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Nr. 487, siehe GAA, Bd. VI, S. 107thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Moritz Leopold Petri (Detmold)
Brief

35                    Handschrift Lieber Petri,

es thut mir leid, daß ich Dir noch stets nichts Erfreulicheres
als Bitten schicken kann. Aber auf wen soll ich mich so verlassen
als auf Dich? Gern überraschte ich Dich und Schierenberg

[GAA, Bd. VI, S. 108]

 


mit dem Hannibal, aber der Africaner ist schlimmer als
Martins Tiger, auch als mein Napoleon, den ich nur einmal
umarbeitete, denn ich habe ihn jetzt dreimal zu Boden geworfen,
um ihn wieder anders aufzurichten. Vieles, Vieles habe
5ich dabei vom Wesen der dramatischen Kunst gelernt, ich
habe aber keine Lust es zu schreiben, das Publicum muß es
aus dem Stück errathen. Könnt' ich mit Köchy Gespräche
führen, ständ's bald zu Papier. — In Frankf. blieb ich nicht,
weil mein Verleger viel versprach, auch allerlei that, aber nicht
10so wie ich es wünschte; ich sollte sein Hund werden, bald hier,
bald da nach seinem Willen corrigiren, damit das Zeugs dem
oder dem Blatt anpaßte, und er begriff nicht, daß fremde
Correctur schlimmer als ein Originalfehler. Ich verzeih's ihm,
er will heirathen. Nun schrieb ich an Immermann, und er
15ruft mich (was ich kaum erwartete) hieher, verspricht mir
Verleger, die mich gut behandeln, Logis ect ect. Er benimmt
sich brav, Handschrift auch lass' ich ihn gern in meiner Privatwirthschaft
den Vormund spielen, denn ich sehe, es ist nütz, er meint's
gut, und die Poesie, wo mein Verleger den Vormund machen
20wollte, ist weit genug für meine Laune. Beherrschen lass' ich
mich nicht, aber so lang ich guten Weg sehe, folg' ich dem
Führer (den Verf. des Meierrechts und seine Söhne mein' ich
nicht.)

  Nun das Fatale, aber Wichtige: da schreibt mir Ziegler, der
25Pustkuchen hätte decretirt: ich müßte an Otto Küster aus
Hovedissen noch 100 rthlr. Depositionsgelder zahlen, nebst
Zinsen vom 3. Dec. v. J. Bin ich sie schuldig zahl' ich sie,
und es wäre möglich, daß ich bei Zwisten und Umräumen die
Suppe nicht gesehen, mir auch mit — gewirthschaftet worden.
30Ehe die Brühe aber ausgezahlt wird bitte ich Dich (hoffentlich
in dergleichen Sachen nie wieder) a.) laß bei der Leihcasse
(Kirchhof) anfragen, ob nicht diese 100 rthlr. dort von mir
deponirt sind, seit dem qu. 3 Dec. oder später. b.) dito vergleiche
die Handschrift Consens- oder (ich weiß nicht genau) die Stellvertretungsacten
35des Otto Küster bei Hochf. Regierung,
c.) siehe den Depositionsschein an, sofern er nicht schon an
mich übersandt ist, — erkennst Du ihn richtig, von mir ausgestellt,
bin ich zufrieden und halte ihn für echt, — d) ist
in meinem Hause zwar Geld genug, wenn es nicht wieder zu
40besseren Männern als ich bin geschleppt wird, aber ich mag die
Geliebte nicht betrüben und erschrecken, so wenig als mich

[GAA, Bd. VI, S. 109]

 


ärgern, also e) ich habe hier bei mir 1) eine Obligation vom
Col. Sprute, nr. 2 aus Mosebeck, nach welcher er mir 180
rthlr. schuldig, und die am 13. April 1831 vom Amt Detmold
ingrossirt ist, 2) eine andere vom Col. Freese oder Hagemeister
5aus Hiddesen auf 100 rthlr. vom selben Amte am
23sten April 1831 ingrossirt. Sprute bezahlt anno 4½ Procent,
Freese 4 rthlr. 18 gr. Zinsen. Davon cedir' ich nach Belieben
Dir bis auf 100 rthlr. jede Obligation mitsammt den
Zinsen, falls Du, sollt' ich die 100 rthlr., wenn Du glaubst,
10bezahlen müssen, Handschrift diese selber kurzweg auslegst oder durch
Andere auslegen läss't. Bin ich's einmal schuldig, kann meine
Frau, nichts dagegen erinnern, so gern sie auch diese von mir
in die Ehe gebrachten Obligationen, wie manches Andere, mich
aus dem Hause treibend, seorsim behielte. Sicher stehen die
15Obligationen, wie Du am Amt Detm. sehen kannst, Gefahr
ist nicht dabei, und nöthigenfalls haftet ja mein ganzes Vermögen,
Eingebrachtes und erheirathetes. Nun hilf mir von der
Sache ab, und laß Dir oder wer es will, dafür eine der Obligationen
mit allen Rechten und künftig fallenden Zinsen und
20Haftung meines Vermögens (was ich aber unnütz halte, und
nicht gern sehe) cediren, was ich eventuell, wofern die 100
rthlr. von Dir oder einem Dritten dem Militairgericht bezahlt
sind, schon jetzt thue. Und dann schreib mir, daß ich das
Original sofort übersende. Am liebsten, Du wähltest die Freesische
25Obligation, weil's grade 100 rthlr. sind. Jede Gebühr
bezahl' ich gern beiher. Pustkuchen erhält das Geld gegen
Quittung, um die ich dann bitte. Er benimmt sich nicht so
gegen mich, wie ich ein Jahrlang umsonst, ohne Gehalt,
gegen Rotberg. Er konnte bei mir anfragen. Du am
30liebsten, Handschrift sonst thun Kaufmann Hoffmann, Meier pp, wenn
Du sie ersuchst, es auch wohl. Ich will ihnen von diesem
Jahre die Zinsen bis zu 5 Procent erhöhen, verlangen sie's.

  Antworte mir bald! Die Sache stört mich. Ich
glaube, ich habe bei dem ganzen Auditeurgeschäft verloren.

35  Ich konnte wegen Eile an meine Mutter nichts beilegen.
Grüß' sie. Eben kommt Jemand.

Düsseldorf 11 Dec. 1834.

                                
                                

40[Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Canzleirath Petri in
Detmold. Frei. (eilig.)

[GAA, Bd. VI, S. 110]

 

 


487.

H: 2 Doppelbl. in 40; 4¾ S., Adresse auf S. 8.
  Auf S. 8 Abgangsstempel: DÜSSELD. 1—9 11 12
  Ankunftsstempel: 13 12 N 1
F: GrA
T: Gegenwart. S. 26.
T1: WBl IV 500—01, als Nr 8.
T2: WGr IV 351—52, als Nr 133.
D: WW VI 58—60, als Nr 155.

S. 108, Z. 2: Martins Tiger: Die Tiger der Menagerie van Aken
und Martin, die sich im August 1827 in Weimar zeigte und vom
Könige Ludwig I. von Bayern besucht wurde. (Siehe Max Johann
Seidels Brief an Ludwig Tieck, datiert aus Weimar vom 31. August
1827. „Briefe an Ludwig Tieck“, Bd 4, Breslau 1864, S. 36.) 1840
ist diese berühmte Menagerie für den kurz zuvor gegründeten Zoologischen
Garten in Amsterdam angekauft worden. (Wilhelm Strikker,
„Geschichte der Menagerien und der zoologischen Gärten“, Berlin
SW., Habel 1879, S. 28. = Sammlung gemeinverständlicher
wissenschaftlicher Vorträge, hrsg. von Rud. Virchow u. Fr.[anz]
v. Holtzendorff, Ser. 14, H. 336, S. 948.) Im Dezember 1830 war
Martin mit seiner Menagerie in Paris, und in dem von dort unterm
8ten datierten Briefe berichtet Ludwig Börne von der Kühnheit,
mit der Martin mit seinen Bestien spiele und von dem Abenteuer,
das ein zu dessen kranker Frau gerufener Arzt mit einem zahmen,
in der Wohnstube frei herumlaufenden Tiger gehabt habe. (Ludwig
Börne, „Gesammelte Schriften“, neue vollständige Ausg., Bd 8,
Hamburg & Frankfurt a. M. 1862, S. 119—20.) In den Journalen
jener Zeit stößt man immer wieder auf Ankündigungen des Erscheinens
der berühmten Menagerie und Berichte darüber. So findet
sich ein solcher in Nro 239 der „Diskalia“ (Frankfurt am Main)
vom 27. August 1831, S. [3]—[4], in dem ein Paar gestreifter
Königstiger besonders erwähnt werden.
S. 108, Z. 21—23: dem Führer (den Verf. des Meierrechts und
seine Söhne mein' ich nicht.): Des Fürstl. Lipp. Kammerrats Georg Ferdinand
Führer „Kurze Darstellung der Meyerrechtlichen Verfassung
in der Grafschaft Lippe nach dem Geiste der Gesetze, nach gültigen
Observanzen, und so wohl nach gerichtlichen, als außergerichtlichen
Entscheidungen bearbeitet“ war 1804 im Verlage der Meyerschen
Buchhandlung zu Lemgo erschienen. Einer seiner Söhne war der

[Bd. b6, S. 449]

 


Geh. Kammerrat Gottlieb F. (1790—1869), ein anderer der im
Briefe des Zuchtmeisters an seinen Sohn vom 12. Juni 1820 erwähnte
Pastor in Homburg (vgl. Bd 5, Verweis zum Kommentar S. 24, Z. 29), über den
nichts Näheres ermittelt werden konnte.
S. 108, Z. 29: die Suppe: Etwas abschätzig für 'die Sache, Geschichte'.

S. 108, Z. 30: die Brühe: Hier die Bezeichnung von etwas Geringfügigem
(zunächst Verstärkung einer Negation, die dann wegbleiben
kann), also: der Bettel.
S. 108, Z. 32: (Kirchhof): Ferdinand K. aus Bösingfeld, Rezeptor
der Leihekasse in Detmold vom 1. Dez. 1831 bis zu seiner Pensionierung
am 1. Juli 1878.
S. 108, Z. 39 f.: zu besseren Männern als ich bin: Grabbe meint
den Forstsekretär Kestner, dem Louise Christiane im Jahre zuvor
unter Verletzung der ehemännlichen Rechte ihres Gatten einen
Kasten mit 300 Talern in Verwahrung gegeben hatte.
S. 109, Z. 14: seorsim: Richtig seorsum, lat. Adverb, 'besonders',
'abgesondert'.