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Nr. 354, siehe GAA, Bd. V, S. 369thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Detmold) an Georg Ferdinand Kettembeil (Frankfurt a. M.)
Brief

Handschrift Lieber Freund,

20  ich danke Dir für Deine Gefälligkeit pto der Obligation. —
Meine Sterne blinkten wieder, und sanken eben so schnell.
Vielleicht zum Glück. Meine Zweimal-Braut heirathet — — —
einen Blaufärber von 47 Jahren. So was hilft und macht
shakspearische Lebensansichten, besonders wenn man so ziemlich
25den Burgunderschaum des Brautstandes genossen hat. —
Ich habe dem Hrn. Färber ein Cartell zugeschickt, zweifle
aber, daß der Sir es annimmt. — Ernstlich, jetzt erst fühle
ich den Mann. Vielleicht ist diese verdammte Geschichte, die
mir alles verdarb, mich nur im Napoleon begeisterte, mein
30Glück. — Mittlerweile habe ich wieder eine mögliche Braut,
eine gute, gesetzte Person, und dabei in der Gelehrsamkeit
erfahrener als ich, auch reicher wie die künftige Färberin,
aber der Lebensgeschmack ist mir fort. — Der Kosciusko hätte
den Feuerglanz des Nordlichtes vom 7ten Januar 1831 erhalten,
35wenn meine Juno mir nicht weglief. Zwar halt' ich
von den Polen nicht viel, aber das Dings wäre doch nicht
übel geworden. Nachdem ich Deinen Brief durchgelesen, sah'
ich es (den Kosciusko) noch einmal an, und fand des Guten

[GAA, Bd. V, S. 370]

 


und des Schlechten genug darin. Bitterkeit und Menschenkenntniß,
ganz ohne Gène ausgedrückt, war der Hauptcharacter.
— Ich will ihn Handschrift aber umreissen. Suwarow, Catharina,
Potemkin, Kosciusko selbst, Madalinsky sollen helfen. Auch
5die europäisch-asiatischen Verhältnisse.

  Mein Leben, merk' ich, wird nie durch Ruhm, Liebe, oder
wie das Zeugs heißt, glücklich. Ich verdiene hier ziemliches
Geld, — kannst Du mich aber in den sichren Stand setzen,
daß ich unbedingt monatlich von Dir 15 rthlr. ziehen kann
10(auch per Postvorschuß), und zwar auf die Wagniß, ob der
Kosciusko Dir gefällt oder nicht, so glaube ich, es geht. Oder,
wenn Du soviel nicht kannst, etwas weniger. Denn die elenden
15 rthlr. werde ich bloß auf Ausfahrten verwenden, und die
Natur als die unschuldigste meiner Geliebten betrachten. Nachher
15komme ich zu Haus, schreibe viel und gut, und lasse mich
nie mehr auf Personalien ein.
                                   
  Detmold den 20st Febr. 1832.    Grabbe.

 


354.

H: 1 Bl. in 20; 1¾ S.
  Auf S. 2 Vermerk von der Hand des Empfängers: 1832 Grabbe
in Detmold den 20 Febr.
F: GrA

[Bd. b5, S. 664]

 


D: WBl IV 474—75, als Nr 42.
  S .369, Z. 22: meine Zweimal-Braut heirathet: Sophie Henriette,
eheliche Tochter des Kaufmanns Heinrich Wilhelm Meyer zu Detmold
und der Dorothea Schnitger, hat nach öffentlichem Aufgebote
Dom. 10 et 11. p. Trinit. am 3. Sept. 1832 den Bürger, Färber und
Junggesellen Gottfried Theodor Husemann zu Stolzenau an der
Weser, ehelichen Sohn des Bürgers und Färbers Dietrich Husemann
und der Charlotte Caroline Roscher, geheiratet. (Trauregister der
ev.-luth. Kirchengemeinde St. Jacobi in Stolzenau, Jg. 1832, lfd.
Nr 15.)

S. 370, Z. 4: Madalinsky: Antoni M. (1739—1804), Südpreuße
von Geburt und vormaliger Hauptmann bei der adeligen galizischen
Garde zu Wien, hatte als Mitglied des Landtags an den Arbeiten
teilgenommen, welche die Konstitution vom 3. Mai 1791 vorbereiteten,
ward 1794 Brigadier und Kommandant eines polnischen Kavallerieregiments,
erhielt im Februar vom russischen General Igelstroem
den Befehl, es zu verabschieden, verließ aber mit ihm sein
Quartier Putulsk und vereinigte sich am 1. April, nach mehreren
Gefechten gegen die Russen, mit General Kosciuszko. Er unterstützte
diesen sehr wirksam und trug am 4. April mit zum Siege
von Wraclawec bei. Nach der zweiten Belagerung Warschaus operierte
er mit einem abgesonderten Korps gegen die Preußen, mußte
sich aber, da Polen von Preußen und Rußland angegriffen wurde,
nach Warschau zurückziehen. Dort hielt er eine lange Belagerung
ab und wurde schwer verwundet. Nach der Übergabe der Stadt
an Suworow zog er sich in die Provinz Posen zurück, wo er in
preußische Gefangenschaft geriet. Im Juni 1795, nach der gänzlichen
Unterwerfung Polens, wurde ihm von Friedrich Wilhelm II. die
Freiheit wiedergegeben. Fortan lebte er auf seinen Besitzungen in
Borow.