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Nr. 164, siehe GAA, Bd. V, S. 221thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

25                    Handschrift Freund,

für Deine beiden Briefe dank' ich, auch für Übersendung der
Notiz aus der Frankfurter Zeitung. Der Hr. Redacteur hält
mich wohl nicht ganz mehr für so unsinnig als es die Iris
theilweise zu thun schien. Die fernere Recension theilst Du
30mir wohl mit, dagegen denk' ich Dir nächstens die seit 1 Woche
beendigte Pustkuchsche zu schicken; ich habe schon um ein
Exemplar nach Herford geschrieben, denn sie Dir abschriftlich,
wie ich sie besitze, mitzutheilen, ist sie zu lang. Die
Notiz im Westphälischen Anzeiger kenne ich, ist aber nicht
35von mir veranlaßt; ein toller Druckfehler: Prädicant,
statt Practicant ist darin enthalten. Kunz muß; sey
aber nicht zu grob gegen ihn, halt' ihn ernst an sein Wort,
und bemerke ihm, unbedingtes Lob verlangten wir gar nicht.
Beim Conversationsblatt mußt Du auch irgend anzu-

[GAA, Bd. V, S. 222]

 


treiben suchen. — Der Einsatz an Journale kann nicht
groß genug seyn: mein guter Rosen, der in Berlin wirken
sollte, und am Ende im Gesellschafter mittelbar wirken half,
geht auf Reisen in den Orient (des Arabischen halber), also
5schick' nach Berlin noch an die dortigen Jahrbücher der
wissenschaftlichen Kritik, an das Berliner
Conversationsblatt p. Ich habe Grund, Gutes davon
zu hoffen. Berlin ist mürbe, und alle Journale, in denen wir
bis jetzt recensirt sind, werden dort gelesen. — Das Weimarer
10Journal des Luxus und der Moden recensirt schnell,
— überhaupt, ich möchte fast rathen, an jedes Journal, welches
Dir einfällt, ein Thier zu senden, quia wir nicht auf
die Bretter getreten sind. — Die Detmolder Schauspielgesellschaft
jammert nach einem Stücke von mir; der alte Director
15hatte, ehe er sie ausgelesen, bereits die 1st Sc. aus Nannette
extrahirt, aber da — kamen die Verwandlungen. Don Juan
und Faust sollen sie haben. Ich versichere, dieß Stück, mit
dem ich mich auf die Hohenstaufen und deren reine Geschichtlichkeit
vorbereite, indem ich alles was ich noch auf dem
20Herzen habe, darin abschäume, wird ein theatralischer, be-
geisternder Gothland. Faust und Don Juans Schicksale
verpflechten sich in der gemeinschaftlichen Liebe für Donna
Anna, Handschrift Don Juan, der Spanier, Faust, der Deutsche, Don Juan,
schwelgend in Ruhm, Sinnlichkeit, Faust, im Wissen, im
25Zweifel. — Nein, dem Holtei gebe ich nichts; da geht's mir
wie dem Napoleon, ich liebe große Schlachten, Scharmützel
schwächen mich, selbst am Geiste. — Neulich sprachst Du
von meiner Geliebten, von Paris. Mon Dieu, da möchte
ich als Correspondent der Wiener Modezeitung leben. Daß
30Du heirathen solltest, war mein Spaß, ausgenommen, wofern
Du Geld dabei eroberst. Ist es Dein Ernst? Befindet sich der
Benemann in Zörbig? Viel Pecunien wird er nicht haben. Und
ist Höpfner Gerichtsverwalter in Schandau? Gott, welche
Helden sind wir worden! Schändlich aber, daß diese Ochsgenies
35(sie ochsten) sich nicht besser oder schlechter stehen
als wir, wir Faullenzer auf den Straßen von Stehely nach
d'Heureuse, von Stehely zum Theater. Wenn Du ein Kind
kriegst, bin ich Dein Gevatter, es soll „Murki“ heißen.

  Fürerst will ich ein kleines Flämmchen im Mindener Sonntagsblatt,
40welches auch in Berlin gelesen wird, und dessen
Redacteur, Regierungsrath Meier, mich neulich mit Begeisterung

[GAA, Bd. V, S. 223]

 


aufgesucht hat, anzünden. — Schick' an die Journale,
obgleich ich weiß, daß Du schon das Ungeheuerste gethan hast.
Auch Pustkuchen scheint indirect mich zu ermuntern, in Dramatisierung
der Hohenstaufen von Memel bis Triest die
5höchste Palme zu erringen; alles was bis jetzt darüber geleistet
ist, ist Dreck, größer, vaterländischer als alles sind die
Hohenstaufen, größer, vaterländischer ihr Drama. Ganz
Deutschland in die blendenden Farben der Poesie gehüllt.

      Die Post geht.
10                                
echter Grabbe.

  Detmold d. 2t März 1828.

      (Sehr eilig geschrieben)

[Adresse:] Handschrift An die Hermannsche Buchhandlung (Hrn. Buchhändler
15Kettembeil) Wohllöblich in Frankfurt am Main. Frei.

 


164.

H: Doppelbl. in 40; 2 S., Adresse auf S. 4.
  Auf S. 4: Abgangsstempel: DETTMOLDAnkunftsstempel:
FRANKFURT 5 MART 1828 Vermerk des Empfängers: 1828
Grabbe in Detmold den 2 Maerz.
F: GrA

S. 221, Z. 27: Notiz aus der Frankfurter Zeitung: Sie findet sich
in Nr 52 der „Zeitung der freien Stadt Frankfurt“ vom 21. Februar
1828, S. 211—12, und lautet: „Der talentvolle junge Dichter Grabbe
(die Iris ist noch den Schluß der Beurtheilung seiner dramatischen
Dichtungen schuldig und wird ihn geben!) hat von dem Fürsten
von Lippe-Detmold eine mit ansehnlichem Gehalt verknüpfte Stelle
erhalten, welche ihm Muße läßt, sein literarisches Wirken fortzusetzen.
Bisher lebte Grabbe als Advokat in Detmold.“ (Mitteilung
der Stadt- und Universitäts-Bibliothek zu Frankfurt am Main.)
S. 221, Z. 30 f.: die seit 1 Woche beendigte Pustkuchensche: In
der „Westphalia“; siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 219, Z. 16.
S. 221, Z. 33 f.: Die Notiz im Westphälischen Anzeiger: Mitgeteilt
WW VI 251, ohne Verbesserung des „tollen“ Druckfehlers.
Wukadinović bemerkt, sie scheine „gleichfalls Grabbes geistiges
Eigentum“ zu sein.
S. 221, Z. 36: Kunz: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 219, Z. 19.
S. 221, Z. 39, — S. 222, Z. 1: Beim Conversationsblatt mußt
Du auch irgend anzutreiben suchen: Es hatte bereits in den Nrn
36—40 vom 19. bis 25. Febr. „Drei kritische Brander wider des
Herrn Grabbe dramatische Dichtungen, nebst Abhandlung über Shakspearomanie
“ gebracht und ihnen in No 42 vom 28. Febr. eine
„Nachschrift der Kritik über Marius und Sulla“ und in der folgenden
Nummer vom 29. Febr. eine „Berichtigung hinzugefügt.
Grabbe erfuhr dies alsbald durch Kettembeil; siehe Verweis zum Kommentar S. 228, Z. 39,
bis S. 229, Z. 2.
S. 222, Z. 2 f.: mein guter Rosen, der in Berlin wirken sollte,
und am Ende im Gesellschafter mittelbar wirken half [usw.]: Grabbe
denkt möglicherweise an einen Einfluß Rosens auf die, den Werken
im ganzen günstige Besprechung der „Dramatischen Dichtungen“ im
205ten Blatte des „Gesellschafters“ vom 24. Dezember 1827. Jedoch
hatte R. in diesem Jahre Berlin wieder verlassen und sich nach
Paris begeben; auch können etwaige Beziehungen zwischen ihm und
Gubitz weder durch dessen „Erlebnisse“ noch durch den Katalog
von „Carl Robert Lessings Bücher- und Handschriftensammlung“
(Bd 1—3, Berlin 1914—16) nachgewiesen werden, für die ein „reicher
Schatz von Dichter- und Künstlerbriefen“ aus Gubitzens Nachlaß
erworben worden war. (Vgl. Bd 2, S. I.) — In dem Verzeichnis

[Bd. b5, S. 555]

 


der Mitarbeiter, die im Jahrgang 1828 dem monatlichen Inhaltszeiger
vorausgehen, fehlt der Name Rosens; ebenso in Goedekes „Grundriß“
2 Bd 8, S. 29.
S. 222, Z. 5f.: die dortigen Jahrbücher der wissenschaftlichen
Kritik: Sie haben keine Besprechung der
„Dramatischen Dichtungen“ gebracht.
S. 222, Z. 9 f.: Das Weimarer Journal des Luxus und der Moden
recensirt schnell: Das von Friedrich Justin Bertuch im Jahre 1786
gegründete „Journal des Luxus und der Moden“, vom 29. Jahrgang
(1814) in „Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode“ umbenannt,
hatte im Jahre zuvor mit dem 42. Jahrgang (oder dem
sechsten der Neuen Folge) sein Erscheinen eingestellt.
S. 222, Z. 14: der alte Director: August Pichler.
S. 222, Z. 25: dem Holtei gebe ich nichts: Für das „Jahrbuch
deutscher Bühnenspiele“; siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 219, Z. 28 f.
S. 222, Z. 29: Wiener Modezeitung: Die im Jahre 1816 begründete,
von Johann Schickh herausgegebene „Wiener Zeitschrift für
Kunst, Litteratur, Theater und Mode“.
S. 222, Z. 31 f.: Befindet sich der Benemann in Zörbig: Der
Versuch, durch die Gemeindeverwaltung von Zörbig (Provinz Sachsen)
eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, ist fehlgeschlagen.
Siehe auch die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 146, Z. 36.
S. 222, Z. 32: Zörbig: Stadt im Kreise Bitterfeld des preußischen
Regierungsbezirks Merseburg, am Strenkbache.
S. 222, Z. 33: ist Höpfner Gerichtsverwalter in Schandau: Die
betreffenden Akten des Amtsgerichts Schandau sind vernichtet; darrum
hat sich dort über eine etwaige Tätigkeit Carl Höpffners als
Gerichtsverwalter nichts ermitteln lassen. Auch die Städtische Kurverwaltung
und das Ev.-luth. Pfarramt in Bad Schandau haben über
seinen etwaigen Aufenthalt daselbst nichts feststellen können. Siehe
auch Brief Verweis zum Kommentar Nr 62 und Verweis zum Kommentar S. 176, Z. 26 f.
S. 222, Z. 36 f.: von Stehely nach d'Heureuse, von Stehely zum
Theater: Der „Punsch-, Eis- und Konditorladen“ von Stehely befand
sich Jäger-Straße 57, derjenige von D'heureuse an der Schleusenbrücke
No 9, das Neue Schauspielhaus am Gensd'armenmarkte.
(Johann Daniel Friedrich Rumpf, „Berlin und Potsdam. Eine Beschreibung
aller Merkwürdigkeiten dieser Städte und ihrer Umgebungen
“, Bdch. 2, 4., umgearb. Ausg., Berlin, Flittner 1823, S. 150
bis 151.)
S. 222, Z. 38: Murki: Murkis nennt man Bässe in fortgesetzten
Oktavenbrechungen von unten nach oben, aber auch musikalische
Kompositionen für das Klavier, bei denen der Baß in lauter brechenden
Oktaven geführt wird. Man kann mit ihnen humoristische
wie auch pathetische Wirkungen erzielen. Karl Müchler hat in seiner
Miszelle „Woher kommt der Name 'Murky'?“ („Neue Spiele müßiger
Stunden“, Th. 2, Berlin 1812, S. 106—08) die Entstehung der
Bezeichnung zu erklären versucht. — Grabbe konnte bei seiner
Lektüre Jean Pauls und E. Th. A. Hoffmanns auf das Wort stoßen,
bei jenem am Ende der Vorrede zum satyrischen Appendix zum
ersten Bändchen der „biographischen Belustigungen unter der Hirnschaale
einer Riesin“ („Sämmtliche Werke“ Bd 17, 1826, S. 124—25),

[Bd. b5, S. 556]

 


bei diesem im „Öden Haus“ („E. T. A. Hoffmann's ausgewählte
Schriften“, Bd 5: „Nachtstücke herausgegeben von dem Verfasser der
Phantasiestücke in Callots Manier“. Berlin, Reimer 1827, S. 188),
oder in „Gedanken über den hohen Werth der Musik“, dem dritten
Kapitel der „Kreisleriana“ (ebenda, Bd 7: Phantasiestücke in Callot's
Manier. Berlin 1827, S. 38.)
S. 222, Z. 39, — S. 223, Z. 1: Fürerst will ich ein kleines Flämmchen
im Mindener Sonntagsblatt [...] anzünden: Unterm folgenden
Tage hat Grabbe an Dr. Nikolaus Meyer geschrieben; siehe Brief
Verweis zum Kommentar Nr 165. Die Besprechung der „Dramatischen Dichtungen“ findet
sich im 25sten Stücke des „Sonntagsblattes“ vom 22. Jun. 1828,
S. 197—200. Die hinter einer Chiffre sich verbergende Verfasserin
ist Elise von Hohenhausen. Wiederabgedr. in: „Grabbes Werke in
der zeitgenössischen Kritik“, hrsg. von Alfred Bergmann, Bd 1, Detmold
1958, S. 76—80.