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Nr. 497, siehe GAA, Bd. VI, S. 126nothumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Karl Leberecht Immermann (Düsseldorf)
Brief

      Hochgeehrtester Freund!

10  Mit den Apparaten zur Hamletsübersetzung ist mir ein
großer Gefallen gethan. Ich wiederhole, und werd's auch
mir zur Beachtung merken, Shaksp. hat in der Umarbeitung
seinen alten einfachen Haml. oft widerlich aufgebauscht. Z. B.
in den Monolog to be pp noch das eigne Bild einer „See
15von Waffen“ und so überall nutzlose Bilder, Erweiterungen
schon bestehender Größe (in der neuen Edition vergleiche man
Hamlets mißmuthige Weltbeschreibung mit der kurzen, ungesuchten
in der älteren), auch bringt er spätere Lebenserfahrungen
am Hof bei, die er nicht bei sich behalten konnte. —
20Schlegel sagt, Shaks. hätte nie ein Wort geändert —
der arme Kritiker vergleiche die beiden Johns und die beiden
Hamlets. — Schlegels geglättete Uebersetzung, die ich nun
wieder, aus Tiecks Hand wenig verändert hervorgegangen,
durchmustert habe, braucht uns nicht zu schrecken, — wir
25wollen eben so deutlich und doch treuer seyn. — Was der
Tieck (dieß darf ich sagen, es ist nichts Persönliches und
gehört zur Sache) sich an den Shaksp. kettet, von dem er
nichts hat als romantische Staffage, doch ohne Charactere, in
seinen früheren Novellen (die ich und Heine in Berlin noch
30immer für die besten hielten, und wenn in den späteren
Stellen kamen, wo so etwas sentimental-romantischer Duft
athmete, rief er: doch der alte Tieck), und in seinen späteren,
und besonders in den letzten nichts als eine Ihm abgeborgte,
jedoch nur bei wenigen Personen hervortretende, oft zu seltsame
35Characterisirung, und eine mehr gesuchte und sonderbare
Komik, als ein ächte. Man müßte kurzsichtig seyn, im
Maler Eulenboek nicht den Angesichts der Dresdener Gallerie
verwandelten Falstaff, nicht in der Dorothea in den Verlobten
die umgeänderte Cordelia zu erkennen. Shakspeare

[GAA, Bd. VI, S. 127]

 


selbst ist von ihm am furchtbarsten mißhandelt, in Erklärung
und Schilderung. Tieck weiß, so viel er auch spricht, von
Shaksp. und der alten englischen Bühne, wenig oder nichts
mehr als andere Commentatoren auch; er ist in Engl. gewesen,
5hat aber keine shaksp. Handschrift, außer seinem Namenszug
vielleicht, gesehen; wir wissen von Shaksp. nur das wenige,
was vor jeder seiner neueren Ausgaben steht, nebst einigen
Davenant'schen Sagen ect. Shakspear war Wilddieb, mußte
flüchten, zürnte in Sonetten gegen den Lucy, welchem er
10vielleicht zürnen, aber nicht wegen eines von ihm an Lucy
begangenen Verbrechens laut verspotten durfte, — Shakspeare
war gallig, man sieht ja wie er im Haml. auf die Privatbühnen
loszieht; auch war er gut, naiv war er, aber trocken
dabei, als müßte das so seyn: man sieht's in seinem Testament;
15er war lustig, man weiß, wie er Johnson aufzog; er hatte
im 19. Jahr eine fast noch einmal so alte Frau geheirathet,
er hat die Pferde am Theater gehalten, sein Vater war ein
Schlächter oder Wollweber (die noch gröber sind als Metzger)
gewesen, und schwerlich fein erzogen lernte er durch sich
20selbst Londons Welt und den Hof kennen, letzteren, wie
es scheint, jedoch nur dem Aeußeren nach durch einige herablassende
Freunde, denen die Wood-notes des Poeten und
Schauspielers auf- und dadurch ge-fielen, comme chez tous
les peuples; („Wood-notes!“ das sagt Milton von ihm nach
25seinem Tode und lobend — die Zeitgenossen werden nicht
viel höher gedacht haben), nur wo er das Herz mahlt, trifft
der Pfeil auch in seinen vornehmen Gesellschaften, sonst entfaltet
er da oft einen wahren Prunkbombast, so sicher als
der ein eigner König seyn muß, der einen Kauz wie Polonius
30zum Minister hat; alle Lebenserfahrungen hatten ihn berührt,
er hatte sie alle aufgenommen, Gluth inwendig, doch außen
Stein, wie er in seinem größten, vorletzten Stück, dem Macbeth,
dasteht. Und Tieck — was macht er aus ihm? Einen
unerträglichen, überspannten Schwätzer, einen halben Schranzen,
35einen gelegentlich sehr sentimental radotirenden, aber
verschlechterten, Wackernagel, einen geschniegelten, geputzten
Jüngling, grad' als kröch' er aus irgend einer von seiner oder
Posgarus Novell. aus dem Ei. An Humor ist nicht zu denken,
wo William bei ihm erscheint, bei William, der geschichtlich
40für die blechernen Löffel seines Pathkindes und zugleich für
seine Meisterwerke sorgte, dessen Werke sein Leben und seine

[GAA, Bd. VI, S. 128]

 


Laune genug zeigen, ohne Data. — Soviel mußt' ich heut
vom Leibe haben, Tieck bringt mich selbst darauf. Er will
nun einmal etwas Absondres im Shk. finden, da er nichts
Neues beischaffen kann: da im Hamlet, in der 1. Sc., die ich
5eben transferirt habe, läßt er seine Diener übersetzen: „so
dräut er einst als er im harten Zweisprach auf's Eis die
gleitende Streitaxt geschleudert“ statt wie Schlegel „so dreut
pp auf's Eis warf den geschlitteten Polacken“. Tieck! sleaded
heißt nun einmal „Schlitten fahren“, nicht „gleiten“, und
10das Bild, daß die Streitaxt im Schlitten gefahren, wäre doch
zu kühn, — dann, zum Teufel, der König würde die Streitaxt
doch wohl nicht weggeschmissen haben, wenn er dem Feinde
mit ihr in's Gesicht droht? Hieß es Pole-ax, wie Pope in
einigen Ausgaben gefunden haben will, so ließe sich die Streit-Axt
15durch den mittleren Trennungsstrich noch eher herausklügeln,
unsere alte Edit. zeigt aber deutlich den Plural:
pollax (das x wie oft für cks) und nicht ein l, sondern zwei,
i. e. die Polacken, welche überdem im Stück noch ein oder
zweimal vorkommen, und (außer noch vielem, das zu sagen
20wäre), ist's bei Shaksp. zu vermuthen, daß er ein vages Bild,
wozu Tieck diese Stelle macht, statt sicherer persönlicher
Bezeichnung eines Kampfes mit den Polacken hinstellt? —
Doch Haml. soll ja auch im „be or not to be“ überlegen,
obs besser sey seinen Stiefvater umzubringen oder nicht, und
25dabei bedenken, wie wünschenswerth der Tod für einen
gerechten Menschen sey (gerechten, denn er fürchtet nicht
den everlast.[ing] judge im Monolog) aber daß die Furcht
vor etwas nach dem Tode ihn (i. e. nach Tieck vermuthlich
den König) hindere, umgebracht zu werden. Tis strange. —
30Ich glaube das to be or not to be, wie wir Laien es im
alten Sinn versteh'n, müßte übrigens von den Schauspielern
nicht mehr mit einem drückenden Predigerton so wie eine
große Last, die man mit dem Strick zieht, hergezogen werden,
— Haml. ist bewegt, er kommt von der Hekubascene, die
35Perioden verrathen die Bewegung, er zürnt, und versteckt seine
Thatlosigkeit unter bitteren Reden und dem herbeigerufenen
Gewissen, kurz, er spreche diesen Monolog nicht nach der
alten Ackermann-Garrikschen Ueberlieferung, als wenn er
einen schweren Tornister abschnallte und hinsetzte, sondern
40zwar nicht rappelig, aber als Hamlet, geistreich, bitter, sarkastisch,
mißmuthig, fürchtend pp. Ich wollt wohl versuchen,

[GAA, Bd. VI, S. 129]

 


ob Sie damit zufrieden wären, wenn ich ihn nach meiner
Idee so, wie er mir vorkommt, Ihnen vorläse.

  Mein Aschenbr. ist nun wie's soll. Vieles gekürzt, aber
eins konnt' ich nicht lassen: wie der Kutscher, die Ratte,
5von den Platenschen Trimetern parlirt, lass' ich ihn à la
Platen auf so lange in eine Parabase (die der Graf sehr
liebt, weil er ihre Bedeutung und Entschuldigung (Fehler
sind's immer) gar nicht kannte beim Aristophanes (der konnte,
was ihn politisch quälte, nicht anders beibringen als in den
10freien und geheiligten Spielen) verwandeln und also 3 Zeilen
reden, und wieder Kutscher seyn.

Ich sehne mich, Sie zu sehen. Wie, wo, wann!
Düss. 8. Jan. 1835.    Gehorsamst
  (Mein Hannibal fluthet prächtig;    Grabbe.

15   Sie zerrissen warnend die verselnden
Ketten. 12mal wird er besser.)

 


497.

H: 4 Bl. in 40. S. 1—5, 7 u. 8 beschrieben; auf S. 6 nur eine
Bemerkung.
F: IW Bl. 32—35. (31—34.)

S. 126, Z. 20: sagt,] sagt H
S. 126, Z. 35: eine] nach
gezogen>
S. 127, Z. 7: Ausgaben] Ausgabe H

S. 128, Z. 14: ließe: Dahinter folgt in H eine leere Seite, in
deren Mitte Grabbe geschrieben hat: (Diese Seite ist leer, was zufällig
geschehen ist, und Ihnen vielleicht lieb. Es geht unten nach
dem Custos weiter auf dem andren Bogen.)
S. 129, Z. 5: lass'] laß H
S. 129, Z. 10: Spielen))] Spielen) H Grabbe hat, in dem Bewußtsein,
daß die von ihm gesetzte runde Klammer für deren zwei steht,
sie besonders dick gezogen. Wukadinović, der H nicht verglichen
und infolgedessen geglaubt hat, Grabbe habe eine Klammer vergessen,
fügt sie hinter kannte ein, was natürlich falsch ist, da die nun
außerhalb jeder Einklammerung stehenden beiden Worte beim Aristophanes
zu den Worten Bedeutung und Entschuldigung gehören.
Vgl. WW VI 75—76. Bei Grisebach ist die Stelle so gedruckt, daß
man eine Klammer vermissen muß; vgl. WGr IV 374,12—16.
S. 126, Z. 13 f.: Z. B. in den Monolog to be [usw.]: Er hat in
der älteren Fassung folgenden Wortlaut:
      „To be, or not to be, I there's the point,
      To Die, to sleepe, is that all? I all:
      No, to sleepe, to dreame, I mary there it goes,
      For in that dreame of death, when wee awake,
      And borne before an euerlasting Iudge,
      From whence no passenger euer retur'nd,

[Bd. b6, S. 471]

 


        The vndiscouered country, at whose sight
        The happy smile, and the accursed damn'd.
        But for this, the ioyfull hope of this,
        Whol'd beare the scornes and flattery of the world,
        Scorned by the right rich, the rich curssed of the poore?
        The widow being oppressed, the orphan wrong'd,
        The taste of hunger, or a tirants raigne,
        And thousand more calamities besides,
        To grunt and sweate vnder this weary life,
        When that he may his full Quietus make,
        With a bare bodkin, who would this indure,
        But for a hope of something after death?
        Which pusles the braine, and doth confound the sence,
        Which makes vs rather beare those euilles we haue,
        Than flie to others that we know not of.
        I that, O this conscience makes cowardes of vs all,
        Lady in thy orizons, be all my sinnes remembred.“
(S. [35—36].) Vgl. dazu: „Ueber Hamlet's Monolog. Ein Nachtrag
zum Nachtrage“, in Ludwig Tiecks „Dramaturgischen Blättern“, 2.
Bändchen (Breslau, Max 1826), S. 127—33. Dort gibt Tieck auch
schon eine Übersetzung (S. 130—31).
S. 126, Z. 20: Schlegel sagt, Shaks. hätte nie ein Wort geändert:
Dazu macht Wukadinović (WW VI 279 zu S. 73, Z. 24f.) die
folgende Anmerkung: „Das behauptet nicht nur Schlegel, sondern
auch schon Ben Jonson in seinen 'Discoveries' (1640). — Auch die
beiden Herausgeber der ersten Folio sagen im Vorwort: 'Er arbeitete
mit solcher Leichtigkeit, daß wir in seinen Papieren kaum eine Ausstreichung
finden.'“ Wo Schlegel die zitierte Behauptung aufstelle,
gibt Wukadinović nicht an. — Die „Preface of the Players. Prefixed
to the first folio edition published in 1623“ ist von John Heminge
und Henrie Condell unterzeichnet. Darin findet sich der Satz: „His
mind and hand went together: and what he tought, he uttered
with that easinesse, that wee have scarse received from him a
blot in his papers.“ („The Plays and poems of William Shakspeare,
with the corrections and illustrations of various commentators...
With a new glossarial index.“ [Hrsg.: James Boswell.] Vol. 2,
London 1821, S. 662.) An diese Mitteilung knüpft Ben Jonson an,
wenn er in seiner Schrift: „Timber; or, Discoveries made upon men
and matter“ bemerkt: „I remember, the players have often mentioned
it as an honour to Shakespeare, that in his writing (whatsoever
he penned) he never blotted out a line. My answer hath been,
Would he had blotted a thousand. Which they thought a malevolent
speech. I had not told posterity this, but for their ignorance, who
choose that circumstance to commend their friend by, wherein he
most faulted; and to justify mine own candour: for I loved the
man, and do honour his memory, on this side idolatry, as much as
any.“ (The Works of Ben Jonson. With notes, critical and explanatory,
and a biographical memoir, by William Gifford. Ed. by Francis
Cunningham“, Vol. 3, London (1870, S. 398. Dem Text dieser
Ausgabe liegt der der Folio von 1641 zu Grunde.) Mit dieser Überlieferung
setzt sich August Wilhelm Schlegel in seiner zwölften
Vorlesung „Ueber dramatische Kunst und Litteratur“ auseinander:

[Bd. b6, S. 472]

 


Schon frühzeitig, so führt er aus, sei die Vorstellung in Gang gekommen,
„Shakspeare sey ein rohes Genie gewesen, und habe blindlings
unzusammenhängende Dichtungen auf gut Glück hingeschüttet.
Ben Jonson, ein jüngerer Zeitgenosse und Nebenbuhler Shakspeare's,
der im Schweiße seines Angesichts, aber mit geringem Erfolg das
englische Schauspiel nicht romantisch, sondern nach dem Muster der
Alten zu bilden strebte, meynte, er habe nicht genug ausgestrichen,
und weil er wenig Schulgelehrsamkeit besessen, verdanke er der
Natur mehr als der Kunst. Auch der gelehrte und zuweilen etwas
pedantische Milton stimmt in diesen Ton ein, wenn er sagt: 5*) ([Dazu
die Anm.:] 5*) Our sweetest Shakspeare, fancy's child, / Warbles
his native woodnotes wild.) „Unser süßer Shakspeare, das Kind der
Fantasie, wirbelt seine angebohrnen wilden Waldgesänge.“ („Ueber
dramatische Kunst und Litteratur“, 2. Ausg., Th. 3, Heidelberg
1817, S. 23—24.) Man wird aus diesen Sätzen kaum herauslesen
können, daß sich Schlegel mit der Behauptung der beiden Herausgeber
der ersten Folio identifiziert.
S. 126, Z. 21: die beiden Johns: „King John“ ist zuerst in der
Folio von 1623 gedruckt. Francis Meres erwähnt ihn in seinem
Werke „Palladis Tamia“ aus dem Jahre 1598; wahrscheinlich meint
er damit den bereits im Jahre 1591 ohne Nennung des Verfassers
gedruckten älteren König Johann in zwei Teilen. Tieck hat diesen
für eine Jugendarbeit Shakespeares erklärt und sich in der Vorrede
zum ersten Bande des „Alt-Englischen Theaters“ (Berlin, Realschulbuchhandlung
1811, S. XVI—XVIII), vor seiner Übersetzung des
Stücks (S. 1—157), über das Verhältnis der beiden Fassungen zu
einander geäußert.
S. 126, Z. 36 f.: im Maler Eulenboek: Eulenböck, der philosophische
Bilderfälscher und Freund des Weines in der Novelle „Die
Gemälde“, entstanden 1821 und zuerst erschienen im „Taschenbuche
zum gesellligen Vergnügen“ auf das Jahr 1822.
S. 126, Z. 38 f.: in der Dorothea in den Verlobten: Die 1822
entstandene Novelle heißt „Die Verlobung“ und ist zuerst im
„Berlinischen Taschenkalender für 1823“ erschienen. Dorothea, ihre
Heldin, die im Gegensatze zu der übertriebenen, dabei aber ins
Äußerliche geratenen Religiosität des Kreises um ihre Mutter steht,
hat außer dem Namen wohl auch viel vom Wesen der Tochter des
Dichters empfangen.
S. 127, Z. 6 f.: wir wissen von Shaksp. nur das wenige, was
vor jeder seiner neueren Ausgaben steht: Insbesondere in der von
Heinrich Voß dem Jüngeren geschriebenen Vorrede zum ersten Bande
von „Shakespeare's Schauspielen von Johann Heinrich Voß und
dessen Söhnen Heinrich Voß und Abraham Voß“ (Leipzig, Brockhaus
1818, S. IX—LXXII).
S. 127, Z. 7 f.: nebst einigen Davenant'schen Sagen: „K. Jakob
der Erste ertheilte ihm [Shakespeare] und seinen Genossen die Freyheit,
eine Bühne zu errichten [...]; und außerdem hat Aldys
die von Sir William d'Avenant dem Herzoge von Bukingham
erzählte Anekdote aufbehalten, daß dieser König, ein
so großer Liebhaber und Befördrer der Wissenschaften, mit eigner
Hand unserm Dichter einen freundschaftlichen Brief geschrieben habe,
den Davenant noch lange in Händen hatte, der aber nun

[Bd. b6, S. 473]

 


verloren ist.“ (Joh. Joach. Eschenburg: „Ueber W. Shakspeare“,
Zürich, Orell, Geßner, Füßli und Comp. 1787, S. 9.) — „Auf diesen
Reisen [von London nach Stratford] sprach er allemal in Oxford
beim Kronengastwirt Johann Davenant vor, einem Freunde
von guten Schauspielen, dessen siebenjähriges Söhnlein (der nachherige
Dichter Sir William Davenant) so verliebt in
Shakspeare war, daß er aus der Schule rannte, wenn er seine Ankunft
hörte, und fast athemlos den Begegnenden zurief: 'er
müsse seinen Gevatter Shakspeare sehn.'“ (Heinrich
Voß, a.a.O. S. XV—XVI.)
  Was Drake (siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 125, Z. 40) darüber berichtet,
ist folgendes: „That Shakspeare was accustomed to visit Stratford
annually, has been already noticed 1; and we learn from Antony
Wood, that in performing these journeys, he used to bait at the
Crown-Inn, in Oxford, which was then kept by John Davenant,
the father of the poet. Antony represents Mrs. Davenant as both
beautiful and accomplished, and her husband as a lover of plays,
and a great admirer of Shakspeare 2. The frequent visits of the
bard, and the charms of his landlady, appear to have given birth
to some scandalous surmises; for Oldys, repeating Wood's story,
adds, on the authority of Betterton and Pope, that 'their son,
joung Will. Davenant, (afterwards Sir William,) was then a little
school-boy in the town, of about seven or eight years old, and
so fond also of Shakspeare, that whenever he heard of his arrival,
he would fly from school to see him. One day, an old townsman
observing the boy running homeward almost out of breath, asked
him whither he was posting in that heat and hurry. He answered,
to see his god- father Shakspeare. There's a good boy, said the
other, but have a care that you don't take God's name in vain. 3
It has also been said, that Sir William had the weakness to feel
gratified by the publicity of the supposition. 4“ (A.a.O. Bd 2,
S. 589.)
S. 127, Z. 8: Shakspear war Wilddieb [usw.]: Nach einer, auf
bloße Sage gegründeten Anekdote wurde Shakspeare kurz nach den
Jahren 1583 oder 1584, in denen ihm drei Kinder geboren worden
waren, genötigt, in London seine Zuflucht zu nehmen. „Er war
nämlich mit einer Gesellschaft wilder junger Leute bekannt geworden,
unter denen einige ihn mehr als einmal verleiteten, mit ihnen
einen benachbarten Thiergarten zu Cherlecot zu bestehlen. Der
Eigenthümer desselben, Sir Thomas Lucy, belangte ihn gerichtlich
darüber; und, der Sage nach, vertheidigte und rächte sich
Shakspeare, als Dichter, in einer sehr bittern, aber nicht
mehr vorhandenen, Ballade. Dadurch wurde aber der Unwillle jenes
Edelmanns noch mehr gereitzt, und der Dichter zuletzt genöthigt,
sein Haus und Gewerbe in Warwickshire auf eine Zeitlang zu verlassen,
und sich nach London zu begeben.“ (Eschenburg, a.a.O.
S. 3—4.) — „In freien Stunden besuchte er [Shakespeare] mit

[Bd. b6, S. 474]

 


munteren Kamraden die Örter der Nachbarschaft, die er im Vorspiel
zur gezähmten Keiferin, und im zweiten Theil von
Heinrich dem Vierten (V, 3.) aufführt. [...] Vor allem
zog ihn der schöne Wald bei Stratford an zu einsamen Spaziergängen,
und ergözte ihn mit all den Vögeln, Hirschen und Rehen,
die er später in Was ihr wollt verewigt hat. Hier war es,
wo seine lustigen Genossen ihn zur Theilnahme an einem Wildraube
verleiteten, dem er, als der Wildbesizer, Sir Thomas Luce,
ihn auf kurze Zeit hatte einsperren lassen, ein beißendes Spottlied
hinzufügte. Nun regte Sir Luce die ganze Strenge des Gesezes
gegen ihn auf, und Shakspeare, damals ein zweiundzwanzigjähriger,
war genöthigt, seinen Vaterort, seine Frau und drei Kinder zu
verlassen.“ (Heinrich Voß, a.a.O. S. X.)
  Ausführlich behandelt diese Episode Drake im zehnten Kapitel
des ersten Teiles seines Werkes (a.a.O. Bd 1, S. 401—10).
S. 127, Z. 14: man sieht's in seinem Testament: „Auch in Shakspeare's
Testamente leibt und lebt der Biedermann. Man freut sich
der heiteren Fürsorglichkeit, womit er alle bedenkt, die ihm lieb
waren, und, um nur Eins anzuführen, mehreren seiner alten Bühnenkamraden
(fellows), jedem 20 Schillinge und 8 Pfennige vermacht,
um sich einen Ring zu kaufen.“ (Heinrich Voß, a.a.O.
S. XVI.)
S. 127, Z. 15: man weiß, wie er Johnson aufzog: Darüber
schreibt Heinrich Voß (a.a.O. S. XIII—XIV): „[...] besonders der
etwas wunderliche, aber brave, und grundgelehrte Ben Jonson, der
ihm (wie Gilchrist, Godwin und Gifford gegen die gewöhnliche
Annahme erwiesen haben) troz einiger gutmüthigen Neckereien, bis
an den Tod zärtlich ergeben war. [...] Glaubhafte Berichte erzählen
von Ben Jonsons, Shakspeare's, Fletchers, Donné's, und anderer
Männer fröhlichen Zusammenkünften im Mermaid-Klub, und
von den unvergleichlichen Wizkämpfen daselbst, die Shakspeare mit
Ben Jonson hielt. 'Diese Wizkämpfe (wit-combats), sagt Fuller,
betrachte ich wie eine spanische Galeone und ein englisches Kriegsschif.
Ben Jonson, der ersten gleich, war weit höher gebaut an
Gelehrsamkeit, fest und gediegen, aber langsam in seinen Erfindungen;
Shakspeare, dem lezteren gleich, kleiner an Masse, aber
leichter im Segeln, konnte sich drehn mit jeder Flut, gradaus und
seitwärts, und jeden Wind nuzen durch die Behendigkeit seines
Wizes und seiner Fantasie.'“
  Mit einem angeblichen „quarrel between our author and Ben
Jonson“ setzt sich Drake (a.a.O. Bd 2, S. 595—97) auseinander.
Auf eine Stelle in dem Drama „The Return from Parnassus“,
einem merkwürdigen Werke, das schon im Jahre 1602 von den
Studenten von St. John's College in Cambridge aufgeführt worden
sei, gingen alle darauf bezüglichen „idle tales“ zurück, „which have
been circulated with so much industry and avidity“. Das Ganze,
so erklärt Drake, „is a tissue of the most groundless and indefensible
scandal, and we stand aghast at the motives which could
induce such persevering hostility against the very man who, more
than all others, had been the steady and professed eulogist of
the poet thom these commentators sally forth to protect.“ (A.a.O.
S. 595.)

[Bd. b6, S. 475]

 


S. 127, Z. 17: er hat die Pferde am Theater gehalten: „Eben so,
wie diese Anekdote [von Sir Thomas Lucy's Feindschaft], gründet
sich auch eine andre auf blosse Sage, die Shakspeare's
erstes Erwerbungsmittel in London, und den ersten Anlaß zu seiner
Bekanntschaft mit der Bühne betrifft. Es waren, sagt man5*, die Kutschen
damals noch nicht sehr im Gebrauch, und Miethkutschen gab
es noch gar nicht; deswegen pflegten Leute, die zu vornehm, zu
schwächlich, oder zu träge zum Gehen waren, gemeiniglich zu reiten.
Man ritt auch ins Schauspielhaus, und es war Shakspeare's
erster Behelf in London, vor dem Eingange desselben zu stehen,
und die Pferde derer, die keine Bedienten hatten, während des
Schauspiels zu halten, damit sie nach dessen Endigung gleich bey der
Hand wären. Seine Pünktlichkeit und Sorgfalt dabey machten ihn
so beliebt, daß man keinem, als ihm, seine Pferde anvertrauen
mochte, und daß er um alles zu bestreiten, einige Knaben in Dienst
nahm, die, wenn man seinen Namen rief, mit den Worten: 'Ich bin
Shakspeare's Junge, mein Herr!' herbeyzulaufen pflegten.
Auch in der Folge, setzt man hinzu, so lange das Reiten ins Schauspiel
üblich war, wurden die Pferdehalter gemeiniglich Shakspeare's
Jungen genannt.“
  5*) Pope berief sich bey Erzählung dieser Anekdote auf keine
ältere Zeugen, als auf Rowe und Betterton; und jener hat
sie doch nicht einmal in seine Lebensbeschreibung mit aufgenommen.
In Cibber's, oder vielmehr Shiel's Leben der Dichter wird
sie zuerst erzählt.“ (Eschenburg, a.a.O. S. 4.).
S. 127, Z. 23 f.: comme chez tous les peuples: wie bei allen
Völkern.
S. 127, Z. 24 f.: „Wood-notes!“ das sagt Milton von ihm nach
seinem Tode und lobend: Gegen Ende seines Gedicht „L'allegro“
(1641). Vermutlich ist Grabbe mit dieser Wendung durch das Zitat
in Schlegels zwölfter Vorlesung „Ueber dramatische Kunst und
Litteratur“ bekannt geworden, da sich für seine Beschäftigung mit
Milton kein Zeugnis findet. Vgl. die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 126, Z. 20.
S. 127, Z. 36: Wackernagel: Schon Grisebach (WGr IV 519 zu
S. 372, Z. 12 v. u.) vermutet eine Verschreibung statt „Wackenroder“
. Wukadinović (WW VI 279 zu S. 74, Z. 36) pflichtet ihm
bei, indem er bemerkt, daß in der Tat „Wackernagel“ hier gar
keinen Sinn habe. Nun hat es zwar damals auch einen Dichter
W. gegeben, der immerhin so bekannt war, daß ihn Hermann
Marggraff in seinem Werke „Deutschland's jüngste Literatur- und
Culturepoche“ (Leipzig, Engelmann 1839, S. 406) neben anderen
Lyrikern, wie Rückert, Lenau Anastasius Grün und Gaudy, aufführt,
nämlich den späteren Germanisten Wilhelm W. (1806—1869);
jedoch sind dessen dichterische Jugendwerke nicht von der Art, daß
sie zu einer von derjenigen der genannten Editoren abweichenden
Entscheidung nötigten.
S. 127, Z. 38: Posgarus Novell.: Posgaru, d. i. πῶς γὰρ υὔ,
ist der Deckname für Karl Adolph Suckow, geb. am 27. Mai 1802
zu Münsterberg an der Ohlau in Schlesien, 1833 außerordentlicher
Professor der Theologie, später auch zweiter Prediger an der Hofkirche
in Breslau, gest. am 1. April 1847. Zuerst veröffentlichte

[Bd. b6, S. 476]

 


er die Novelle „Die Liebesgeschichten“ (Breslau, Josef Max und
Comp. 1829); sie ist noch in seiner Hauslehrerzeit geschrieben. Ihr
folgte als zweite „Germanos“ (ebenda 1830), als dritte „Idus“ (in
der „Urania“ für 1833, S. 111—66). Eine zweite verbesserte Auflage
der Novellen erschien 1833, ebenfalls bei Josef Max u. Komp.,
in drei Bändchen; die Sammlung enthält in Bd 1 u. 2 die „Liebesgeschichten“
, in Bd 3 „Germanos“.
  Eine der Figuren in der Novelle „Liebesgeschichten“ (die nämlich
darin erzählt werden) ist der Dichter Theobald. Dieser hat sich
vorgenommen, eine Novelle zu schreiben in der Gattung, die er die
höhere nennt, „oder die Novelle an sich“. „Die ersten Bedingnisse
für die Gestaltung der höhern Novelle sind unstreitig gute
Reden und zweckmäßige Gespräche über Kunst, Literatur, Poesie
und dergleichen Dinge, die dem höhern Leben angehören“. Zum
„unübertrefflichen, ach! und fast unerreichbaren Muster“ dafür hat
er sich „unsern göttlichen Tieck“ vorgesetzt. (2. Aufl. Bd 1, S.
47—50.)
S. 127, Z. 39 f.: der geschichtlich für die blechernen Löffel seines
Pathkindes [...] sorgte: Shakspeare „war Gevatter bei einem von
Ben Jonsons Kindern, und nach der Taufe, als er in tiefem Nachdenken
war, kam Jonson, ihn aufzuheitern, und fragte, warum er
so melancholisch sei. 'Nicht doch, Ben,' sagte er, 'ich bins nicht,
ich dachte nur lange darüber nach, was wohl das beste Geschenk
sei für mein Pätchen, und endlich fand ichs.' — 'Ich bitte dich,
was?' fragte Jonson. — 'Nun sieh, Ben, ich will ihm ein Duzend
gute blecherne Löffel, schenken (latten spoons, was lautet wie
latin spoons, lateinische Löffel), und du sollst sie übersezen.'“
(Heinrich Voß, a.a.O. S. XIII.)
S. 128, Z. 2 f.: Er will nun einmal etwas Absondres im Shk.
finden [usw.]: Die fraglichen Verse lauten in der Fleischer'schen
Ausgabe der „Plays“:
  So frown'd he once, when, in an angry parle,
  He smote the sledded Polack on the ice.“ (Vol. 17, Leipsick
1811, S. 6, Z. 9—10.) Dies hatte Schlegel folgendermaßen übersetzt:

  „So dräut' er einst, als er in hartem Zweysprach
  Aufs Eis warf den beschlitteten Polacken.“ (Seiner Übersetzung
Th. 3, Berlin 1798, S. 144, Z. 5—6.) Diese Übersetzung ist in
„Shakspeare's dramatischen Werken“, übers. von August Wilhelm
von Schlegel, ergänzt u. erläutert von Ludwig Tieck (Th. 6, Berlin
1831, S. 81, Z. 19—20) geändert in:
  „So dräut' er einst, als er in hartem Zweisprach
  Aufs Eis die gleitende Streitaxt geschleudert.“
  In der Fleischer'schen Ausgabe finden sich zu dem Worte 'Polack'
folgende Erläuterungen: „Pole-ax in the common editions. He
speaks of a Prince of Poland whom he slew in battle. He uses
the word Polack again, Act II. sc. IV. Pope.
  Polack was, in that age, the term for an inhabitant of Poland:
Polaque, French. Johnson.
  All the old copies have Polax. Mr. Pope and the subsequent
editors read — Polack; but the corrupted word shews, I think,
that Shakspeare wrote — Polacks. Malone.

[Bd. b6, S. 477]

 


  With Polack for Polander, the transcriber, or printer, might have
no acquaintance; he therefore substituted pole-ax as the only word
of like sound that was familiar to his ear. Unluckily, however,
it happened that the singular of the latter has the same sound as
the plural of the former. Hence it has been supposed that Shakspeare
meant to write Polacks. We cannot well suppose that in a
parley the King belaboured many, as it is not likely that provocation
was given by more than one, or that on such an occasion
he would have condescended to strike a meaner person than a
Prince. Steevens.“ (A.a.O. S. 146—47.)
S. 128, Z. 4: da im Hamlet, in der 1. Sc. [usw.]: Der frühere
Text lautet:
  „He smot the sleaded pollax on the yce,“ (a.a.O. S. [11]), der
spätere:
  „He smote the sledded Polack on the ice.“
  Tieck rechtfertigt seine Übersetzung in den Anmerkungen (Th. 7,
1832, S. 357), jedoch hat die spätere Forschung nicht seine Auslegung
gebilligt, sondern diejenige Schlegels und damit auch Grabbes.

S. 128, Z. 13 f.: Hieß es Pole-ax, wie Pope in einigen Ausgaben
gefunden haben will: „Shakespeare Works. Collated and corrected
by Alex. Pope“ erschienen zuerst in sechs Quartbänden London
1725; sodann 1728 in zehn Bänden in 120, 1766 zu Glasgow in
acht Bänden in 160 und 1768 zu Birmingham in neun Bänden in
120 (Nach Paul Hermann Sillig, „Die Shakespeare-Literatur bis
Mitte 1854“, Leipzig 1854, S. 39.) Vorgelegen hat nur die Ausgabe
der Werke „With a comment and notes, critical and explanatory.
By Pope and Warburton“ (8 Bde, London 1747, 80. „Hamlet“
findet sich im achten Bande, S. 113—272). Der fragliche Vers lautet
(S. 118): „He smote the sleaded Polack on the ice.“ Dazu Anm.
5: „Pole-axe in the common editions. He speaks of a Prince of
Poland whom he slew in battle. He uses the word Polack again,
Act 2. Scene 4. Mr Pope.
S. 128, Z. 27: den everlast[ing] judge: den ewigen Richter.
S. 128, Z. 29: Tis strange: 'S ist sonderbar.
S. 128, Z. 34: Hekubascene: II, 2.
S. 128, Z. 37 f.: nach der alten Ackermann-Garrikschen Ueberlieferung
[usw.]: Die Ackermannsche Überlieferung wird durch
Johann Franz Hieronimus Brockmann repräsentiert, der den Hamlet
in der denkwürdigen Aufführung an der Schaubühne zu Hamburg
vom 20. September 1776 gespielt hat. Über die drei ersten Vorstellungen
gibt uns der Brief eines Hamburgers nähere Nachricht,
der in Nr 77 der „Hamburgischen Adreß-Comtoir-Nachrichten“
vom 30. September 1776 abgedruckt, dem jedoch über die Art,
wie Brockmann den fraglichen Monolog „Sein oder Nichtsein“ vorgetragen,
nichts zu entnehmen ist. (Vgl. Richard Loening, „Die
Hamlet-Tragödie Shakespeares“, Stuttgart 1893, S. 5—6.) Die Aufführung
des „Hamlet“ kam auch nach Berlin, und diese Berliner
Vorstellungen gaben den Anlaß zu einer umfangreichen Schrift Johann
Friedrich Schinks: „Ueber Brockmanns Hamlet. Dem Herrn
Bibliothekar Reichard zu Gotha gewidmet.“ Berlin, Wever 1778.

[Bd. b6, S. 478]

 


Darin schildert der Verfasser die Darstellung des fraglichen Monologs
durch Brockmann mit den folgenden Worten: „Ich komme jezt
zu dem berühmten und mit Recht allgemein bewunderten Monolog:
'Seyn oder nicht Seyn!' der unstreitig die größte Kunst des Schauspielers
im Vortrag erfodert, wenn ihn der Zuschauer in all der
Stärke fühlen soll, mit der ihn Shakespear niedergeschrieben hat.
Hamlets Seele ist in einer Lage, die ihm die ganze Welt und alles,
was drinnen ist, äußerst verhaßt, äußerst zum Ekel macht. Alles
predigt ihm die Unvollkommenheit der Welt; alles erinnert ihn an
die Bosheit und Niederträchtigkeit des Menschengeschlechts. Die
Menschen sind ihm eine Last, und er sehnt sich recht herzlich
eines Lebens los zu werden, daß [!] der Thränen wehrt ist, die
man darum vergießt. Daher beschäftigt sich seine Seele ganz mit
dem Gedanken des Hinausgehen aus dieser Welt; doch hält ihn die
Ungewisheit von dem, was nach dem Tode erfolgen könnte, noch
von diesem Entschluß zurück. Er philosophirt also mit sich selbst
über die Frage: ob er gehen solle, oder nicht? Dieser Monolog muß
daher ohne alle Aktion, blos in dem raisonirenden, überlegenden
Ton vorgetragen werden. Langsam daherschreitend, die Arme übereinander
geschlagen, den Kopf gesenkt, den Blick in Gedanken verlohren,
muß Hamlet auftreten, und dann im Ton der Ueberlegung
ausbrechen:
  'Seyn, oder nicht seyn? Das also ist die Frage. Ist edler die Seele
dessen der Wurf und Pfeil des angreifenden Schicksals duldet, oder
dessen, der sich wider alle die Heere des Elendes rüstet, und
widerstrebend endigt? (langsamer und überlegender.) Sterben?'
  Ein kleiner Einhalt, und mit dem Ton der Ruhe:
  'Schlafen, weiter nichts!'
  Dann mit dem Ton der Wärme:
  'Und mit diesem Schlaf den Gram unsrer Seele, die unzählbare
Leiden der Natur enden, die hier unser Erbtheil sind.'
  Hier die Hände gefaltet und mit devotem Blick und dem Ton
der Sehnsucht:
  'Es ist eine Vollendung, die wir mit Andacht wünschen sollten!'
  Die gefaltne Hand niedersinken lassen, das Auge wieder im
Nachdenken vergraben zur Erde:
  'Sterben — schlafen! (stärker überlegend.) Schlafen?'
  Eingehalten und mit dem Ton einer bösen Vermuthung und
einem kleinen Seufzer:
  'Vielleicht auch träumen! Da, da liegts! denn was uns nun in
diesem langen Todesschlaf für Träume kommen möchten, wenn wir
nun diesem Geräusch hier entronnen sind: das heißt uns inne halten.
Das ist die Betrachtung die macht, daß wir uns lieber dem Leiden
eines so langen Lebens unterwerfen. (feurig und bedeutend.) Denn
wer ertrüge sonst seine Geißeln, seine Schmach? u.s.w. All die
Stöße die das nachgebende Verdienst von dem Unwürdgen empfängt,
könnt' er mit einem blanken Messerchen das all enden?
Wer hielt es da aus unter der Last eines so mühevollen Lebens
zu jammern und zu schwitzen? (Seufzend.) Aber die Ahnung von
etwas nach dem Tode (den Kopf schüttelnd und den Zeigefinger
aufgehoben) — Kein Reisender kehrte je aus diesem unbekannten
Lande zurück — verwirrt die Seele — u.s.w.

[Bd. b6, S. 479]

 


  Indem er aus diesem philosophischen Selbstgespräch zurück kömmt
wird er Ophelien gewahr, die mit einem Gebetbuche auf der Seite
steht. Des Gedankens von dem Hinausgehen aus der Welt noch
so voll, naht er sich mit der größten Rührung der schönen Ophelie.“
(S. 44—46.)
  Nach Brockmanns Abgang nach Wien im März 1778 hat dann
Friedrich Ludwig Schröder, der zunächst die Rolle des Geistes gespielt
hatte, die des Hamlet übernommen. Auch hier fehlen, was
den Monolog betrifft, alle Einzelheiten. In einem, wie Alexander
von Weilen vermutet, von Schink verfaßten Berichte in Jg. 2 der
„Litteratur- und Theater-Zeitung“ (Th. 1, Berlin 1779, S. 43) heißt
es lediglich: „... in dem Monolog: Seyn oder nicht seyn [...] ist
Schröder ihm [Brockmann] völlig gleich.“ („Hamlet auf der Deutschen
Bühne bis zur Gegenwart“, Berlin, Reimer 1908 = Schriften
der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft. Bd 3, S. 52.)
  Über David Garricks Darstellung des Hamlet liegt uns der Bericht
Georg Christoph Lichtenbergs vor, der ihn in dieser Rolle
zweimal gesehen hat. Im zweiten Briefe aus England an Heinrich
Christian Boie, datiert aus London vom 10. Oktober 1775, lesen
wir u. a.: „Der berühmte Monolog: To be or not to be etc. macht
natürlich den großen Eindruck auf den Zuhörer nicht, und kann
ihn nicht machen. Er thut aber doch ungleich mehr, als man von
einem Raisonnement über Selbstmord und Tod in einem Trauerspiel
erwarten sollte, deßwegen, weil ihn nicht allein ein großer Theil
der Versammlung wie ein Vater Unser auswendig weiß, sondern
auch, möchte ich sagen, jedermann wie ein Vater Unser sprechen
hört, zwar freilich nicht mit den großen begleitenden Ideen unsers
geheiligten Gebets, aber doch mit einem Gefühl von Feierlichkeit
und Würde, wovon sich jemanden, der England nicht kennt, kein
Begriff geben läßt. Shakespeare ist auf dieser Insel nicht berühmt,
sondern heilig; man hört seine Sittensprüche überall; [...] So verwächst
sein Name mit den ehrwürdigsten Ideen: man singt aus ihm
und von ihm, und daher lernt ihn ein großer Theil der englischen
Jugend eher kennen als das A B C und den Pontius Pilatus.
  Hamlet, der [...] in Trauer ist, erscheint hier, weil er schon
angefangen hat, den Verrückten zu spielen, mit dickem, losem Haar,
davon ein Theil über die Eine Schulter hervorhängt; einer von
den schwarzen Strümpfen ist herunter gefallen, und läßt den weißen
Unterstrumpf sehen, auch eine Schlinge des rothen Kniebandes hängt
über die Mitte der Wade herab. So tritt er langsam und in tiefer
Betrachtung hinter den Scenen hervor; das Kinn unterstützt er mit
der rechten Hand, und den Ellbogen des rechten Arms mit der
linken, und sieht mit großer Würde seitwärts auf die Erde nieder.
Hierauf, indem er den rechten Arm von dem Kinn wegbringt, aber,
wo ich mich recht erinnere, ihn noch durch den linken unterstützt
hält, spricht er die Worte To be or not to be etc. leise, aber wegen
der großen Stille (und nicht aus einer besondern Gabe des Mannes,
wie sogar in einigen Schriften steht) überall vernehmlich.“ (Georg
Christoph Lichtenberg's „Vermischte Schriften“, Bd 3, Göttingen,
Dieterich 1844, S. 225—27.) — Vgl. auch Christian Gaehde, „David
Garrick als Shakespeare-Darsteller und seine Bedeutung für die

[Bd. b6, S. 480]

 


heutige Schauspielkunst“, Berlin 1904 (= Schriften der Deutschen
Shakespeare-Gesellschaft Bd 2), S. 51.
S. 128, Z. 38: Ackermann: Konrad Ernst A. (1710—1771), der
Begründer der Ackermann'schen Gesellschaft, die 1764 in Hamburg
seßhaft wurde.
S. 128, Z. 38: Garrick: David G. (1716—1779), berühmt durch
seine Shakespeare-Darstellungen und -Aufführungen an dem von
ihm im Jahre 1747 gekauften Drurylane-Theater in London.
S. 129, Z. 6: Parabase: Siehe die Anm. zu Bd 2, S. 499,
Z. 29. (Verweis zum Kommentar S. 776—77.)


   1) Vide Part II. Chapter I.


   2) Athenae Oxon. vol. II. p. 292. edit. 1692.


   3) Reed's Shakspeare, vol. I. p. 124.


   4) Ibid. vol. III. p. 209.