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Nr. 479, siehe GAA, Bd. VI, S. 99nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Frankfurt a. M.) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief

      Herr Oberlandesgerichtsrath,

verzeihen Sie, wenn ich mich im Titel irre. Sie sind bekannt
genug als K. Immermann und die Adresse wird jedenfalls
15an ihren Mann kommen.

  Ich habe Zutrauen zu Ihnen und hoffe auf Sie. Ich glaube
nämlich, ich und eine alte Mutter sind verloren, wenn Sie
mir nicht zu helfen suchen. Zwar hab' ich seit 1½ Jahren
eine ziemlich reiche Frau, jedoch so interessant, daß ich sie nur
20aus der Ferne, jetzt von hier aus, bewundern kann, und von
dem Vermögen nehm' ich dem Weibe nichts, obgleich es mir
mitgehört, dazu bin ich zu stolz, habe vielmehr mein Eingebrachtes
der Dame großentheils auch gelassen. Diese Dame ist
so interessant gewesen, daß ich ihretwegen, Advocatur, Auditeurgeschäft
25(mit Beibehaltung des Ranges und Titels, um in
Gesellschaft doch etwas zu seyn) und eine Zeitlang auch Literatur
aufgab. Nun ging ich nach Frankfurt, wo ein Freund
haus'te. Als ich ankam, war er fort. Mein Verleger ist stets
gegen mich etwas sparsam gewesen (meine dramatischen Dichtungen
30hat er z. B. umsonst erhalten) und ich mag ihm jetzt
wo ich einiger Geldhülfe bedarf, keine Anträge stellen und
meine Seele nicht verkaufen. Denn daß ich dann so arbeiten
müßte wie er will, weiß ich. An andere Buchhändler wende
ich mich nicht, denn ich verstehe den Schacher zu schlecht. —
35Helfen Sie also mir, und könnten Sie mir auch nur ein
Stübchen schaffen und etwa (was Ihnen nicht schwer fallen
kann) juristische oder nicht juristische Abschreibereien gegen
ein Billiges. Auch hätte ich etwas für einen Buchhändler,

[GAA, Bd. VI, S. 100]

 


wovon so recht noch Niemand weiß: mein Hannibal ist
fast vollendet. Wenn Sie mir zu so einem auch hülfen, hätt'
ich wohl was Winterkost für meine unglückliche Mutter beizu.
— Daß mich die Zeit drängt und ich umgehends Antwort
5wünsche, bitte und erwarte, brauch' ich wohl nicht zu sagen.
Wer weiß, wo Ihr Brief mich sonst träfe, denn hier in Frkf.
kann ich nicht lange mehr existiren. Meine Adresse ist: „an
den Auditeur Grabbe, im 5ten Quartier, Lit. E, nr. 108, auf
der großen Bockenheimer Gasse, 3 Stiegen hoch.“

10  Da ich jedoch spüre, wie's oft mit Briefbestellung geht, so
bitt' ich in ein besonderes Couvert ein paar leere Worte zu
schreiben, und dieses sub titulo:

                    „an den Auditeur Grabbe“

„an die Hermannsche Buchhandlung abzugeben“. Der Inhaber
15dieser Buchhandlung bricht's leicht auf, „denn er ist mein
Freund ja.“ Wenn in dem Couvert anfangs steht: „Herr
Grabbe“, so soll mir das ein Zeichen seyn, den rechten
Brief auf der Post zu finden.
                                 Ich
Frankfurt am Main,                        Ihr
  1834, 18. Nov. ej. anni.                        Grabbe.

 


479.

H: Doppelbl. in 40; 4 S.
F: JW Bl. 1.2.
D: TdrO S. IV—V.

S. 100, Z. 14: abzugeben] Die erste Silbe ist beim Zeilenwechsel
versehentlich wiederholt H

S. 99, Z. 27: ein Freund: Gemeint ist wohl Johann Baptist
Rousseau; siehe die Anm. zu Bd 5, S. 211, Z. 29. (Verweis zum Kommentar S. 547.)