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Nr. 66, siehe GAA, Bd. V, S. 75thumbnail
Adolph Henrich Grabbe (Detmold) an Christian Dietrich Grabbe (Dresden)
Brief

10Handschrift Detmold den 25tn ten Apr. 1823.
      Lieber Christian!!!

  Deinen Brief vom 10ten datirt, aber den 14ten Apr. zur
Post haben wir den 21ten d. richtig zu unserer Freude daß Du
gesund bist aus Deinem neuen Wohnort richtig erhalten. Wir
15sind noch gesund und wünschen dieses immer von Dir zu
hören.

  Anbei erfolgt ein dunkelblauer Frack, schwarze lange Hose
und eine schwarze Weste Deinem Verlangen gemäß. Auch erfolgen
noch anbei 4 Pistolen, denn eine neue Ansiedelung kostet
20immer etwas mehr. /: Die vorigen sechs u. diese vier Pistolen
habe ich vorerst geborgt, denn unser Garten ist noch frei, aber
denn habe ich zur Caution machen müßen, und kann daher
nichts ingroßirt werden diese Stelle lese ich aber der Mutter
nicht vor u. Du brauchst in Deiner Antwort nichts davon
25zu erwähnen :/ Die Mutter läßt fragen wie es mit Deiner
Wäsche stünde, und Deinen andern Sachen. Hast Du Deine
Sachen auch alle von Berlin mitgenommen, oder wie hast Du
dieses angefangen.

  Hier in Detmold weis ein jeder daß Du in Dresden bist.
30Der junge Rose hat aus Leipzig an seinem Vater hieher alles
geschrieben und der alte Canzleidirector Rose hat mich holen
lassen und den Brief von seinem Sohn vorgelesen, und sagt
darinn Du wärest angestellt beim Königl. Theater als Resigeur,
sagt ferner: Grabbe hat auf meine Bitte einige Scenen
35aus seinen Drama vorgelesen, die mich in Verwunderung gesetzt
haben, und Du hättest Dich so gefreuet daß Du in das 2te
Rom versetzt wurdest. Der Schluß ist: glaub Vater Tiek hat
väterlich für Grabbe gesorg[t.] Der alte Rose billiget gänzlich
Dein Vorhaben und sag[te] zu mich: wenn mir jemand etwas

[GAA, Bd. V, S. 76]

 


darüber sagen würde, so[llte ich ihn] man zu ihm weisen,
denn als Advokat wäre hier nicht Viel aus[zurichten(?),] obschon
er Dir alles zutrauete, was dazu gehört denn Du wärst
kein Renkenmacher. pp der den Bauern zu ungerechten Processen
5p verleitete. Du wärest ein junger Dichter. Der RegierungsPedell
E.[mmighausen] begegnet mir u. sagte ihm
wäre ge[sagt(?)] Du stündest Dich so gut wie hier ein Regierungsrath.


  Stein ist auch wieder hier und bleibt diesen Sommer zu
10Hause. Er ist in Leipzig gewesen und da warst Du den Tag
vorher weggegangen. Auch der sagt, wie er in Leipzig gehört
hatte, er wollte wünschen, daß er so gut wie Du versorgt wäre:
den Du wärest Tactfest. Stein sagte Werfel wäre bei Dir
in Dresden ist das wahr, und wäre krank von Prag zurückgekommen,
15weil ihn der Assessor Rötteken, mit dem er von
Leipzig aus mitgieng, um mit die Reise nach Italien zu machen
krank zurückgelassen hätte.

  Handschrift Krohn wohnt hier und will sich examiniren lassen. Meister
bleibt diesen Sommer hier und kömmt Michaeli beim Herrn
20v. Walmoden als Informator mit 200 rthlrn. und alles frei.
Meister seine Mutter ist vor 8 Tagen gestorben. Das Kind des
Werkmeisters u. unsere Nachbarinn Schneberg sind auch todt.
Der Werkmstr. liegt noch elend krank.

  Wie sieht es aus mit Deinen beiden Stücken, werden sie auch
25zum Druck befördert? Deine Mutter läßt bitten, daß, wenn es
diesen Sommer nicht gienge, Du doch den künftigen Sommer
zu Hause kommen möchtest, wenn es Deine Umstände erlaubten.
Glaub lieber Christian wir sind zufrieden, wenn wir
nur hören daß Du gesund bist und Dein Auskommen hast.
30Wenn Du auch schreibst Du wärest Schauspieler und Du hast
davon Dein Auskommen, so sind wir es auch zufrieden. Der
berühmte Ifland war Schauspieler u. Dichter zugleich u. wird
nicht in der Nachwelt vergessen. Nach den Zeitungen ist der
König von Bayern in Dresden, da muß es brilliant sein. Hast
35Du auch schon bekannte in Dresden? Wie heißen Deine
Wirthsleute? Und wie machst Du es mit dem Essen.

  Sind Deine Hemden auch noch alle gut, oder muß sich die
Mutter in der Folge um andere bekümmern? Hast Du Deine
Bücher p auch alle von Berlin mitgenommen? Du möchtest Dich
40ja rein halten, um, wenn Du in Gesellschaften p wärest,
keinen üblen Gerug zu haben, wenn Du auch wöchentlich 2mal

[GAA, Bd. V, S. 77]

 


ein reines Hemd anziehen solltest. Und nun noch eine Bitte
Christian, Du hast sie schon von Berlin aus versprochen, die
besteht darinn: daß Du Dich mahlen läßt, was es kostet
soll vergütet werden.

5  Deine Mutter ist so vergnügt, wenn sie sieht, daß ich Dir
Pistolen einmache, dieses glaubst Du nicht. Ich weis eigentlich
nichts mehr neues zu schreiben, als vergiß nicht das Schreiben,
und muß bestimmt wie sonst alle 4 Wochen geschehen, wenn
es länger dauert, denn weis sich Deine Mutter nicht zu helfen
10und schreib einen großen langen Brief und schreib Deine
ganze Lage, wie es Dir an Deinem neuen Wohnort geht, denn
Du sprichst mit Deinem Eltern, denn nichts zu verhehlen
brauchst, und besonders schone Deine Gesundheit.

  Christian! ich schließe, leb wohl, sei vergnügt, schreib fleißig
15und denke oft an Deine Dichliebenden Eltern. Der Werkmstr.
liegt im letzten Zügen. Deine Mutter ist heiter, wenn sie nur
hört daß Du gesund bist

  Leb wohl!!!!

Grabbe.

20  100 Grüße von der Mutter beim Zumachen!

  [Adresse:] Handschrift An Herrn Christian Dieterich Grabbe. Wohnhaft
auf der großen Schießgasse nro: 719, 1 Treppe
in Dresden. Hierinn 4 Pistolen nebst 1 Paquet in
Wachstuch mit Kleidungsstücken. Sig: C.G. Dresden. Frey:

 


66.

H: Doppelbl. in 20; 2 S., Adresse auf S. 4.
F: GrA
T: WBl IV 616—17.

S. 75, Z. 37: wurdest.] Der Brief ist an dieser Stelle mit Textverlust
beschädigt, sodaß nicht sicher ist, ob und welches Satzzeichen
hinter wurdest gestanden hat
S. 75, Z. 38: gesorg[t]] Der Brief ist an dieser Stelle mit Textverlust
beschädigt
S. 75, Z. 39: sag[te]] Der Brief ist an dieser Stelle mit Textverlust
beschädigt
S. 76, Z. 1: so[llte ich ihn]] Der Brief ist an dieser Stelle mit
Textverlust beschädigt
S. 76, Z. 2: aus[zurichten(?)]] Der Brief ist an dieser Stelle mit
Textverlust beschädigt
S. 76, Z. 7: ge[sagt(?)]] Der Brief ist an dieser Stelle mit Textverlust
beschädigt

S. 75, Z. 30—38: Der junge Rose hat aus Leipzig an seinem
Vater hieher alles geschrieben: Friedrich August R. (geb. 2. Sept.
1805), Grabbes Klassenkamerad am Detmolder Gymnasium, war
1824 nach Berlin übergesiedelt. Seine Gönner, insbesondere Wilhelm
von Humboldt, suchten ihm einen Aufenthalt im Orient zu ermöglichen
und bewirkten seine Berufung an die Preußische Gesandtschaft
in Konstantinopel. Da die darüber gepflogenen Verhandlungen
sich infolge der kriegerischen Ereignisse im Orient zerschlugen,
begab sich R. 1827 nach Paris, um unter Silvestre de Sacy seine

[Bd. b5, S. 462]

 


orientalischen Studien fortzusetzen. Kaum in Paris angelangt, erhielt
er von den Stiftern der neubegründeten Londoner Universität den
Ruf als Professor der orientalischen Sprachen. Diesem folgte er,
noch nicht 23 Jahre alt. Den aus Leipzig vom 24. März datierten
Brief an seinen Vater siehe „Grabbe in Berichten seiner Zeitgenossen
“, Stuttgart 1968, S. 42, unter Nr 29.
S. 76, Z. 5 f.: Der RegierungsPedell E.[mmighausen]: Siehe die
Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 24, Z. 21.
S. 76, Z. 9: Stein: Georg Carl Wilhelm St. aus Detmold (1801
bis 1874), hatte bis zum April 1821 das Detmolder Gymnasium
besucht und sodann das Studium der Rechte und der Kameral-Wissenschaft
begonnen. Vom 8. Mai 1821 bis Michaelis 1822 war er
in Göttingen, von Michaelis 1822 bis zum 20. März 1823 in Jena
immatrikuliert gewesen. Im Nov. dieses Jahres bezog er zum zweiten
Male die Göttinger Universität, von der er endgültig im Aug. 1824
abgegangen ist. So ist in der Tat für den Sommer 1823 kein Aufenthalt
an einer Universität belegt. (Vgl. Steins Universitäts-Zeugnisse
in den Acta die Prüfung der Rechtscandidaten und Zulassung
zur Advocatur betr. Vol: III. 1824—1829. StAD. L 77 A Fach 79.
Nr. 10III.) Unterm 30. März 1826 zum Kammerauditor, unterm
11. Juli desselben Jahres zum Kammer-Referendarius, unterm 18.
Dez. 1827 zum Kammerassessor, unterm 9. Juli 1839 zum Kammerrat
ernannt.
S. 76, Z. 13: Werfel: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 32, Z. 33.
S. 76, Z. 15: der Assessor Rötteken: Ludwig R., geb. am 28. Mai
1796 als fünftes Kind des Amtsrats Friedrich Philipp Ernst R. in
Oerlinghausen. Unterm 24. März 1819 wurde dem Advokaten R.
aus Lemgo das erledigte Auditorat bei der fürstl. Regierungs-Kanzlei
konferiert. Unterm 21. März des folgenden Jahres wurde er zum
Kanzlei-Assessor ernannt, unterm 27. Dez. 1826 zum Kanzlei-Rat,
unterm 5. Okt. 1830 mit Beibehaltung seines bisherigen Charakters
zum Justizbeamten der Ämter Sternberg und Barntrup,
unterm 11. Aug. 1846 zum Ober-Appellationsrate bei dem gemeinschaftlichen
Ober-Apellationsgerichte zu Wolfenbüttel.
S. 76, Z. 18: Krohn: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 21, Z. 26.
S. 76, Z. 18: Meister: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 19, Z. 5.
S. 76, Z. 21: Meister seine Mutter ist vor 8 Tagen gestorben:
Wilhelmine Luise, die Frau des Hauptmanns Meister, ist am 10.
April 1823 im Alter von 44 Jahren an der Auszehrung gestorben.
S. 76, Z. 21 f.: Das Kind des Werkmeisters u. unsere Nachbarinn
Schneberg sind auch todt: Friedrich Adolf Ferdinand Kruel ist am
11. April 1823 im Alter von dreieinhalb Jahren an Kopfwassersucht,
verstorben, Sophie Luise Schneeberg, geb. Seif, aus Horn am
22. April 1823 zu Detmold im Alter von 60 Jahren an der Brustkrankheit.
Am 12. April 1795 hatte sie den Bürger und Schuhmachermeister
Friedrich Christoph Ludwig Sch., Bruch-Straße Nr 193
in Detmold, geheiratet.
S. 76, Z. 23: Der Werkmstr.: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 31, Z. 31.
S. 76, Z. 33 f.: Nach den Zeitungen ist der König von Bayern
in Dresden: Maximilian I. Joseph, seit 1. Jan. 1806 König von
Bayern (1756—1825), war seit dem 6. April mit seiner Gemahlin

[Bd. b5, S. 463]

 


Karoline Friederike Wilhelmine, geb. Prinzessin von Baden, und
seinen vier noch unvermählten Töchtern zum Besuche des sächsischen
Hofes in Dresden. Dort lebte auch seine Schwester Marie Amalie,
seit dem 17. Jan. 1769 die Gemahlin Friedrich Augusts I., Königs
von Sachsen. Aus Anlaß der Begegnung der Geschwister brachte
die „Abend-Zeitung“ in ihrer Nr 82 vom 5. April, S. 325, ein mit
„Th. Hell“ unterzeichnetes Gedicht, das „Dem Wiedersehen am
5. und 6. April 1823 gewidmet“ war. Ein „Reise-Bericht aus Dresden
und Teplitz“, datiert vom 9ten Mai 1823, mit Kalophilos unterzeichnet
und abgedruckt im 81sten Blatte des „Gesellschafters“ vom
21. Mai, S. 388, beginnt mit den folgenden Sätzen: „Bekanntlich
halten sich die, durch leutselige Herablassung und hohe Liebenswürdigkeit
sich auszeichnenden Königl. Bayerschen Herrschaften an
dem, durch die engsten Bande der Verwandschaft ihnen befreundeten
Hofe zu Dresden auf, wo sie bis zum 12ten Mai zu verweilen gedenken.
Der König von Bayern lustwandelt oft und ohne alle
Auszeichnung in der, an Kunstschätzen und Annehmlichkeiten so
vieler Art reichen Residenz und deren reizenden Umgebungen; die
Königin aber hat schon einige Mal die lutherische Kirche besucht
und darin den geist- und gemüthvollen Vortrag des Ober-Hofpredigers
Hrn. [Christoph Friedrich von] Ammon angehört. Zur
Verherrlichung dieser, für Dresden merkwürdigen Epoche ist auch
der Heros deutscher Bühne, Hr. [Ferdinand] Eßlair, Ende vorigen
Monats daselbst angelangt und hat schon einige Vorstellungen mit
ungetheiltem Beifall und vor überfülltem Hause gegeben.“ Ein
anderer Bericht, vom 1. Mai datiert und mit „-n.“ unterzeichnet,
findet sich in Nro 130 des Cottaischen „Morgenblattes“ vom 31. Mai,
S. 519—20.