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Nr. 153, siehe GAA, Bd. V, S. 213nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Christian Gottlieb Clostermeier (Detmold)
Brief

      Hochgeehrtester Herr!

Hochgeehrtester Herr Archivrath!

  Heute Morgen wünschte ich die Ehre eines Besuches, der eine
Kleinigkeit hinsichtlich des verstorbenen Auditeurs Rotberg betraf,
25bei Ihnen haben zu können. Leid ist es mir, daß Sie
diesen Besuch verweigerten, besonders wenn dieses deshalb geschehen
wäre, weil ich keinen conventionellen Trauerbesuch
abgestattet, welches ich so weniger wagen durfte, als ich zwar
den Auditeur in Wort und That erweislich stets geachtet habe,
30aber von Ihnen ganz andere fast abschreckende Urtheile, vielleicht
aus einer nur Ihnen bekannten Begründung, mehrmals
gehört hatte. Dieß zu meiner Vertheidigung vor Ihnen, der
ich Sie dankbar hochachte und verehre. Formeln achte ich
wenig, bin aber vielleicht, wie Rotberg selbst anerkennen
35mußte, desto aufrichtiger und sicherer.

[GAA, Bd. V, S. 214]

 


  Nun zu meiner Bitte: es ist durchaus nothwendig,
wegen des Nachlasses des Auditeurs eine Edictalcitation zu
erlassen. Diese, in 3 Zeitungen gerückt, kostet vorschußweise
auf der Post 9 rthlr. Da Ewr Wohlgeboren nun Geldsummen
5für den Auditeur Rotberg in Händen haben, ersuche ich Dieselben
mir diese 9 rthlr. davon noch heute Vormittag, da die
Posten abgehn, vorschießen zu wollen, indem hierdurch jede
Weitläuftigkeit vermieden wird, auch die Begräbnißkosten bei
Vorhandenseyn der goldnen Uhr und einer bedeutenden
10Quantität guter Bücher sammt den Gerichtskosten wohl gedeckt
seyn werden.

  Ich bitte Sie, hochgeehrtester Herr Archivrath, meinem Gesuche
geneigtest deferiren, und dadurch dem Militairgerichte,
welches Ihnen ja so gern unbedingtes Vertrauen geschenkt hat,
15weitere Verfügungen ersparen zu wollen.

  Habe ich übrigens conventionell gefehlt, so bitte ich für
meine Unbeholfenheit ernstlich um Verzeihung, und bin mit
alter Ehrfurcht und Hochachtung
                                 Ewr Wohlgeboren
Detmold den 23st Januar 1828.    
                                 gehorsamster Grabbe.

[Adresse:] An den Herrn Archivrath Clostermeier Wohlgeboren
allhier.

 


153.

H: Doppelbl. in 20; 3 S., auf S. 4 die Adresse. In der Mitte des
oberen Randes der ersten Seite mit Blei mit 2 bezeichnet.
F: „Collectanea zur Widerlegung der Beleidigungen des Zuchthauses
im 31 St. des Mindener Sonntagsblattes v. 5 Aug. 1827 cf.
die Collectanea den Advocaten Grabbe betr. cf. das Schauspielhaus
in Detmold betr. [...]“ StAD D 72. Clostermeier Nr 38.

S. 213, Z. 27 f.: Trauerbesuch abgestattet: mit Bleistift unterstr. aRl
von der Hand des Empfängers: „Wenn Grabbe Lebensart besäße
so würde er den Trauerbesuch gewiß abgestattet haben.“
S. 213, Z. 30—34: vielleicht [bis] wie: aRl von der Hand des
Empfängers mit Bleistift: „Von wem hat Schreiber diese Urtheile
gehört? frage ich. Doch wohl vom Vater.“
S. 214, Z. 14: ja so gern [bis] hat: mit Bleistift unterstr. aRl von
der Hand des Empfängers: „Davon kenne ich keine Beweise.“
  Die Nrn 153 und 154 bilden die Anl. zu dem folgenden Aufzeichnungen
von der Hand Clostermeiers, die sich in dem bei Nr
153 bezeichneten Aktenfaszikel befinden (7¼ einspaltig beschriebene
S. in 20):
Neueste Verhältnisse mit Grabbe Junior.
Die Anlagen sind nachzulesen.
  Den 4. Jenn. Morgens 1 Uhr, starb der Auditeur Rotberg[.]
  Die den 5 ejusdem concipirte Anzeige seines Todes für das Lippische
Intelligenzblatt wurde Grabben zugeschickt zu etwaiger Verbesserung
u. er verlangte nichts als die Angabe seines Alters und
die Streichung des GarnisonsMilitairs[.]
  In dieser Anzeige und zwar in der Unterschrift ist der Fehler
enthalten, daß das Wort hiesigen, nämlich als nächsten hiesigen
Anverwandten ausgelassen ist. 1
  Unstreitig hätte Grabbe selbst meiner Frau die Todesanzeige
machen, condoliren und Abrede wegen der Versiegelung mit ihr,
als Repräsentantinn der Erbinn treffen müßen, aber von allem
nichts.
  Grabbe that u. unterließ was er wollte.
  Der Aufwärter des Verstorbenen, Märtens hatte eine unbillige
Forderung eingereicht u. wurde Grabbe deswegen beschickt u. mündlich
gebethen über diese, so wie über der Franciska ihre Forderung
zu erkennen; aber es geschah nichts, und alle Aeußerungen gegen
Friederike 2 schienen Spott und Verachtung zu verrathen.
  Den 23t Jenn. morgens früh, als der Vater Grabbe seinen gewöhnlichen
Rapport abstattete, äußerte ich unter andern gegen denselben,
wie ich mich in Absicht meiner Zeit in der größten Verlegenheit
befände, da ich die den 2t Febr. fällige Dienstbothenprämie zu
befördern vergessen hätte. Demungeachtet machte mir Vater Grabbe
bekannt, daß mich sein Sohn heute morgens 9 Uhr (nachher sagte
er zwischen 9 u. 10) besuchen, auch heute Morgen noch bei der
Regierung verpflichtet werden würde.
  Ich fand diesen Antrag vom Vater sehr unverschämt, weil er so

[Bd. b5, S. 549]

 


eben von mir selbst die Beengung meiner Zeit vernommen hatte,
und vom Sohn höchst impertinent, weil er sich anmaßte, auf den
Stutz 3 mir Tag u. Stunde seines Kommens zu bestimmen, ohne sich
erst zu erkundigen, ob er mir auch gelegen käme. p. Ich erklärte
daher, daß ich ihn heute nicht annehmen könne, und zwar in Unwillen.

  Bald darauf erhielt ich von Grabbe Jun. das Schreiben Anl. nr. 2
und habe aus demselben ersehn, worauf es ankömt, und die Antwort
nro 3 ertheilt.
  Nun mag ein jeder urtheilen, was Grabbe junior für ein Geschäftsmann
ist, der die Anschaffung der 9 rthlr. bis auf den Punct des
Abgangs der Post verschiebt u. schon lange vorher von der in 3
Zeitungen zu setzenden Edictal Citation gesprochen hat.
  Den andern Tag, nämlich den 24t Jenn. Morgens beim Rapport
des Zuchtmeister söhnte ich mich mit demselben aus, und machte
ihm begreiflich, wie sehr mich die anmaßende Beleidigung seines
Sohnes der über mich nach Gefallen disponiren, mich so en bagatelle
tractiren wolle, empören müße, welches er auch gewissermaßen zugab.
  Als Grabbe Senior bei dieser Gelegenheit unter andern äußerte,
dß sein Sohn so viel zu thun u. so wenig Zeit hätte, erwiederte
ich demselben: Es sei von jenem allgemein bekannt, daß er keinen
Nachmittag zu Hause sei, indem er seine NachmittagsZeit mit herumstreifen
auf den Landstraßen nach dem Krummenhause u. dem
Falkenkruge zubrächte. Er möchte es also machen wie alle andere
Angestellte u. den Nachmittag den Geschäfte widmen mit dem
Fleiß, den jeder anwenden müsse[.] Ich so gut, wie sein Vater,
arbeiteten Vor- wie Nachmittag, das möchte er auch thun, und alsdann
würde es ihm an Zeit alles mit Besonnenheit zu thun, nicht
mangeln[.] Grabbe hörte dieses alles, noch weitläuftiger ausgeführt,
mit Ruhe an, und ohne auch nur das Geringste darauf zu erwiedern,
oder zu widersprechen, und erkannte also dadurch stillschweigend
an, daß sein Sohn, (wie notorisch und wie ich ausdrücklich bemerkte
allgemein bekannt ist) alle Nachmittage müßig gieng. Ich fügte
noch hinzu, daß allgemeine Klage darüber wäre dß man seinen Sohn
des Nachmittags zu Hause antreffe[.]
  Diese Unterhaltung fiel Donnerstag den 24t Morgens vor und
denselben Nachmittag blieb Herr Grabbe Junior zu Hause und
inventarisirte mit Hülfe mehrerer Leute.
  Meine Erinnerung schien also gefruchtet zu haben, welches der
Erfolg zeigen wird.
  Um ein Beispiel anzuführen wie sich Grabbe Jun. gegen mich
bewieß, führe ich folgende Anecdote an[:]
  Dienstags den 15t oder 22. Jenn. als ich nach meinen Zuchthaus
Besuch mit dem Zuchtmeister die Zuchthaus Treppe herunter stieg
kam Grabbe Jun. die Treppe herauf u. wir streiften aneinander
vorbei. Grabbe Jun. lüftete kaum seinen Huth u. sagte mir kein
Wort.
  Grabbe Jun. sieht sich als ein Genie an, das als solches über allen
Anstand, u. alle Lebensart, alle Convenienz erhaben und befugt ist,
nur allein nach seinem Willen zu handeln. In seinem Herzog von
Gothland erhebt er sich bald bis zu den Sternen u schweift in den

[Bd. b5, S. 550]

 


höchsten Regionen der sublunarischen Welt, wie seine Verehrer meinen,
herum und spricht uns anderen ganz unbegreifliche hohe Dinge;
aber eben so geschwind wirft er sich in den Abgrund des tiefsten
Schlammes herunter und spricht die pöbelhaftesten Ungezogenheiten,
davon sich jeder, der nur einen Anhauch von sittlichen Gefühl hat,
schämen muß.
  Wann er bei seiner Manie bleibt, so wird er seine Untauglichkeit
bald genug verrathen. Schon jetzt ziehen sich seine ehemaligen
Freunde von ihm zurück; so sieht man den Hrn. v. Cöln nicht mehr
mit ihm gehen[.] Auch der Hauptmann Erp Brokhausen soll nicht
mehr nach ihm gehen.


   1) Die Todes-Anzeige findet sich in der Nr 2 des „Fürstlich Lippischen
Intelligenzblattes“ vom 12. Jan. 1828, S. 12—13, und hat
folgenden Wortlaut:


  „Detmold. Den 4ten Jenner 1828, Morgens kurz vor Ein Uhr,
starb an der Auszehrung nach langen Leiden, in seinem 55sten Jahre,
Wilhelm Christian Rotberg, Fürstlich Lippischer Auditeur
und Auditor bey hiesigem Fürstlichen Hofgerichte.
                                Clostermeier,
                                 Lippischer Archivrath.
                                 seiner Ehegattin, als
                                 Anverwandtin des
                                “


  Der eigenhändige Entwurf dieser Todesanzeige findet sich als Anl.
1 bei den Akten. (1 S. 20) Den beiden Erinnerungen Grabbes ist
darin Rechnung getragen; auch ist nach dem Worte „nächsten“ mit
korrespondierenden Verweisungszeichen „hiesigen“ nachgetragen
und der Vermerk hinzugefügt: „nota dieses Wort ist aus Versehen
weggeblieben.“


   2) Wohl die Dienstmagd der Clostermeier'schen Familie.


   3) auf der Stelle, gleich.