Nr. 124, siehe GAA, Bd. V, S. 154 | 16. May 1827 | | Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.) | Brief | | | | Vorangehend: | Nachfolgend: |
| Lieber Freund Kettembeil, Deinen Brief vom 9t d. M. habe ich zu meiner großen Freude erhalten, ich schreibe Dir diese Antwort nur deshalb vorläufig nach Frankfurt hinüber, weil es bei näherer Ansicht 5nicht möglich gefunden ist, die qu. Dramen mit näch- stem Postwagen zu schicken, sondern ich durch meinen Copisten noch mehrere Lücken daran zu flicken habe und Dir überhaupt alles in einem Zustande schicken will, der ohngefähr sagt: „hier ist die Pastete, wie sie Grabbe aus der 10Hand läßt, nun mach' damit, was Du willst“. Also acht bis vierzehn Tage Zeit (hoffentl. nur 8) gönne mir. Sodann antworte auf diesen interimistischen Brief nicht; Du hast ein neues Geschäft und natürlich mehr zu thun als immer Briefe an Sepulchrum + b (Grab—be) zu schreiben; jeder 15Deiner Briefe ist mir eine Wohlthat, aber Du weißt ich kann „Edelmuth“ nicht ausstehen, und bitte, wenn Du mir nächstens wieder schreibst, mir zu beweisen, daß Du grade nichts zu thun oder Langeweile hattest, als Du die Feder ansetztest, um zu Deinem alten „Schmetterer“ zu fliegen. 20 Zum Spaß und um Dir darzuthun, daß der diable mich noch nicht ganz verlassen hat und ich Un-Sentimentaler und Nie-Liebender selbst noch Force genug besitze, grade mit Waffen solcher Personen zu fechten, setze ich eine Stelle aus „Don Juan und Faust“ hierher, die ich neulich mitten unter 25Acten dritter Instanz expedirte, übrigens aber weder in Vers noch Wort ausgefeilt ist, und in der ersten Zeile, an: „wenn mir Dein Auge strahlet“ erinnert, jedoch in der 2t Zeile schon weit schöner schließt. Don Juan. — — Wenn Du Dein Auge schließest, 30So ist es Nacht um mich. Donna Anna. Hinweg! Don Juan. Nur wo Du wandelst, lebe ich! Du stößt mich in die Wüste, Wenn Du mich von Dir weisest! 35Donna Anna. Ha, Verräther! Don Juan. Verlaß Dich drauf: nicht Gott und nicht die Hölle Treibt mich von dieser seel'gen, seel'gen Stelle! Donna Anna. Octavio! Octavio! [GAA, Bd. V, S. 155] Don Juan. Der Zierling! Bei meinem Arm, ich tödte ihn, weil Du An ihn gedenkst! Donna Anna. Abscheulicher — Verwegener — 5Don Juan Er preise sich! Denn daß Dein Mund ihn nannte, Die schönste Grabschrift ist's, die einem Mann Je ward! Donna Anna. Des Lichtes Engel, werdet ihr 10Auch treulos? Rafft der Stürme Tosen Gleich Wolkenbildern euch dahin? Ich wein' Und lächle — hasse ihn — ja, hasse Dich mit Recht! Don Juan. Mich hassen? Mich, der darin einzig sündigt, Daß er von Deiner Schönheit Strahl getroffen, 15Ein Aar, der freien Flugs im Aether schwebte, Geblendet nun zu Deinen Füßen stürzt? — Doch hasse nur! Denn auch der Haß wird lieblich, Wenn es der Deine ist! Donna Anna. Zurück! Du trügst 20Mich nicht! Nicht Liebe, — Höllenflamme ist's, Die aus dem Aug' Dir leuchtet! Sie versengt Mein Herz! Doch — Weh' mir! — brenn' es auch zu Asche, Ein Opfer sey's, das ich der Lieb' und Treue bringe! Don Juan. Du hättest je Octavio geliebt? 25Donna Anna. Wer gibt Dir Recht, mich darum zu befragen? Don Juan. Unseel'ge! Dich willst Du und mich vernichten, Den Schein bewahren und der Wahrheit wiedersteh'n! Mein Tod ist's und der Deinige! Dein Wort Hast Du Octavio gegeben, — soll 30Das Wort, dieß kalte Eis, womit Du Deine Freiheit fesseltest, als noch Der Liebe Feuer Dir nicht glänzte, Dich nun noch binden, da der Lebensfrühling Mit seiner jungen Sonne zauberkräftig 35Hoch über unsre Häupter tritt? Ich flehe Dich, ich fasse Deine Hand, Sprich Leben oder Tod, — durch einen Druck, Mit einer Sylbe sag's, ob Du mich sterben sehen, Ob Du mich lieben willst? 40Donna Anna. Ich liebe Dich! Don Juan. Du liebst mich! — Schau! meines Lebens Nacht [GAA, Bd. V, S. 156] Entzündet sich, geht auf in lichter Gluth, Berührt vom ersten Strahl des Morgens! Selbst Die Sterne, welche früher einzeln mir geleuchtet, Erblinden all vor dieser Pracht! 5Donna Anna Ach nicht des Morgens heitres Licht, Nein, Blitze sind's, die furchtbar prächtig, mit Gewalt'gem Flügelschlag zerschmetternd und enteilend, Die schwüle Stunde uns erhellen! Don Juan. Senke nicht 10Dein Haupt und fürcht' Dich nicht vor Blitzen! Die Liebe macht Dich herrlich und nicht schuldig, — sieh' In königlich Gewand, in Purpur hüllt Sie Deine Wangen! Donna Anna. Don Juan, ich wollt' 15Daß ich im tiefsten Grabe ruhte! Don Juan Geliebte! weine nicht! Sonst küss' ich wollustvoll Den diamant'nen Schmuck der Thränen auf, Und glaube nur, daß sie als echte Edelsteine Mein Herz zerschneiden werden! 20Donna Anna. Berühr' mich nicht, — aus Liebe brach ich meine Treue, Die Ehre aber kann und will ich retten, — Wir sehen uns nie wieder! Don Juan Nimmermehr — 25Entweiche nicht — Wohin du fliehst, da folg' Ich als Besiegter! Donna Anna. Kein Schiff flieht vor dem Hauch Des Sturms so bang dahin als ich vor Dir! Don Juan. Bin ich ein Sturm? — O lächle, lächle nur 30Einmal, und wie Du lächelst, wird das Meer, Das meine Brust durchwogt, sich eb'nen, um Dein Lächeln abzuspiegeln, wird die Wolke, Die meine Stirn umdüstert, fortfliehn gleich Dem schweren Traum beim seeligen Erwachen! 35Donna Anna. O könnt' ich diesen meinen Traum weglächeln! Don Juan. Jetzt erst begreif' ich, was der Tod ist! Er schließt das Leben, öffnet alle Himmel — Bei Deinem freud'gen Blick, dem Todesengel, Erstirbt vor Altersschwäche die Vergangenheit 40Und tritt an ihre Stell' ein Eden! Wer Dir in's Auge sieht, der trinkt vom Lethe! [GAA, Bd. V, S. 157] Donna Anna Verführer! Höchstes Glück und höchster Schmerz Umarmen sich, wenn ich Dich höre! Don Juan. Seit Anbeginn der Welt sind Leid und Freud In Wort und That vermählt, 5Die treusten Eheleute sind's, die je Gewesen. Darum zage nicht — Donna Anna. Ha, Da naht Octavio! Don Juan beiseite Verflucht, ich war 10Im besten Zuge! — Ich bin Dein Freund Grabbe, und zwar, wie Du sagst, im Fischkasten, denn wenn ich hier in Gesellschaft bin, so fließt mir das Wasser in Mund und Ohr. | | Dein | | | alter unedelmüthiger aber | Detmold den 16t Mai | | treuer | 1827. | | Grabbe. | [Adresse:] An die Joh. Christ. Herrmannsche Buchhandlung, Wohllöbl., in Frankfurt am Main. Frei. |
| |
124.
H: 1 Doppelbl., 1 Bl. in 40; 5 S., Adresse auf S. 6.
Auf S. 6: Vermerk des Empfängers: 1827 Grabbe in Detmold
den 16 Mai. Abgangsstempel: DETTMOLD 17/5 Ankunftsstempel:
FRANKFURT 20. MAI 1827
F: GrA
D: WBl. IV 381—84, als Nr 2.
S. 155, Z. 26: vernichten,] zuerst vernichten! daraus vernichten, H
S. 155, Z. 31: fesseltest,] fesseltest H
S. 155, Z. 33: binden,] binden H
S. 156, Z. 11: sieh'] zuerst sieh' dies gestr. danach sieh' H
S. 156, Z. 18: nur] üdZ eingefügt H
S. 156, Z. 30: Du] die H
S. 154, Z. 5: qu.: quästionierten, in Frage stehenden, betreffenden.
S. 154, Z. 26 f.: „wenn mir Dein Auge strahlet“: Der Anfang
des Duetts zwischen Myrrha und Murney im ersten Akte der
heroisch-komischen Oper „Das unterbrochene Opferfest“ („Il Sacrifizio
interrotto“), dem berühmtesten Werke Peters von Winter. Das
Textbuch stammt von Franz Xaver Huber (1760 — um 1810).