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Nr. 138, siehe GAA, Bd. V, S. 188thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

Handschrift Lieber bester Freund,

verzeih dieses Blättchen; es ist Morgens 6 Uhr, die Post geht
um 7, und ich kann jetzt bei geschlossenen Läden kein Briefpapier
erhalten. Deinen Brief vom Todestag Gustav Adolphs
15(6 Nov.) nebst Paket habe ich zu meiner Freude erhalten; Du
sollst bald weitere Antwort darauf haben, wie ich denn auch
mittlerweile Deine Antwort auf meine Selbstrecension hoffe.
Sie ist berechnet (sc. die Recension.) Jetzt schreibe ich Dir besonders
deshalb, nämlich: ich brauche zwar wohl weiter keine
20Exemplare mehr und habe sie nach Möglichkeit unter Pustkuchen,
Gans, Köchy pp zum Theil vertheilt, — aber Dich
bitte ich, sende baldmöglichst noch folgende aus: nämlich an
die Literaturzeitungen (Jena, Halle insbesondere), (Halle wird
uns günstig seyn) — auch an den Mr. Müllner, etwa mit dem
25Briefe:

Hochgeehrtester Hr.
Hochgeachtetster Herr Hofrath!

  Als Zeichen meiner unbegrenzten Achtung, die ich auch in
der im 2ten Theile meiner Werke enthaltenen Shakspearomanie
30aufrichtig, aber doch zu schwach ausgesprochen habe,
wag' ich Ewr Wohlgeboren Beiliegendes zu übersenden. Ich
wünschte, etwas Besseres schicken zu können. Eine Antwort
von Ihnen müßte mir hocherfreulich seyn, doch bis ich weiß,
ob Sie mich Ihrer Berücksichtigung würdig halten, darf ich
35nicht wagen, Sie mit mehr Zeilen als gegenwärtigen, vielleicht
unwillkommen, zu belästigen.

Mit Verehrung und Hochtung
                     E. W.
  Detm. d. . . . .    ghsst Grabbe.

[GAA, Bd. V, S. 189]

 


  Ferner sende auch nach München; an die Heidelberger Jahrbücher
(sind uns vielleicht gut), an die Leipziger Literaturzeitung,
und überhaupt an alle journalistischen Institute soviel
Du kannst. Dieses Opfer bringt Handschrift uns vielleicht viel ein. Meine
5Versendungen sind unterirdische Minen.
  Hier bei uns ist noch immer Rumor; selbst der von mir mit
Absicht getadelte erste Komiker und Liebhaber hiesigen Theaters
(jetzt nach Berlin, wenn er gehen will, berufen, und besser
als z. B. Stein) macht mir die Aufwartung (Hr. Braunhofer.)
10Du siehst, unsere Tollheiten wirken in jedem Schlag Menschen.
  Köchy gibt ein Journal, Horen genannt, heraus, und will
mich darin gleichfalls sofort produciren. Der Uechtriz soll vernichtet
werden.
  Im Eulenspiegel muß die Scene, wo er bei dem Landgrafen
15(Grafen) malt, und nur ein Ehelicher (ist das zu unzart?
ich kanns mäßigen) das Gemälde sehen kann, die Hauptsituation
werden und sich seine Handwerksverhältnisse daran
knüpfen.
  Die Hohenstaufen (Friedr. I, II, Heinrich VI) wurmen.
20Friedrich II, mein Liebling von je, könnte höher stehen als
Sulla. Der Don Juan und Faust heulen. Etwas, schon meines
Characters wegen, müssen wir aber auf den Erfolg unserer
Sachen, der doch erst in einiger Zeit (Die Leute sind schweren
Lesens und Verstehens und Schreibens und Druckens) losbrechen
25kann, warten. Meine Hoffnung ist groß.
  In meinem Briefe an die Journalredactoren steckt freilich
der Mephisto.
  Nun, nun, der Schauspieler, welcher meinen Gothland eine
in Pracht und Scepter auf den Nachtstuhl gesetzte Theaterköniginn
30nennt, hat doch ein kleines Bischen von meiner
Malice geahnt. Die Theaterkönigin ist meinem Sinne nach
die moderne Poesie.
Clienten, Clienten, Clienten! Soldaten!
Verschicke viel, ich bitte.
   Ich schließe, bald mehr von mir,
                 von Dir bald Antwort
D. d. 28 st Nov.    Dein, Dein, Dein
        1827.                        Grabbe.

[Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Buchhändler Kettembeil
40(J. C. Hermannsche Buchhandlung) in Frankfurt am Main.
Frei.

[GAA, Bd. V, S. 190]

 

 


138.

H: 2 Bl. in 40; 2 S., Adresse auf S. 4.
  Auf S. 4 Vermerk des Empfängers: 1827 Grabbe in Detmold den
28 Novbr. Abgangsstempel: DETTMOLD 28/11 Ankunftsstempel:
FRANKFURT 30. NOV. 1827
F: GrA
D: WBl IV 414—16, als Nr 10.
  Der Brief ist mit sehr flüchtiger Hand geschrieben, so daß mancher
ausgelassene Buchstabe stillschweigend hat ergänzt werden müssen.

S. 188, Z. 35: Sie] sie H

S. 189, Z. 6—10: der von mir mit Absicht getadelte erste Komiker
[usw.]: Siehe Verweis zum Kommentar Bd 4, S. 70, Z. 40, — S. 71, Z. 4.
S. 189, Z. 9: Stein: Eduard Franz, Freiherr von Treuenfels,
genannt Stein, geb. zu Austerlitz 1794, urspünglich Jurist und für
die Advokatenpraxis bestimmt, war 1817 Mitglied des Leipziger
Stadttheaters geworden und hatte sich dort eine solche Popularität
erworben, daß die Trauer um ihn allgemein war, als er am 10. Mai
1828, einen Tag vor der allgemeinen Abschiedsvorstellung, die Augen
schloß. Stein „war von kleiner Figur, aber sehr hübsch gebaut, mit
einem sprechenden Antlitz und einem klangvollen Organe begabt;
mit einer umfassenden Weltbildung verband er ein seltenes Darstellungstalent;
durch Frische und Lebhaftigkeit des Spiels, Anstand
und Grazie im Salon, Wahrheit und Tiefe in Momenten der Leidenschaft,
und eine seltene Ausdauer in Stellen, die physische Kraft
erfordern, zeichneten sich seine Liebhaberrollen aus, für die er
geboren schien. Waren auch Lust- und Schauspiel die eigentliche
Sphäre, auf die ihn seine Individualität hinwies, so konnte man
doch einige tragische Rollen, z. B. Sigismund [im „Leben ein
Traum“], Carlos, Hamlet u.s.w. kaum besser sehen, als sie
von S. dargestellt wurden.“ („Allgemeines Theater-Lexikon“ von
Blum, Herloßsohn u. Marggraff. Bd 7, Altenburg u. Leipzig 1842,
S. 32—33; Friedrich Schulze, „Hundert Jahre Leipziger Stadttheater
“, Leipzig, Breitkopf & Härtel 1917, S. 31.)
S. 189, Z. 11 f.: Köchy gibt ein Journal, Horen genannt, heraus:
Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 88, Z. 2.