlich insultirt von dem spanischen
Pöbel verließen sie das Land, dem sie legitime Restauration
seiner Regierung und damit zugleich Ruhe und Glück zu bringen
verheißen, aber keine einzige ihrer Verheißungen erfüllt, — noch
weniger den tief eingewurzelten Haß des spanischen Volkes gegen
Alles, was französisch hieß, — im Geringsten beschwichtiget, vielmehr
den alten Groll, da sie die Wünsche keiner Parthei befriediget,
— in noch stärkerem Grade angeregt hatten.“ (Venturinis „Chronik
des neunzehnten Jahrhunderts“, N.F. Bd 3, Leipzig 1830, S. 283—84.)
S. 176, Z. 24—26: die Frankfurter Zeitung [usw.]: Friedrich
Krapp, Doktor der Rechte, hatte die Redaktion der „Frankfurter
Ober-Postamts-Zeitung“ am 1. Juli 1817 übernommen und blieb in
dieser Stellung bis Ende 1826. Er wurde später Fürstl. Thurn- und
Taxischer Generalpost-Direktionsrat und ist als solcher am 7. Juni
1838 zu Frankfurt am Main gestorben. (Vgl. „Neuer Nekrolog der
Deutschen“, Jg. 16, 1838, Th. 2, Weimar 1840, S. 1119, unter Nr
937.) Unter seiner Leitung führte die Zeitung „einen todesähnlichen
Schlaf: sie berichtet nüchtern, langweilig, umständlich und ohne jede
Spur eigenen Geistes und eigener Meinung.“ (Vgl. Günther Arnecke,
„Die Frankfurter Oberpostamtszeitung 1814—1848. Zur Typologie
der Biedermeier-Presse.“ München, Phil. Diss. v. 27. Febr. 1941,
[Maschinenschrift,] S. 78.) Ihm folgte für drei Jahre der 1793 zu
Höfen im bayerischen Walde geborene, 1829 geadelte anhalt-köthensche
Legationsrat Dr. Johann Baptist Pfeilschifter. Nach dem Studium
der Philosophie, der Geschichte und der Rechtswissenschaften
war er 1816 zur Presse gekommen, hatte zunächst im Dienste
demokratischer und liberaler Ideen gestanden, nachher aber einen
[Bd. b5, S. 523]
völligen Gesinnungswechsel vollzogen, sodaß er nun als eine zuverlässige
Stütze des Metternich'schen Regimes galt. Er schied aus der
„Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung“ gerade noch rechtzeitig genug
aus, „um sie nicht ganz in Verruf zu bringen“. (Arnecke, a.a.O.,
S. 79.) Zum Unterschiede von der Periode der Leitung Krapps
wird jedoch Pfeilschifters Name in der Zeitung nicht genannt, vielmehr
figuriert als verantwortlicher Redakteur in den Nrn vom 1.
Januar bis zum 15. August 1827 Gustav Oehler, nachher der vormals
fürstlich Ysenburgische Forstamts-Assessor Wilhelm Wendland.
Die Kenntnis der wahren Verhältnisse drang jedoch in die Öffentlichkeit,
wie aus einem anonymen Artikel „Altes und Neues aus
Frankfurt a. M.“ in den Nrn 73 und 74 des „Hesperus“ vom 26.
und 27. März 1827 hervorgeht. In diesem heißt es u. a.:
„Mit dem Anfange dieses Jahres ist eine Veränderung in der
Redaktion der hiesigen Oberpostamts-Zeitung vorgegangen.
Herr Dr. Krapp, der sie bisher besorgt, ist zum fürstlichen
Thurn und Taxisschen Rathe befördert worden und sein bisheriger
Gehülfe, ein Herr Oehler, nennt sich jetzt als Redakteur.
Allgemein wird jedoch versichert, daß Herr Legations-Rath
Dr. Pfeilschifter wirklicher Redakteur sey und, nach dem
Beyspiele französischer Blätter, ein untergeordneter Mitarbeiter den
Namen hergebe.“ (Nro 74, S. 294.) Von 1829-1831 hat Oe. die „Zeitung
der freien Stadt Frankfurt“ redigiert und darnach zwei eigene
Zeitschriften, „Die Zeitbilder“ und die „Rhein-Main-Zeitung“, in
liberalem Geiste erscheinen lassen. Von diesen hat insbesondere die
erste heftige Kämpfe mit der „Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung“
ausgefochten, sich aber wegen ihrer „freisinnigen Haltung“ nicht
lange behaupten können. Nach seinen mannigfachen journalistischen
Versuchen hat sich Oe. später als Buchhändler und Besitzer von
Frankfurts größter Leihbibliothek einen Namen gemacht. (Arnecke,
a.a.O., S. 80.) — Die Grundtendenz der „Frankfurter Ober-Postamts
-Zeitung“ ergab sich aus ihrem Charakter. Sie war das Organ
des in Regensburg residierenden Fürstlichen Hauses Thurn und
Taxis, welches enge Verbindung mit der österreichischen Politik
pflegte. Eine unmittelbare Abhängigkeit vom Kabinett Metternich
bestand nicht; vielmehr genügte es diesem, sich auf dem Umwege
über das Regensburger Fürstenhaus der „Ober-Postamts-Zeitung“
versichert zu halten. Dort wurde die politische Richtung des Blattes
bestimmt, von dorther empfing der Redakteur Anweisungen für
seine Arbeit und für die Gestaltung der Zeitung. Gern nahm sie
„Unparteilichkeit“ für sich in Anspruch, und dies um so lieber, „je
mehr sie nach den Karlsbader Beschlüssen unter dem Eindruck der
Machtmittel des österreichischen Regimes auf jedes eigene Urteil
verzichtete und die Prinzipien der Restauration beschwor. In dieser
Hinsicht hat sie in den fast drei Jahrzehnten von 1819 bis zur
Mitte der 40er Jahre eine bewundernswerte Kontinuität gewahrt;
in ihrer Ergebenheit in die Weisheit der Kabinette, besonders des
einen zu Wien, das sich so große und anerkennenswerte Mühe gab,
in Deutschland und darüber hinaus in Europa Ruhe und Ordnung
aufrecht zu erhalten und unter dem Aushängeschild der Legitimität
jede freiheitliche Regung zu ersticken.“ Im Urteile der Zeitgenossen
[Bd. b5, S. 524]
über die politische Haltung des Blattes bestand eine seltene Einmütigkeit;
man nannte es konservativ, zuweilen auch reaktionär. (Arnecke,
a.a.O., S. 113—15.)
S. 176, Z. 26: Höpfner: Siehe die Anm. zu S. 222, Z. 33.