Das Christian-Dietrich-Grabbe-Portal
 
Nr. 517, siehe GAA, Bd. VI, S. 153thumbnail
Christian Dietrich Grabbe (Düsseldorf) an Moritz Leopold Petri (Detmold)
Brief

                Handschrift Lieber Petri!

  Dieß wird alles in Eile geschrieben, da mich der Buchhändler
35um Hannibal drängt, der am 4ten dieses, Abends 4½ Uhr,
geendet ist, und zu meiner allervollsten Zufriedenheit. Ich
weiß kaum, woher ich die Kraft bekommen. Jetzt, da mein
Manuscript je unleserlicher ist, so poetischer es hier und da
seyn mag, schreib' ich ihn selbst ab, und corrigire dabei. Voilà,

[GAA, Bd. VI, S. 154]

 


weshalb ich nicht eher antworten konnte. Aschenbrödel erhaltet
ihr bald. Der Plutarchsche Hannibal war mir immer verdächtig,
ich fand ihn nur bei den franz. Uebersetzungen und
(irr' ich nicht) bei Schirach. Jetzt dank' ich Dir und Schierenberg
5für die Nachricht. Wir Deutschen verachten die franz.
Gelehrsamkeit so oft, und bei Gott, weißt Du wer mir am
meisten ausgeholfen? Der alte Rollin. Schierenb. wird lachen,
ich habe aber zu meinem Zweck mehr darin gefunden als im
Schlosser. Es Handschrift wäre mir lieb, wenn Du mir blindweg die Pustkuchsche
10Foderung qu. abmachtest. Ich habe Deinen Brief darüber
nicht durchweg lesen dürfen, weil es jetzt Alles gilt,
den Hannibal zu endigen, und die geringste unangenehme
Aufregung mich stören könnte. Deine Freundschaft habe ich
jedoch gesehen, und alles was Dich, Schierenberg ect. persönlich
15betrifft, herausgelesen. Mir geht es hier sehr wohl, und
ich werde meiner Mutter wohl bald wieder Geld schicken
können. Für den Ersatz der bewußten Pustk. Foderung, und
zwar den sofortigen, haft' ich mit meinen Obligationen, meinem
Honorar, meinem ganzen Vermögen, meiner Ehre hier
20oben drein, und auch für die Zinsen. Gern hätt' ich Dir
Scen. aus Hannibal geschickt. Er ist dreimal besser gelungen
als Napoleon — Carthago's Asche weht vielleicht noch heut
in's weite Meer, ich bin wenigstens mit Gewalt daran. Ein
Handschrift Genius hat über mei[nem] Schicksal gewaltet, gut, daß ich
25niedrig geboren ward, das Geschäftsleben kennen lernte, besser
aber, daß ich nun diese harten Lehren heiter benutzen kann.
Grüße meine Bekannten, Schierenberg und sag Ziegler, ich
würde ihm bald antworten.

Düsseld. am Tag des ersten

30hies. Schnees, 10 Febr. 1835.

                                 suis
                                 très-affectionnê
                                
                                 humble
35                                
                                 Dietrich Grabbe.

  (Muß ich Dir Obligationen schicken, geht's dann nicht in
vidimirter Abschrift, mit dem Cessionsschein darunter? Die
Originale Singleton könnten auf der Post Unfall erleben, aber
40unter der vidimirten Abschr. bemerkt werden, daß sie fortan

[GAA, Bd. VI, S. 155]

 


nichts mehr gelten, und dann hier vor einem Notar verbrannt
werden.)

[Adresse:] Handschrift Sr Wohlgeboren dem Herrn Canzleirath Petri in
Detmold. Frei.

 


517.

H: Doppelbl. in 40; 3 S., Adresse auf S. 4.
F: GrA


  T Gegenw. S. 27
T1: WBl IV 503, als Nr 10.
T2: WGr IV 397—98, als Nr 157.
D: WW VI 93—94, als Nr 180.
  Auf S. 4 Abgangsstempel: DÜSSELD. 1—9 10 2
  Ankunftsstempel: 13 2 N 1

S. 154, Z. 24: mei[nem]] Das zweite Blatt ist beim Öffnen des
Briefes am oberen Rande mit Textverlust beschädigt

S. 154, Z. 3 f.: und (irr' ich nicht) bei Schirach: In den „Biographien
des Plutarchs mit Anmerkungen. Von Gottlob Benedict
von Schirach“ (8 Theile. Berlin u. Leipzig, Decker 1777—80) ist
keine Biographie Hannibals enthalten.
S. 154, Z. 7: Der alte Rollin: Siehe die Anm. zu Verweis zum Kommentar S. 126, Z. 7.
S. 154, Z. 8 f.: im Schlosser: Über die punischen Kriege handelt
Friedrich Christoph Schlosser im ersten Bande seiner „Weltgeschichte
in zusammenhängender Erzählung“ (Frankfurt am Main, Varrentrapp
1815), ausführlicher in den beiden Abteilungen des zweiten
Teiles der „Universalhistorischen Uebersicht der Geschichte der alten
Welt und ihrer Cultur“ (ebenda 1828—29).
S. 154, Z. 31—34: Je suis votre très-affectionnè et très humble
serviteur: Ich bin Ihr sehr gewogener und sehr ergebener Diener.
S. 154, Z. 38: vidimirter: mit dem „Vidimus“ (d. h. Wir haben's
gesehen, durchgesehen) versehener, d. h. beglaubigter.
S. 154, Z. 38: Cessionsschein: Abtretungsschein.
S. 154, Z. 39: Singleton: Beim Whist die einzige Karte einer
Farbe in der Hand.