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Nr. 216, siehe GAA, Bd. V, S. 259nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

        P.[ostscript]

  Da seh ich aus der Frankfurter Zeitung in einer Ankündigung
der Iris, daß Rousseau bei euch ist. Er ist mir noch
eine Brief-Antwort und die Iris ist mir auch noch was schuldig.
10Grüß' ihn von mir, sag' ihm, er möchte mir die Offenheit
meines letzten Briefes zugut halten, wie sie's auch verdient,
und überreich' ihm in meinem Namen ein Exemplar
des Don Juan. Ich lauere auf einen Brief von ihm.

                                

15  [Detmold 1829.]

 


216.

H: Infolge Kriegsverlagerung zur Zeit nicht verfügbar.
F: DStBB (Wahrscheinlich verloren.)
D: WW V 333—34, als Nr 72.
Wukadinović, der dieses Bruchstück WW V 333—34 als Nr 72 zum
ersten Male veröffentlicht, reiht es zwischen den Brief an Kettembeil
vom 3. Juni und den an Friedrich Steinmann vom 2. August 1829
ein und gibt ihm (VI 273) folgenden Kommentar bei:Wie schon
das 'P' (Z. 33) andeutet, das Postskriptum eines Briefes, vermutlich
an Kettembeil. Das Original in der Kgl. Bibliothek zu Berlin trägt
von fremder Hand den Vermerk 'Düsseldorf 1835'. Aber der Bezug

[Bd. b5, S. 576]

 


auf 'Don Juan und Faust' und die 'Iris'-Rezension weist das
Fragment mit Sicherheit in das Jahr 1829. Und diese, die am
10. Mai erschienen war, gibt zugleich den terminus a quo.“
  Daß Kettembeil der Empfänger ist, ist in der Tat fast mit Sicherheit
anzunehmen. Dagegen ist es fraglos wesentlich früher zu datieren,
als Wukadinović tut, und zwar aus folgenden Gründen:
  Johann Baptist Rousseau hatte in den Jahren 1827 und 1828
in Gemeinschaft mit Dr. Heinrich Schulz dieHermioneherausgegeben,
die aber im Juni 1828 einging. Nach Joseph Gotzen (Jahrbuch
des Kölnischen Geschichtsvereins6./7., Köln 1925, S. 119)
kam er sodannEnde 1828 oder Anfang 1829nach Frankfurt am
Main. Daß er in Wirklichkeit bereits Ende 1828 daselbst seinen
Wohnsitz genommen hat, ergibt sich aus Anzeigen in Frankfurter
Zeitungen. Die Ankündigung, von der Grabbe im Eingang des Brief-Fragments
spricht, findet sich in Nro 355 desFrankfurter Journals
vom 20. Dezember 1828, S. [4], und lautet:
Frankfurter Iris.
  Diese Zeitschrift, deren dreizehnter Jahrgang nächstens beginnt,
erscheint von 1829 an in Kommission des Unterzeichneten,
und unter der Verantwortlichkeit des bisherigen Redakteurs,
Herrn C.[arl] P.[eter] Berly, dem sich Herr J. B. Rousseau
als Mitredakteur angeschlossen hat. Viele namhafte Schriftsteller
sind als Mitarbeiter gewonnen, und Alles ist aufgeboten,
um die Iris in würdiger innerer und äußerer Ausstattung
erscheinen zu lassen, und den Zweck eines Unterhaltungs
-, Literatur-, Correspondenz- und Lokal-Blattes
in ihr zu vereinigen. Sie erscheint wöchentlich dreimal:
Sonntags, Dienstags und Freitags, nebst Beilagen mit Inseraten [...]
  Frankfurt a. M., im Dez. 1828.
                                Heinr. Wilmans.
  Zwischen Grabbe und Rousseau bestanden bereits Beziehungen.
Dieser hatte dieDramatischen Dichtungenin Nr 3 desRheinisch-Westphälischen
Anzeigersvom 9. Januar 1828 besprochen, und wie
Grabbe auch sonst gern Verbindung mit seinen Kritikern aufnahm,
so schrieb er dem Verfasser einen Brief, dessen Beantwortung er
noch erwartete. Nun ersah er, daß Rousseau nach Frankfurt, dem
Wohnsitze Kettembeils, übergesiedelt war, und so bat er den Freund,
einen Gruß zu bestellen, der zugleich eine Entschuldigung und eine
Erinnerung sein sollte, und zur Festigung der lockeren Beziehung
ein Besprechungsstück des ausgedruckten und in Auslieferung begriffenen
Don Juan und Faustzu überreichen.
  Vermutlich bekam Grabbe bald nachher auch die Nr 364 des
Frankfurter Journalsvom 29. Dezember in die Hände und begegnete
dort (S. [4]) dem Namen Rousseaus von neuem. Dieser hatte
nämlich die folgende Ankündigung von Vorlesungeneingerückt:
  Für das kommende Jahr kündigt Unterzeichneter Vorlesungen
über neuere Literatur an, deren Zweck seyn soll,
die merkwürdigeren Erscheinungen im Gebiet der schönen Wissenschaften,
welcher Gattung sie angehören mögen, vorzugsweise aber

[Bd. b5, S. 577]

 


die der dramatischen Literatur, kritisch zu erörtern, und einen ästhetischen
Gesichtspunkt anzugeben, woraus verwandte Werke einer und
derselben Kunstform beurtheilt werden können. Da diese Vorlesungen
für Gebildete jeden Standes, und sowohl für Herren
als für Damen, bestimmt sind, so ward der Plan, eine zusammenhängende
kritische Geschichte der neuern Literatur zu geben,
nicht aufgefaßt, vielmehr beabsichtigt, Unterhaltung mit Belehrung
dadurch zu verbinden, daß immer ein einzelnes Kunstwerk, entweder
ganz oder theilweise, zuerst vorgelesen, sodann beurtheilt,
mit anderen berühmten Erzeugnissen der Muse verglichen, und überhaupt
ins Detail kommentirt werden soll. Mit möglichster Sorgfalt
wird in diesem Kommentar ein Maaßstab angegeben seyn, wonach
ein jedes Kunstprodukt, das mit dem erörterten Aehnlichkeit hat,
und in Beziehungen zu ihm steht, von Jedem in Zukunft richtig
beurtheilt werden könne. — Die Vorträge werden in zwei aufeinanderfolgenden
Stunden gehalten, und nach einer jeden Vorlesung
dasjenige Buch oder diejenigen Bücher angezeigt, worüber in der
nächsten gesprochen wird, damit Vorbereitung auf Einzelnes erfolgen
könne. Im Ganzen werden sie drei Monate, ungefähr von Ende
Januar bis Ende April dauern, und in den Abendstunden von
sieben bis neun Uhr, im Saale des Museums [...] stattfinden. [...]
Subscriptionslisten liegen vor in der Brönner'schen Buchhandlung,
und in der Wohnung des Unterzeichneten (Kleiner Kornmarkt, Brabanter
Hof, erster Stock). — Frankfurt a. M., im Dezember 1828.
J. B. Rousseau.
Diese Anzeige veranlaßte Grabbe, im Briefe an Kettembeil vom
16. Januar 1829 seinen Gruß für Rousseau zu wiederholen und
dem Freunde zu empfehlen, die Persönlichkeit des neuen Mit-Redakteurs
derIrisein wenig zu umwerben; zuletzt kam ihm noch
der Gedanke, daß die angekündigte Vortragsreihe eine gute Gelegenheit
sei, das soeben erschienene Werk bekanntzumachen. Kettembeil
wird dem Wunsche, Rousseau vorlesen zu lassen, willfahrt haben.
Wenn für die Vorlesung von Freitag, dem 23. Januar, angekündigt
wurde, daß dem Schlusse der Abhandlung über den Begriff
einer dramatischen Nationalpoesie der Deutschen der Vortrag einiger
Szenen aus Grabbes TragödieDon Juan und Faust“, und zwar
nach dem Manuskript, folgen werde (vgl.Frankfurter Ober-Postamts
-ZeitungNo 23, Freitag, 23. Januar 1829, S. [6a]), so wird
dies auf Anregung des Verlegers geschehen sein, der auch die Handschrift
zur Verfügung stellte. Hätte Wukadinović dem Brief-Fragmente
seine richtige Stelle gegeben, dann würde Grabbe dem befreundeten
Verleger den Umstand, daß Rousseau seinen Wohnsitz
nach Frankfurt verlegt hatte, in der Zeit zwischen Juni und August
1829 als eine Neuigkeit gemeldet haben, da sich doch aus seinem
Briefe vom 16. Januar mit Gewißheit ergibt, daß ihm diese Übersiedelung
damals bereits bekannt war. Dies überzeugend zu finden
wäre absurd. Die hier versuchte Datierung kann nur annähernd
zutreffen. Wann Grabbe die Nr 355 desFrankfurter Journals
vom 20. Dezember zu Gesicht bekommen hat, hängt davon ab, ob
er Selbstbezieher des Blattes war oder es anderwärts, etwa in der

[Bd. b5, S. 578]

 


Ressource, bei Bekannten oder durch Bekannte einsehen konnte. Wir
wissen darüber nichts. Nimmt man an, daß es um die Jahreswende
möglich war, bedenkt man ferner, daß die Niederschrift
des Postskripts nicht unmittelbar nachher erfolgt zu sein braucht,
so käme man etwa auf die erste Woche des Januars 1829.

S. 259, Z. 9 f.: die Iris ist mir auch noch was schuldig: Wenn
dieses Postskriptum einigermaßen zutreffend eingeordnet ist, so kann
sich diese Bemerkung nicht, wie Wukadinović (WW VI 247 zu
V 78, 19 ff.) annimmt, auf die mit dem Briefe vom 18. April an
Kettembeil gesandte Theater-Kritik beziehen. Worauf aber sonst,
bleibt ungewiß; man kann an die abgebrochene Besprechung der
„Dramatischen Dichtungen“ in den Nrn 234 und 236 des Jahrgangs
1827 denken.