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Nr. 124, siehe GAA, Bd. V, S. 154thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

        Handschrift Lieber Freund Kettembeil,

  Deinen Brief vom 9t d. M. habe ich zu meiner großen
Freude erhalten, ich schreibe Dir diese Antwort nur deshalb
vorläufig nach Frankfurt hinüber, weil es bei näherer Ansicht
5nicht möglich gefunden ist, die qu. Dramen mit näch-
stem Postwagen zu schicken, sondern ich durch meinen
Copisten noch mehrere Lücken daran zu flicken habe und
Dir überhaupt alles in einem Zustande schicken will, der
ohngefähr sagt: „hier ist die Pastete, wie sie Grabbe aus der
10Hand läßt, nun mach' damit, was Du willst“. Also acht bis
vierzehn Tage Zeit (hoffentl. nur 8) gönne mir. Sodann antworte
auf diesen interimistischen Brief nicht; Du
hast ein neues Geschäft und natürlich mehr zu thun als immer
Briefe an Sepulchrum + b (Grab—be) zu schreiben; jeder
15Deiner Briefe ist mir eine Wohlthat, aber Du weißt ich kann
„Edelmuth“ nicht ausstehen, und bitte, wenn Du mir nächstens
wieder schreibst, mir zu beweisen, daß Du grade nichts
zu thun oder Langeweile hattest, als Du die Feder ansetztest,
um zu Deinem alten „Schmetterer“ zu fliegen.

20  Zum Spaß und um Dir darzuthun, daß der diable mich
noch nicht ganz verlassen hat und ich Un-Sentimentaler und
Nie-Liebender selbst noch Force genug besitze, grade mit
Waffen solcher Personen zu fechten, setze ich eine Stelle aus
„Don Juan und Faust“ hierher, die ich neulich mitten unter
25Acten dritter Instanz expedirte, übrigens aber weder in Vers
noch Wort ausgefeilt ist, und in der ersten Zeile, an: „wenn
mir Dein Auge strahlet“ erinnert, Handschrift jedoch in der 2t Zeile schon
weit schöner schließt.

Don Juan. — — Wenn Du Dein Auge schließest,

30So ist es Nacht um mich.

Donna Anna. Hinweg!

Don Juan. Nur wo

Du wandelst, lebe ich! Du stößt mich in die Wüste,

Wenn Du mich von Dir weisest!

35Donna Anna. Ha, Verräther!

Don Juan. Verlaß Dich drauf: nicht Gott und nicht die Hölle
Treibt mich von dieser seel'gen, seel'gen Stelle!

Donna Anna. Octavio! Octavio!

[GAA, Bd. V, S. 155]

 


Don Juan. Der Zierling!

Bei meinem Arm, ich tödte ihn, weil Du

An ihn gedenkst!

Donna Anna. Abscheulicher — Verwegener —

5Don Juan Er preise sich! Denn daß Dein Mund ihn

                                nannte,

Die schönste Grabschrift ist's, die einem Mann

Je ward!

Donna Anna. Des Lichtes Engel, werdet ihr

10Auch treulos? Rafft der Stürme Tosen

Gleich Wolkenbildern euch dahin? Ich wein'

Und lächle — hasse ihn — ja, hasse Dich mit Recht!

Don Juan. Mich hassen? Mich, der darin einzig sündigt,

Daß er von Deiner Schönheit Strahl getroffen,

15Ein Aar, der freien Flugs im Aether schwebte,

Geblendet nun zu Deinen Füßen stürzt?

— Doch hasse nur! Denn auch der Haß wird lieblich,

Handschrift Wenn es der Deine ist!

Donna Anna. Zurück! Du trügst

20Mich nicht! Nicht Liebe, — Höllenflamme ist's,

Die aus dem Aug' Dir leuchtet! Sie versengt

Mein Herz! Doch — Weh' mir! — brenn' es auch zu Asche,

Ein Opfer sey's, das ich der Lieb' und Treue bringe!

Don Juan. Du hättest je Octavio geliebt?

25Donna Anna. Wer gibt Dir Recht, mich darum zu befragen?

Don Juan. Unseel'ge! Dich willst Du und mich vernichten,

Den Schein bewahren und der Wahrheit wiedersteh'n!

Mein Tod ist's und der Deinige! Dein Wort

Hast Du Octavio gegeben, — soll

30Das Wort, dieß kalte Eis, womit

Du Deine Freiheit fesseltest, als noch

Der Liebe Feuer Dir nicht glänzte,

Dich nun noch binden, da der Lebensfrühling

Mit seiner jungen Sonne zauberkräftig

35Hoch über unsre Häupter tritt?

Ich flehe Dich, ich fasse Deine Hand,

Sprich Leben oder Tod, — durch einen Druck,

Mit einer Sylbe sag's, ob Du mich sterben sehen,

Ob Du mich lieben willst?

40Donna Anna. Ich liebe Dich!

Don Juan. Du liebst mich! — Schau! meines Lebens Nacht

[GAA, Bd. V, S. 156]

 


Entzündet sich, geht auf in lichter Gluth,

Berührt vom ersten Strahl des Morgens! Selbst

Die Sterne, welche früher einzeln mir geleuchtet,

Handschrift Erblinden all vor dieser Pracht!

5Donna Anna Ach nicht des Morgens heitres Licht,

Nein, Blitze sind's, die furchtbar prächtig, mit

Gewalt'gem Flügelschlag zerschmetternd und enteilend,

Die schwüle Stunde uns erhellen!

Don Juan. Senke nicht

10Dein Haupt und fürcht' Dich nicht vor Blitzen!

Die Liebe macht Dich herrlich und nicht schuldig, — sieh'

In königlich Gewand, in Purpur hüllt

Sie Deine Wangen!

Donna Anna. Don Juan, ich wollt'

15Daß ich im tiefsten Grabe ruhte!

Don Juan Geliebte! weine nicht! Sonst küss' ich wollustvoll

Den diamant'nen Schmuck der Thränen auf,

Und glaube nur, daß sie als echte Edelsteine

Mein Herz zerschneiden werden!

20Donna Anna.

Berühr' mich nicht, — aus Liebe brach ich meine Treue,

Die Ehre aber kann und will ich retten, —

Wir sehen uns nie wieder!

Don Juan Nimmermehr —

25Entweiche nicht — Wohin du fliehst, da folg'

Ich als Besiegter!

Donna Anna. Kein Schiff flieht vor dem Hauch

Des Sturms so bang dahin als ich vor Dir!

Don Juan. Bin ich ein Sturm? — O lächle, lächle nur

30Einmal, und wie Du lächelst, wird das Meer,

Das meine Brust durchwogt, sich eb'nen, um

Dein Lächeln abzuspiegeln, wird die Wolke,

Handschrift Die meine Stirn umdüstert, fortfliehn gleich

Dem schweren Traum beim seeligen Erwachen!

35Donna Anna. O könnt' ich diesen meinen Traum weglächeln!

Don Juan. Jetzt erst begreif' ich, was der Tod ist!

Er schließt das Leben, öffnet alle Himmel —

Bei Deinem freud'gen Blick, dem Todesengel,

Erstirbt vor Altersschwäche die Vergangenheit

40Und tritt an ihre Stell' ein Eden!

Wer Dir in's Auge sieht, der trinkt vom Lethe!

[GAA, Bd. V, S. 157]

 


Donna Anna Verführer! Höchstes Glück und höchster Schmerz
Umarmen sich, wenn ich Dich höre!

Don Juan. Seit Anbeginn der Welt sind Leid und Freud

In Wort und That vermählt,

5Die treusten Eheleute sind's, die je

Gewesen. Darum zage nicht —

Donna Anna. Ha,

Da naht Octavio!

Don Juan beiseite Verflucht, ich war

10Im besten Zuge!

                    —

  Ich bin Dein Freund Grabbe, und zwar, wie Du sagst, im
Fischkasten, denn wenn ich hier in Gesellschaft bin, so fließt
mir das Wasser in Mund und Ohr.
                 Dein
   alter unedelmüthiger aber
Detmold den 16t Mai    treuer
                1827.                                  Grabbe.

[Adresse:] Handschrift An die Joh. Christ. Herrmannsche Buchhandlung,
Wohllöbl., in Frankfurt am Main. Frei.

 


124.

H: 1 Doppelbl., 1 Bl. in 40; 5 S., Adresse auf S. 6.
  Auf S. 6: Vermerk des Empfängers: 1827 Grabbe in Detmold
den 16 Mai. Abgangsstempel: DETTMOLD 17/5 Ankunftsstempel:
FRANKFURT 20. MAI 1827
F: GrA
D: WBl. IV 381—84, als Nr 2.

S. 155, Z. 26: vernichten,] zuerst vernichten! daraus vernichten, H
S. 155, Z. 31: fesseltest,] fesseltest H
S. 155, Z. 33: binden,] binden H
S. 156, Z. 11: sieh'] zuerst sieh' dies gestr. danach sieh' H
S. 156, Z. 18: nur] üdZ eingefügt H
S. 156, Z. 30: Du] die H

S. 154, Z. 5: qu.: quästionierten, in Frage stehenden, betreffenden.
S. 154, Z. 26 f.: „wenn mir Dein Auge strahlet“: Der Anfang
des Duetts zwischen Myrrha und Murney im ersten Akte der
heroisch-komischen Oper „Das unterbrochene Opferfest“ („Il Sacrifizio
interrotto“), dem berühmtesten Werke Peters von Winter. Das
Textbuch stammt von Franz Xaver Huber (1760 — um 1810).