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Nr. 169, siehe GAA, Bd. V, S. 225nothumbnail
Louise Clostermeier (Detmold) an Fürstlich Lippisches Militärgericht (Detmold)
Brief


[Entwurf]

  Hochfürstlichem Militairgericht übergebe ich hiermit die
Abschrift einer, auf mich ausgestellten, u. von dem Herrn
35Forst-Secretair Kestner in der Eigenschaft als beeidigter Proto-

[GAA, Bd. V, S. 226]

 


coll-Führer beglaubigten, Vollmacht meiner Nichte der Frau
Renner geb. Rotberg, welche mich durch dieselbe in den Stand
setzt ihr Interesse bei den durch den Todesfall ihres Bruders
des Auditeurs Rotberg vorstehenden Angelegenheiten wahrzunehmen
5und zu vertreten.

  Da einige Zeit nach dem Ableben meines Neffen des Auditeurs
Rotberg der Ein- u. Ausgang des jetzigen Auditeurs,
Herrn Grabbe, eines Unterofficiers u. eines Soldaten in das
von demselben bewohntgewesene Zimmer wahrgenommen
10worden ist, so muß ich vermuthen, daß Fürstliches Militair-Gericht,
für den Zweck des Verkaufs, ein Verzeichniß des
Nachlasses meines sel. Neffen hat anfertigen lassen, und mir
die Freiheit nehmen zu erinnern, daß dieser Verkauf gefälligst
bald möglichst vorzunehmen sey, da das Logis auf Ostern
15wieder einen Bewohner erhalten wird. Es ist zu bedauern daß
die Entsiegelung des Nachlasses ohne mir oder jemand anderm
der hiesigen Anverwandten die gebührende Anzeige davon zu
machen, indem wir die entfernte Schwester des Aud. Rotberg
zu vertreten hatten, vorgenommen worden ist.

20  Frau Renner wünscht die in meinem Gewahrsam sich befindende
goldene Uhr des Verstorbenen u. das Familien-Pettschaft
desselben als Andenken zu behalten; dagegen wird
solche den Abtrag der Schulden, welche der Nachlaß nicht zu
befriedigen vermag, übernehmen; da noch einige Obligationen
25von dem von ihren Aeltern auf sie und ihren Bruder
gemeinschaftlich vererbten Vermögen sich in den Händen
ihres Ehegatten, des Kaufmanns Renner befinden, wovon der
Herr Auditeur Grabbe selbst einige Kenntniß durch den sel.
Rotberg schon früher erhalten hat.

30  Da mir nun durch das Intelligenzblatt bekannt geworden
ist, daß das Fürstliche Militair-Gericht einen Termin auf den
24 sten März d. J. zur Angabe der noch unbekannt gebliebenen
Schuldforderungen an den sel. Aud. Rotberg anberaumt hat,
so ersuche ich das Fürstliche Militair-Gericht nach Ablauf desselben
35mich mit der Summe der sämmtlichen Schulden gefälligst
bekannt zu machen, damit ich mich in den Stand sehe meine
Nichte davon gehörig in Kenntniß setzen zu können.

  Sollte sich das der oben erwähnten Uhr mangelnde Gehäuse
vielleicht noch auffinden, so erbitte ich mir dessen gefällige
40gelegentliche Mittheilung mit dem Familien-Pettschaft
des Verstorbenen.

[GAA, Bd. V, S. 227]

 


  Eine Note mit einiger, näher bezeichneten, Wäsche des sel.
Rotbergs übersende ich mit derselben dem Fürstlichen Militair-Gericht,
ebenso wie eine solche, mir zur Besorgung anvertraute,
des Handelsmannes Herz Mendel aus Pyrmont über eine
5Forderung von 13. Thlr. 21 gr. an den sel. Rotberg deren
Richtigkeit ich nach der mir vorgelegten eigenhändigen Bescheinigung
desselben u. aus frühern mir von solchen gewordenen
mündlichen Mittheilungen bezeugen kann.

  Die durch die Vollendung des Aud. Rotberg nothwendig
10gewordene Ausgabe z. B. für die Kirchengebühr, Begräbnißkosten
u. Berichtigung einiger anderer Schuldposten pp beträgt
die Summe von — — — — — — — — 50. Thlr. 28 gr.

  Zu dieser ist verwendet der vom Fürstlichen
Hofgericht Ende des Jahres 1827.
15eingegangene vierteljährige Gehalt des Seligen,
der mir durch dessen Aufwärter Märtens,
von Herrn Spieß dazu aufgefordert,
eingehändigt wurde mit — — — — — — 37  „  18  „

  Die Ausgabe beträgt also mehr          13  „  10  „
20                      L. Clostermeier geb. Knoch.

  Detmold d. 15. März 1828

[Anlage.]

                    Note.

  Von Franziska Müller ist mir am 5ten Jan. folgende
25Wäsche des sel. Aud. Rotbergs eingehändiget worden:

          4. Bettücher,
          2. Kissenzüge,
          3. Hemden,
          1. Halstuch,
30          2. Handtücher.

  Zwei von obigen Bettüchern sind zur Bekleidung der Leiche
in den Sarg verwendet und eins derselben ist von dem Aufwärter
Märtens zum Heranholen des nöthigen Heues in jenen
benutzt worden u. hiernächst in dem Sterbezimmer zurück
35geblieben.

  Ein Pack alter Wäsche, welche von der Aufwartung des sel.
Aud. Rotbergs mir ohnlängst, als Beweiß ihrer ferneren gänzlichen
Untauglichkeit, überbracht wurde, wird nebst zweien,
von der Wäscherinn Groten noch eingegangenen, Taschentüchern,

[GAA, Bd. V, S. 228]

 


dem Fürstlichen Militair-Gericht mit obiger übergeben.


  Detmold den 15. März 1828.

                                 Clostermeier
5                                 Knoch.

 


169.

H: Doppelbl. in 20; 3 Sp. Entwurf von der Hand der Tochter
Louise. Die Anlage: Doppelbl. in 20; 1 S. Ebenfalls Entwurf von
der Hand der Tochter.
F: Rotb.

S. 226, Z. 9: bewohntgewesenen] bewohngewesenen H. In einer
vorher gestrichenen Stelle ist das fehlende t vorhanden.
S. 226, Z. 26: Vermögen] Vermögens H
  Zur Erläuterung des Briefwechsels, den „Rotbergs Vollendung“
nach sich zog und der hier zum ersten Male veröffentlicht wird,
diene die folgende Schilderung, die sich vornehmlich auf die Entwürfe
der drei Briefe der Louise Clostermeier an ihre Kusine Louise
Renner in Mannheim stützt, welche sich im selben Aktenfaszikel
befinden. Sie sind datiert vom 11. Januar, vom 18. Februar und
vom 26. April 1828.
  „Detmold. Den 4ten Jenner 1828, Morgens kurz vor Ein Uhr,
starb an der Auszehrung nach langen Leiden, in seinem 55sten
Jahre, Wilhelm Christian Rotberg, Fürstlich Lippischer
Auditeur und Auditor bey hiesigem Fürstlichen Hofgerichte“. Mit
diesen Worten zeigte der Archivrat Clostermeier „Nahmens seiner
Ehegattin, als nächsten Anverwandtin des Verstorbenen“, im „Fürstlich
Lippischen Intelligenzblatt“ Nr 2 vom 12. Jan. 1828 den Tod
eines Mannes an, dessen letzte Lebensjahre getrübt und verbittert
worden waren durch eine ununterbrochene Reihe von körperlichen
Plagen, materiellen Sorgen und amtlichen Demütigungen.
  Rotberg war der Schwestersohn der Archivrätin gewesen; dieser
fiel also die Pflicht zu, die auswärtigen Verwandten von dem Ereignis
zu benachrichtigen. Sie tat dies durch die Hand ihrer Tochter
Louise; deren Briefentwurf ist vom 11. Januar datiert und an Rotbergs
Schwester Louise gerichtet, die mit dem Kaufmann Renner
in Mannheim verheiratet war.
  Mittlerweile hatte das Militärgericht sich des stark überschuldeten
Nachlasses angenommen. Es hatte sofort die hinterbliebenen Effekten

[Bd. b5, S. 558]

 


unter Siegel gelegt (Vgl. Verweis zum Kommentar Nr 143), darauf unterm 18. Januar
eine Ediktalzitation an die etwaigen Erben oder Gläubiger erlassen
und damit begonnen, den Nachlaß zu inventarisieren (Vgl. Verweis zum Kommentar Nr 151).
Die Familie Clostermeier verzichtete auf die Erbschaft, nicht aber
Madame Renner. Da sich auch aus dem Lippischen allerhand Erbansprecher
meldeten, so hielt es das Militärgericht für geraten, die
Formalitäten vollkommen zu beobachten, um allen etwaigen künftigen
Anträgen und Ansprüchen zu begegnen (Vgl. Verweis zum Kommentar Nr 158). Es veröffentlichte
deshalb unterm 1. Februar eine legale Ediktalzitation
in drei Blättern, in der diejenigen, welche an den Nachlaß glaubten
Ansprüche machen zu können, aufgefordert wurden, „sich um so
gewisser in dem auf den 24sten März dieses Jahrs bey unterzeichneter
Behörde angesetzten Termine zu sistiren und ihre Ansprüche
anzugeben und klar zu machen, als sie widrigenfalls mit denselben
präcludirt werden sollen.“
  „Schon seit Jahren“ — so heißt es im ersten Briefe Louisens —
„sah der gute, nun selige Vetter mit christlicher Geduld u. Ergebung
in sein trauriges Schicksal der Auflösung entgegen, u. war besonders
in der letzten Zeit rastlos bedacht Schulden abzutragen. Unzählige
mal haben wir es ihm, selbst noch in seinem Todeskampfe versprochen,
für die Berichtigung seiner Schulden Sorge zu tragen.
Seine Worte waren: Ach, Tante, sorgen Sie in meinem
Grabe für die Erhaltung meiner Ehre, u.
ferner: Sorgen Sie, daß ich als ehrlicher Mann
in der Erde ruhe“. Insbesondere hatte der Verstorbene
seinen Detmolder Verwandten die Berichtigung zweier Ehrenschulden
oft und dringend ans Herz gelegt. Dies seien — so führt Louise
in ihrem zweiten Brief aus — „die Belohnung der aerztlichen Bemühungen
des würdigen Hofmedicus Piderit, welcher ihm jahrelang
der beste Freund u. Tröster war, u. die des jungen Grabbe, der
ihm in Amtsgeschäften wichtige Dienste geleistet hat.“ Den zweiten
Punkt erläuternd fährt sie fort: „Ohngefähr 1½ Jahr vor dem
Ende enthob die Regierung den seligen Wilhelm seinem Hauptgeschäfte
als Auditeur. Der Gehalt davon blieb aber als Pension
vollkommen in seinen Händen, ebenso wie die Ausfertigung der
Militair-Pässe u. Heirathsconsense, welche eine nicht unbedeutende
Einnahme ausmachte. Da er aber zu letzterer sich auch nicht mehr
fähig fand, so übernahm Grabbe auch diese Arbeit u. dem sel.
Wilhelm blieben die Gebühren von derselben. 1 Er gab uns aber auf
das Gewissen für ein, wie er sprach, ansehnliches Geschenk für
Grabbe zu sorgen, mit dem Zusatze, 'er müßte sich ja sonst noch im
Grabbe schämen, so viele wesentliche Dienste nicht einigermaßen
dankbar erkannt zu haben.'“
  Louise schlug für diese beiden Posten den Betrag von je 20 Rtlrn.,
für Grabbe statt dessen auch ein sichtbares Andenken vor, und bat
nun die Verwandten 1) um ihr Gutachten zu diesen Vorschlägen,
2) um die Uebersendung von 200 Gulden zur Tilgung der gesamten
Schulden, 3) um eine Vollmacht für die Archivrätin, damit diese

[Bd. b5, S. 559]

 


das Interesse ihrer Nichte, als der Erbin des Verstorbenen, beim
Militärgericht oder wo es sonst nötig sei, wahrnehme und vertrete.
  Diese Vollmacht, datiert „Mannheim 5 Merz 1828“, erhielt die
Archivrätin mit einem Schreiben der Madame Renner vom gleichen
Tage, und in ihrer doppelten Eigenschaft als Mandatarin der Erbin
wie des Verstorbenen griff sie nun in die vom Militärgericht eingeleitete
Regulierung der Erbschaftssache ein. Dadurch wurden zunächst
erhebliche Reibungen mit dem jungen Auditeur herbeigeführt.
  Die Ursachen dieser Zwistigkeiten werden auf beiden Seiten zu
suchen sein. Sicherlich hatte Grabbe durch die Formlosigkeit seines
Wesens, die er selbst nicht leugnet (siehe Verweis zum Kommentar S. 233, Z. 41 ff.), Anstoß
und Verstimmung bei der auf Wahrung streng-bürgerlichen Sitte
bestehenden Familie Clostermeier erregt, die sich nicht genügend
„ästhimiert“ fühlte. Vielleicht hat er auch, im Übereifer der neuen
Stellung, die Grenzen seiner Befugnisse nicht immer sorgsam genug
beachtet. Auf Seiten des Archivrats und der Seinen begegnete man
ihm mit Mißtrauen. Hinzu kam peinliche Gewissenhaftigkeit in der
Erfüllung überkommener Pflichten. Zur Überängstlichkeit gesteigert,
nahm sie die Ruhe. So blieben Mißverständnisse nicht aus.
S. 225, Z. 36: Forst-Secretair Kestner: Der dem älteren Detmolder
Aste der weitverzweigten Familie angehörende Johann Karl August
K., geb. als erstes Kind des Kanzleirats Karl August K. in Detmold
am 7. Dez. 1794 (wahrscheinlich zu Lemgo; nach Bd 13 des „Genealogischen
Handbuchs Bürgerlicher Familien“, 1907, S. 281, unter VIa,
in Detmold, im dortigen Kirchenbuche jedoch nicht eingetragen),
zuerst Kriminalgerichts-Auditor, unterm 15. Jan. 1820 zum Forstsekretär
und ersten Kammerschreiber, unterm 1. April 1834 zum
Kammersekretär ernannt, gest. als Kanzleirat zu Detmold am 10.
Juli 1865. Am 4. Sept. 1821 hatte sich K. mit Sophie Wilhelmine
Droste aus Detmold verheiratet.
S. 226, Z. 30 f.: Da mir nun durch das Intelligenzblatt bekannt geworden
ist [usw.]: In Nr 7 des „Fürstlich Lippischen Intelligenzblattes
“ vom 16. Februar 1828 findet sich auf S. 51 die folgende
Bekanntmachung:
  Detmold. Diejenigen, welche an dem Nachlaß des am 4ten Januar
curr. hieselbst verstorbenen Auditeurs Rotberg glauben Ansprüche
machen zu können, werden hiermit aufgefodert, sich um so gewisser
in dem auf den 24sten März dieses Jahrs bey unterzeichneter
Behörde angesetzten Termine zu sistiren und ihre Ansprüche anzugeben
und klar zu machen, als sie widrigenfalls mit denselben präcludirt
werden sollen.
  Decretum Detmold den 1sten Febr. 1828.
Fürstl. Lipp. Militairgericht das.
/ Böger. Grabbe.
  Diese Bekanntmachung ist in der Nr 8 vom 23. Februar (auf
S. 59) und in der Nr 9 vom 1. März (auf S. 68) wiederholt.
S. 227, Z. 17: Herrn Spieß: Rotbergs Logierwirt.
S. 227, Z. 19: Die Ausgabe beträgt also mehr 13 Thlr. 10 gr.:
Eine ins einzelne gehende Berechnung dieser Summe von der Hand
der Tochter Louise Clostermeier befindet sich bei den Akten.

[Bd. b5, S. 560]

 


   1 Die Darstellung, welche Louise hier von dem dienstlichen Verhältnisse
der Beiden gibt, ist nicht durchweg zutreffend.