Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
Nr. 498, siehe GAA, Bd. VI, S. 129thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Louise Christiane Grabbe (Detmold)
Brief

      Handschrift Lucie!

Hör' ein vernünft'ges Wort. Ich bin nun so placirt, daß ich
auch für Dich jährlich 100 rthlr. und mehr erübrigen könnte.
20Aschenbrödel und Hannibal, die mir mit Umarbeiten viele
Zeit geraubt, sind im Begriff in die Presse zu gehn. Laß
meine Mutter, die so viel für mich gethan hat, in Ehren,
zeig' ein gutes Herz, indem Du den Proceß mit der armen
Wallbaum, die so oft für Dich lief, edel beschließest, mach
25mir keine Speranzien mit Quittungen und Obligationen, denke
daß ich Dir doch alle Sachen, die ich bedurfte, in's Haus
gebracht, und nur kümmerliche 6 Hemden pp eine tombackne
Uhr zum Staat, eine übersilberte für die Post, zur Reise
erwählt, und alles liegen und stehen gelassen habe, wie ich's
30fand oder gebracht. Wär'st Du gut wie vor der Ehe könnte
Manches anders seyn. Du hast nie eingesehn, daß ich nur
aus Furcht vor mir, nicht vor Dir und Deinem aufreitzenden
pp (sey's gut) etwas Ruhe suchte. Mein Hannibal ist fast
ganz umgearbeitet und fertig, Aschenbrödel, auch umgearbeitet,
35bald unter der Presse, und der Gedanke an die Heimath
(der einem in der Ferne wohl kommt, jedoch nicht
mit Heimweh zu verwechseln ist) Handschrift hat mich auf etwas aufmerksam
gemacht, was mir so nahe lag: nämlich ein großes

[GAA, Bd. VI, S. 130]

 


Drama aus der Hermannsschlacht zu machen; alle Thäler,
all das Grün, alle Bäche, alle Eigenthümlichkeiten der Bewohner
des lippischen Landes, das Beste der Erinnerungen
aus meiner, so viel ich davon weiß, auch, wenn Du willst,
5aus Deiner Kindheit und Jugend, sollen darin grünen, rauschen
und sich bewegen. Und, sonderbar, ich dachte nicht daran als
mir der Stoff einfiel, mein erster Leiter wird Deines Vaters
Buch seyn müssen. Ich hoff's hier wo aufzutreiben, und mein
Drama soll ihm wahrhaftig nicht schaden, vielmehr sein
10Gedenken erfrischen mit den Blumen der Poesie, — wenn
Du nur auskundigen könntest, wieviel Exemplare die Meiersche
Buchhandlung noch hat, — ich ließe sie, wäre das Drama
fertig, durch den Buchhändler aufkaufen, und eine neue Auflage,
neu bezahlt, bliebe nicht aus. Denn ich würde ja expreß
15Gewicht darauf legen. — In Frankf. sind mir, was Manches
erklärt, Scenen aus dem Hann. abgedrängt — Gottlob ich
fand sie im Kopf wieder, und besser. — Daß in meinem
ganzen Leben alles so ging, wie's ging, ist Glück.Dein

Grabbe

20  Düsseldorf, 8 Jan. 1835 (wohnhaft in der Ritterstraße,
nr. 70, 1 Treppe hoch, bei Mad. Andries.)

  [Adresse:] Handschrift An die Frau Auditeurin Grabbe Wohlgeboren
in Detmold. Durch Einlage.

 


498.

H: 1 Bl. in 40; 2 S. 1 Bl. in 80 mit Adresse als Umschlag.
  Vermerke der Empfängerin in der rechten oberen Ecke der ersten
Seite u. der Adresse: Nr 3.
F: GrA
T: Gegenw. S. 27.
D: WBl IV 490—91, als Nr 12.
Faks.: Lippe vor 100 Jahren. Aus demAntiquarischen Album
der Lippischen Landesbibliothek. Im Auftrage des Lippischen Heimatbundes
hrsg. von Heinrich Haxel. Detmold 1961: (Topp et
Möller), S. 22—23. (Von den Worten:Mein Hannibal ist ganz
umgearbeitetbis zu den Worten:grünen, rauschen und sich bewegen.
)
  Kommentar Louisens:
  1. zu den Worten „die so oft für Dich lief“: Irrthum! Die Wallbaum
hat Nichts für mich gethan! Für ihre aufgedrungene unbedeutende
Geschäftigkeit bei unserer Verheirathung ist sie von mir
überreichlich beschenkt worden.
  2. neben den Worten „denke daß ich Dir doch alle Sachen, die
ich bedurfte, in's Haus gebracht, und nur kümmerliche 6 Hemden
pp eine tombackne“ aRl: ?!?!
  3. zu den Worten: „alles liegen und stehen gelassen habe, wie
ich's fand oder gebracht“: Irrthum! Ist nichts zurück geblieben.
Ich hatte einer schönen goldnen Uhr nachgefragt, u. keiner andern.
  4. Neben der Zeile „ich's fand oder gebracht. Wär'st Du gut wie
vor der“ aRl: !!!!
  5. zu den Worten „Laß meine Mutter, die so viel für mich
gethan hat, in Ehren“: Die Worte hier: „Laß meine Mutter in
Ehren“ beweißen wohin die Obligationen u. die sämmtlichen Sachen
gekommen sind.
LGrabbe.

S. 129, Z. 23 f.: den Proceß mit der armen Wallbaum: Im Repertorium
zu den nicht mehr vorhandenen Akten der Detmolder
Justizkanzlei findet sich unter dem Buchstaben W und der Nr 222
der Eintrag: „Wilh. Wallbaum contra Ehefrau p Grabbe pto. injur.
1833.“ (StAD)
S. 130, Z. 7 f.: Deines Vaters Buch: Wo Hermann den Varus
schlug. Drei verschiedene, durch die neuesten Untersuchungen über
diesen Gegenstand veranlaßte, Aufsätze von dem Fürstlich Lippischen
Archivrath Christian Gottlieb Clostermeier in Detmold. Lemgo,

[Bd. b6, S. 481]

 


in der Meyerschen Hof-Buchhandlung, 1822. Zur Bedeutung der
Schrift für die „Hermannsschlacht“ vgl. Nietens Biographie S. 348 ff.
u. WW IV 232 ff. (Wukadinović nennt aber die Schrift ebenda
S. 230 fälschlich „Wo Varus den Hermann schlug.“)
S. 130, Z. 16: Scenen aus Hann. abgedrängt: Wohl von Eduard
Duller, der eine in der Nr 3 des von ihm herausgegebenen „Phönix“
vom 3. Januar 1835, S. 9—10, veröffentlicht hatte.