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Nr. 68, siehe GAA, Bd. V, S. 78thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Dresden) an Ludwig Christian Gustorf (Berlin)
Brief

                Handschrift Handschrift Allervortrefflichster Gustorf!

35  Ich schließe, daß Du jetzt mit Köchy auf Eine Stube gezogen
bist, und Deine Briefe setzen mich in Ekstase. Wie freut es
mich, daß Du aus der Klemme bist. Hinter der Mauerstraße
nro 22 war's doch eine curiose, herzdrückende Zeit. — Was

[GAA, Bd. V, S. 79]

 


Du mir in Deinem letzten Briefe über mein Verhältniß zu
Tieck schreibst, ist ganz richtig, Uechtriz und Hundrich sind
in die Extreme gerathen; übrigens geht es mir hier in Dresden
noch so, wie im Anfange bei Euch, — ich stehe und halte mich
5im Hintergrunde, — kommt tempus, kommt Grabbe. — Was
mein Auftreten betrifft, so hat das Weile, — Hr von Könneriz
behandelt mich mit ausnehmenden Wohlwollen, — ich
erhalte Geld und alles, — weiter wird aber unter 6 Wochen
nichts geschehen; — vielleicht Handschrift spiele ich zuerst irgend eine
10kleine Rolle im Tell. — — Habe nun viele von Uechtriz Bekannten
und Bekanntinnen kennen gelernt, wie z. B. die Hofsecretairinn
Ernst, welche mir nicht sehr imponirte. — Wo
befindet sich Heine? — — Was den A. Mahlmann angeht,
so habe ich ihn bis dato noch nicht besucht: 1.) weil ich nicht
15wußte, ob mein Brief bei ihm angekommen war, 2.) weil ich
mir nicht den gehörigen Anzug verschaffen konnte, 3) weil in
dem Augenblick, wo ich mir denselben verschafft hatte, die
Berufung nach Dresden ankam, und diese mit dem Verwaltergeschäfte
in einem zu directen Widerspruche stand, als daß
20ich ohne einen näheren Rath von Euch einen Schritt hätte
wagen dürfen, und 5.) weil ich stündlich erbötig bin auf einen
Wink nach Leipzig mit der Eilpost (welche den Weg in
½ Tage zurücklegt) zu reisen und mich ihm vorzustellen. —
Meine Ansicht über die Sache ist bis dato dieselbe: ich betrachte
25sie als ein Reservecorps, Handschrift welches am Ende mehr Dienste
als die Hauptarmee leisten kann; übrigens schlage ich vor,
daß man rascher zu Werke geht, — ich trete erst in
6 Wochen auf und lebe vielleicht gar bloß
als Schriftsteller. — Ich dachte an Euren Unwillen,
30sonst würde ich schon längst von Mahlmann 200 rthlr. oder
einen Esel erhalten haben. — Ich bin in tausend Hinsichten
ein rechter Antidresdener. — Neulich war ich seit vier Jahren
wieder zum erstenmal in der katholischen Kirche, und ich
fühlte fast bis zu Thränen, wie sehr mir ein inniger Glaube
35Noth thut. —

                        Stets
                            Dein Freund
Chr. Grabbe.
/ Grüße Robert.
40      (Schreib bald!!)

[Dresden, Ende April 1823.]

[GAA, Bd. V, S. 80]

 

 


68.

H: 2 Bl. in 40; 3 S.
F: GrA
D: In der bei Nr 64 angegebenen Publikation Pergers, S. 133.

[Bd. b5, S. 464]

 



S. 78, Z. 37 f.: Mauerstraße nro 22] danach gestr., wo Du Deine
Wirthstochter von 29 vögeltest wobei das nachfolgende Komma wohl
in der Eile ungetilgt geblieben ist H

S. 78, Z. 36: Deine Briefe: Zwischen den ersten und zweiten
Brief Grabbes fallen einige verloren gegangene Briefe Gustorfs an
Grabbe. Daß es nicht die vom 24. u. 27. April (Nr 65 u. 67) sind,
geht sowohl aus deren Inhalt wie aus diesem Briefe Grabbes hervor.
S. 78, Z. 37: Mauerstraße: Die Wohnung Gustorfs an der Ecke
der Tauben-Straße.
S. 79, Z. 6 f.: Hr. von Könneriz: Hans Heinrich v. Könneritz
(1793 bis 1863), von 1820 bis 1824 Generaldirektor des Dresdener
Hoftheaters.
S. 79, Z. 7 f.: ich erhalte Geld: Die betreffenden Akten der
Generalintendanz in Dresden haben dem Bearbeiter nur noch in sehr
fragmentarischem Zustande vorgelegt werden können. Sie ergeben
nichts über etwa an Grabbe gezahlte Beträge. Lediglich für eine
spätere Zahlung ist im Jahre 1962 ein Beleg aufgetaucht. Es ist
nämlich in Auktion 81 der Firma Karl und Faber in München vom
17. bis 19. Mai des genannten Jahres eine Quittung Grabbes zur
Versteigerung gekommen, die folgenden Wortlaut hat: „Vierzig
Thaler — als Honorar für Vier an die Königl. Sächs. Theater-Direction
verkaufte Manuscripte, sind mir Endesunterschriebenen
aus der Königl. Sächs. Theater-Casse unterm heutigen Dato richtig
ausgezahlet worden, worüber ich hierdurch gebührend quittire. Dresden,
den 14. Juny 1823. Christian Dietrich Grabbe.“ Zweimal
gegengezeichnet, dann Zusatz mit Bleistift: „NB. sind zur Bibliothek
nicht abgeliefert worden und weis man auch nicht wer selbige an
sich genommen so nachrichtl. Schlurick.“ (½ S. 20 S. 124, unter
Nr 856.) Aus Katalog 563 der Firma J. A. Stargardt in Marburg,
bei der diese Quittung in der Versteigerung vom 28. und 29. Mai
1963 erneut unter den Hammer gekommen ist (siehe S. 21, unter
Nr 105), ergibt sich, daß die Gegenzeichnung vom Theaterdirektor
Franz Seconda stammt.
S. 79, Z. 10: im Tell: Dieser war am 13. März neueinstudiert
zum ersten Male in Szene gegangen.
S. 79, Z. 11 f.: die Hofsecretairinn Ernst: Charlotte, die an den
Hofwirtschaftssekretär und späteren zweiten Hofmarschall in Dresden
Ludwig Emanuel E. verheiratete Schwester der Brüder Schlegel,
(gest. 1826). Wilhelm Chezy erzählt allerlei von ihrem auffallenden
Geize, um sodann aber fortzufahren: „Abgesehen von alle dem,
konnte man im Umgang sich kaum etwas Angenehmeres denken,
als die alte Frau; wenn sie, den Strickstrumpf in ihren vom Chiragra
[der Handgicht] verkrümmten Fingern, zu plaudern begann, hätte
man ihr gerne stundenlang zugehört. Sie liebte zu erzählen, und
die Umgebung hatte stets ihre Freude daran, wenn sie es that.“
(„Erinnerungen aus meinem Leben“, Buch 1, Bdchen 1, Schaffhausen,
Hurter 1863, S. 173—74.)
S. 79, Z. 13: A. Mahlmann: August M. (1771—1826), 1805—1816
Redakteur der „Zeitung für die elegante Welt“, 1810—1817 Pächter
der „Leipziger politischen Zeitung“, hatte im April 1814 das Rittergut
Obernitzschka bei Grimma, im Oktober 1815 das Vordere und

[Bd. b5, S. 465]

 


Hintere Brandvorwerk zu Leipzig erworben und verwertete nun als
praktischer Landwirt auf seinen Gütern die theoretischen Kenntnisse
auf den Gebieten der Physik und Chemie. Im Oktober 1821 wurde
er zum Direktor der „Oekonomischen Gesellschaft im Königreiche
Sachsen zu Dresden“ gewählt. (Vgl. Erwin Bruno Richter, „Siegfried
August Mahlmann ein sächsischer Publizist am Anfang des XIX.
Jahrhunderts“, Dresden, Risse 1934, Leipzig, Phil. Diss. v. 28. Juli
1934, S. 23.) Nach dieser Briefstelle muß Grabbe für den Notfall
die Stelle eines Verwalters auf einem der Mahlmannschen Güter
ins Auge gefaßt haben.
S. 79, Z. 15: mein Brief: Die Nachforschungen nach diesem Briefe
an Mahlmann sind ergebnislos geblieben. Auch Richter (vgl. die
vorhergehende Verweis zum Kommentar Anm.) ist bei seinen Nachforschungen zu dem Ergebnis
gekommen, daß Mahlmanns Nachlaß als verloren gelten
müsse. (A.a.O. S. 5.)